Urteile
Dezember 3, 2025 1:40 pm

Im Urteil 6B_899/2024 vom 29. Oktober 2025 aus dem Kanton Solothurn befasste sich das Bundesgericht mit der Beschwerde gegen eine strafrechtliche Landesverweisung. Der Beschwerdeführer rügte u.a. die Verneinung eines Härtefalles und die willkürliche Feststellung des Sachverhalts. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde u.a. wie folgt gut: «Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die Sache ist zur Vornahme einer umfassenden Interessenabwägung im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB und Art. 8 Ziff. 2 EMRK an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird bei ihrer Neubeurteilung unter anderem zu beachten haben, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers, wie er geltend macht und sich aus den beigezogenen Akten des Migrationsamts […] ergibt, entgegen ihren Feststellungen nicht über eine Niederlassungs-, sondern eine abgeleitete Aufenthaltsbewilligung verfügt. Es kann somit nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sie trotz Verweisung ihres Ehemannes in der Schweiz verbleiben könnte. Damit kann auch entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen nicht unbesehen angenommen werden, die (ältesten) Kinder könnten hier bleiben. Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, haben Minderjährige grundsätzlich dem Inhaber bzw. den Inhabern der elterlichen Sorge und Obhut zu folgen […]. Eine vollständige Interessenabwägung setzt eine Zumutbarkeitsprüfung für alle betroffenen Kinder mitsamt der hierzu erforderlichen (rechtlichen und faktischen) Abklärungen voraus; ihren Interessen und ihrem Wohl ist wesentliches Gewicht beizumessen. Insbesondere wird sich die Vorinstanz mit der Situation der älteren, noch nicht volljährigen Kinder sowie der Erkrankung des Sohnes B.A. und den Möglichkeiten seiner Behandlung und Beschulung im Kosovo - zurzeit besucht er das Zentrum C. in U. […] - befassen müssen. Dabei wird sie zu beachten haben, dass eine Trennung der Familiengemeinschaft, wie sie ihr vorschwebt, nur aus ausreichend soliden und gewichtigen Gründen erfolgen darf […]. Eine Behandlung der weiteren Rügen erübrigt sich an dieser Stelle. […].» (E.3.4). 

November 25, 2025 4:43 am

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_551/2023 vom 30. Oktober 2025 die Beschwerde eines Mannes ab, der 2023 wegen harter Pornografie verurteilt wurde, weil er kinderpornografische Darstellungen aus dem Internet heruntergeladen und weitergeleitet hat. Er rügte das gegen ihn automatisch ausgesprochene lebenslängliche Verbot jeder beruflichen und jeder organisierten ausserberuflichen Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt mit Minderjährigen umfasst. Das Bundesgericht hält das Verbot sowohl für verhältnismässig als auch mit Art. 8 EMRK konform.

