Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Solothurn führt seit 2013 eine umfangreiche Strafuntersuchung gegen A. wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, Betrugs, mehrfachen betrügerischen Konkurses und Pfändungsbetrugs, mehrfacher Misswirtschaft und zahlreicher weiterer Delikte, wobei sich die mutmassliche Schadenssumme insgesamt auf über zwei Millionen Franken beläuft. Im Januar 2022 stand die Strafuntersuchung kurz vor dem Abschluss, sodass die Staatsanwaltschaft A. zur Schlusseinvernahme vorlud. In der Zwischenzeit wurde eine weitere Strafanzeige gegen A. wegen Betrugs erstattet, weshalb die Staatsanwaltschaft am 4. März 2022 die Ausdehnung des Strafverfahrens verfügte und A. _ am 8. März 2022 im Anschluss an die Schlusseinvernahme festnehmen liess. Aufgrund der anlässlich der Verhaftung bei A. sichergestellten Gegenstände (vgl. Urteil 1B_591/2022 vom 21. Dezember 2022) wurden weitere Ermittlungen gegen ihn geführt, woraufhin die Staatsanwaltschaft am 26. April 2022 eine erneute Ausdehnungsverfügung erliess und das gegen A. geführte Strafverfahren auf weitere Fälle des mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs ausdehnte. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft wurde vom Zwangsmassnahmengericht bewilligt und hiernach verlängert.
Instanzenzug
Gegen diese Verlängerung der Untersuchungshaft gelangte A. zunächst an das Obergericht des Kantons Solothurn und hiernach ans Bundesgericht. Mit Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 wurde die Beschwerde, mangels Vorliegen der besonderen Haftgründe der Flucht- und Kollusionsgefahr, teilweise gutgeheissen und die Haftsache zur unverzüglichen Prüfung des besonderen Haftgrunds der Wiederholungsgefahr an das Obergericht zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 8. August 2022 wies das Obergericht die Beschwerde wiederum ab und bestätigte die Anordnung der Untersuchungshaft bis zum 9. August 2022 unter der Annahme von Wiederholungsgefahr. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 1B_445/2022 vom 22. September 2022 bestätigt.
Während der bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren stellte die Staatsanwaltschaft ein weiteres Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft. Mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 11. August 2022 und Beschluss des Obergerichts vom 7. September 2022 wurde die beantragte Untersuchungshaft unter der Annahme der besonderen Haftgründe der Kollusions- und Wiederholungsgefahr bewilligt. A. verzichtete diesbezüglich auf eine (erneute) Anrufung des Bundesgerichts.
Mit Gesuch vom 7. Oktober 2022 beantragte A. die Bewilligung des vorzeitigen Strafantritts, die ihm mit Verfügung vom 17. Oktober 2022 von der Staatsanwaltschaft wegen dem Vorliegen von Kollusionsgefahr verweigert wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Obergericht mit Beschluss vom 29. November 2022 abgewiesen.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit Eingabe vom 21. Dezember 2022 erhebt A. beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den Beschluss des Obergerichts vom 29. November 2022 aufzuheben und ihm den vorzeitigen Strafantritt zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zur Prüfung von Massnahmen zur Vermeidung der verbleibenden Kollusionsgefahr im vorzeitigen Strafvollzug an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren.
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. Der Beschwerdeführer hat sich nicht mehr zur Sache geäussert.
Bestimmung von Art. 236 StPO (Vorzeitiger Straf- und Massnahmenvollzug)
Die Bestimmung von Art. 236 StPO lautet wie folgt:
1 Die Verfahrensleitung kann der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Massnahmen vorzeitig anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt.
2 Ist bereits Anklage erhoben worden, so gibt die Verfahrensleitung der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme.
