April 24, 2024 4:59 am

Im Urteil 7B_297/2023 vom 4. April 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der (geringen) Begründungspflicht beim Antrag auf Siegelung (hier ging es um ein Mobiltelefon). Das ZMG hielt die Begründungen «Anwaltskorrespondenz» und «Arztakten» für ungenügend. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, u.a. wie folgt: «[…] Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, war er nach der zitierten Rechtsprechung nicht gehalten, die Siegelungsgründe bereits beim Siegelungsantrag zu substanziieren. Nach der Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz machte er am 2. Mai 2023 geltend, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon vom Anwalts- und Arztgeheimnis geschützte Daten befänden. Damit hat er die Siegelung, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, rechtzeitig und gültig beantragt. Indem die Vorinstanz trotz gültigem Siegelungsantrag nicht auf das Entsiegelungsgesuch eingetreten ist, hat sie Bundesrecht verletzt.» (E.3.3).

April 23, 2024 10:17 am

Im Urteil 7B_172/2022 vom 21. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage des genügenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren bei Wirtschaftsdelikten (Betrug und Geldwäscherei). Dabei äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «In der Tat setzen nichtfreiheitsentziehende strafprozessuale Zwangsmassnahmen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht die gleich hohe Intensität eines Tatverdachts voraus wie Untersuchungs- und Sicherheitshaft (so etwa ausdrücklich Urteile 1B_691/2021 vom 21. Juli 2022 E. 2.2; 1B_193/2017 vom 24. August 2017 E. 3.3; 1B_516/2011 vom 17. November 2011 E. 2.1; 1B_212/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1; 1B_120/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 4). Vor diesem Hintergrund ist es ungenau, bei der Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO auf das Kriterium abzustellen, das in der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammengang mit der Überprüfung des dringenden Tatverdachts im Haftverfahren entwickelt worden ist. Richtigerweise ist für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren nur, aber immerhin das Vorliegen erheblicher und konkreter Hinweise auf eine strafbare Handlung verlangt.» (E.3.4). Das Bundesgericht bejahte im vorliegenden Fall einen genügenden Tatverdacht (E.4.3).

April 23, 2024 8:39 am

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_1323/2023 vom 11. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) den Schuldspruch gegen Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. Er hat sich in einem 2021 im Internet veröffentlichten Film-Interview in strafbarer Weise über eine Journalistin und die homosexuelle und lesbische Gemeinschaft geäussert. In Bezug auf die Ausgestaltung der Strafe wird seine Beschwerde durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen.

April 16, 2024 4:46 pm

Electronic Monitoring (elektronische Überwachung) kann als Strafvollzugsform in Betracht kommen, wenn der vollziehbare Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe höchstens 12 Monate beträgt. Das Bundesgericht gleicht im Urteil 7B_261/2023 vom 18. März 2024 seine Praxis zum Electronic Monitoring derjenigen zur Halbgefangenschaft an. Bis anhin war Electronic Monitoring nur zulässig, wenn die Gesamtfreiheitsstrafe nicht über einem Jahr lag. Das Bundesgericht stützt sich insbesondere, nach eingehender Begründung, auch auf Lehrmeinungen. Das Bundesgericht argumentiert u.a. wie folgt: «Insgesamt liegen ernsthafte, sachliche Gründe vor, die für eine gleiche Bemessung der zeitlichen Höchststrafe von 12 Monaten bei den besonderen Vollzugsformen der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) und der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) sprechen. Die Gründe, die für eine unterschiedliche Behandlung dieser Vollzugsformen hinsichtlich dieser zeitlichen Voraussetzung in der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis vorgebracht wurden (vgl. oben E. 2.3.4-2.3.7), erweisen sich unter Berücksichtigung der berechtigten Kritik in der Lehre nicht mehr als stichhaltig. Aus der Auslegung der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung von Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB ergibt sich, dass angesichts der spezialpräventiven Zielsetzung (vgl. oben E. 2.3.10) und der grundsätzlichen Gleichstellung der besonderen Vollzugsformen (vgl. oben E. 2.3.11) in Abänderung der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei teilbedingten Freiheitsstrafen (Art. 43 StGB) für die Bemessung der massgebenden Maximaldauer von 12 Monaten sowohl bei der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) als auch bei der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) auf den unbedingt vollziehbaren Teil der ausgesprochenen teilbedingten Strafe und nicht auf die Gesamtfreiheitsstrafe abzustellen ist.» (E.2.4).

