Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Verdachts auf qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei. Am 27. August 2021 ersuchte sie das Bundesamt für Justiz (BJ), bei der zuständigen Behörde der USA rechtshilfeweise die Übermittlung von Beweismitteln zu beantragen, nämlich der Nachrichteninhalte (sowohl Text als auch Audio) an und von einem verwendeten ANOM-Kryptogerät, für den Zeitraum ab Oktober 2019 bis zur Schliessung der verschlüsselten Kommunikationsplattform ANOM (Operation Trojan Shield), inklusive alle zugehörigen „Metadaten“, einschliesslich GPS-Daten. Am 9. November 2021 übermittelte das U.S. Department of Justice dem BJ rechtshilfeweise die gewünschten Dateien auf einem USB-Stick. Diesbezüglich erstellte die Kantonspolizei Aargau am 8. Dezember 2021 einen Rapport.
Instanzenzug
Am 16. Dezember 2021 stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (ZMG) gestützt auf Art. 278 Abs. 3 StPO ein Gesuch um „Genehmigung eines Zufallsfunds“ aus der rechtshilfeweise erfolgten Überwachung der Kommunikationsplattform ANOM bzw. des verwendeten Kryptogeräts. Mit Eingabe vom 20. Dezember 2021 ergänzte die Staatsanwaltschaft ihr Gesuch. Am 24. Januar 2022 verfügte das ZMG Folgendes: „Die Ergebnisse der ausländischen Überwachung der Kommunikationsplattform ANOM (Inhalts- und Randdaten) dürfen auch im Strafverfahren der Schweizer Strafverfolgungsbehörden gegen den Beschuldigten A. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verwendet werden“. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihren Genehmigungsantrag vom 16. Dezember 2021 (samt Ergänzung vom 20. Dezember 2021) und die Verfügung des ZMG vom 24. Januar 2022 dem Beschuldigten mit Schreiben vom 1. Juni 2022 zur Kenntnis gebracht hatte, erhob dieser mit Eingabe vom 20. Juni 2022 Beschwerde beim kantonalen Obergericht. Er beantragte unter anderem die Nichtbewilligung einer Verwertung des „Zufallsfundes“ und die sofortige Vernichtung der rechtshilfeweise übermittelten Dateien.
Am 24. Oktober 2022 entschied das Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, wie folgt über die Beschwerde des Beschuldigten: „Es wird von Amtes wegen festgestellt, dass die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 24. Januar 2022 nichtig ist, und die hiergegen gerichtete Beschwerde wird als gegenstandslos geworden von der Geschäftskontrolle abgeschrieben“.
Weiterzug ans Bundesgericht
Gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 24. Oktober 2022 gelangten sowohl die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, mit Beschwerde vom 25. November 2022, als auch der Beschuldigte, mit Beschwerde vom 30. November 2022, je an das Bundesgericht.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_159/2022, 7B_160/2022 vom 11. Januar 2024
Die beiden Beschwerdeverfahren betreffen dieselbe Angelegenheit und dieselben Parteien bzw. Strafjustizbehörden, bemerkt das Bundesgericht. Die Verfahren 7B_159/2022 und 7B_160/2022 sind, dem Antrag des Beschuldigten entsprechend, zu vereinigen (E.1.1).
Im angefochtenen Entscheid wird die vorinstanzliche Beschwerde des Beschuldigten gegen die erfolgte Genehmigung eines „Zufallsfunds“ als erledigt abgeschrieben. Insofern droht ihm eine formelle Rechtsverweigerung (vgl. Art. 29 Abs. 1 und Art. 29a BV) und ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; vgl. BGE 149 IV 205 E. 1.2 mit Hinweisen); auch ein aktuelles Rechtsschutzinteresse des Beschuldigten (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG) ist zu bejahen. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG grundsätzlich erfüllt sind, ist auf die Beschwerde des Beschuldigten (im Verfahren 7B_160/2022) einzutreten (E.1.4).
