Im Urteil 6B_346/2024 vom 8. November 2024 aus dem Kanton Aargau, welches in Fünferbesetzung erging, befasste sich das Bundesgericht mit der Verwertbarkeit von Aufnahmen der Videoüberwachung bei SVG-Delikten im Rahmen der nationalen Rechtshilfe. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau gut und hob den Freispruch des Obergerichts des Kantons Aargau auf. Dabei machte es u.a. die folgenden Ausführungen: «Es ist unbestritten, dass die zur Diskussion stehenden Videoaufnahmen rechtmässig erstellt wurden. Gemäss der Vorinstanz erfolgten sie gestützt auf die kantonale Datenschutzgesetzgebung, welche die Aufnahmen zur Verkehrsüberwachung gestattet […]. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bedarf es für die Weitergabe der rechtmässig erfassten Daten an die Strafverfolgungsbehörden keiner zusätzlichen ausdrücklichen Norm in den von ihr genannten Gesetzen. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht rügt, stellen die Bestimmungen über die nationale Rechtshilfe eine solche Norm und eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Weitergabe der Videoaufnahmen dar. […].» (E.2.3.1). «[…] Wer am Strassenverkehr teilnimmt, muss sowohl damit rechnen, dass er resp. sein Fahrzeug von Verkehrskameras bildlich erfasst werden, als auch damit, dass die Daten in einem Strafverfahren, jedenfalls einem wegen Widerhandlungen, die mit dem Verkehr bzw. der Strassenverkehrsordnung in Zusammenhang stehen, verwendet werden können. Soweit die Vorinstanz als Begründung für die Widerrechtlichkeit der Datenweitergabe anführt, das kantonale Datenschutzgesetz diene nicht der Strafverfolgung und gestatte daher die Weitergabe der erfassten Daten nicht, ist ihr entgegenzuhalten, dass damit die Durchsetzung eidgenössischen Rechts unterlaufen würde. Die Beschwerdeführerin rügt in diesen Zusammenhang zu Recht eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) bzw. eine Verletzung von Bundesrecht durch die Vorinstanz. Die von dieser zitierte Rechtsprechung zum kantonalen Datenschutzrecht und zum Reglement Videoüberwachung der Strasseninfrastruktur ist insoweit nicht massgebend.» (E.2.3.2).
Das Bundesgericht heisst im in Fünferbesetzung ergangenen Urteil 6B_1272/2023 vom 30. Oktober 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) die Beschwerde eines kosovarischen Staatsangehörigen teilweise gut, der wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt wurde. In Bezug auf die angeordnete Landesverweisung liegt ein persönlicher Härtefall vor, da der Mann in diesem Fall seinen im Heim lebenden schwerstbehinderten Sohn nicht mehr besuchen könnte. Das Solothurner Obergericht muss neu entscheiden und eine Interessenabwägung vornehmen; dabei hat es insbesondere zu prüfen, ob vom Betroffenen eine konkrete Rückfallgefahr für Gewaltdelikte ausgeht. Das Bundesgericht äussert sich u.a. wie folgt: «Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren […]. Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der öffentlichen Interessen an der Landesverweisung […]. Erforderlich ist, dass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit als notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird […].» (E.5.8.1). Das Urteil kann bei einer ersten Lektüre auch als allgemeine Erhöhung der Hürde der strafrechtlichen Landesverweisung interpretiert werden. Einzelfallbezogen dürfte hier das Kriterium von Art. 8 EMRK und des schwerstbehinderten Halbweisen-Sohnes offensichtlich (mit-)entscheidend sein.
Ausländerrechtliche Situation von Opfern häuslicher Gewalt verbessert
Die ausländerrechtliche Situation von Opfern häuslicher Gewalt soll verbessert werden. Mit diesem Ziel hat das Parlament in der Sommersession eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) beschlossen. Der Bundesrat hat diese Änderung sowie die erforderlichen Verordnungsanpassungen an seiner Sitzung vom 27. November 2024 auf den 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt. Zudem zieht der Bundesrat den Vorbehalt der Schweiz zur Anwendung der Istanbul-Konvention zurück.
Covid-19-Härtefallhilfen: Liquidationsgewinne von Einzelunternehmen gelten nicht mehr als Verstösse
Unternehmen, die eine Covid-19-Härtefallunterstützung erhalten haben, dürfen während vier Jahren keine Dividenden ausschütten. Mit der Annahme der Motion 23.3842 Gapany hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, Liquidationsdividenden von diesem Verbot auszunehmen. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 27. November 2024 beschlossen, die Motion so umzusetzen, dass auf Bundesebene sämtliche Liquidationsdividenden bei Einzelunternehmen nicht mehr als Verstoss gegen das Dividendenverbot gelten.