April 16, 2024 6:38 am

Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bestätigt mit Urteil CA.2023.32 vom 4. April 2024 die von der Vorinstanz (Strafkammer) Ende November 2023 ausgesprochenen Schuldsprüche (Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie Sachbeschädigung) gegen die beiden Beschuldigten, welche im März 2022 eine Bombe in einer Villa im Basler Bruderholzquartier gezündet und damit einen Sachschaden von rund CHF 170'000.- verursacht hatten. Ebenfalls bestätigt wird der erstinstanzlich gegen die beiden Beschuldigten ausgesprochene Schuldspruch des versuchten Herstellens, Verbergens, Weiterschaffens von Sprengstoffen und giftigen Gasen sowie der für die beiden Beschuldigten ergangene Freispruch vom Vorwurf der strafbaren Vorbereitungshandlungen von Delikten gegen Leib und Leben bezüglich des im Sommer 2022 versuchten Erwerbs von zwei Kilogramm Plastiksprengstoff C4 in Stuttgart (D), wobei sich die vermeintlichen Anbieter schliesslich als verdeckte Ermittler entpuppten. Der Erstbeschuldigte wird zudem wegen unerlaubten Waffenbesitzes schuldig gesprochen. Die erstinstanzlich ausgesprochenen Freiheitsstrafen werden von 60 auf 64 Monate bzw. von 74 auf 84 Monate erhöht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, für die beiden Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

April 15, 2024 6:09 am

Im Urteil 6B_1104/2023 vom 19. März 2024 aus dem Kanton Aargau befasste sich das Bundesgericht mit der strafrechtlichen Landesverweisung mit Fokus auf Rügen von Art. 66a Abs. 2 StGB bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK (es ging um Betäubungsmitteldelikte und schwere Körperverletzung). Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat mit der Ex-Frau zwei Kinder Jahrgang 2000 und 2003. Dazu hat er mit der aktuellen Freundin eine gemeinsame Tochter (geboren im April 2023 und Schweizer Bürgerin). Die Eltern haben beide die gemeinsame elterliche Sorge, die Obhut liegt aber alleine bei der Mutter. Das Bundesgericht betonte generell-abstrakt die Bedeutung von Art. 8 EMRK (E.1.4.4) sowie das Kindswohl und die Kindsinteressen als wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung (E.1.4.5). Das Bundesgericht schützte in diesem Fall dennoch die Landesverweisung bzw. die Ansicht der Vorinstanz, u.a. wie folgt: «Dennoch durfte die Vorinstanz diese Interessen dadurch relativieren, dass die gemeinsame Tochter erst nach Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils und somit in Kenntnis der erstinstanzlich angeordneten Landesverweisung und in vollstem Bewusstsein um die damit verbundenen ausländerrechtlichen Folgen gezeugt wurde. Für die Frage, ob der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens "notwendig" im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist, gilt es auch eine allfällige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat zu Beginn der familiären Bindung miteinzubeziehen […]. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist zudem gestützt darauf, dass sowohl seine Partnerin als auch seine Tochter das Schweizer Bürgerrecht besitzen, das Verschieben des Familienlebens ins Ausland keinesfalls per se unzumutbar […]. Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, wonach das Recht auf Achtung des Familienlebens des Beschwerdeführers i.S.v. Art. 8 Ziff. 2 EMRK einer Landesverweisung nicht entgegenstehe.» (E.1.6.4).