November 23, 2025 4:17 am

Im äusserst lesenswerten Urteil 6B_277/2024 vom 29. Oktober 2025 aus dem Kanton Aargau befasste sich das Bundesgericht mit einem Fall des Vorwurfs des mehrfachen Ausstellens von falschen ärztlichen Zeugnissen in der Zeit von «Covid-19» durch einen Arzt. Das Bundesgericht schützte die Beschwerde des Arztes und hob seine vorinstanzliche Verurteilung auf. Einerseits waren die meisten Beweise gänzlich unverwertbar, andererseits erfolgte eine willkürliche Beweiswürdigung und es bestand ein Generalverdacht. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Informelle Befragungen sind nur im Anfangsstadium polizeilicher Ermittlungen zulässig. Sobald die Rollenverteilung klar ist, ist die strafrechtlich verantwortlich erscheinende Person als Beschuldigte zu behandeln und nach Art. 158 Abs. 1 StPO zu belehren (BGE 151 IV 73 E. 2.4.5). Folglich handelt es sich bei der Erfragung des Zugangscodes zu einem Mobiltelefon der beschuldigten Person durch die Polizei im Rahmen einer in ihren Räumlichkeiten durchgeführten Hausdurchsuchung um eine eigentliche Beschuldigteneinvernahme im Sinne von Art. 157 f. StPO. Die Preisgabe des entsprechenden Entsperrcodes durch die beschuldigte Person - ohne, dass sie im Vorfeld über ihr Recht im Sinne von Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO aufgeklärt worden wäre - verletzt den "nemo tenetur"-Grundsatz. Dergestalt auf dem Mobiltelefon der beschuldigten Person aufgefundene Beweismittel sind absolut unverwertbar (Art. 158 Abs. 2 StPO, Art. 141 Abs. 1 StPO; BGE 151 IV 73 E. 2.5.1).» (E.1.3.1). «Abgesehen davon, dass diese Feststellungen teilweise auf absolut unverwertbaren Beweisen beruhen […], erweisen sie sich auch als willkürlich. Die Vorinstanz ignoriert sämtliche Aussagen des Beschwerdeführers, mit denen er von Patienten wegen des Tragens von Gesichtsmasken geltend gemachte, respektive an ihn (u.a.) telefonisch herangetragene Beschwerden und "Notlagen" schildert: Generell "Atemprobleme, Hautprobleme, psychische Probleme"; konkret und namentlich Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme; massive Einschränkungen bei Problemen im Gesichtsbereich - "Akne, Allergien, Asthma" - oder aber bei schwereren, respektive kardiovaskulären Erkrankungen; ebenso jene, mit welchen er auf die Problematik des Arbeitens mit Masken in geschlossenen Räumen und dabei insbesondere auf das hiervon betroffene Verkaufs- und Servicepersonal verweist […]. Damit einhergehend ignoriert sie seine Ausführungen zu diversen, konträr diskutierten Untersuchungen betreffend Sauerstoffsättigung und deren medizinischen Auswirkungen, aber auch jene zu potentiellen psychischen Schäden und zur Frage der "virologischen Tragbarkeit" des Maskentragens; im Weiteren seine Darlegungen, weshalb er sich in der Lage sieht bzw. sah, die Angaben der Patienten verlässlich zu beurteilen […]. Ebenso wenig bezieht die Vorinstanz in ihre Beweiswürdigung mit ein, dass - korrespondierend mit den Angaben des Beschwerdeführers - verschiedene der an ihn gerichteten (und nicht zu seinen Lasten verwertbare) SMS-Mitteilungen konkrete und individuelle Schilderungen von Beschwerden beinhalten […]. Die Vorinstanz verfällt in Willkür, wenn sie diese Umstände und Aussagen schlicht ausser acht lässt, um alsdann in genereller Weise darauf zu schliessen, dass in sämtlichen zu beurteilenden Fällen nicht "nur annähernd" Hinweise für medizinische Gründe vorgelegen seien, respektive der Beschwerdeführer generell auf simple, schriftliche oder telefonische Anfragen hin, "die nicht einmal Symptombeschriebe beinhalteten", Maskendispense erteilt hat. […]. Nach dem Gesagten verfällt die Vorinstanz ein weiteres Mal in Willkür, wenn sie den ergangenen Schuldsprüchen die pauschalisierte Feststellung zugrunde legt, wonach "die Anfragen um Dispense nicht aus medizinisch indizierten Gründen, sondern zumeist […] aus massnahmenkritischen Gründen" erfolgt seien und der Beschwerdeführer dies gewusst habe. Abgesehen davon, dass auch diesem Erkenntnis eine Beweiswürdigung zugrunde liegt, welche die gegenteiligen Aussagen des Beschwerdeführers samt entsprechenden SMS-Mitteilungen praktisch vollständig ausblendet, beinhaltet es einen pauschalisierten (" zumeist ") Generalverdacht, der zufolge willkürlicher Würdigung der Beweise und gleichzeitig fehlender Feststellung der (individuell und konkret) entscheidrelevanten Tatsachen keiner tatbeständlichen Subsumtion zugänglich ist.» (E.2.5.2).

