Januar 30, 2025 11:16 am

Das Bundesgericht weist im Urteil 7B_60/2022 vom 21. Januar 2025 die Beschwerde der Gesellschaft Hermitage Capital Management Ltd im Zusammenhang mit dem Entzug der Stellung als Privatklägerin in dem von der Bundesanwaltschaft 2021 eingestellten Verfahren wegen Geldwäscherei ab. Das Bundesstrafgericht hat kein Bundesrecht verletzt, wenn es davon ausgegangen ist, dass die Gesellschaft von den geltend gemachten Delikten selber nicht direkt berührt ist.

Januar 30, 2025 8:47 am

Im Urteil 6B_759/2024 vom 10. Januar 2025 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit einer mutmasslichen Vergewaltigung. Das Obergericht des Kantons Zürich hatte den Beschwerdegegner diesbezüglich freigesprochen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Willkürrüge) gut und befasst sich in diesem Urteil im Detail mit dem Beweisrecht. Hier sind einige Auszüge:  «Würdigt das Gericht einzelne belastende Indizien willkürlich oder lässt es entlastende Umstände willkürlich ausser Acht, führt dies nicht zwingend zur Aufhebung des angefochtenen Urteils durch das Bundesgericht. Die Beschwerde ist nur gutzuheissen, wenn der Entscheid auch bei objektiver Würdigung des gesamten Beweisergebnisses offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich ist. Die beschwerdeführende Partei, die vor Bundesgericht eine willkürliche Beweiswürdigung rügt, darf sich daher nicht darauf beschränken aufzuzeigen, wie einzelne Indizien willkürfrei zu würdigen gewesen wären. Sie muss sich vielmehr mit der gesamten Beweislage befassen und darlegen, inwiefern aus ihrer Sicht auch der aus der Gesamtheit der verschiedenen Indizien gezogene Schluss geradezu willkürlich ist […]» (E.3.2). «Gemäss Art. 389 Abs. 1 StPO beruht das Rechtsmittelverfahren auf den im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhobenen Beweisen. […]. Erweisen sich Beweiserhebungen indes als rechtsfehlerhaft (lit. a), unvollständig (lit. b) oder unzuverlässig (lit. c) im Sinne von Art. 389 Abs. 2 StPO, sind sie von der Rechtsmittelinstanz erneut vorzunehmen. Beweise sind notwendig, wenn sie den Ausgang des Verfahrens beeinflussen […]. Nach Art. 389 Abs. 3 StPO erhebt die Rechtsmittelinstanz die erforderlichen zusätzlichen Beweise von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei. Sie ist mithin verpflichtet, auch von Amtes wegen für eine rechtskonforme Beweiserhebung und damit aus eigener Initiative für die nötigen Ergänzungen besorgt zu sein […].» (E.3.5). Fallbezogen urteilte das Bundesgericht alsdann: «Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz aktenwidrig davon ausgeht, der Analabstrich von B. weise keine Spermaspuren des Beschwerdegegners auf. Daraus schliesst sie zu Unrecht, auf die Aussagen von B. betreffend Analverkehr könne nicht abgestellt werden. Zudem misst sie der nicht direkt den strittigen Kernsachverhalt (Nötigung zum Geschlechtsverkehr) betreffenden Aussage von B. hinsichtlich Blutanhaftungen an ihrer Unterhose angesichts der zahlreichen Beweise und Indizien, welche für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen hinsichtlich des strittigen Kernsachverhalts sprechen, ein zu hohes Gewicht bei, ohne den diesbezüglichen Widersprüchen durch eine Befragung von B. nachzugehen. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, es könne hinsichtlich des umstrittenen Kernsachverhalts nicht auf die Aussagen von B. abgestellt werden, erweist sich daher im Ergebnis als willkürlich. Die Beschwerde ist damit begründet.» (E.5).