April 15, 2024 3:14 am

Im Urteil 6B_17/2022 vom 18. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema der qualifizierten Widerhandlungen gegen das BetmG (Art. 19 Abs. 2 BetmG) und der Handlungen mit Kleinmengen von jeweils weniger als 18 g Kokain, welche aber gesamthaft diese Menge überschritten haben. Das Bundesgericht machte dabei generell-abstrakte Ausführungen und Auslegungen, auch mit Hinweis auf die Lehre und die Materialien, von fast schon epischer Länge (E.1.4 ff. und insbesondere E.1.6). Das Bundesgericht kommt zur folgenden Konklusion und bestätigt seine Praxis: «Zusammenfassend liegt nach dem geltenden Recht ein mengenmässig schwerer Fall gestützt auf Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG somit weiterhin nicht nur dann vor, wenn eine einzelne Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz oder mehrere solche Widerhandlungen, die ein zusammengehörendes Geschehen und damit eine natürliche Handlungseinheit bilden, eine qualifizierte Betäubungsmittelmenge betreffen, sondern auch dann, wenn eine entsprechende Menge nur unter gesamthafter Betrachtung mehrerer, rechtlich selbständiger Widerhandlungen erreicht wird. Ob mehrere Widerhandlungen als ein zusammengehörendes Geschehen erscheinen oder ob sie voneinander unabhängige Einzelhandlungen darstellen, bleibt für die Frage des Vorliegens eines mengenmässig schweren Falls folglich ohne Belang. In der einen wie der anderen Konstellation sind die Gegenstand der einzelnen Handlungen bildenden Betäubungsmittelmengen zu addieren, um das Vorliegen eines mengenmässig schweren Falls zu bestimmen. Anlass, von dieser etablierten Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.» (E.1.6.2.7).

April 12, 2024 1:02 pm

Die Plenarversammlung der KKJPD hat am 12. April 2024 in Bern ein Projekt verabschiedet, das die Ursachen der seit längerer Zeit bestehenden Überlastung der kantonalen Strafverfolgungsbehörden analysieren und Massnahmen zur Verbesserung der Situation vorschlagen soll. Dieses Projekt stellt die politische Antwort der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen zur immer häufiger vorgetragenen Problematik dar, dass die Schweizer Justiz vor einem Kollaps stehe und über 100’000 offene Fälle vorlägen.

April 11, 2024 12:50 pm

Das neue Sexualstrafrecht tritt auf den 1. Juli 2024 in Kraft.  Im Zentrum der Gesetzesänderung steht die Ausdehnung der geltenden Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung. Gemäss geltendem Recht liegt eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung erst dann vor, wenn das Opfer zu sexuellen Handlungen genötigt wird, das heisst, wenn der Täter es bedroht oder Gewalt ausübt. Künftig ist diese Voraussetzung nicht mehr notwendig. Überdies erfasst der Tatbestand der Vergewaltigung nicht mehr nur den Beischlaf, sondern auch beischlafsähnliche Handlungen und ist neu geschlechtsneutral formuliert. Schliesslich wird auch das Stealthing in das neue Sexualstrafrecht aufgenommen. An unserer Fortbildungs­veranstaltung wird das Thema sowohl wissenschaftlich als auch praxisorientiert behandelt aus den jeweiligen Perspektiven der Rechtslehre, der Staatsanwaltschaft und der Strafverteidigung. Datum: Dienstag, den 28. Mai 2024 Tagungsort: Widder Hotel, Zunftstube, Rennweg 7, 8001 Zürich Dauer: 15:30 Uhr bis ca. 19:30 Uhr Diese Fachveranstaltung vergibt 4 Credits für Fachanwältinnen und Fachanwälte SAV Strafrecht (schriftliche Bescheinigungen werden auf Wunsch vor Ort abgegeben).

April 11, 2024 5:58 am

Im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 aus dem Kanton Luzern geht es um das Thema des Strafantrags durch Erben einer verstorbenen Person bezüglich eines die Erblasserin betreffenden Delikts. Das Bundesgericht erklärt in diesem interessanten Urteil u.a.: «Da die Erben mit Art. 30 Abs. 4 StGB nicht über ein selbstständiges Strafantragsrecht verfügen (dies im Gegensatz zu urteilsfähigen Minderjährigen oder umfassend Verbeiständeten [...]), sondern dieses stellvertretend für die Verstorbene geltend machen, müssen sie sich gegebenenfalls den Fristenlauf, der durch die Kenntnis des Beistandes betreffend die notwendigen Punkte eines Strafantrages in Gang gesetzt worden ist, oder auch einen allfälligen Ablauf der dreimonatigen Antragsfrist, welche der Beistand von C. während seiner Tätigkeit verursacht hat, anrechnen lassen.» (E.3.5).