Sachverhalt
Rechtsanwalt A. vertrat als amtlicher Verteidiger einen Beschuldigten in einem erstinstanzlichen Strafverfahren vor dem Bezirksgericht Zürich. Mit einem an den Verfahrensleiter dieses Strafverfahrens, Bezirksrichter B., gerichteten Schreiben vom 4. April 2019 verlangte er dessen Ausstand. Zudem enthielt das Schreiben folgende Äusserung:
„Das Gericht, insbesondere Sie als Vorsitzender, legen eine voreingenommene, bösartige und feindselige, ja geradezu höhnische Haltung gegenüber meinem Mandanten im Sinne von Art. 56 lit. f StPO an den Tag. Meinem Mandanten soll augenscheinlich jede Möglichkeit genommen werden, sich wirksam gegen die gegen ihn erhobenen Mordvorwürfe zu verteidigen. Der Prozess soll unter Ihrer Leitung zur Farce verkommen.“
In einem weiteren Schreiben vom 29. Januar 2020 äusserte sich Rechtsanwalt A. gegenüber dem Bezirksgericht Zürich wie folgt:
„Sodann schliesse ich mich der gestrigen Eingabe von Kollege C. betreffend Befangenheit vorbehaltlos an.“ In der erwähnten Eingabe hatte der Wahlverteidiger C. zahlreiche Äusserungen getätigt, für welche er von der Aufsichtskommission wegen Verstosses gegen Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) mit einer Busse von Fr. 5’000.– bestraft wurde, die das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 24. November 2022 bestätigte. Darin waren u.a. die folgenden Aussagen enthalten:
„Ihr Vorgehen mag typisch für Sie sein und Ihre Denkweise, für die Schludrigkeit eines Verhandlungsstils im kurzen Prozess. Es handelt sich, gerade bei dieser Szene im Gerichtssaal, um den Prototyp eines kurzen, sagen wir für einmal, schmutzigen Prozesses.“ „Vielleicht überlegen Sie sich bei Gelegenheit, ob Sie tatsächlich geeignet sind, Strafprozesse zu führen. Wir brauchen Richter, keine Fertigmacher, die sich an einem kranken, halb invaliden, hör-, sicht- und gehbehinderten, in mentaler Hinsicht stark beeinträchtigen Rentner aus dem Kosovo und an einer ohnehin schon völlig verzweifelten Ehefrau mit drei Kindern gütlich tut.“
Instanzenzug
Am 12. März 2020 verzeigte Bezirksrichter B. Rechtsanwalt A. u.a. aufgrund von dessen Äusserungen in den Schreiben vom 4. April 2019 und vom 29. Januar 2020 bei der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte wegen Verletzung von Berufsregeln. Die Aufsichtskommission eröffnete mit Beschluss vom 5. November 2020 ein Disziplinarverfahren. Mit Beschluss vom 3. Februar 2022 bestrafte sie Rechtsanwalt A. wegen mehrfacher Verletzung der Berufsregeln im Sinne von Art. 12 lit. a BGFA mit einer Busse von Fr. 5’000.–.
Dagegen erhob Rechtsanwalt A. am 25. April 2022 Beschwerde an das Verwaltungsgericht und beantragte, den Beschluss der Aufsichtskommission vom 3. Februar 2022 aufzuheben und festzustellen, dass er nicht gegen die Berufsregeln nach Art. 12 lit. a BGFA verstossen habe. Eventualiter sei die Sache an die Aufsichtskommission zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragte er eine öffentliche Verhandlung, die Einvernahme von Zeugen sowie den Beizug von Akten und Tonträgern aus der zur Diskussion stehenden Strafsache.
Antragsgemäss setzte der Abteilungspräsident eine öffentliche mündliche Verhandlung an. Am 4. November 2022 reichte Rechtsanwalt A. ein 220-seitiges „Plädoyer“ ein. Nach entsprechender Nachfrage erklärte er mit Schreiben vom 7. November 2022 ausdrücklich Verzicht auf eine öffentliche mündliche Anhörung und beantragte die Abnahme des dafür angesetzten Termins. Da die Aufsichtskommission bereits zuvor erklärt hatte, nicht an einer Anhörung teilzunehmen, wurde auf die Durchführung einer solchen verzichtet.
