Strafrechtliche Landesverweisung
Oktober 2, 2024 1:12 pm

Im Urteil 6B_49/2022 vom 28. August 2024 aus dem Kanton Luzern, welches in Fünferbesetzung ergangen ist, schütze das Bundesgericht die Bejahung eines Härtefalls bei der strafrechtlichen Landesverweisung. Dabei machte es ausführliche, generell-abstrakte Ausführungen zu den entsprechenden Prüfungskriterien (E.3 ff.). Hier sind einige Schlüsselausführungen: «Sind Kinder involviert, ist bei der Interessenabwägung als wesentliches Element zudem den Kindesinteressen und dem Kindeswohl Rechnung zu tragen […]. In Bezug auf die Kinder des von der Landesverweisung betroffenen Elternteils berücksichtigt die Rechtsprechung insbesondere, ob die Eltern des Kindes zusammenleben und ein gemeinsames Sorge- und Obhutsrecht haben oder, ob der von der Landesverweisung betroffene Elternteil das alleinige Sorge- und Obhutsrecht hat bzw. ob er gar nicht sorge- und obhutsberechtigt ist und seine Kontakte zum Kind daher nur im Rahmen eines Besuchsrechts pflegt […]. Minderjährige Kinder teilen das ausländerrechtliche Schicksal des obhutsberechtigten Elternteils […]. Die Landesverweisung des Elternteils, welcher die elterliche Sorge und alleinige Obhut über das Kind hat, führt daher dazu, dass das Kind faktisch gezwungen ist, die Schweiz zu verlassen […]. Sind Kinder von der Landesverweisung mitbetroffen, sind insbesondere auch die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, auf welche diese im Zielland treffen könnten (Urteil des EGMR Üner gegen Niederlande vom 18. Oktober 2006, Nr. 46410/99, § 58), wobei Kindern im anpassungsfähigen Alter der Umzug in das Heimatland nach der Rechtsprechung grundsätzlich zumutbar ist […]» (E.3.2.8). Im vorliegenden Fall entschieden die Kinder Beschwerdegegnerin den Fall zu ihrem Gunsten: «Eine Ausreise in die Dominikanische Republik ist den Söhnen der Beschwerdegegnerin angesichts ihres Alters, des bisher vollständig in der Schweiz verbrachten Lebens sowie mangels Verbindung zur Heimat der Beschwerdegegnerin nicht […. Sie haben ein erhebliches Interesse an einer Weiterführung ihres Lebens in der Schweiz. Da es sich bei der Beschwerdegegnerin um die alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge und Obhut handelt und ihre Söhne (abgesehen von ihr) hier über kein tragfähiges familiäres Umfeld verfügen - womit sie das Land de facto mit der Beschwerdegegnerin verlassen müssten - besteht demnach ein gewichtiges Interesse an einem hiesigen Verbleib ihrer Mutter. Dieses Kindesinteresse überwiegt im vorliegenden Fall dasjenige der Öffentlichkeit an einer Landesverweisung der Beschwerdegegnerin. Der vorinstanzliche Verzicht auf deren Anordnung erweist sich damit als rechtskonform.» (E.3.6.4).

Juni 30, 2024 5:10 am

Im Urteil 6B_303/2024 vom 12. Juni 2024 des Bundesgerichts aus dem Kanton Graubünden ging es um die strafrechtliche Landesverweisung. Das Bundesgericht machte hier präzise generell-abstrakte Aussagen zum Prüfungsschema eines Härtefalls (E.2.1.2 ff.). Die Landesverweisung wurde hier vom Bundesgericht bestätigt, trotz eines 9 Monate alten Kindes, es lagen aber besondere Lebensumstände vor (E.2.3.3). Das Bundesgericht führte u.a. aus: «Sind Kinder involviert, ist bei der Interessenabwägung als wesentliches Element dem Kindeswohl Rechnung zu tragen (BGE 143 I 21 E. 5.5.1; Urteile 6B_225/2023 vom 7. Juli 2023 E. 1.3.6; 6B_783/2021 vom 12. April 2023 E. 1.3.3; 6B_1114/2022 vom 11. Januar 2023 E. 5; 6B_1449/2021 vom 21. September 2022 E. 3.2.3; je mit Hinweisen). Minderjährige Kinder teilen das ausländerrechtliche Schicksal des obhutsberechtigten Elternteils. Wird ein Kind deshalb faktisch gezwungen die Schweiz zu verlassen, sind insbesondere auch die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, auf die es im Zielland treffen könnte, wobei Kindern im anpassungsfähigen Alter der Umzug in das Heimatland grundsätzlich zumutbar ist (BGE 143 I 21 E. 5.4).» (E.2.1.4). Das Bundesgericht lies aber offen, welches Alter eines Kindes es als «anpassungsfähig» ansieht.