Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Solothurn führt seit Dezember 2023 eine Strafuntersuchung gegen das Ehepaar B.A. und B.B. wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, evtl. schwerer Körperverletzung zum Nachteil ihrer gemeinsamen, damals rund sechs Monate alten Tochter.
Mit Entscheid vom 12. Dezember 2023 genehmigte das Haftgericht des Kantons Solothurn die von der Staatsanwaltschaft verfügte Echtzeitüberwachung der von B.B. verwendeten Rufnummer. Mit Entscheid vom 22. Dezember 2023 genehmigte es zudem auch die Audio-Überwachung der von den Kindseltern bewohnten Wohnung.
Die Echtzeitüberwachung der von B.B. verwendeten Rufnummer ergab, dass die amtliche Verteidigerin von B.A., Rechtsanwältin A., mehrfach mit B.B. telefonischen Kontakt gehabt und ihr möglicherweise kollusive Informationen hatte zukommen lassen. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft am 16. Januar 2024 eine Strafuntersuchung gegen Rechtsanwältin A. wegen des Verdachts auf Begünstigung.
Instanzenzug
In diesem Verfahren ersuchte die Staatsanwaltschaft am 17. Januar 2024 beim Haftgericht um Genehmigung der Verwendung aller fallrelevanten Erkenntnisse, die sich aus der im Strafverfahren gegen B.B. angeordneten Echtzeitüberwachung ihrer Rufnummer und der Audio-Überwachung ihrer Wohnung ergeben hatten. Das Haftgericht erteilte am 19. Januar 2024 die Genehmigung zur Verwendung der Zufallsfunde.
Gegen die Verfügung des Haftgerichts vom 19. Januar 2024, eröffnet am 31. Mai 2024, erhob A. Beschwerde beim Obergericht des Kantons Solothurn mit dem Antrag, die Verwendung der Zufallsfunde sei zu verweigern. Am 12. August 2024 wies das Obergericht die Beschwerde ab.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht, der Beschwerdeentscheid sei aufzuheben und die Verwertung der Zufallsfunde sei zu verweigern. Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_990/2024 vom 31. Oktober 2024
Streitig ist vor Bundesgericht, ob die mit der Genehmigung der Zufallsfunde gewonnenen Erkenntnisse dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses (Art. 321 StGB) hätten unterstellt und die Gespräche nach Art. 271 StPO hätten ausgesondert und vernichtet werden müssen (E.2.).
Das Bundesgericht äussert sich hierzu generell-abstrakt zunächst wie folgt:
«Art. 271 StPO steht unter dem Marginale „Schutz von Berufsgeheimnissen“ und ist systematisch im 1. Abschnitt („Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs“) des 8. Kapitels („Geheime Überwachungsmassnahmen“) des 5. Titels der StPO („Zwangsmassnahmen“) eingeordnet. Sein Abs. 1 bezieht sich auf den vorliegend nicht einschlägigen Fall der Überwachung einer Person, die einer in den Art. 170-173 genannten Berufsgruppe angehört (darunter nach Art. 171 Abs. 1 StPO insbesondere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte). Abs. 3 regelt was folgt: Bei der Überwachung „anderer Personen“ (also anderer als jener nach Abs. 1) sind, sobald feststeht, dass diese mit einer in den Art. 170-173 genannten Person Verbindung haben, Informationen zur Kommunikation mit dieser Person gemäss Abs. 1 auszusondern. Informationen, über welche eine in den Art. 170-173 genannte Person das Zeugnis verweigern kann, sind aus den Verfahrensakten auszusondern und sofort zu vernichten; sie dürfen nicht ausgewertet werden.» (E.2.1).
«Da es sich bei der überwachten Person – B.B. – nicht um eine Berufsgeheimnisträgerin, sondern um eine „andere Person“ handelt, ist vorliegend Art. 271 Abs. 3 StPO einschlägig. Zu klären ist die Tragweite dieser Bestimmung. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, Art. 271 Abs. 3 StPO beziehe sich nur auf Informationen zwischen der überwachten Person und ihrem eigenen Rechtsanwalt. Da die Beschwerdeführerin aber die Rechtsanwältin von B.A. und nicht von B.B. sei, finde die Norm keine Anwendung.» (E.2.2).
Diese Auslegung rügt die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht als bundesrechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beziehe sich die fragliche Norm nicht nur auf die Kommunikation zwischen Anwalt und Klient, sondern auch „auf jede berufs- und mandatsbezogene Kommunikation des Anwalts mit Dritten“, argumentiert die Beschwerdeführerin (E.2.3).