Mit Urteil vom 24. November 2022 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit elektronischer Eingabe vom 1. Februar 2023 erhebt Rechtsanwalt A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. November 2022 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er sich keine Verletzung der Berufsregeln zuschulden kommen lassen habe. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung eines korrekten Verfahrens und zur neuen Beurteilung oder Einstellung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen, subeventualiter sei er in Bestätigung des Urteils mit einer Busse von Fr. 500.– zu sanktionieren. Prozessual beantragt er, die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens (VB.2022.00235) sowie die Akten des Strafverfahrens vor Bezirksgericht Zürich (DG180309-L) beizuziehen und einen zweiten Schriftenwechsel anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht reichte eine Vernehmlassung ein und beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Aufsichtskommission verzichtete auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer reichte innert erstreckter Frist eine Replik ein.
Das Bundesgericht holte die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens ein, nicht jedoch die Akten des bezirksgerichtlichen Strafverfahrens DG180309-L. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels wurde nicht Folge gegeben.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_83/2023 vom 26. März 2024
Wir gehen hier nur auf die Rügen und Ausführungen zu Art. 12 lit. a BGFA ein (also ab E.6).
Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht, die Vorinstanz habe Art. 12 lit. a BGFA verletzt, indem sie ihn aufgrund seiner Äusserungen in den Schreiben vom 4. April 2019 und vom 29. Januar 2020 zu Unrecht wegen vermeintlicher Verletzung dieser Bestimmung sanktioniert habe. In diesem Zusammenhang macht er zudem eine Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“ (Verbot der doppelten Strafverfolgung) mit der Begründung geltend, der Verfahrensleiter des Strafverfahrens habe ihn bei der Aufsichtsbehörde angezeigt, obwohl er zuvor bereits von seinen sitzungspolizeilichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, dabei aber schlussendlich bewusst auf eine Sanktionierung verzichtet gehabt habe (E.6).
Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 2C_83/2023 vom 26. März 2024 zunächst allgemein bzw. generell-abstrakt wie folgt:
«Die gerichtspolizeiliche Disziplinierung eines Anwalts schliesst die kumulative Ahndung seines Fehlverhaltens durch die Aufsichtsbehörde über die Anwälte nicht aus (Urteile 1B_321/2015 vom 8. Juni 2016 E. 5.4 und 2A.496/2005 vom 23. Januar 2006 E. 3.3). Die Rüge, der Grundsatz „ne bis in idem“ sei verletzt, ist damit unbegründet, zumal dieser Grundsatz nur in Strafprozessen zur Anwendung kommt und nicht auch in Disziplinarverfahren wegen Berufspflichtverletzungen nach Art. 12 lit. a BGFA (vgl. Urteil 2C_907/2018 vom 2. April 2019 E. 5).» (E.6.1).
«Nach Art. 12 lit. a BGFA haben Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Diese Verpflichtung dient als Auffangtatbestand zu den übrigen in Art. 12 BGFA geregelten Berufspflichten (lit. b-j). Sie hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst sowohl die Beziehung zum eigenen Klienten als auch die Kontakte mit der Gegenpartei und den Behörden (Urteile 2C_985/2021 vom 16. November 2022 E. 4.2; 2C_500/2020 vom 17. März 2021 E. 4.3; 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 5.1). Eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA liegt praxisgemäss nur vor, wenn eine qualifizierte Norm- bzw. Sorgfaltswidrigkeit gegeben ist; erforderlich ist somit ein bedeutsamer Verstoss („manquement significatif“) gegen die Berufspflichten (BGE 144 II 473 E. 4.1; Urteile 2C_131/2019 vom 27. August 2019 E. 4.3.3 und 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 5.1 mit Hinweisen auf die