Die Oberstaatsanwaltschaft rügt in ihrer Beschwerde zusammengefasst vom Bundesgericht, der angefochtene Entscheid stütze sich auf eine willkürliche bzw. aktenwidrige Tatsachenfeststellung betreffend den prozessualen Charakter der in den USA erfolgten ANOM-Überwachung. Die Verwertbarkeit eines Zufallsfundes sei vom ZMG zu genehmigen. Jedenfalls seien die rechtshilfeweise erhobenen Aufzeichnungen, wie das ZMG zutreffend festgestellt habe, verwertbar. Auch die Gerichte anderer Länder (etwa Deutschlands, Norwegens oder Österreichs) hätten die Verwertbarkeit von ANOM-Überwachungen im Rahmen von Strafurteilen und Haftprüfungen grundsätzlich bestätigt. Ausserdem habe die Vorinstanz das rechtliche Gehör der Staatsanwaltschaft verletzt (E.3).
Der Beschuldigte rügt in seiner Beschwerde zusammengefasst vom Bundesgericht (Zitat:) «eine Verletzung von Bundesrecht (vgl. Art. 95 lit. a BGG), namentlich Art. 278 Abs. 2 d 3 StPO i.V.m. Art. 140 abs. 1 und Art. 141 Abs. 1 StPO sowie den ungeschriebenes Bundesrecht, wonach über die Beweisverwertung bereits entschieden wird, wenn aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalles die Unverwertbarkeit bereits ohne Weiteres feststeht (…)». Die geheime Überwachung des Beschuldigten in den USA beruhe auf illegaler Täuschung und „Tatprovokation“. Die Kommunikationen der Erwerber von ANOM-Kryptohandys seien „systematisch und ohne jeden konkreten Tatverdacht überwacht“ worden. Es handle sich aber „nicht um präventiven Vorermittlungen einer Strafverfolgungsbehörde sondern um eine auch nach amerikanischem Recht unzulässige und verbotenen Aktion, letztlich durch Private“. Es sei von einer „auch im Ausland offensichtlich unzulässigen Lauschaktion“ auszugehen. Die Unverwertbarkeit der rechtshilfeweise erhobenen Aufzeichnungen im Sinne von Art. 140 Abs. 1 i.V.m. Art. 141 StPO sei bereits im Vorverfahren durch das ZMG festzustellen. (E.4).
Das Bundesgericht bemerkt dazu: «Zu prüfen ist die Frage, ob und inwieweit hier ein vom ZMG nach Art. 274 i.V.m. Art. 278 StPO zu genehmigender und verwertbarer „Zufallsfund“ vorliegt und ob es gegen Bundesrecht verstösst, wenn die Vorinstanz feststellt, dass die Verfügung des ZMG vom 24. Januar 2022 nichtig ist, und die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde des Beschuldigten als gegenstandslos abschreibt.» (E.5).
Das Bundesgericht fährt im Urteil 7B_159/2022, 7B_160/2022 vom 11. Januar 2024 fort:
«Im internationalen Strafrecht gilt der Grundsatz der Territorialität. Von völkerrechtlich vereinbarten Ausnahmen abgesehen, dürfen Staaten auf fremdem Rechtsgebiet keine eigenen Untersuchungsmassnahmen oder anderen hoheitlichen Handlungen durchführen (BGE 146 IV 36 E. 2.2; 143 IV 21 E. 3.2-3.4, 270 E. 4.7; 141 IV 108 E. 5.3 und 5.12; je mit Hinweisen). Dies hat zur Folge, dass Aufzeichnungen, die von Fernmeldediensten, Internet-Zugangsprovidern oder sogenannten „abgeleiteten“ Kommunikationsdiensten im Ausland gespeichert werden, regelmässig nur auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe erhoben werden können (vgl. BGE 143 IV 21 E. 3.2-3.4, 270 E. 4.6-4.8; 141 IV 108 E. 5.12; je mit Hinweisen). Dies gilt namentlich bei Aufzeichnungen über besonders anonymisierte und verschlüsselte Kommunikationsplattformen im sogenannten Darknet. Im vorliegenden Fall ist die Verwertung von Aufzeichnungen streitig, die von der Staatsanwaltschaft rechtshilfeweise über die Justizbehörden der USA erhoben wurden. Ein direkter Zugriff der Staatsanwaltschaft in der Schweiz, etwa über ein sichergestelltes Kommunikationsgerät oder ein bekanntes Zugangspasswort (vgl. BGE 143 IV 270 E. 7.1-7.7), war hier nicht möglich.