November 22, 2025 6:58 am

Das Bundesgericht spricht einen Mann im Kontext sadomasochistischer Praktiken wegen einfacher Körperverletzung, sexueller Nötigung und Vergewaltigung schuldig; er hatte sich bei einem späteren Treffen nicht der Zustimmung seiner Partnerin versichert, nachdem sie sechs Monate zuvor zweimal entsprechende Praktiken ausgeübt hatten. Indem er sich beim erneuten Zusammentreffen nicht um die Frage der Zustimmung seiner Partnerin gekümmert hat, nahm er das Risiko in Kauf, dass sie mit diesen Praktiken nicht einverstanden sein könnte. Das Bundesgericht hebt im Urteil 6B_399/2024, 6B_405/2024 vom 5. September 2025 den Freispruch des Mannes durch das Freiburger Kantonsgericht auf. Es äussert sich u.a. wie folgt: «[…] Ainsi, sur la base de ces messages, l'intimé ne pouvait pas penser que la recourante avait donné son assentiment à de telles pratiques.  S'agissant du " safe word ", la cour cantonale retient que "soucieux de sa partenaire, [l'intimé] a bien compris les risques qu'impliquaient leur sexualité avec le jeu de la domination et de la soumission ainsi que l'importance d'un " safe word " qui lui permet de comprendre s'il enfreint les limites de sa partenaire et à cette dernière de s'extraire du dispositif de soumission dans lequel elle se place" […]. Il est établi qu'un tel " safe word " avait été évoqué entre l'intimé et la recourante au mois de juin 2021, sans pourtant n'avoir jamais été pratiqué, ni thématisé à nouveau avant les faits litigieux. […] En effet, il n'y avait pas d'acceptation claire d'entrer dans le cadre d'un jeu sexuel, et aucune règle n'avait été posée. En outre, les lésions corporelles ont été infligées délibérément par l'auteur qui contrôlait leur intensité et leur nature. Il a conservé la maîtrise de la situation, alors que la recourante, placée dans une position de soumission sexuelle et contrainte physiquement, sans accord préalable sur un tel scénario, était privée de la maîtrise de la situation et ne saurait avoir accepté un quelconque risque.  Que ce soit sous l'angle du motif justificatif ou du motif d'exclusion de typicité, dans les deux cas, ces motifs n'étaient pas donnés et l'intimé ne pouvait pas vraisemblablement penser que son comportement était couvert par l'assentiment de la recourante. En effet, en l'absence d'un assentiment donné de manière expresse ou tacitement (mais néanmoins perceptible), l'intimé a entrepris une pratique sexuelle sadomasochiste sans prendre la peine de s'assurer de l'assentiment de la recourante, ainsi que de la portée d'un tel assentiment. Ainsi, l'intimé a accepté le risque que la recourante ne puisse pas être d'accord, tant en ce qui concerne les lésions corporelles simples que les atteintes à l'intégrité sexuelle effectuées dans le cadre de ces violences. En se désintéressant de la question, contrairement à ce qui avait prévalu précédemment au mois de juin, lorsqu'il s'était assuré du ressenti de la recourante, l'intimé n'a pu qu'envisager et accepter la possibilité qu'un assentiment à de telles pratiques sadomasochistes ne soit pas donné et s'est accommodé du fait que tel ne soit pas le cas. Par conséquent, il a agi intentionnellement par dol éventuel. […].» (E.4.6.2). 