Literatur). Angesichts der geringen Tragweite der am wenigsten einschneidenden der vom Gesetz genannten Disziplinarmassnahmen, nämlich der Verwarnung (Art. 17 Abs. 1 lit. a BGFA), sind an die Schwere der fraglichen Pflichtverletzung allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen (Urteile 2C_360/2022 vom 5. Dezember 2022 E. 6.1 und 2C_985/2021 vom 16. November 2022 E. 4.2; Yves Donzallaz, Le droit disciplinaire de l’avocat relatif à l’art. 12 let. a LLCA, in: Gegenwart und Zukunft des Anwaltsberufs, 2023, S. 166 f.; vgl. in Bezug auf Medizinalberufe BGE 148 I 1 E. 12.2).» (E.6.2.1)
«Als Berufspflicht obliegt den Anwältinnen und Anwälten in erster Linie, die Interessen ihrer Klientschaft bestmöglich zu vertreten. Als Verfechter von Parteiinteressen sind sie einseitig tätig. Sie dürfen energisch auftreten und sich den Umständen entsprechend scharf ausdrücken; dabei kann nicht verlangt werden, dass sie jedes Wort genau abwägen. Hinzunehmen ist auch ein gewisses Mass an übertreibenden Bewertungen und gar Provokationen, soweit sich die anwaltlichen Äusserungen weder als völlig sachwidrig noch als unnötig beleidigend erweisen (Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2 und 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.1). Aus der Wahrnehmung von Parteiinteressen fliesst nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch die Freiheit, die Rechtspflege zu kritisieren. Erweist sich die Kritik im Nachhinein als unbegründet, wird sie dadurch nicht unzulässig, ansonsten die Anwältinnen und Anwälte eine solche nicht mehr gefahrlos äussern könnten (BGE 106 Ia 100 E. 8b; Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2; 2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 2.2). Die in einem Ausstandsgesuch gegen eine Gerichtsperson getätigten Äusserungen eines Anwalts oder einer Anwältin sind deshalb in der Beurteilung nach Art. 12 lit. a BGFA – vorbehältlich des Rechtsmissbrauchs – nicht daran zu messen, ob das Ausstandsgesuch in der Sache begründet oder unbegründet ist (vgl. Urteil 2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 3.2.1).» (E.6.2.2).
«Gleichwohl sind nicht sämtliche Mittel durch die Ausübung der anwaltlichen Berufspflicht gerechtfertigt. Der Rechtsanwalt hat alles zu unterlassen, was die Vertrauenswürdigkeit der Anwaltschaft in Frage stellt (Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2 und 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.2). Unnötig verletzende Äusserungen und solche, welche in keinem Zusammenhang zum Streitgegenstand stehen oder gar wider besseres Wissen erfolgen, sind zu unterlassen (Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2 und 2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 2.2; je mit Hinweisen). Ehrverletzende Äusserungen des Anwalts können zwar gerechtfertigt sein; sie müssen aber einen hinreichenden Sachbezug haben und dürfen nicht über das Notwendige hinausgehen. Insbesondere dürfen sie nicht in einer Art und Weise deplatziert und herabsetzend, unnötig polemisch und verunglimpfend sein, die klar über das erlaubte Mass an harter, jedoch sachlicher Kritik hinausgehen (Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2 und 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.1; vgl. BGE 131 IV 154 E. 1.3.1). Soweit Anwältinnen und Anwälte ihren Darlegungsrechten und -pflichten nachkommen und sich im Rahmen sowie in den Formen des Prozesses äussern, ist bedeutsam, dass die Entscheidung darüber, wie und mit welchen Worten die Interessen des Klienten bestmöglich gewahrt werden, ihnen obliegt. Die Aufsichtsbehörden haben sich entsprechend einer gewissen Zurückhaltung zu befleissigen, wenn sie darüber befinden, ob bestimmte Ausführungen wirklich nötig waren oder überzogen und unnötig verletzend sind (Urteile 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 3.2 und 2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 2.2).» (E.6.2.3).