Die Gewährung der internationalen Rechtshilfe und das Rechtshilfeverfahren richten sich nur so weit nach der StPO, als andere Gesetze des Bundes und völkerrechtliche Verträge dafür keine Bestimmungen enthalten (Art. 54 StPO). Ist ein Kanton mit einem Fall von internationaler Rechtshilfe befasst, so ist die Staatsanwaltschaft zuständig (Art. 55 Abs. 1 StPO); die Gerichte können auch noch während des Hauptverfahrens selbst Rechtshilfegesuche stellen (Art. 55 Abs. 2 StPO). Das Rechtshilfeverfahren mit den USA betreffend sogenannte „akzessorische“ Rechtshilfe richtet sich nach den Bestimmungen des Staatsvertrages vom 25. Mai 1973 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.933.6; nachfolgend: RVUS), subsidiär nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG, SR 351.1). Die Durchführung und Zulässigkeit der in den USA erfolgten Überwachung der verschlüsselten Kommunikationsplattform ANOM unterlag nicht der schweizerischen StPO, sondern dem US-amerikanischen Recht (Art. 54 StPO; Art. 1 IRSG i.V.m. Art. 4 Ziff. 1, Art. 31 Ziff. 2 und 3 sowie Art. 38 Ziff. 2 und 3 RVUS). Das Rechtshilfeverfahren ist im vorliegenden Fall rechtskräftig abgeschlossen. Das Rechtshilfegesuch vom 27. August 2021 stützte sich auf konkrete Verdachtsgründe, wonach der Beschuldigte in der Schweiz an qualifiziertem Drogenhandel beteiligt war.» (E.5.1).
«Unter den jeweiligen Voraussetzungen von Art. 269 ff. StPO kann die Staatsanwaltschaft den Fernmeldeverkehr überwachen lassen (Art. 269 StPO), den Einsatz besonderer technischer Geräte zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs anordnen, um Gespräche mitzuhören oder aufzunehmen oder eine Person oder Sache zu identifizieren oder deren Standort zu ermitteln (Art. 269bis StPO), und das Einschleusen von besonderen Informatikprogrammen in ein Datenverarbeitungssystem anordnen, um den Inhalt der Kommunikation und die Randdaten des Fernmeldeverkehrs in unverschlüsselter Form abzufangen und auszuleiten (Art. 269ter StPO). Eine Fernmeldeüberwachung ist zulässig bei beschuldigten Personen (Art. 270 lit. a StPO) und bei Drittpersonen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen angenommen werden muss, dass die beschuldigte Person den Fernmeldedienst der Drittperson benutzt, oder die Drittperson für die beschuldigte Person bestimmte Mitteilungen entgegennimmt oder von dieser stammende Mitteilungen an eine weitere Person weiterleitet (Art. 270 lit. b StPO). Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs bedarf der Genehmigung durch das ZMG (Art. 272 Abs. 1 StPO). Besteht der dringende Verdacht, ein Verbrechen oder ein Vergehen sei begangen worden, und sind die Voraussetzungen nach Art. 269 Abs. 1 lit. b und c StPO erfüllt, so kann die Staatsanwaltschaft auch die Randdaten des Fernmeldeverkehrs der überwachten Person gemäss Art. 8 lit. b des Bundesgesetzes vom 18. März 2016 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF, SR 780.1) verlangen (Art. 273 Abs. 1 StPO). Die Anordnung bedarf der Genehmigung durch das ZMG (Art. 273 Abs. 2 StPO).» (E.5.3).