Januar 29, 2025 4:04 pm

Am 22. Januar 2025 fand im Widder Hotel in Zürich die bereits 2. Neujahrestagung Strafrecht und Strafprozessrecht statt. Die praxisorientierten Vorträge präsentieren im Zürcher Widder Hotel praxisorientiert und aktuell wichtige strafrechtliche Themen, von KI, über das Bundesstrafgericht und Wirtschaftsstrafrecht bis zu Tötungsdelikten und Gewaltkriminalität sowie einem Rückblick auf die strafrechtlichen Urteile des Bundesgerichts 2024. Es referierten Lea Bachmann, MLaw, Doktorandin an der juristischen Fakultät der Universität Basel , lic. iur. Andrea Blum, Bundesstrafrichterin, Vizepräsidentin der Berufungskammer, Reto Ferrari-Visca, Dr. iur., Rechtsanwalt bei Homburger, CAS in Finanzmarktrecht, Dozent HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, Dr. Markus Oertle, Strafverteidiger (Landmann Rechtsanwälte AG), ehemaliger Leiter der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, sowie Boris Etter, lic. iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., Fachanwalt SAV Strafrecht und Markus Trottmann, lic.iur., Advokat, Fachanwalt SAV Strafrecht.

Januar 29, 2025 3:16 pm

Im Urteil 6B_1261/2023 vom 8. Januar 2025 aus dem Kanton St. Gallen behandelte das Bundesgericht einen SVG-Fall mit einem Jaguar-Oldtimer, der erst vor vier Monaten in der Schweiz zugelassen wurde. Das Bundesgericht schützte die Beschwerde (bei einer Übertretung) wie folgt: «Zusammengefasst hat die Vorinstanz mithin zu Unrecht eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung durch die Erstinstanz verneint sowie in Überschreitung ihrer Kognition den Sachverhalt neu gewürdigt und damit Bundesrecht verletzt.» (E.2.5). Ein Urteil nicht nur für Oldtimer-Enthusiasten.

Januar 24, 2025 11:38 am

Im Urteil 7B_948/2023 vom 16. Dezember 2024 aus dem Kanton Luzern ging es um die Beschwerdelegitimation der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern vor dem Bundesgericht in einem Fall, wo ein Beschuldigter eine Restgeldstrafe basierend auf einem Strafbefehl durch gemeinnützige Arbeit erbringen konnte. Das Bundesgericht verneinte die Beschwerdelegitimation der Oberstaatsanwaltschaft mangels genügend dargelegten rechtlichen Interesse und machte wertvolle allgemeine Ausführungen: «Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG grundsätzlich ohne Einschränkung zu […]. Die Bestimmung von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG verleiht aber nicht selbst das rechtlich geschützte Interesse, sondern setzt dieses voraus […].» (E.1.2). «Das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft leitet sich aus dem staatlichen Strafanspruch ab, den sie zu vertreten hat bzw. für dessen gleichmässige Durchsetzung sie verantwortlich ist (Art. 16 Abs. 1 StPO). Mithin ist die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor Bundesgericht beschwerdebefugt, wenn es um die Durchsetzung des Strafanspruchs als solchen oder um damit zusammenhängende materiell- und prozessrechtliche Belange geht […]. Zwar sind diese Voraussetzungen und damit die materielle Beschwer der Staatsanwaltschaft in der Regel gegeben. Das rechtlich geschützte Interesse kann jedoch nicht pauschal bejaht, sondern muss im Einzelfall durch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft begründet werden (Art. 42 Abs. 1 BGG), sofern es nicht offensichtlich gegeben ist […]» (E.1.2.1).  «Die Staatsanwaltschaft nimmt in einem bestimmten und von der Strafprozessordnung umschriebenen Bereich öffentliche Sicherheitsinteressen wahr […]. Der Strafvollzug im Allgemeinen fällt nicht in ihre Verantwortung. Die kantonalen Vollzugsbehörden sind ihrerseits von der Beschwerde in Strafsachen ausgeschlossen […].  Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die Interessen "tangierter Behörden" in gewissen - die öffentliche Sicherheit betreffenden - vollzugsrechtlichen Fragen von der Staatsanwaltschaft zu wahren […]. Geht es beispielhaft um Vollzugsöffnungen bei gemeingefährlichen Tätern, betrifft dies die öffentliche Sicherheit. In diesem Rahmen anerkennt das Bundesgericht die Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 78 Abs. 2 lit. b in Verbindung mit Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG […] Entsprechend gesteht das Bundesgericht auch in Fällen der Urlaubsgewährung im Strafvollzug […] oder der bedingten Entlassung aus einer stationären Massnahme […] der Staatsanwaltschaft die Beschwerdelegitimation im bundesgerichtlichen Verfahren zu.» (E.1.2.2).