3 Bund und Kantone können vorsehen, dass der vorzeitige Massnahmenvollzug der Zustimmung der Vollzugsbehörden bedarf.
4 Mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt tritt die beschuldigte Person ihre Strafe oder Massnahme an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugsregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_641/2022 vom 12. Januar 2023
Der Beschwerdeführer bringt vor Bundesgericht vor, die Verweigerung des vorzeitigen Strafvollzugs verletze Art. 236 StPO. (E.2)
Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 1B_641/2022 vom 12. Januar 2023 wie folgt zu Art. 236 StPO bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug:
«Gemäss Art. 236 StPO kann die Verfahrensleitung der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen vorzeitig anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt (Abs. 1). Mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt tritt die beschuldigte Person ihre Strafe an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugsregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht (Abs. 4).
Der vorzeitige Strafvollzug stellt seiner Natur nach eine strafprozessuale Zwangsmassnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Der vorzeitige Strafvollzug bezweckt, dem Beschuldigten schon vor einem rechtskräftigen Strafurteil ein Haftregime zu ermöglichen, das auf seine persönliche Situation zugeschnitten ist, und ihm verbesserte Chancen auf Resozialisierung zu bieten. Für eine Fortdauer der strafprozessualen Haft in den Modalitäten des vorzeitigen Strafvollzugs muss weiterhin ein besonderer Haftgrund wie namentlich Kollusionsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO vorliegen (BGE 143 IV 160 E. 2.1; 133 I 270 E. 3.2.1).
Der Stand des Verfahrens muss gemäss Art. 236 Abs. 1 StPO den vorzeitigen Strafantritt erlauben. Dieser Stand ist erreicht, wenn die Anwesenheit des Beschuldigten für die Beweiserhebungen nicht mehr erforderlich ist. So verhält es sich grundsätzlich, wenn die Strafuntersuchung kurz vor dem Abschluss steht. Die Einschränkung, wonach der Stand des Verfahrens den vorzeitigen Strafantritt erlauben muss, beruht in erster Linie auf praktischen Bedürfnissen, da die Strafvollzugsanstalt vom Ort der Beweiserhebungen in der Regel weiter entfernt ist. Der Beschuldigte soll daher grundsätzlich erst dann in den vorzeitigen Strafvollzug übertreten können, wenn seine Anwesenheit für die weiteren Beweiserhebungen entbehrlich ist.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann gemäss Art. 236 Abs. 4 StPO Einschränkungen des Haftregimes des Gefangenen im vorzeitigen Strafvollzug erfordern. So können bei Kollusionsgefahr die Beziehungen zur Aussenwelt beschränkt werden (Art. 84 Abs. 2 StGB). Im Strafvollzug, in welchem der Gefangene Kontakt namentlich mit den Mitgefangenen hat, von denen der eine oder andere gegebenenfalls demnächst Urlaub erhält oder (bedingt) entlassen wird, kann der Kollusionsgefahr allerdings nicht gleich wirksam begegnet werden wie in Untersuchungshaft. Nach der Rechtsprechung kann der vorzeitige Strafvollzug daher auch im erwähnten fortgeschrittenen Verfahrensstadium nicht bewilligt werden, wenn eine hohe Kollusionsgefahr besteht (zum Ganzen: Urteil 1B_412/2019 vom 11. September 2019 E. 4.2; siehe auch Urteile 1B_372/2019 vom 27. August 2019 E. 2.1; 1B_449/2015 vom 15. Januar 2016 E. 2.3; je mit Hinweisen).» (E.2.1)
Die Vorinstanz hat gemäss dem Bundesgericht zusammengefasst festgehalten, sie habe bereits mit Beschluss vom 7. September 2022 festgehalten, dass Kollusionsgefahr bestehe. Dieser Beschluss sei nicht angefochten worden und damit in Rechtskraft erwachsen, weshalb vollumfänglich auf die entsprechenden Erwägungen verwiesen werden könne. Sodann habe auch das Haftgericht mit Entscheid vom 10. November 2022 erneut Kollusionsgefahr bejaht. Die in diesen Entscheiden aufgezeigten Kollusionsmöglichkeiten sowie die vom Beschwerdeführer durch sein Verhalten signalisierte Kollusionsbereitschaft würden nach wie vor bestehen. Angesichts dieser Kollusionsgefahr habe die Staatsanwaltschaft den vorzeitigen Strafantritt zu Recht nicht bewilligt. (E.2.2).