«Werden durch die Überwachung nach Art. 269 ff. StPO andere Straftaten als die in der Überwachungsanordnung aufgeführten bekannt, so können die Erkenntnisse gegen die beschuldigte Person verwendet werden, wenn zur Verfolgung dieser Straftaten eine Überwachung hätte angeordnet werden dürfen (Art. 278 Abs. 1 StPO). Erkenntnisse über Straftaten einer Person, die in der Anordnung keiner strafbaren Handlung beschuldigt wird, können verwendet werden, wenn die Voraussetzungen für eine Überwachung dieser Person erfüllt sind (Art. 278 Abs. 2 StPO). In diesen Fällen (Art. 278 Abs. 1 und 2 StPO) ordnet die Staatsanwaltschaft unverzüglich die Überwachung an und leitet beim ZMG das Genehmigungsverfahren nach Art. 274 StPO ein (Art. 278 Abs. 3 StPO). Aufzeichnungen, die nicht als Zufallsfunde verwendet werden dürfen, sind von den Verfahrensakten gesondert aufzubewahren und nach Abschluss des Verfahrens zu vernichten (Art. 278 Abs. 4 StPO). Dokumente und Datenträger aus nicht vom ZMG genehmigten Überwachungen sind sofort zu vernichten (Art. 277 Abs. 1 StPO); durch die Überwachung gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden (Art. 277 Abs. 2 StPO).» (E.5.4).
«Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass nach dem klaren Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck des Gesetzes der vorliegende Sachverhalt nicht unter Art. 269 ff. i.V.m. Art. 278 und Art. 274 StPO fällt. Diese Bestimmungen beziehen sich auf Fernmeldeüberwachungen, die Schweizer Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz im Rahmen eines hiesigen Strafverfahrens angeordnet und durchgeführt haben (vgl. oben, E. 5.3-5.4). Art. 278 StPO soll sicherstellen, dass im Rahmen von Fernmeldedienst-Überwachungen nach Art. 269 ff. StPO neu ermittelte Zufallsfunde, nämlich Beweismittel zu anderen Straftaten oder neuen Verdächtigen, nur dann im Strafverfahren verwendet werden, wenn auch diesbezüglich eine Überwachung gestützt auf Art. 269 ff. StPO zulässig gewesen wäre. Im vorliegenden Fall geht es nicht um Überwachungen, die in der Schweiz im Rahmen eines hiesigen Strafverfahrens angeordnet und durchgeführt wurden. Streitig ist die Verwendung von Aufzeichnungen aus einer rechtshilfeweise im Ausland durchgeführten Kommunikationsüberwachung. Zwischen rechtshilfeweise erlangten allfälligen Zufallsfunden und solchen aus Überwachungen nach Art. 269 ff. StPO ist zu differenzieren (vgl. BGE 143 IV 270 E. 4.7; Urteil 1B_59/2014 vom 28. Juli 2014 E. 4.13).» (E.5.6).
«Der Vorinstanz ist ebenso darin zuzustimmen, dass sich im vorliegenden Fall keine „analoge“ Anwendung von Art. 278 i.V.m. Art. 274 StPO aufdrängt bzw. keine Gesetzeslücke vorliegt, die auf diesem Weg zu schliessen wäre. Sie berücksichtigt zu Recht, dass schon de lege lata allfällige, im Strafverfahren gestützt auf Art. 141 StPO vorgebrachte Einwände gegen solche Beweismittel – auch ohne vorgängiges förmliches Genehmigungsverfahren vor einem ZMG – „durchaus in einer rechtsstaatlich zumindest befriedigenden Weise gehandhabt werden“ könnten:
Beweise, die in Verletzung von Art. 140 StPO erhoben worden sind (durch Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können), sind in keinem Fall verwertbar. Dasselbe gilt, wenn die StPO einen Beweis als unverwertbar bezeichnet (Art. 141 Abs. 1 StPO). Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet (Art. 141 Abs. 5 StPO). Gestützt auf diese Bestimmungen kann, von Amtes wegen oder auf entsprechende Parteianträge hin, spätestens das erkennende Strafgericht in den Untersuchungsakten befindliche, rechtshilfeweise erhobene Beweismittel für ungültig erklären und nötigenfalls separat unter Verschluss halten. Insofern bleibt ein sachgerechter Rechtsschutz der Parteien gewährleistet, ohne dass das ZMG – über seinen gesetzlichen Zuständigkeitsbereich hinaus und „lückenfüllend“ – bereits im Vorverfahren einen definitiven Verwertungsentscheid mit weitreichenden prozessualen Folgen vorwegzunehmen und dabei dem Sachgericht vorzugreifen hätte (zu rechtspolitischen Vorschlägen vgl. auch Sabine Gless, Beweisverbote in Fällen mit Auslandsbezug, Juristische Rundschau, 2008/Heft 8, S. 321 f.; Claudio Riedi, Auslandsbeweise und ihre Verwertung im schweizerischen Strafverfahren, 2018, S. 74 ff.).