Januar 24, 2025 10:43 am

Im Urteil 7B_230/2022 vom 6. Januar 2025 aus dem Kanton Basel-Stadt ging es u.a. um eine versuchte vorsätzliche Tötung. Das Bundesgericht machte dabei interessante generell-abstrakte Ausführungen zum Konfrontationsanspruch (E.2) sowie zum Thema Notwehr (E.4). Es äusserte sich u.a. wie folgt:  «Von einer Konfrontation kann nur unter besonderen Umständen abgesehen werden. In solchen Fällen ist gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK erforderlich, dass der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen kann, die Aussagen sorgfältig geprüft werden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt wird, d.h. der belastenden Aussage nicht ausschlaggebende Bedeutung zukommt bzw. sie nicht den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Ausserdem darf der Umstand, dass die beschuldigte Person ihre Rechte nicht (rechtzeitig) wahrnehmen konnte, nicht in der Verantwortung der Behörde liegen (BGE 131 I 476 E. 2.2 und 2.3.4). Ausnahmsweise kann ein streitiges Zeugnis von ausschlaggebender Bedeutung ohne Konfrontation mit Belastungszeugen verwertbar sein (vgl. Urteil 6B_1137/2020 vom 17. April 2023 E. 1.4.2.1 ff.; zum Ganzen: BGE 148 I 295 E. 2 mit Hinweisen).» (E.2.2). 

Januar 23, 2025 11:55 am

Die seit 2023 geltende Regelung, wonach ein Raserdelikt mit einer Geldstrafe sanktioniert werden kann, sofern der Täter in den letzten zehn Jahren kein schweres Verkehrsdelikt begangen hat, gilt unabhängig vom Zeitpunkt der Erlangung des Führerausweises. Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_1372/2023 vom 13. November 2024 (zur amtl. Publ. bestimmt) einen Entscheid des Genfer Kantonsgerichts.

Januar 16, 2025 12:41 pm

Im Urteil 6B_696/2023 vom 21. November 2024 (ergangen in öffentlicher Beratung, zur amtl. Publ. bestimmt) aus dem Kanton Vaud ging es um die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft vor Bundesgericht, in einem Fall, wo die Vorinstanz urteilte, dass keine rechtsgültigen Strafanträge vorlagen. Das Bundesgericht erklärte, dass sich die Beschwerdelegitimation sich nach dem BGG richte und verneinte im vorliegenden Fall die Legitimation der Staatsanwaltschaft: «En l'espèce, quand bien même l'appel était ouvert au ministère public […], il incombait à la lésée de faire appel contre le jugement de première instance libérant les intimés des chefs d'accusation de dommages à la propriété et de violation de domicile au motif que la plainte pénale qu'elle avait déposée n'était pas valable, puis de recourir auprès du Tribunal fédéral pour contester le jugement d'appel confirmant l'invalidité de la plainte pénale. Le ministère public n'a pas un intérêt juridiquement protégé à recourir au Tribunal fédéral contre la décision sur appel confirmant l'invalidité de la plainte, car cela revient à se substituer à la lésée et à agir pour le compte de celle-ci» (E.1.2.5). [Im vorliegenden Fall, auch wenn die Berufung der Staatsanwaltschaft offen stand, war es Aufgabe der Geschädigten, gegen das erstinstanzliche Urteil, das die Angeklagten von den Anklagepunkten der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs freisprach, Berufung einzulegen, weil der von ihr eingereichte Strafantrag ungültig war, und anschliessend beim Bundesgericht gegen das Berufungsurteil, das die Ungültigkeit des Strafantrags bestätigte, Beschwerde zu erheben. Die Staatsanwaltschaft hat kein rechtlich geschütztes Interesse daran, beim Bundesgericht gegen das Berufungsurteil, das die Ungültigkeit des Strafantrags bestätigt, Beschwerde einzulegen, da dies darauf hinauslaufen würde, dass sie an die Stelle der Geschädigten tritt und für diese handelt. (E.1.2.5), Übersetzung durch deepl.pro].

