Werterhaltungspflicht nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB bei Investitionen und Aussagen im Hinblick auf abgekürztes Verfahren

Im Urteil 7B_242/2022 vom 20. Juni 2024 aus dem Kanton St. Gallen ging es um den Tatbestand der Veruntreuung. Dabei standen zwei Themen im Vordergrund: Das Bundesgericht bekräftigte, dass Erklärungen im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren nicht im ordentlichen Verfahren vewertbar sind: «Erklärungen, die von den Parteien im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, sind nach der Ablehnung eines Urteils im abgekürzten Verfahren in einem folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar (Art. 362 Abs. 4 StPO). Dies gilt auch, wenn das abgekürzte Verfahren vor der Beurteilung durch das erstinstanzliche Gericht scheitert (BGE 144 IV 189 E. 5.2.1 f. mit Hinweisen).» (E.2.2.1). Im vorliegenden Fall bestanden keine solchen Aussagen. Weiter erklärte das Bundesgericht, dass im vorliegenden Fall die Gelder mit einer Werterhaltungspflicht nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB anvertraut wurden: «Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, es habe sich bei den Investitionen der vier Anleger allesamt um anvertraute Gelder mit einer Werterhaltungspflicht nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gehandelt. Dies ergibt sich, unabhängig von der durch die Parteien gewählten Vertragsbezeichnung (als stille Beteiligung oder „participation partiaire“), aus der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung. So waren die Verträge nach den vorinstanzlichen Feststellungen auf eine kurze, genau definierte Laufzeit begrenzt, garantierten die Rückerstattung der vollen Einlage am Ende der Laufzeit, enthielten entsprechend keine Vereinbarung einer Verlustbeteiligung bzw. keine Nachschusspflicht und sahen teilweise die Absicherung der Einlage durch Aktien einer Drittgesellschaft vor […]» (E.6.3).

Sachverhalt

Mit Entscheid vom 27. April 2021 stellte das Kreisgericht See-Gaster das Strafverfahren gegen A. wegen qualifizierter Geldwäscherei ein. Hingegen verurteilte es ihn wegen mehrfacher Veruntreuung und mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung in Bereicherungsabsicht zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Einen Strafteil von 22 Monaten schob es bei einer Probezeit von vier Jahren auf. Weiter urteilte es über die Zivilforderungen, die Nebenpunkte sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Instanzenzug

Auf Berufung und Anschlussberufung hin stellte das Kantonsgericht St. Gallen das Strafverfahren gegen A. wegen qualifizierter Geldwäscherei mit Entscheid vom 21. Juli 2022 ein. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher Veruntreuung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten, unter Aufschub eines Strafteils von 24 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren. Es befand über die beschlagnahmten Vermögenswerte und Gegenstände, die Zivilforderungen, die weiteren Nebenpunkte sowie über die Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Das Kantonsgericht geht zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus: C. habe zusammen mit dem angeblichen Bankier D. unter Beizug der Gesellschaften E. AG und F. GmbH diversen Anlegern angeboten, ihr Geld hoch rentabel zu investieren. Die E. AG habe hierzu Verträge „zum Erwerb einer partiarischen Beteiligung“ abgeschlossen. Gemäss diesen Verträgen hätten die Anleger eine partiarische Beteiligung an der E. AG erworben, mit dem Ziel eines gemeinsamen Investitionsprojektes. Die Laufzeit der Verträge habe jeweils 3, 6, 9 oder 12 Monate betragen. Als Sicherheit hätten die Verträge treuhänderisch hinterlegte Aktien aus dem Vermögen der E. AG genannt. Die E. AG habe sich verpflichtet, die Investitionssumme so anzulegen, dass die vorgesehene Rendite in dem festgelegten Zeitfenster erzielt werde. Die im Sommer 2010 abgeschlossenen Verträge hätten monatliche Renditen von 15 %, ab November 8 % und schliesslich 5 % vorgesehen. Insgesamt seien ab dem 12. Mai 2010 mit 133 Anlegern 157 Verträge abgeschlossen und bis zum 15. April 2011 eine Summe von Fr. 4’169’277.96 auf die Gesellschaftskonten einbezahlt worden.

