Kein selbstständiges Strafantragsrecht für Erben

Im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 aus dem Kanton Luzern geht es um das Thema des Strafantrags durch Erben einer verstorbenen Person bezüglich eines die Erblasserin betreffenden Delikts. Das Bundesgericht erklärt in diesem interessanten Urteil u.a.: «Da die Erben mit Art. 30 Abs. 4 StGB nicht über ein selbstständiges Strafantragsrecht verfügen (dies im Gegensatz zu urteilsfähigen Minderjährigen oder umfassend Verbeiständeten […]), sondern dieses stellvertretend für die Verstorbene geltend machen, müssen sie sich gegebenenfalls den Fristenlauf, der durch die Kenntnis des Beistandes betreffend die notwendigen Punkte eines Strafantrages in Gang gesetzt worden ist, oder auch einen allfälligen Ablauf der dreimonatigen Antragsfrist, welche der Beistand von C. während seiner Tätigkeit verursacht hat, anrechnen lassen.» (E.3.5).

Sachverhalt

Das Kriminalgericht Luzern verurteilte A. am 24. Februar 2021 wegen mehrfacher Veruntreuung zum Nachteil seiner verstorbenen Mutter C. zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Vom Anklagevorwurf der mehrfachen Veruntreuung sprach es ihn frei.

Instanzenzug

Das Kantonsgericht Luzern bestätigte mit Urteil vom 30. Mai 2022 die erstinstanzlichen Schuld- und Freisprüche. Es bestrafte A. mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, die Beschwerde gutzuheissen, das Strafverfahren einzustellen, eventualiter sei er von Schuld und Strafe freizusprechen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Das Kantonsgericht Luzern verzichtet mit Schreiben vom 8. Januar 2024 unter Verweis auf das angefochtene Urteil auf eine Stellungnahme. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt mit Eingabe vom 11. Januar 2024 die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Der Privatkläger B. beantragt mit Eingabe vom 15. Januar 2024 ebenfalls die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024  

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht eine willkürliche Beweiswürdigung und eine Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro reo“. Er beanstandet die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, welche als Grundlage für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit seiner Mutter C. dienen. In diesem Zusammenhang macht er geltend, seine Mutter sei entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen urteilsfähig gewesen und habe die Strafantragsfrist von drei Monaten unbenutzt verstreichen lassen. (E.2.1).

Die Vorinstanz geht gemäss Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass die Mutter des Beschwerdeführers urteilsunfähig war. Die Würdigung der Vorinstanz hinsichtlich der massgeblichen Tatsachen, woraus sie den Schluss auf den Rechtsbegriff der Urteilsunfähigkeit der direkt geschädigten Mutter des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 16 ZGB zieht, geben keinen Anlass zur Kritik durch das Bundesgericht. Daraus ergibt sich der für das Bundesgericht zutreffende rechtliche Schluss der Vorinstanz, die Geschädigte selbst habe nicht auf einen Strafantrag verzichtet bzw. darauf nicht verzichten können. (E.2.4).

Nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen stellte der Privatkläger und Bruder des Beschwerdeführers am 25. Januar 2011 Strafantrag, worauf das Strafverfahren eingeleitet wurde, erklärt das Bundesgericht. Es ist somit für das Bundesgericht davon auszugehen, dass kein anderweitiger Strafantrag vorliegt (E.3.2).

Das Bundesgericht fährt zum zentralen Thema des Strafantrags generell-abstrakt im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 fort:

«Die Veruntreuung zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 4 StGB).» (E.3.3.1).

«Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann nach Art. 30 Abs. 1 StGB jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen. Der Strafantrag ist die bedingungslose Willenserklärung des Verletzten, es solle für einen bestimmten Sachverhalt Strafverfolgung stattfinden (BGE 147 IV 199 E. 1.3 mit Hinweis). Der Strafantrag muss den Handlungsablauf bzw. die konkreten Umstände umschreiben, für welche die Strafverfolgung verlangt wird. Allerdings ist nicht erforderlich, dass die Sachverhaltsumschreibung jedes Detail nennt (Urteil 6B_1340/2018 vom 15. Februar 2019 E. 2.2 mit Hinweisen).» (E.3.3.2).

«Ist die verletzte Person handlungsunfähig, so ist ihr gesetzlicher Vertreter zum Antrag berechtigt. Steht sie unter Vormundschaft oder unter umfassender Beistandschaft, so steht das Antragsrecht auch der Erwachsenenschutzbehörde zu (Art. 30 Abs. 2 StGB). Dabei verfügen der Beistand und die Erwachsenenschutzbehörde je über ein selbstständiges Antragsrecht (BGE 127 IV 193 E. 5 b/ee). Ist die verletzte Person minderjährig oder steht sie unter umfassender Beistandschaft, so ist auch sie zum Antrag berechtigt, wenn sie urteilsfähig ist (Art. 30 Abs. 3 StGB). Die Urteilsfähigkeit bemisst sich nach den allgemeinen personenrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGE 127 IV 193 E. 5b/dd mit Hinweis).» (E.3.3.3).