Im Urteil 7B_1035/2024 vom 19. November 2024 aus dem Kanton Zürich (zur amtl. Publ. vorgesehen) ändert das Bundesgericht seine Praxis zum Haftgrund der einfachen Wiederholungsgefahr von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO, und zwar mit den folgenden Ausführungen: «Die Auslegung von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ergibt, dass die beschuldigte Person nur wegen einfacher Wiederholungsgefahr inhaftiert werden kann, wenn sie bereits zuvor wegen mindestens zwei gleichartigen Straftaten verurteilt worden ist. Die in BGE 137 IV 84 E. 3.2 etablierte Rechtsprechung lässt sich unter dem neuen Recht nicht weiterführen.» (E.2.11). Das Bundesgericht kam erst nach einem epischen Auslegungsmarathon zu dieser Schlussfolgerung, bei dem es auch die Materialien der jüngsten StPO-Revision akribisch analysierte. Das Urteil ist mithin ein doppeltes Leiturteil, für das Strafrecht und für die Methodenlehre. Trotz des wertvollen wissenschaftlichen Beitrags gab es für den Beschwerdeführer aber kein Happy End der Freilassung. Die Vorinstanz hatte nicht alle Haftgründe geprüft, was das Bundesgericht monierte (E.3.1 f.).
Verwertbarkeit von Zufallsfunden im Strafverfahren gegenüber Anwältin unter Kollusionsverdacht
Im Urteil 7B_990/2024 vom 31. Oktober 2024 aus dem Kanton Solothurn geht es um Zufallsfunde im Rahmen einer Echtzeitüberwachung, wo sich der Verdacht ergab, dass die amtliche Verteidigerin der Beschuldigten Person 1 der beschuldigten Person 2 mit telefonischen Kontakten hat «kollusive Informationen» zukommen lassen, was zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die Rechtsanwältin wegen Verdachts auf Begünstigung führte. Das Bundesgericht äusserte sich hierzu u.a. wie folgt: «Als Anwaltskorrespondenz (im Sinne der Beschlagnahmehindernisse nach Art. 264 Abs. 1 StPO lit. a, c und d StPO) gilt nach der Rechtsprechung alles, was in das besondere Vertrauensverhältnis zwischen der Anwältin oder dem Anwalt und der Klientschaft eingebracht wird, in ihm entsteht oder aus ihm hervorgeht […] Geschützt ist mit anderen Worten nur die direkte Kommunikation zwischen der beschuldigten Zielperson und der Berufsgeheimnisträgerin […]. «Diese an den Materialien orientierte Auffassung ist zutreffend, während sich die Lesart der Beschwerdeführerin als überschiessend erweist. […] ist die Beschwerdeführerin in den Telefongesprächen mit B.B. als normale Drittperson zu betrachten. Mitteilungen an Dritte gelten jedoch nicht als Anwaltskorrespondenz, und zwar auch dann nicht, wenn der Inhalt der Mitteilung eine grundsätzlich geheimnisgeschützte Information betrifft. Vielmehr verlassen grundsätzlich geheime Informationen durch die freiwillige und bewusste Kundgabe an einen Dritten das durch das Anwaltsgeheimnis geschützte Mandatsverhältnis […]. Nicht anders verhält es sich, wenn die Kundgabe wie hier durch die Rechtsanwältin selbst erfolgt. Gibt sie geheimnisgeschützte Informationen aus einem Mandatsverhältnis an eine Dritte weiter, kann sie sich in der Folge nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 271 Abs. 3 i.V.m. Art. 171 Abs. 1 StPO berufen. Hinzu kommt, dass der Schutz von Berufsgeheimnissen grundsätzlich dann nicht greift - so macht Art. 271 Abs. 2 lit. a StPO klar - wenn der dringende Tatverdacht gegen die Trägerin des Berufsgeheimnisses selber besteht. Warum dies anders sein sollte, wenn nicht sie, sondern eine Drittperson überwacht wird und entsprechend ein Anwendungsfall von Art. 271 Abs. 3 StPO vorliegt, leuchtet nicht ein […]. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies im Ergebnis, dass die Kommunikation zwischen der Beschwerdeführerin und B.B., die in keinem Mandatsverhältnis zueinander standen und zwischen denen folglich kein besonderes Vertrauensverhältnis im Sinne der Materialien bestand, nicht unter Art. 271 Abs. 3 StPO fällt. Der Vorinstanz ist damit vollumfänglich zu folgen - die Genehmigung der Verwendung der Zufallsfunde erweist sich als rechtskonform.» (E.2.5).»