Das Bundesgericht fährt im Urteil 7B_990/2024 vom 31. Oktober 2024 fort:
«Als Anwaltskorrespondenz (im Sinne der Beschlagnahmehindernisse nach Art. 264 Abs. 1 StPO lit. a, c und d StPO) gilt nach der Rechtsprechung alles, was in das besondere Vertrauensverhältnis zwischen der Anwältin oder dem Anwalt und der Klientschaft eingebracht wird, in ihm entsteht oder aus ihm hervorgeht (Urteil 7B_874/2023 vom 6. August 2024 E. 3.1; siehe auch BGE 143 IV 462 E. 2.2; je mit Hinweisen). Gemäss Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1250, geht es bei Art. 271 Abs. 3 StPO ebenfalls um den „Schutz eines besonderen Vertrauensverhältnisses, das der Kenntnisnahme durch die Strafbehörden grundsätzlich entzogen ist“. Durch diese Bestimmung werde „etwa das Telefongespräch zwischen der beschuldigten Person und ihrem Anwalt geschützt“. In der Lehre wird diese Materialienstelle so verstanden, dass die Strafbehörden bei der Überwachung von Personen, die selbst keine Berufsgeheimnisträger sind, aus deren Vertrauensverhältnis mit solchen nichts verwerten dürfen (Marc Jean-Richard-dit-Bressel, in: Basler Kommentar Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 12 zu Art. 271 StPO; vgl. ferner auch Moreillon/Parein Reymond, in: Petit commentaire, Code de procédure pénale, 2. Aufl., 2016, N. 14 zu Art. 271 StPO). Geschützt ist mit anderen Worten nur die direkte Kommunikation zwischen der beschuldigten Zielperson und der Berufsgeheimnisträgerin (HANSJAKOB/PAJAROLA, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 62 zu Art. 271 StPO).» (E.2.4).
«Diese an den Materialien orientierte Auffassung ist zutreffend, während sich die Lesart der Beschwerdeführerin als überschiessend erweist. Denn – wie bereits das Haftgericht zutreffend festgehalten hat – ist die Beschwerdeführerin in den Telefongesprächen mit B.B. als normale Drittperson zu betrachten. Mitteilungen an Dritte gelten jedoch nicht als Anwaltskorrespondenz, und zwar auch dann nicht, wenn der Inhalt der Mitteilung eine grundsätzlich geheimnisgeschützte Information betrifft. Vielmehr verlassen grundsätzlich geheime Informationen durch die freiwillige und bewusste Kundgabe an einen Dritten das durch das Anwaltsgeheimnis geschützte Mandatsverhältnis (Urteil 7B_874/2023 vom 6. August 2024 E. 3.1 mit Hinweisen). Nicht anders verhält es sich, wenn die Kundgabe wie hier durch die Rechtsanwältin selbst erfolgt. Gibt sie geheimnisgeschützte Informationen aus einem Mandatsverhältnis an eine Dritte weiter, kann sie sich in der Folge nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach Art. 271 Abs. 3 i.V.m. Art. 171 Abs. 1 StPO berufen. Hinzu kommt, dass der Schutz von Berufsgeheimnissen grundsätzlich dann nicht greift – so macht Art. 271 Abs. 2 lit. a StPO klar – wenn der dringende Tatverdacht gegen die Trägerin des Berufsgeheimnisses selber besteht. Warum dies anders sein sollte, wenn nicht sie, sondern eine Drittperson überwacht wird und entsprechend ein Anwendungsfall von Art. 271 Abs. 3 StPO vorliegt, leuchtet nicht ein (siehe auch Art. 264 Abs. 1 lit. c und d StPO betreffend Beschlagnahme, wonach Rechtsanwältinnen das Berufsgeheimnis nicht in eigenem Namen als Entsiegelungshindernis anrufen können, wenn sie im untersuchten Sachzusammenhang selber beschuldigt sind; Urteil 7B_35/2024 vom 21. Mai 2024 E. 3.2 mit Hinweisen). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies im Ergebnis, dass die Kommunikation zwischen der Beschwerdeführerin und B.B., die in keinem Mandatsverhältnis zueinander standen und zwischen denen folglich kein besonderes Vertrauensverhältnis im Sinne der Materialien bestand, nicht unter Art. 271 Abs. 3 StPO fällt. Der Vorinstanz ist damit vollumfänglich zu folgen – die Genehmigung der Verwendung der Zufallsfunde erweist sich als rechtskonform.» (E.2.5).
Das Bundesgericht weist im Urteil 7B_990/2024 vom 31. Oktober 2024 die Beschwerde ab (E.3).