Weitere Anleger hätten Verträge mit der F. GmbH geschlossen, dies im Rahmen des dreiteiligen Vertragswerks Gesellschaftsvertrag-Stille Beteiligung I, Gesellschaftsvertrag-Stille Beteiligung II und Privatdarlehensvertrag-Gesellschaftsdarlehen. Die Anleger hätten sich während einer fixen Zeitspanne an der F. GmbH beteiligt, welche sich ihrerseits mit dem 31 /3-fachen der Beteiligung nach Ablauf der Zeitspanne „engagiert“ habe. 17 Anleger hätten vom 8. Oktober 2010 bis zum 22. März 2011 auf diese Weise Fr. 1’998’522.02 auf die Konten der E. AG überwiesen. Das Vertrauen von C. in D. habe im Laufe der Zeit Risse erlitten, da dieser die Erwartungen hinsichtlich der gewinnbringenden Anlagen nicht erfüllt habe. Deshalb habe C. A. im Herbst 2010 beauftragt, sich von D. als Trader einführen zu lassen und inskünftig (an Stelle von D.) die Anlagen zu tätigen. A. habe die auf seine Konten zwecks Anlage übertragenen Gelder (einerseits Direktzahlungen von vier Anlegern, andererseits Zahlungen von der E. AG) zu eigenen Zwecken verbraucht.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, er sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil sei betreffend folgende Punkte aufzuheben: den Strafpunkt, die Strafe, die Verwertung und Verwendung des Verwertungserlöses betreffend das Grundstück in U., die Zusprechung einer Zivilforderung an B. sowie G., die Entnahme einer DNA-Probe unter Erstellung eines DNA-Profils, die Kostenauflage des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens, die Entschädigungspflicht von A. gegenüber seinen amtlichen Verteidigern sowie gegenüber B. für seine Rechtsvertretung im Berufungsverfahren. A. beantragt die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.

Urteil 7B_242/2022 des Bundesgerichts vom 20. Juni 2024 

Es wird hier nicht auf alle, sondern nur auf ausgewählte Rügen des Beschwerdeführers eingegangen:

Keine Verwertbarkeit von Aussagen im Hinblick auf abgekürztes Verfahren

Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht zunächst die Verwertbarkeit seiner Aussagen vom 5. Juli 2016. Er macht geltend, er habe das Geständnis lediglich im Hinblick auf ein abgekürztes Verfahren abgelegt. Die Vorinstanz verletze Art. 362 Abs. 4 StPO, indem sie von deren Verwertbarkeit ausgehe (E.2.1).

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 7B_242/2022 vom 20. Juni 2024 generell abstrakt wie folgt:

«Erklärungen, die von den Parteien im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, sind nach der Ablehnung eines Urteils im abgekürzten Verfahren in einem folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar (Art. 362 Abs. 4 StPO). Dies gilt auch, wenn das abgekürzte Verfahren vor der Beurteilung durch das erstinstanzliche Gericht scheitert (BGE 144 IV 189 E. 5.2.1 f. mit Hinweisen).» (E.2.2.1).

Das Bundesgericht sah keinerlei Hinweise, dass Aussagen des Beschwerdeführers im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren erfolgt sein sollen:

«Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde, da der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit seiner Aussagen keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung rügt. Nachdem die Vorinstanz verbindlich feststellt, dass das abgekürzte Verfahren an den beiden Einvernahmen vom 5. Juli 2016 kein Thema war – zumal die Staatsanwaltschaft eine ordentliche Anklageerhebung mit Ansetzung einer Beweismittelfrist nach Art. 318 StPO beabsichtigt und der Beschwerdeführer dagegen nicht opponiert habe – ist eine Verletzung von Art. 362 Abs. 4 StPO nicht ersichtlich. Aus dem Sachverhalt ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer seine Aussagen mit dem Zweck („im Hinblick“) auf ein abgekürztes Verfahren tätigte. Dies lässt sich ferner nicht aus dem blossen Hinweis der Staatsanwaltschaft auf die Bestimmungen des abgekürzten Verfahrens in ihrem Schreiben vom Folgetag schliessen. Die Rüge erweist sich als unbegründet.» (E.2.4).