Das Bundesgericht erklärt lapidar, dass diese Ansicht der Vorinstanz nicht zu überzeugen vermag (E.2.3.) und begründet dies wie folgt:
«Zunächst ist festzuhalten, dass einzig dem Dispositiv eines Entscheids, nicht aber seiner Begründung materielle Rechtskraft zukommen kann (BGE 120 IV 10 E. 2b; statt vieler siehe auch SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, Rz. 1846). Die Vorinstanz hat in ihrem Beschluss vom 10. November 2022 das Vorliegen mehrerer Haftgründe, nämlich Kollusions- und Wiederholungsgefahr bejaht. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen von Wiederholungsgefahr nicht mehr (siehe dazu Urteil 1B_445/2022 vom 22. September 2022), weshalb er zu Recht vorbringt, mangels Erleidens eines endgültigen Rechtsnachteils durch diesen Beschluss auch über kein rechtlich geschütztes Interesse an dessen Anfechtung und damit an einer Überprüfung der diesbezüglichen Begründung durch die Vorinstanz verfügt zu haben (vgl. Urteil 1B_210/2013 vom 14. Juni 2013). Einer uneingeschränkten Überprüfung der von der Vorinstanz bejahten Kollusionsgefahr durch das Bundesgericht steht damit nichts entgegen.
Strafprozessualen Zwischenentscheiden kommt, wenn überhaupt, nur eine begrenzte materielle Rechtskraft zu (Urteil 1B_441/2017 vom 15. Januar 2018 E. 2.4). Dies gilt insbesondere bezüglich des Haftgrunds der Kollusionsgefahr, an dessen Vorliegen mit zunehmender Verfahrensdauer erhöhte Anforderungen gestellt werden müssen (BGE 137 IV 122 E. 4.2; 132 I 21 E. 3.2; siehe auch Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 E. 3.1). Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest problematisch, wenn sich die Vorinstanz ohne nähere Begründung darauf beschränkt hat festzuhalten, dass sich die Umstände seit den von ihr genannten Beschlüssen nicht verändert hätten. Ob dieser Umstand, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, bereits für sich genommen zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen müsste, kann indessen offen bleiben, da die Beschwerde ohnehin gutzuheissen ist.» (E.2.3.1).
«Die Vorinstanz hat im Beschluss vom 7. September 2022, auf den sie im angefochtenen Entscheid verweist, festgehalten, die Staatsanwaltschaft habe am 3. Juni 2022 eine (erneute) Ausdehnungsverfügung gegen den Beschwerdeführer wegen Misswirtschaft und Unterlassung der Buchführung sowie wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung erlassen. Am 2. August 2022 sei sodann eine weitere Ausdehnungsverfügung wegen weiterer Delikte erfolgt. Die Staatsanwaltschaft habe sodann in der Zwischenzeit sämtliche Akten und insbesondere die Geldflüsse eingehend analysiert und dabei festgestellt, dass der Beschwerdeführer vom 2. Mai 2017 bis zu seiner Verhaftung am 8. März 2022 Barbezüge von total Fr. 4’622’066.16 getätigt habe, davon allein in den elf Monaten vor seiner Verhaftung, das heisst von Mai 2021 bis zum 8. März 2022, einen Betrag von Fr. 2’401’629.86. Angesichts dieser immensen Beträge, insbesondere der zeitlichen Nähe zur Verhaftung, würden die Staatsanwaltschaft und das Haftgericht zu Recht davon ausgehen, die Wahrscheinlichkeit sei nicht bloss theoretischer Natur, dass erhebliche Vermögenswerte noch vorhanden seien und damit Chancen bestünden, diese Vermögenswerte oder Surrogate davon sicherzustellen. Es sei ernsthaft zu erwarten, dass der Beschwerdeführer nach einer Haftentlassung alles unternehmen würde, die Vermögenswerte den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, was zu verhindern sei.