«Stirbt die verletzte Person, ohne dass sie den Strafantrag gestellt oder auf den Strafantrag ausdrücklich verzichtet hat, so steht das Antragsrecht jedem Angehörigen zu (Art. 30 Abs. 4 StGB). Hat eine antragsberechtigte Person ausdrücklich auf den Antrag verzichtet, so ist ihr Verzicht endgültig (Art. 30 Abs. 5 StGB). Den Angehörigen steht kein selbständiges Antragsrecht zur Verfügung; es handelt sich um eine gesetzliche Stellvertretung (CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar Strafgesetzbuch und Jugendstrafgesetz, 4. Aufl. 2019, N. 14 zu Art. 31 StGB).» (E.3.3.4).

«Nach Art. 31 StGB erlischt das Antragsrecht nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. Ausgangspunkt des Fristbeginns bildet die Kenntnis, des für den Strafantrag relevanten Inhalts. Dem Antragsberechtigten müssen Täter und Tat, d.h. deren Tatbestandselemente, bekannt sein; erforderlich ist dabei eine sichere, zuverlässige Kenntnis, die ein Vorgehen gegen den Täter als aussichtsreich erscheinen lässt (BGE 142 IV 129 E. 4.3 mit Hinweisen).» (E.3.3.5).

Das Bundesgericht ergänzt im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 strafprozessual:

«Gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, die massgeblichen Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen, enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind (BGE 135 II 145 E. 8.2; 119 IV 284 E. 5b; je mit Hinweisen). Genügt ein Entscheid diesen Anforderungen nicht, so kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweis).» (E.3.3.6).

Fallbezogen fährt das Bundesgericht im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 fort:

«Die Frage eines expliziten Verzichts auf den Strafantrag (Art. 30 Abs. 5 StGB) ist kein Thema und wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Dieser geht vielmehr vom Fristablauf für den Strafantrag aus (Art. 31 StGB).» (E.3.4).

«Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, oblag es dem gesetzlichen Vertreter der direkt geschädigten urteilsunfähigen C., für sie zu handeln und rechtzeitig Strafantrag einzureichen (Art. 30 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 StGB; Art. 106 Abs. 2 StPO; Urteile 7B_43/2022 vom 15. November 2023 E. 3.5.1; 6B_334/2012 vom 26. September 2012 E. 2.2, mit Hinweisen). Sie selbst konnte aufgrund ihrer Urteilsunfähigkeit nicht selbst handeln, d.h. weder Kenntnis von Tat und Täter erlangen, noch Strafantrag stellen, noch darauf verzichten (Art. 30 Abs. 3 StGB e contrario). Da die Erben mit Art. 30 Abs. 4 StGB nicht über ein selbstständiges Strafantragsrecht verfügen (dies im Gegensatz zu urteilsfähigen Minderjährigen oder umfassend Verbeiständeten; vgl. oben E. 3.3.3 und 3.3.4), sondern dieses stellvertretend für die Verstorbene geltend machen, müssen sie sich gegebenenfalls den Fristenlauf, der durch die Kenntnis des Beistandes betreffend die notwendigen Punkte eines Strafantrages in Gang gesetzt worden ist, oder auch einen allfälligen Ablauf der dreimonatigen Antragsfrist, welche der Beistand von C. während seiner Tätigkeit verursacht hat, anrechnen lassen.  Insoweit stellt sich die Frage, ob und welche Kenntnis der Beistand bzw. die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde von den strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers erlangt hat und ob diese ausreichten, um während der Beistandschaft im Namen von C. Strafantrag zu stellen (vgl. zu den erforderlichen Kenntnissen oben E. 3.3.2 und 3.3.5). Die Vorinstanz ist auf die Frage der Möglichkeit eines Strafantrages durch den Beistand bzw. die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde nicht eingegangen, sondern hat direkt das Antragsrecht des Privatklägers als Erbe gestützt auf Art. 30 Abs. 4 StGB geprüft. Indessen hätte sie sich zuerst damit befassen müssen, ob der Beistand als gesetzlicher Vertreter bzw. die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde während des Beistandschaftsmandates hinreichende Kenntnis von Tat und Täter zum Stellen eines Strafantrages erlangt hat, wann dies war und ob der Beistand bzw. die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die dreimonatige Strafantrags unbenutzt haben verstreichen lassen, wie der Beschwerdeführer geltend macht. War dies der Fall, so muss sich der Privatkläger und Erbe von C. die Untätigkeit des Beistandes bzw. der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde entgegen halten lassen.» (E.3.5).

Das Bundesgericht folgert im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024:

«Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen trifft, um die Frage zu beurteilen, ob der Beistand von C. über hinreichende Kenntnisse für einen Strafantrag verfügte und die Dreimonatsfrist unbenutzt verstreichen liess. Aus prozessökonomischen Gründen ist bereits auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen, soweit dies geboten ist.» (E.3.6).

Auf weitere Rügen wird hier nicht eingegangen (E.3.7).

Die Beschwerde wird im Urteil 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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