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht weiter geltend, er erfülle den Tatbestand der Veruntreuung nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB nicht (E.5.1).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_242/2022 vom 20. Juni 2024 wie folgt generell-abstrakt zum Tatbestand der Veruntreuung:

«Gemäss Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB macht sich der Veruntreuung schuldig, wer ihm anvertraute Vermögenswerte unrechtmässig in seinem oder eines anderen Nutzen verwendet. Als anvertraut gilt, was jemand mit der Verpflichtung empfängt, es in bestimmter Weise im Interesse des Treugebers zu verwenden, insbesondere es zu verwahren, zu verwalten oder einem anderen abzuliefern (BGE 143 IV 297 E. 1.3; 133 IV 21 E. 6.2; je mit Hinweis). Der Tatbestand erfasst Fälle, in denen zivilrechtlich die Fremdheit der anvertrauten Werte nicht gegeben oder zumindest zweifelhaft ist. Bei dieser Tatvariante erlangt der Treuhänder über die erhaltenen Werte nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Verfügungsmacht. Die ins Eigentum des Treuhänders übergegangenen Werte sind jedoch bestimmt, später wieder an den Berechtigten zurückzufliessen. In diesem Sinne sind sie wirtschaftlich fremd. Der Treuhänder ist deshalb verpflichtet, dem Treugeber den Wert des Empfangenen ständig zu erhalten. Eine Werterhaltungspflicht besteht auch bei einer Investition anvertrauter Gelder in eine Kapitalanlage, sofern die Gelder dazu bestimmt sind, später wieder – allenfalls mit einer bestimmten Rendite – an den Anleger zurückzufliessen (Urteil 6B_936/2019 vom 20. Mai 2020 E. 4.3 mit Hinweisen). Die tatbestandsmässige Handlung besteht bei der Veruntreuung von Vermögenswerten in einem Verhalten, durch welches der Täter eindeutig seinen Willen bekundet, den obligatorischen Anspruch des Treugebers zu vereiteln (BGE 133 IV 21 E. 6.1.1 mit Hinweis). Obwohl in Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB nicht ausdrücklich erwähnt, verlangt die Bestimmung den Eintritt eines Vermögensschadens (BGE 111 IV 19 E. 5; Urteil 6B_936/2019 vom 20. Mai 2020 E. 4.3 mit Hinweisen).» (E.5.2.1).

«In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand der Veruntreuung Vorsatz und ein Handeln in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht. Nach der Rechtsprechung bereichert sich bei der Veruntreuung von Vermögenswerten unrechtmässig, wer die Vermögenswerte, die er dem Berechtigten jederzeit zur Verfügung zu halten hat, in seinem Nutzen verwendet, ohne fähig und gewillt zu sein, sie jederzeit sofort zu ersetzen (BGE 133 IV 21 E. 6.1.2; Urteile 7B_237/2022 vom 22. Februar 2024 E. 4.2; 6B_1008/2021 vom 9. November 2021 E. 2.3; je mit Hinweisen).» (E.5.2.2).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_242/2022 vom 20. Juni 2024 alsdann wie folgt:

«Der Beschwerdeführer rügt, die Einlagen der Investoren B., H. GmbH, G. und I. von USD 1’207’781.10 („Direktzahlungen“) seien der F. GmbH bzw. der E. AG und entsprechend ihm selbst als Mitarbeiter der beiden Gesellschaften nicht im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB anvertraut gewesen. Die Gesellschaften hätten keine Werterhaltungspflicht gehabt. Bei den Investitionen habe es sich um sogenannte „stille Beteiligungen“ gehandelt. Geschäftsvermögen von Handelsgesellschaften und Genossenschaften sei nicht anvertraut.» (E.6.1).

