Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen sind sich einig, dass die heutige angespannte Situation der Strafverfolgungsbehörden in den Kantonen eine direkte Konsequenz der Verkomplizierung des Strafverfahrens seit der Einführung der eidgenössischen StPO vor 12 Jahren ist, dies neben zahlreichen Änderungen des materiellen Strafrechts. Die Strafprozessordnung habe die Bestimmungen zum Strafverfahren immer komplexer ausgestaltet. Diesem Phänomen könne mit der Schaffung neuer Stellen bei den Strafverfolgungsbehörden nicht angemessen begegnet werden, da das System trotz mehr Personal immer schneller zu drehen drohe, ohne an Effizienz zu gewinnen, weil die neuen gesetzlichen Bestimmungen dies gar nicht zulassen.
Zudem wird angeführt, dass die personelle Dotation seit der Einführung der eidgenössischen StPO nie auftragsgemäss ausgestaltet war, d.h. diese war für alle Akteure der Chaîne pénale, d.h. der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte (Zwangsmassnahmengerichte sowie Gerichte der ersten und zweiten Instanz) immer zu gering. Dies führt über die Jahre bei allen Behörden zu einer stetig anwachsenden und kaum mehr zu bewältigenden Falllast.
Zu beachten gelte es, dass der Prozess der Strafverfolgung bis hin zur Urteilsvollstreckung als eine Prozesskette im Sinne der Managementterminologie zu verstehen sei (sog. Chaîne pénale). Prozessketten entstehen durch die Aneinanderreihung von Prozessen der einzelnen Abteilungen oder Organisationseinheiten in ihrer chronologischen Abfolge zur Erreichung eines Zieles. Deshalb müssten die den Strafbehörden zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel aufeinander abgestimmt sein, damit es nicht einseitig zu Überlastungssituationen kommen könne. Ziel des bewilligten Projekts zur Analyse der Überlastung der kantonalen Strafverfolgungsbehörden sei es, belastbare Zahlen zu erheben, um eine vertiefte Analyse der Ursachen der Überlastung ma[1]chen zu können. Eine reine Konzentration der Projektarbeiten auf die Gesetzgebung (StPO) greife zu kurz und sei deshalb nicht glaubwürdig. Es gehe auch darum, zur Frage der gesellschaftlichen Entwicklung, der Prioritätensetzung durch die Kantone, der Anwendung des Opportunitätsprinzips, der Effizienzsteigerung durch die Digitalisierung und insbesondere den Anwendungsmöglichkeiten von KI usw. Aussagen zu machen. Sollte sich aus den Arbeiten einen gesetzgeberischen Revisionsbedarf ergeben, sei dieser in einem zweiten Schritt in einem separaten Projekt zu bearbeiten. Mit dem Projekt sollen statistische Daten und Zahlen sowie Aussagen von betroffenen Praktikern er[1]hoben und aufgearbeitet werden, die ein Bild der Arbeitslast und Arbeitssituation der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte (Zwangsmassnahmengerichte sowie Gerichte der ersten und zweiten Instanz) seit der Einführung der StPO unter Einbezug der wichtigsten Reformen des materiellen Strafrechts wiedergeben. Wenn möglich soll zudem erhoben werden, bei welchen Verfahrensschritten und in welchen Rechtsgebieten wie viele Ressourcen eingesetzt werden, und ob dies nach politischen Prioritäten erfolgt oder eher zufällig. Bei der Situationsanalyse stehen Fragen der Justizverwaltung im Zentrum. Die Unabhängigkeit der Justiz und die Autonomie der Kantone wird auf jeden Fall respektiert.
Erste Ergebnisse der Arbeitsgruppe sollten in einem Jahr vorliegen. Der Schlussbericht zuhanden der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen ist für Ende 2025 vorgesehen.