Januar 16, 2025 7:34 am

Im Urteil 7B_173/2024 vom 4. Dezember 2024 mit Haupthandlungsort Schweizer Botschaft in Athen befasste sich das sonst gegenüber Laienbeschwerden sehr offene und grosszügige Bundesgericht mit verschiedenen Eingaben des Beschwerdeführers bei der Schweizer Botschaft in Athen. Es äussertes sich wie folgt: «Ferner ist hervorzuheben, dass querulatorische Beschwerden unzulässig sind und das Bundesgericht nicht auf solche eintritt (Art. 42 Abs. 7, Art. 108 Abs. 1 lit. c BGG). Dies wird für künftige Eingaben des Beschwerdeführers, namentlich in dieser Angelegenheit, vorbehalten.» (E.5).

Januar 13, 2025 12:22 pm

Im Urteil 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme i.S.v. Art. 59 Abs. 1 StGB. Das Urteil enthält zahlreiche interessante Ausführungen zum Massnahmenrecht (E.5). Dabei nimmt es u.a. wie folgt zum Aktengutachten Stellung: «Die persönliche Untersuchung gehört zum Standard einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung. Nach der Rechtsprechung ist es in erster Linie Aufgabe des angefragten Sachverständigen zu beurteilen, ob sich ein Aktengutachten ausnahmsweise verantworten lässt […]. Ob und wie sich die fehlende Unmittelbarkeit der sachverständigen Einschätzung auf den Beweiswert eines Aktengutachtens auswirkt, ist nach dem konkreten Gegenstand der Gutachterfrage differenziert zu beurteilen. Der Gutachter soll sich (gegebenenfalls je nach Fragestellung gesondert) dazu äussern, ob eine Frage ohne Untersuchung gar nicht, nur in allgemeiner Form oder ohne Einschränkungen beantwortbar ist. Die Verweigerung der persönlichen Untersuchung durch die zu begutachtende Person gilt als Verzicht auf eine Mitwirkung bei der Beweisaufnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Weigerung Ausdruck einer krankheitswertigen Persönlichkeit ist. Hat sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben, dass eine persönliche Untersuchung unterblieben ist, verhält er sich widersprüchlich, wenn er im späteren Verlauf des Verfahrens rügt, das Aktengutachten sei unverwertbar […]. Da er sich weigerte, an der Begutachtung teilzunehmen, trägt er trotz des im Gesetz verankerten Begutachtungsobligatoriums letztlich die Konsequenzen seiner fehlenden Mitwirkung, zumal er gegen seinen Willen nicht zur Teilnahme an der Begutachtung gezwungen werden kann […].» (E.5.4.2). Beim Vorliegen von zwei sich widersprechenden Gutachten besteht gemäss Bundesgericht auch nicht immer die Notwendigkeit der Einholung eines Obergutachtens: «[…] bestand auch keinerlei Veranlassung zur Einholung eines Obergutachtens. Widersprechen sich zwei Gutachten, führt dies nicht zwingend zur Notwendigkeit eines Obergutachtens, vielmehr hat das Gericht zu entscheiden, welches Gutachten mehr überzeugt […]» (E.6.1.4).