Schwerer Betäubungsmittel-Fall nach Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG
Im Urteil 7B_763/2023 vom 25. Oktober 2024 aus dem Kanton Zürich behandelte das Bundesgericht Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Gemäss Art. 19 Abs. 1 BetmG macht sich unter anderem strafbar, wer Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt (lit. b), oder wer Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt (lit. d). Ein schwerer Fall nach Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG liegt vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand eine direkte oder indirekte Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter von dieser Gefährdung wusste oder hätte wissen müssen. Die objektive und die subjektive Voraussetzung müssen kumulativ erfüllt […]. Nach der Rechtsprechung ist die Schwelle zu einem qualifizierten Fall überschritten und von einer Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (d.h. von mindestens 20 Personen) auszugehen, wenn ein Betäubungsmittelgemisch mindestens 18 Gramm reines Kokain enthält. Die reine Betäubungsmittelmenge bildet trotz des im Gesetzestext nicht mehr explizit enthaltenen Mengenbezugs weiterhin ein zentrales Kriterium zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gesundheitsgefahr für viele Menschen […]» (E.3.2). «Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG gelangt auch zur Anwendung, wenn die Drogen noch nicht an Dritte abgegeben wurden, aber zur Abgabe an Dritte bestimmt waren. Bereits der Besitz einer qualifizierten Drogenmenge kann daher eine (ausreichende) Gefährdung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG begründen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter bereits Anstalten getroffen hat, um die sichergestellten Betäubungsmittel zu veräussern, oder wenn anderweitig feststeht, dass die Drogen für die Abgabe an Dritte bestimmt waren ([…]» (E.3.3).
Eva Wildi-Cortés wird neue fedpol-Direktorin
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 20. November 2024 Eva Wildi-Cortés zur neuen Direktorin des Bundesamts für Polizei (fedpol) ernannt. Eva Wildi-Cortés ist aktuell stellvertretende Direktorin fedpol und Leiterin des Direktionsbereichs Ressourcenmanagement und Strategie. Sie folgt auf Nicoletta della Valle, deren Arbeitsverhältnis am 31. Januar 2025 endet.
Schwerpunktkontrolle Online-Handel: Medikamente, Markenfälschungen und Waffen sichergestellt
Bedingt durch das stark angewachsene Volumen von Bestellungen in ausländischen Online-Shops führte das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) im Grossraum Zürich eine Schwerpunktkontrolle in diesem Bereich durch. Unter den zur Einfuhr nicht zugelassenen Sendungen wurden am häufigsten Medikamente festgestellt, gefolgt von Markenfälschungen und Waffen.
Gesundheitszustand der inhaftierten Person als Haftentlassungsgrund und Noven vor Bundesgericht
Im Urteil 7B_1087/2024 vom 7. November 2024 aus dem Kanton Basel-Stadt befasste sich das Bundesgericht mit zwei interessanten Themen der Untersuchungshaft. Einerseits ging es um den Haftgrund der Ausführungsgefahr («Präventivhaft») von Art. 221 Abs. 2 StPO beim psychisch kranken Beschuldigten (E.3). Andererseits stand das Thema der adäquaten medizinischen Behandlung in der Haftanstalt zur Diskussion und die Frage (E.5). Das Bundesgericht äusserte sich hierzu u.a. wie folgt: «Aus einer Erkrankung von strafprozessual inhaftierten Personen folgt nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich noch kein Haftentlassungsgrund. Auf die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft muss allerdings verzichtet werden, wenn ihre Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der inhaftierten Person in keinem vernünftigen Verhältnis zum Haftzweck stehen […]. Entscheidend ist, ob eine adäquate medizinische Versorgung auch im Rahmen des Haftregimes gewährleistet werden kann […]. Es besteht im Übrigen kein grundrechtlicher Anspruch von Inhaftierten auf gleiche Versorgung wie in den besten Gesundheitseinrichtungen ausserhalb des Gefängnisses. Nach der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist das erforderliche Mass an medizinischer Versorgung im konkreten Einzelfall zu definieren. Der betreffende Standard muss mit der Menschenwürde der Inhaftierten kompatibel sein; gleichzeitig hat er auch die "praktischen Anforderungen der Inhaftierung" zu berücksichtigen […]» (E.5.2). Das Bundesgericht liess offen, ob es sich vom Vorbringen des Beschwerdeführers um ausnahmsweise zu berücksichtigende Noven handelte (E.5.3.1). Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Social Media