Oktober 7, 2024 12:10 pm
Im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 aus dem Kanton Bern (zur amtl. Publ. vorgesehen) äusserte sich das Bundesgericht ausführlich zur Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO. Hier sind die Schlüsselaussagen dieses Leiturteils: «Folglich richtet sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 lit.b StPO zunächst nach dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Im weiteren Verlauf des Verfahrens letztlich aber danach, welche Strafe und/oder Massnahme für das Einzelgericht konkret in Frage kommt (in Präzisierung von BGE 147 IV 329 E. 2.8, der lediglich festhält, für die Grenze von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO sei massgebend, welchen Freiheitsentzug der Betroffene aufgrund des Urteils des Einzelgerichts insgesamt zu erdulden habe; […].» (E.2.4.3). «Zusammengefasst legen die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO (d.h. die fehlende explizite Regelung, wie sie in Art. 352 Abs. 2 StPO besteht) sowie letztlich auch der systematische Kontext nahe, dass bei der Einhaltung der Maximalgrenze von zwei Jahren nicht auf die Gesamtheit der Sanktionen abzustellen ist. Die Einhaltung dieser Obergrenze richtet sich, ungeachtet einer zugleich beantragten bzw. ausgefällten Geldstrafe, somit alleine nach der Dauer der von der Staatsanwaltschaft beantragten bzw. vom Einzelgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe, wobei einer allenfalls zugleich zu widerrufenden bedingten freiheitsentziehenden Sanktion und/oder zu widerrufenden bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug Rechnung zu tragen ist (vgl. BGE 147 IV 329 E. 2.8 f.). Dass die Geldstrafe mangels unmittelbar freiheitsentziehenden Charakters nicht einzubeziehen ist, drängt sich auch deshalb auf, weil der Gesetzgeber die Grenze von zwei Jahren in Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO bewusst an Art. 42 Abs. 1 StGB angelehnt und sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts folglich am unmittelbaren Freiheitsentzug zu orientieren hat, der abstrakt noch bedingt ausgesprochen werden kann. Das Einzelgericht soll keine Strafe aussprechen können, die abstrakt zwingend immer eine freiheitsentziehende Wirkung hat, wie dies bei Freiheitsstrafen über zwei Jahren und freiheitsentziehenden Massnahmen der Fall ist. In concreto hängt die Zuständigkeit des Einzelgerichts jedoch nicht von der Möglichkeit des bedingten Vollzugs ab […]. Eine solche Auslegung von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO dient sodann nicht nur der Rechtssicherheit sondern letzten Endes auch dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck, die Kollegialgerichte zu entlasten. […]» (E.2.6). Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich mithin ohne Weiteres, dass sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO grundsätzlich auch auf die Anordnung von Massnahmen - ausser der Verwahrung (Art. 64 StGB) sowie der stationären therapeutischen Massnahme (Art. 59 Abs. 3 StGB) - und damit ebenso auf das Aussprechen einer Landesverweisung, die primär als sichernde Massnahme zu verstehen ist […], erstreckt. Auch wenn eine Landesverweisung von der Intensität her vergleichbar mit einer freiheitsentziehenden Sanktion von einem Jahr sein […], dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass auch ein Einzelgericht eine Landesverweisung aussprechen kann.» (E.2.7).
Social Media