November 20, 2025 8:09 am

Im Urteil 6B_1180/2023 vom 24. September 2024 behandelt das Bundesgericht auf Beschwerde der Bundesanwaltschaft hin den Freispruch vom Vorwurf der qualifizierten Geldwäscherei. Hier sind die Schlüsselausführungen: «Schliesslich vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, dass die Vorinstanz "überrissene Anforderungen an den subjektiven Tatbestand von Art. 305bis StGB" stellt. Diese Einschätzung fusst insbesondere auf der von der Beschwerdeführerin vertretenen Ansicht, dass die Verletzung von Abklärungs- und Meldepflichten grundsätzlich Eventualvorsatz des Pflichtigen begründe. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Umstand, dass ein Finanzintermediär seinen sich aus dem […] Geldwäschereigesetz ergebenden Sorgfaltspflichten, insbesondere der in Art. 6 GwG verankerten Abklärungspflicht, nicht nachkam, nicht zwingend auf (Eventual-) Vorsatz hinsichtlich des Tatbestands der Geldwäscherei schliessen lässt. Dass das Nichtwissen um die verbrecherische Herkunft von Vermögenswerten auf einer Verletzung von gesetzlichen Pflichten als Finanzintermediär beruht, reicht nach der Rechtsprechung für den Nachweis des (Eventual-) Vorsatzes in Bezug auf die Verletzung des Geldwäschereitatbestands von Art. 305bis StGB nicht aus […]. Insofern trifft die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Verletzung von Abklärungs- und Meldepflichten begründe grundsätzlich Eventualvorsatz, nicht zu. […].» (E.1.4.5). «Insgesamt gelingt es der Beschwerdeführerin mit ihren Vorbringen nicht, aufzuzeigen, dass die Vorinstanz die Beweise willkürlich würdigt bzw. den Sachverhalt offensichtlich unrichtig feststellt. Dass die von der Beschwerdeführerin vertretene Ansicht ebenfalls möglich erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht. Ebenso wenig verletzt der vorinstanzliche Schluss, wonach "in dubio pro reo" angenommen werden müsse, dass der Beschwerdegegner bis im Mai/Juni 2010 nichts von der Verbindung zwischen D. und C.  sowie der möglichen Herkunft der Gelder aus einem Verbrechen wusste bzw. dies auch nicht in Kauf nahm, die Unschuldsvermutung. In Berücksichtigung der gesamten von der Vorinstanz festgestellten Umstände, einschliesslich der erstellten Unzulänglichkeiten bezüglich Angaben und Abklärungen, sowie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz den (Eventual-) Vorsatz des Beschwerdegegners verneint und den subjektiven Tatbestand als nicht erfüllt erachtet. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.» (E.1.4.6). Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Bundesanwaltschaft ab, soweit es auf diese eintritt.

November 17, 2025 2:52 pm

Im Urteil 7B_487/2025 vom 24. September 2025 aus dem Kanton Zürich äusserte sich das Bundesgericht zur amtlichen Verteidigung u.a. wie folgt: «Bei der amtlichen Verteidigung nach Art. 132 Abs. 1 lit b StPO handelt es sich letztlich um eine unentgeltliche Verbeiständung der beschuldigten Person (siehe auch Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich daher das in BGE 127 I 202 zur unentgeltlichen Verbeiständung einer geschädigten Person Gesagte auf beschuldigte Personen übertragen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Leitfaden für amtliche Mandate im Strafverfahren der Oberstaatsanwaltschaft Zürich (Stand Januar 2024) auf den sich der Beschwerdeführer beruft. Gemäss deren Ziff. 3.2, S. 32 f., gelten für die Beurteilung der Mittellosigkeit der beschuldigten Person die gleichen Massstäbe wie für die Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft (Ziff. 5.2.7). Unter dem Titel "Mitwirkungspflicht" wird dort unter Ziff. 5.2.7.2, S. 56 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass volljährige Gesuchstellende in Ausbildung im Grundsatz über die finanziellen Verhältnisse der ihnen zum Unterhalt verpflichtenden Elternteile Auskunft zu geben hätten. Anders als der Beschwerdeführer meint, begründet der Leitfaden somit gerade kein berechtigtes Vertrauen, durch das seine gegenteilige Rechtsauffassung geschützt würde.» (E.4.3.2). «Der Beschwerdeführer gab einzig bei der polizeilichen Einvernahme vom 2. Dezember 2024 an, über ein Einkommen von Fr. 1'500.-- und kein Vermögen zu verfügen. Hierfür wie auch für die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern fehlen aber jegliche Belege. Weitere Angaben zu seiner und der wirtschaftlichen Situation seiner Eltern machte der Beschwerdeführer nicht. Angesichts dessen gehen die Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht bei der Erhebung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen ist. Sein Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers wurde deshalb zu Recht abgewiesen.» (E.4.3.3).