Insofern die Vorinstanz damit (implizit) zum Ausdruck bringen will, die Umstände hätten sich seit Ergehen des Urteils 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 geändert, weshalb entgegen diesem Entscheid (neu) vom Vorliegen von Kollusionsgefahr auszugehen sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass das von der Vorinstanz angeführte Risiko, der Beschwerdeführer könnte in Freiheit (erhebliche) Vermögenswerte beiseite schaffen, bereits im Verfahren 1B_357/2022 ausdrücklich vom Bundesgericht behandelt wurde. Damals hat das Bundesgericht festgehalten, dass „trotz mehrjähriger Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer und viermonatiger Untersuchungshaft scheinbar keinerlei konkrete Hinweise darauf [vorliegen würden], dass der Beschwerdeführer auf versteckte Vermögenswerte Zugriff hätte, die – sofern dies nicht längst geschehen ist – er in Freiheit beiseite schaffen könnte“ (a.a.O., E. 3.3.3). Dass sich seither etwas an der Situation geändert hätte, namentlich konkretere Hinweise zum Verbleib dieser Vermögenswerte oder darauf, wie der Beschwerdeführer darauf Zugriff nehmen könnte, vorlägen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr bleibt es, trotz Untersuchungshaft von mittlerweilen knapp 10 Monaten und einer gesamthaften Verfahrensdauer des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens von rund 10 Jahren bei der blossen Vermutung, es sei wahrscheinlich, dass noch erhebliche Vermögenswerte vorhanden seien und damit Chancen bestünden, diese Vermögenswerte oder Surrogate davon sicherzustellen. Das entspricht der Ausgangslage, die bereits dem Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 zugrunde lag.
Dies zeigt im Übrigen auch die Verfügung des Haftgerichts vom 11. August 2022, mit welcher der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr bejaht wurde und die das Obergericht mit Beschluss vom 7. September 2022 geschützt hat. Darin wird nicht in erster Linie auf veränderte Umstände Bezug genommen, sondern festgehalten, dass „das Haftgericht die Lage anders“ als das Bundesgericht sehe. Dies sei „aufgrund des lediglich wegweisenden Präjudizcharakters der Bundesgerichtsentscheide zulässig“. Das Bundesgericht hat mit Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 verbindlich (vgl. Art. 61 BGG) festgehalten, dass der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr nicht vorliege. Da weder aus dem angefochtenen Beschluss noch den Entscheiden, auf welche darin verwiesen wird, ersichtlich wäre, dass veränderte Umstände vorlägen (vgl. Urteil 1B_441/2017 vom 15. Januar 2018 E. 2.4), behält dieser Entscheid seine Gültigkeit. Ist der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr nicht gegeben, kann die Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzugs auch nicht wegen des Vorliegens von Kollusionsgefahr verweigert werden. Entsprechend verletzt der angefochtene Entscheid Art. 236 StPO und ist die Beschwerde diesbezüglich begründet.» (E.2.3.2).
«Aufgrund der unzutreffenden Annahme von Kollusionsgefahr haben sich weder die Staatsanwaltschaft noch das Obergericht mit den weiteren Voraussetzungen für eine Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzugs auseinandergesetzt (vgl. E. 2.1 hiervor). Es ist nicht am Bundesgericht, den diesbezüglich relevanten Sachverhalt festzustellen und, im Fall der Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzugs, zu prüfen, ob mit Blick auf die verbleibende, latente Kollusionsgefahr (vgl. Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 E. 3.4) die Anordnung von allfälligen Einschränkungen im Vollzug (vgl. Art. 84 Abs. 2 StGB) geboten erscheint.» (E.2.4).
Folglich hiess das Bundesgericht im Urteil 1B_641/2022 vom 12. Januar 2023 die Beschwerde gut, hob den angefochtenen Entscheid auf wies die Sache an die Staatsanwaltschaft zum erneuten Entscheid über die Gewährung des vorzeitigen Strafvollzugs zurück (E.3).