«Die Vorinstanz geht betreffend die „Direktzahlungen von Anlegern“ im Gegenwert von USD 1’207’781.10 davon aus, dass B., die H. GmbH, G. und I. auf Veranlassung von C. und gestützt auf Verträge mit der E. AG bzw. der F. GmbH zwischen dem 6. Januar 2011 und dem 4. Februar 2011 direkte Überweisungen auf die Konten des Beschwerdeführers bei der J. Bank von insgesamt USD 1’207’781.10 getätigt hätten, damit ihr Geld gewinnbringend investiert werde.  Die Vorinstanz erwägt zum Anvertrautsein und zur Werterhaltungspflicht, die Gelder von B., der H. GmbH, G. und I. im Gesamtwert von USD 1’207’781.10 seien den Gesellschaften E. AG und FGmbH zur Anlage überwiesen worden und hätten an die Anleger zurückfliessen sollen. Es habe in rechtlicher Hinsicht eine Werterhaltungspflicht bestanden. Sie verweist dazu grundsätzlich auf die erstinstanzlichen Ausführungen. Zum Vertrag zwischen der F. GmbH und der Investorin H. GmbH führt sie aus, dieser sei auf eine Laufzeit von maximal 6 Monaten begrenzt gewesen. Die H. GmbH, welche im Vertrag als stille Gesellschafterin bezeichnet werde, sei nicht an Gewinn und Verlust der Aussengesellschaft, d.h. der F. GmbH, beteiligt gewesen und die Rückgabe der Gelder an die Investorin H. GmbH nach der Laufzeit sei zugesichert worden, wobei die Einlage durch Aktien der E. AG abgesichert worden sei. Der Vertrag mit I. enthalte eine ähnliche Regelung. Auch dieser Vertrag sehe eine stille Beteiligung an der Gesellschaft vor. Unter anderem sei gemäss letzterem Vertrag keine Kündigung zur Vertragsbeendigung erforderlich, sondern dieser habe mit Ablauf der auf 12 Monate begrenzten Laufzeit geendet. Er habe sogar jederzeit und ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von einem Monat gekündigt werden können.» (E.6.2).

«Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, es habe sich bei den Investitionen der vier Anleger allesamt um anvertraute Gelder mit einer Werterhaltungspflicht nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gehandelt. Dies ergibt sich, unabhängig von der durch die Parteien gewählten Vertragsbezeichnung (als stille Beteiligung oder „participation partiaire“), aus der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung. So waren die Verträge nach den vorinstanzlichen Feststellungen auf eine kurze, genau definierte Laufzeit begrenzt, garantierten die Rückerstattung der vollen Einlage am Ende der Laufzeit, enthielten entsprechend keine Vereinbarung einer Verlustbeteiligung bzw. keine Nachschusspflicht und sahen teilweise die Absicherung der Einlage durch Aktien einer Drittgesellschaft vor. Soweit der Beschwerdeführer bezüglich dem Vertrag mit I. eine Rückerstattungspflicht bestreitet, geht er nicht auf die vorinstanzlichen Erwägungen zum Vertragsinhalt ein und macht diesbezüglich auch keine Willkür geltend. Die vorinstanzlichen Ausführungen stehen in Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Werterhaltungspflicht, welche auch bei der Investition anvertrauter Gelder in eine Kapitalanlage besteht, die dazu bestimmt sind, an den Anleger zurückzufliessen (siehe Hinweise in E. 5.2.1 oben). Daran ändern die versprochenen hohen Renditen nichts.  Aus den grundsätzlichen gesellschaftsrechtlichen Ausführungen des Beschwerdeführers lässt sich für die rechtliche Qualifikation der Verträge und die Frage der Werterhaltungspflicht im vorliegenden Fall nichts zu seinen Gunsten ableiten.» (E.6.3).

Weitere Rügen des Beschwerdeführers betreffend dem Tatbestand der Veruntreuung verfangen ebenfalls nicht (E.6.4 ff.).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Urteil 7B_242/2022 vom 20. Juni 2024 ab, soweit es darauf eintritt (E.12).

 

 

 

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