November 17, 2025 2:30 pm

Im Urteil 7B_1154/2024 vom 2. Oktober 2025 befasste sich das Bundesgericht in Fünfbesetzung im Kontext des sogenannten «Mosambik-Schuldenskandals» mit dem Thema Siegelung. Die Bundesanwaltschaft hatte das Siegelungsbegehren abgewiesen. Sie erachtete die von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachten Siegelungsgründe als "offensichtlich ungenügend bzw. ungültig". Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Zwar betont das Bundesgericht - auch in der von der Vorinstanz für ihren Standpunkt angeführten Rechtsprechung - dass es grundsätzlich am Zwangsmassnahmengericht und nicht an der Staatsanwaltschaft liegt, über das Vorliegen von geschützten Geheimnissen zu entscheiden Indessen hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung wiederholt auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Strafverfolgungsbehörde ein offensichtlich unbegründetes oder missbräuchliches Siegelungsbegehren direkt ablehnen darf beziehungsweise darauf nicht eintreten muss, so namentlich, wenn die gesuchstellende Person offensichtlich nicht legitimiert ist oder das Gesuch offensichtlich verspätet gestellt wird […]. Mit Blick darauf kann denn auch - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine kurze Begründung zur Glaubhaftmachung des Siegelungsgrundes bereits im Siegelungsbegehren prozessual geboten sein […].» (E.2.4.1). «[…]. Vielmehr hätten sie konkret angeben müssen, welche der eingereichten Dokumente ihres Erachtens ungeachtet der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung als Anwaltskorrespondenz einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot unterliegen sollen. Mit Blick auf Art. 7 Abs. 2 GWG kann in einer solchen Situation zudem erwartet werden, dass aus dem Verkehr mit Anwälten stammende Unterlagen, bezüglich welcher streitig ist, ob sie unter die Dokumentationspflicht nach Art. 7 Abs. 1 GWG fallen oder aber durch das Anwaltsgeheimnis geschützt sind, separat eingereicht werden und einzig diesbezüglich die Siegelung verlangt wird. Die Situation ist insofern nicht mit derjenigen zu vergleichen, bei der - etwa im Rahmen einer Hausdurchsuchung - Unterlagen und insbesondere elektronische Geräte sichergestellt werden und die betroffene Person keine Kontrolle darüber (und möglicherweise nicht einmal genaue Kenntnis davon) hat, was im Einzelnen sichergestellt wurde. Die Vorinstanz geht daher auch hinsichtlich der angeblichen Anwaltskorrespondenz zu Recht von einem offensichtlich unbegründeten Siegelungsbegehren aus.» (E.2.4.4). «Nach dem Gesagten verstösst die Vorinstanz nicht gegen Bundesrecht, wenn sie zum Schluss gelangt, die Bundesanwaltschaft habe das Siegelungsbegehren der Beschwerdeführerinnen (ausnahmsweise) mittels Verfügung abweisen dürfen.» (E.2.5).

November 12, 2025 12:21 pm

Im Urteil 7B_444/2025 vom 23. Oktober 2025 (zur amtl. Publ. vorgesehen) aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der Abgrenzung der Anwendbarkeit des BetmG und des HMG. Im vorliegenden Fall ging es um die Einfuhr von Delorazepam. Beschwerdeführerin war die Swissmedic. Das Bundesgericht äusserte sich zunächst zur Beschwerdelegitimation von Swissmedic (E.1). In der Sache machte es u.a. die folgenden Ausführungen: «Das Verhältnis zwischen dem BetmG und dem HMG ist in Art. 1b BetmG geregelt […]. Für Betäubungsmittel, die als Heilmittel verwendet werden, gelten gemäss Art. 1b Satz 1 BetmG die Bestimmungen des HMG (vgl. in diesem Sinne auch Art. 2 Abs. 1 lit. b HMG). Die Bestimmungen des BetmG sind hingegen anwendbar, soweit das HMG keine oder eine weniger weit gehende Regelung trifft (Art. 1b Satz 2 BetmG). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn das BetmG eine strengere Regelung enthält als das HMG […].» (E.2.3). «Die Bestimmungen des BetmG sind anwendbar, soweit das HMG keine oder eine weniger weit gehende Regelung trifft (Art. 1b Satz 2 BetmG […]).  Bei der Beantwortung dieser Frage ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut allein entscheidend, welche Regelung ("réglementation"; "normativa") das BetmG und das HMG in Bezug auf eine bestimmte Fallkonstellation (vorliegend: die Einfuhr von Betäubungsmitteln, die als Heilmittel verwendet werden) treffen. Ob eine einzelne Vorschrift des BetmG oder des HMG im konkreten Einzelfall anwendbar wäre, ist hingegen unerheblich.» (E.2.8.1). «Indem die Vorinstanz zum Schluss gekommen ist, dass das BetmG betreffend die auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen keine strengeren Vorschriften als das HMG enthalte, und mit dieser Begründung die Anwendbarkeit des HMG bejaht hat, verstösst sie gegen Bundesrecht. Zum einen ist bei der Beurteilung nach Art. 1b Satz 2 BetmG nicht erheblich, ob eine Vorschrift des HMG oder des BetmG auf den vorliegenden Fall konkret anwendbar wäre. Massgebend ist vielmehr, welche Regelung für eine bestimmte Fallkonstellation vom HMG und vom BetmG getroffen wird […]. Zum anderen ist die von der Vorinstanz angerufene Norm (nämlich Art. 19a Ziff. 2 BetmG) im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Denn diese Norm erfasst nur jene Beschaffungshandlungen, die ausschliesslich dem eigenen Konsum dienen […]. Dies war vorliegend nach den vorinstanzlichen Feststellungen aber nicht der Fall […]. Die Beschwerde erweist sich als begründet.» (E.2.8.3).