«Ob und inwieweit kritische Äusserungen gegenüber einer Behörde oder einem Behördenmitglied gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossen, beurteilt sich nicht isoliert anhand der Wortwahl, sondern hängt wesentlich auch vom prozessualen Kontext ab. Eine Rolle spielt zunächst, ob sich der Rechtsanwalt mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit wendet oder innerhalb eines Verfahrens Stellung nimmt (vgl. Urteil 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.3 und 4.3). Bei schriftlichen Äusserungen ist ein strengerer Massstab anzuwenden als bei mündlichen Interaktionen, da es diesfalls möglich ist, die Wortwahl zu überdenken und unüberlegte Äusserungen zu vermeiden (Urteil 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.3). Will der Rechtsanwalt mit einer Eingabe gerade auf Missstände hinweisen, muss ihm auch eine scharfe Wortwahl gestattet sein. So erachtete das Bundesgericht als mit Art. 12 lit. a BGFA vereinbar, dass ein Rechtsanwalt gegenüber einem Regierungsstatthalter den Verdacht einer psychischen Krankheit („Paranoia“) äusserte (Urteil 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.3). Ebenfalls als zulässige Justiz-Kritik stufte das Bundesgericht den gegenüber einem kantonalen Gericht erhobenen Vorwurf ein, dieses „demontiere“ den Klienten und führe ein „kontaminiertes Verfahren“ (Urteil 2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 3.3). In einem aufgeheizten Prozessklima kann auch die Rüge, die Gegenseite verbreite „dümmliche Unterstellungen“, mit Art. 12 lit. a BGFA vereinbar sein (vgl. Urteil 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 4.4). Demgegenüber verstiess ein Rechtsanwalt gegen die Berufspflicht, als er zwar in einem Verfahren, aber ohne erkennbare prozessuale Notwendigkeit den Mitgliedern der Strafverfolgungsbehörden vorwarf, sie würden sich wie „cow-boys“ verhalten und hätten den juristischen „Puck“ nicht erkannt (Urteil 2C_354/2021 vom 24. August 2021 E. 4.4). Ebenfalls zu sanktionieren war ein Strafverteidiger, welcher die Staatsanwältin mehrfach und in verschiedenen Zusammenhängen als „rechtsungelehrt“ bezeichnete, wobei das Bundesgericht die einmalige Titulierung als „rechtsungelehrte Staatsanwältin“ noch nicht für disziplinarrechtlich relevant erachtete (Urteil 2C_907/2017 vom 13. März 2018 E. 5.3).» (E.6.2.4)
«Analog zu den strafrechtlichen Ehrverletzungsdelikten kann ein Anwalt seine Berufspflicht nach Art. 12 lit. a BGFA auch dadurch verletzen, dass er sich einer fremden Äusserung anschliesst, die ihrerseits berufspflichtwidrig ist. Vorausgesetzt ist, dass er sich die fremde Äusserung bzw. deren berufspflichtwidrigen Teil zweifellos erkennbar zu eigen macht (vgl. in Bezug auf Ehrverletzungsdelikte BGE 146 IV 23 E. 2.2.3 S. 28; Urteil 6B_440/2019 vom 18. November 2020 E. 2.3.1, nicht publ. in: BGE 147 IV 65).» (E.6.4.2 a.A.).
Fallbezogen äusserte sich das Bundesgericht im Urteil 2C_83/2023 vom 26. März 2024 alsdann wie folgt:
«In Bezug auf das Schreiben vom 4. April 2019 erwog die Vorinstanz, die Wortwahl des Beschwerdeführers, wonach der Verzeiger eine „bösartige“ und „geradezu höhnische Haltung“ an den Tag lege und der Prozess unter dessen Leitung „zur Farce verkommen“ solle, stelle einen persönlichen Angriff ohne jeglichen erkennbaren Nutzen für die Klientschaft dar. Die Äusserungen seien geeignet, das Vertrauen in die Fähigkeit der Anwältinnen und Anwälte zu untergraben, Verfahren sachlich und mit der gebotenen professionellen Distanz zu führen, unnötige Emotionalisierungen zu vermeiden, Meinungsverschiedenheiten mit Amtspersonen respektvoll, sachbezogen sowie in den dafür zur Verfügung stehenden Verfahren auszutragen und nicht ohne Not oder erkennbaren Zweck Provokationen und Beleidigungen gegenüber Gerichten und Behörden zu äussern. Der Beschwerdeführer hält dem im Wesentlichen entgegen, seine Äusserungen im Schreiben vom 4. April 2019 seien keine persönlichen Angriffe auf den Verfahrensleiter; dieser werde dadurch nicht als Mensch verunglimpft. Sie seien zwar scharf, jedoch sachbezogen und würden auch im Ton die Regeln des Anstands wahren. Er habe die Äusserungen im Rahmen eines Ausstandsgesuchs getätigt, zu dem er durch seine Berufspflichten aufgrund des Verhaltens des Verfahrensleiters gezwungen gewesen sei. Dabei habe er sich auf den Ausstandsgrund der Feindschaft nach Art. 56 lit. f StPO berufen, den er habe begründen müssen. Es sei deshalb aufgrund des Vorgefallenen gerechtfertigt gewesen, dass er den Verfahrensleiter als bösartig und höhnisch bezeichnet habe.» (E.6.3.1).
«Der Beschwerdeführer hat die zu beurteilenden Äusserungen unbestrittenermassen im Rahmen eines Ausstandsgesuchs getätigt und sich dabei auf den in Art. 56 lit. f StPO vorgesehenen Ausstandsgrund der Feindschaft berufen. Ein solches Gesuch zu stellen, ist zulässig und zur Wahrung der Interessen der Klientschaft unter Umständen auch geboten. Dass die Gesuchstellung rechtsmissbräuchlich wäre, wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Für die Frage, ob eine Berufspflichtverletzung vorliegt, ist deshalb nicht zu prüfen, ob das Ausstandsgesuch in der Sache begründet war. Entscheidend ist, ob die Äusserungen sachbezogen und zur Begründung des Ausstandsgesuchs geeignet waren und in der Schärfe des Tons nicht über das Mass hinausgingen, das mit Rücksicht auf den verfolgten Zweck und die dem Anwalt dafür zu gewährende Ausdrucksfreiheit noch zu tolerieren ist.» (E.6.3.2).
«Freundschaft oder Feindschaft begründen nach Art. 56 lit. f StPO einen Ausstandsgrund. Unter Feindschaft ist ein Konflikt mit persönlichen Dimensionen oder eine auf die Person bezogene feindliche Gesinnung gegenüber jemandem zu verstehen (vgl. Urteile 1B_439/2022 vom 29. Juni 2023 E. 4.4.5 und 1B_27/2021 vom 15. März 2021 E. 3.2, „persönliche Feindschaft“). Entscheidend ist, ob diese Abneigung in Qualität und Intensität so beschaffen ist, dass bei objektiver Betrachtung ein offenes Verfahren nicht mehr gewährleistet ist (Markus BOOG, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 39b zu Art. 56 StPO).» (E.6.3.3).
«Die vorliegend umstrittenen Äusserungen im Schreiben vom 4. April 2019 fielen im Rahmen eines gegen den Verfahrensleiter gerichteten Ausstandsgesuchs. Sie erfolgten somit nicht in der Öffentlichkeit. Der Beschwerdeführer bezog sich dabei durchwegs auf das Strafverfahren, in welchem er um Ausstand des Verfahrensleiters ersuchte. Das geht etwa aus den Formulierungen „Haltung gegenüber meinem Mandanten“ oder „die gegen ihn erhobenen Mordvorwürfe“ hervor. Dementsprechend bezieht sich auch die Bezeichnung als „voreingenommen“, „bösartig“, „feindselig“ und „höhnisch“ nicht auf den Vorsitzenden im Allgemeinen, sondern auf dessen Haltung im konkreten Strafverfahren. Insofern stehen die Äusserungen in einem konkreten Sachbezug; sie sind nicht als generalisierende, persönliche Angriffe zu verstehen. Was die Ausdrucksweise betrifft, ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer das Ausstandsgesuch zu begründen und damit auch den Ausstandsgrund der Feindschaft zu konkretisieren hatte. Es liegt in der Natur der Sache, dass zur Begründung eines Ausstandsgesuchs wegen Feindschaft auch wertende Begriffe verwendet werden, die in manch anderem Kontext als unsachliche, persönliche, verletzende Angriffe zu verstehen wären. Bei den vom Beschwerdeführer verwendeten Bezeichnungen als „bösartig“, „feindselig“ und „höhnisch“ handelt es sich einzeln betrachtet um Begriffe, die zur Konkretisierung einer Feindschaft und damit zur Begründung eines entsprechenden Ausstandsgesuchs nicht von vornherein ungeeignet sind. Allein aus dieser Wortwahl kann daher noch nicht jeglicher Nutzen für den Klienten ausgeschlossen werden. Ähnliches gilt in Bezug auf die Aussage, dass der Prozess unter der Leitung des Vorsitzenden „zur Farce verkommen“ soll. Was das Ausmass betrifft, das sich aus dem Gesamtbild der Äusserungen ergibt, ging der Beschwerdeführer jedoch deutlich über die Grenzen des Notwendigen hinaus. Es wäre ihm ohne Nachteil für das Ausstandsgesuch möglich gewesen, weniger angriffige Wörter zu verwenden oder sich auf einen oder wenige der von ihm gewählten Begriffe zu beschränken und diese mit Bezugnahme auf konkrete Tatsachen näher zu begründen. Stattdessen hat er eine ganze Serie von im Allgemeinen beleidigenden Ausdrücken an die Adresse des Verfahrensleiters von sich gegeben, ohne dass sich aus dieser Quantität ein zusätzlicher Nutzen für den Klienten erkennen liesse. Es scheint ihm zu einem wesentlichen Teil darum gegangen zu sein, seinem persönlichen Unmut Luft zu machen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer seine Äusserungen nicht in einem mündlichen Plädoyer, sondern in einer schriftlichen Eingabe getätigt hat. Es war ihm somit möglich, seine Ausdrucksweise vor dem Versenden zu überdenken. Während die einzelnen Äusserungen (z.B. „bösartig“ oder „feindselig“) für sich genommen in diesem Kontext noch nicht sanktionswürdig erscheinen, erweisen sie sich in ihrer Summe, auch im Rahmen eines Ausstandsgesuchs wegen Feindschaft, als unnötig polemisch und herabsetzend. Sie gehen damit über das nach Art. 12 lit. a BGFA zulässige Mass hinaus.» (E.6.3.4).