November 11, 2025 8:10 am

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_924/2023, 6B_207/2024, 6B_217/2024, 6B_218/2024, 6B_219/2024, 6B_222/2024 vom 26. August 2025 aus dem Kanton Bern die Beschwerden von vier Personen ab, die vom Obergericht des Kantons Bern im Zusammenhang mit dem bei einer Kundgebung von 2017 in Bern gezeigten Transparent "KILL ERDOGAN" wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen (Art. 259 StGB) verurteilt wurden. Hier sind einige der Schlüsselausführungen des Bundesgerichts: «Das Bundesgericht gelangte in BGE 145 IV 433 zum Schluss, Art. 259 StGB schütze konkrete Individualrechtsgüter der Strafnormen, zu deren Verletzung aufgerufen werde, nur mittelbar. Es hielt fest, Art. 259 StGB ziele in erster Linie, genauso wie die Straftatbestände der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB), des Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) und der Beleidigung eines fremden Staats (Art. 296 StGB), auf den Schutz von kollektiven Rechtsgütern. In Bezug auf Art. 259 StGB nannte es als ein solches kollektives Rechtsgut unter Verweis auf Meinungen aus der Lehre den öffentlichen Frieden bzw. "la paix publique" [...]. Diese Ansicht vertreten sowohl die Botschaft betreffend die redaktionelle Anpassung der Strafbestimmung [...] als auch weitere Autoren im Schrifttum [...]. Sie ist zu bestätigen. Der Umstand, dass der öffentliche Friede übergeordnetes Ziel des Strafrechts überhaupt darstellt (was insbesondere FIOLKA hervorhebt, der in Art. 259 StGB einen vorgezogenen Individualrechtsgüterschutz sieht und den öffentlichen Frieden als selbständiges Rechtsgut generell ablehnt; [...]), steht nicht entgegen, den öffentlichen Frieden als besonderes Rechtsgut von Art. 259 StGB und dessen Vorgängerversion zu definieren in dem Sinne, alsdass dieses Delikt unmittelbar gegen den öffentlichen Frieden gerichtet ist [...]. Denn einerseits ist ein anderes (eigenständiges) Rechtsgut, das direkt von der tatbestandsmässigen Handlung von Art. 259 StGB betroffen wäre, nicht ersichtlich. Auch FIOLKA nennt ein solches nicht. Andererseits lässt sich das Rechtsgut des öffentlichen Friedens näher spezifizieren, vergleichbar wie FIOLKA das beim Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung nach Art. 258 StGB macht. FIOLKA führt betreffend Art. 258 StGB aus, es gehe dort um den Schutz "der Unbesorgtheit der Menschen" bzw. des "allgemeinen Sicherheitsgefühls", das er beschreibt als "Vertrauen des Einzelnen darin, keinen eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreffenden Gefährdungen ausgesetzt zu sein" [...]. Diese Konkretisierung kann für Art. 259 StGB übernommen werden, soweit die deliktische Handlung, zu der aufgefordert wird, zum Nachteil einer nicht konkret eingrenzbaren Anzahl von Personen geht. Daneben lässt sich als besonderer Schutzgehalt von Art. 259 StGB vor allem das Vertrauen des Einzelnen darauf nennen, dass die Strafrechtsordnung nicht durch Mobilisierung der Massen (ausserhalb des ordentlichen Wegs der Gesetzgebung) untergraben und in ihrer bedingungslosen Geltung in Frage gestellt wird. Als zentral erweist sich das Vertrauen des Einzelnen in den Bestand einer von der Gesellschaft akzeptierten und respektierten Strafrechts- bzw. Friedensordnung. Mit einer öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat, die stets den Versuch einer Legitimation des propagierten strafbaren Verhaltens beinhaltet, wird diese Rechts- und Friedensordnung übersteuert und das Vertrauen in deren Bestand bedroht. Es droht im schlimmsten Fall eine Massenkriminalität [...]. Das gilt gleichermassen, wenn die Straftat im Ausland begangen werden soll, soweit jedenfalls das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist. Denn verbieten sowohl die schweizerische als auch die ausländische Rechtsordnung das propagierte Verhalten, so unterminiert ein öffentlicher Aufruf zu einem entsprechend verbotenen Verhalten beide Rechtsordnungen. In diesem Fall ist auch bei einer öffentlichen Aufforderung zu einer Auslandstat das massgebliche Rechtsgut des öffentlichen Friedens tangiert.  Hierfür spricht darüber hinaus ebenso die Nähe der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB zur (versuchten) Anstiftung gemäss Art. 24 StGB. Der historische Gesetzgeber verstand die öffentliche Aufforderung zu einer Straftat als eine Art der Anstiftung [...]. Die öffentliche Aufforderung weist Parallelen zur Anstiftung auf, da sie wie diese auf die Beeinflussung des Willens der Adressaten gerichtet ist mit der Besonderheit, dass die propagierte Tat nur der Gattung nach bezeichnet werden muss, die Adressaten unbestimmt bleiben können und das Hervorrufen eines Tatentschlusses bei den Adressaten nicht erforderlich ist [...]. Eine versuchte Anstiftung in der Schweiz zu einer im Ausland auszuführenden Haupttat ist laut der Rechtsprechung trotz des durch die Haupttat gegebenen Auslandsbezugs von den Schweizer Strafbehörden zu beurteilen [...]. Es erweist sich infolgedessen als stringent, dem Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB ebenfalls nicht allein deswegen die Anwendung zu versagen, weil die Aufforderung - gleich wie die Anstiftung in der oberwähnten Konstellation - eine im Ausland zu verübende (Haupt-) Tat betrifft. Öffentliche Aufforderungen zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB sind folglich auch dann tatbestandsmässig, wenn sie sich auf ein im Ausland zu verübendes Delikt beziehen, sofern das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist.» (E.4.4.3).