«Im vorliegenden Fall ist strittig, ob sich der Beschwerdeführer mit der Aussage, er schliesse sich „der gestrigen Eingabe von Kollege C. betreffend Befangenheit vorbehaltlos an“, die Äusserungen des Wahlverteidigers C., die nach Auffassung der kantonalen Instanzen gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossen, zweifellos erkennbar zu eigen gemacht hat. Wörtlich hat sich der Beschwerdeführer zwar nicht speziell den hier in Frage stehenden Äusserungen angeschlossen, sondern der „Eingabe“. Mit dem „vorbehaltlosen“ Anschluss hat er sich die Eingabe jedoch als Ganzes, einschliesslich dieser Äusserungen, zu eigen gemacht. Sein Einwand, er habe sich der Eingabe nur insoweit angeschlossen, als damit auf Befangenheit des Verfahrensleiters geschlossen und dessen Ausstand verlangt wurde, überzeugt nicht. Denn es ist nicht einzusehen, wieso er für eine derart differenzierte Bezugnahme das Wort „vorbehaltslos“ verwenden sollte. Auch ohne sich von der Ausdrucksweise seines Kollegen ausdrücklich zu distanzieren, wäre es dem Beschwerdeführer – zumal in einer schriftlichen Eingabe – ohne Weiteres möglich gewesen, zumindest auf das Wort „vorbehaltlos“ zu verzichten. Durch den vorbehaltlosen Anschluss an die Eingabe vom 29. Januar 2020 hat er sich die fraglichen Äusserungen von Rechtsanwalt C. zweifellos erkennbar zu eigen gemacht. Sie sind somit nach dem gleichen Massstab zu beurteilen, wie wenn er sie selbst getätigt hätte.» (E.6.4.2).
«Die fraglichen Aussagen von Rechtsanwalt C. nehmen zwar Bezug auf ein konkretes Verfahren und eine konkrete „Szene im Gerichtssaal“, sie fallen jedoch sehr generalisierend aus. So wird ganz allgemein die „Denkweise“ des Verfahrensleiters und die „Schludrigkeit“ von dessen (allgemeinem) Verhandlungsstil kritisiert. Ebenso wird in genereller Weise die Eignung des Verfahrensleiters zur Führung von Strafprozessen bzw. dessen Eignung als Richter in Frage gestellt. Derartige Äusserungen eignen sich nicht zur Begründung eines Ausstandsgesuchs. Sie sind unsachlich und zielen klar auf eine Herabsetzung der Person ab. Die Wortwahl, wonach der Verfahrensleiter ein „Fertigmacher“ sei, der sich an kranken, beeinträchtigten oder verzweifelten Personen „gütlich tut“, ist beleidigend und verletzend und ohne jeden erkennbaren Nutzen für die Klientschaft. Die Äusserungen sind somit berufspflichtwidrig. Indem der Beschwerdeführer sich ihnen vorbehaltlos anschloss, verstiess er gegen Art. 12 lit. a BGFA.» (E.6.4.3).
Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.