November 2, 2025 8:05 am

Im Urteil 6B_1278/2023 vom 15. September 2025 aus dem Kanton Aargau, der Handlungsort war Rümikon AG, befasste sich das Bundesgericht mit der willkürlichen Beweiswürdigung und der Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Den Fall beschreibt der «Blick» wie folgt: «Bild der Verwüstung: Rumänen wehren sich nach Massenschlägerei vor Bundesgericht». Die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Aargau erklärte selber sogar Folgendes: «[es] sei nicht möglich, die genauen Handlungen der Beteiligten zu ermitteln bzw. den genauen Ablauf der Auseinandersetzung beweismässig zu rekonstruieren.» (E.3.2.4). Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, u.a. wie folgt: «Zusammengefasst erweist sich die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung als willkürlich bzw. ungenügend begründet. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Urteil die Beweise - nach einer allfälligen Beweisergänzung - neu würdigen und den Sachverhalt willkürfrei feststellen müssen. Gestützt darauf wird sie die rechtliche Würdigung neu vorzunehmen haben. Es erübrigt sich damit, auf die weitere Kritik des Beschwerdeführers einzugehen.» (E.3.6).  «Darüber hinaus ist auch die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge der Gehörsverletzung berechtigt. So finden sich keine vorinstanzlichen Ausführungen zur geltend gemachten Notwehrlage, obwohl der Beschwerdeführer dies bereits vor der Vorinstanz vorgetragen hat. Auch damit wird sich die Vorinstanz im Rahmen des Rückweisungsverfahrens befassen müssen.» (E.3.5). Der Fall war auch Gegenstand der Parallelverfahren Urteil 6B_1283/2023 vom 15. September 2025 und Urteil 6B_1286/2023 vom 15. September 2025.