Dass diese Lösung nach Schweizer StPO de lege lata keinen ausreichenden Rechtsschutz gewährleisten würde, lässt sich auch aus einem von der Oberstaatsanwaltschaft eingereichten Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main vom 22. November 2021 nicht ableiten. Zwar wurde dort die akzessorische Verwertung von rechtshilfeweise erhaltenen ANOM-Aufzeichnungen im Rahmen eines Haftprüfungsverfahrens richterlich geprüft und zugelassen. Eine separate vorfrageweise Genehmigung durch ein Zwangsmassnahmengericht in jedem Strafuntersuchungsverfahren („analog“ Art. 274 i.V.m. Art. 278 der schweizerischen StPO) wurde aber auch vom Oberlandesgericht nach deutschem Recht nicht verlangt. Auch weitere von der Oberstaatsanwaltschaft zitierte Urteile anderer Gerichte (etwa Norwegens oder Österreichs) betrafen akzessorische Verwertungen in Haftprüfungsverfahren bzw. durch die erkennenden Strafgerichte. Im Übrigen ist zu beachten, dass das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft nicht auf einer unzulässigen „Beweisausforschung“ beruht. Das Rechtshilfegesuch stützte sich vielmehr auf konkrete und detailliert beschriebene Verdachtsgründe, wonach der Beschuldigte in der Schweiz an qualifiziertem Drogenhandel beteiligt war. Darüber hinaus kann offenbleiben, ob hier (nach amerikanischem Recht) überhaupt eine Fernmeldedienst-Überwachung im Sinne von Art. 274 i.V.m. Art. 278 StPO und Art. 2 lit. b BÜPF vorgelegen hätte und nicht eher eine Beweiserhebung über sogenannte abgeleitete Kommunikationsdienste (i.S.v. Art. 2 lit. c BÜPF), auf welche die Artikel 274 i.V.m. 278 StPO ohnehin nicht „analog“ anwendbar wären (vgl. BGE 143 IV 21 E. 3.1, 270 E. 4.7-4.8).» (E.5.7).
«Schliesslich ist auch noch was folgt zu beachten: Art. 278 StPO soll nach seinem klaren Wortlaut sicherstellen, dass im Rahmen von Fernmeldeüberwachungen nach Art. 269 ff. StPO neu ermittelte Zufallsfunde, nämlich Beweismittel zu anderen Straftaten (Art. 278 Abs. 1 StPO) oder Verdächtigen (Art. 278 Abs. 2 StPO), nur dann im Strafverfahren verwendet werden, wenn auch diesbezüglich eine Überwachung gestützt auf Art. 269 ff. StPO zulässig gewesen wäre (vgl. BGE 144 IV 254 E. 1.3; 141 IV 459 E. 3.1; 140 IV 40 E. 4.2; Urteile 1B_191/2018 vom 16. Oktober 2018 E. 4.2; 1B_59/2014 vom 28. Juli 2014 E. 3.3 und 4; Hansjakob/Pajarola, Zürcher Kommentar StPO, 3. Aufl. 2020, Art. 278 N. 25-39, 74-78; Marc Jean-Richard-dit-Bressel, Basler Kommenter StPO, 3. Aufl. 2023, Art. 278 N. 9-17). Nur in diesen „Fällen nach den Absätzen 1 und 2“ hätte die Staatsanwaltschaft ein Genehmigungsverfahren beim ZMG einzuleiten (Art. 278 Abs. 3 i.V.m. Art. 274 StPO). Der Fall von Art. 278 Abs. 1bis StPO betrifft Zufallsfunde aus Notsuchen und Fahndungen nach verurteilten Personen (Art. 35 f. BÜPF) und ist hier unbestrittenermassen nicht gegeben.
Im vorliegenden Fall ergab die Überwachung Informationen in den USA über den Beschuldigten. In der Folge wurden Aufzeichnungen über Kommunikationen mit seinem Kryptogerät rechtshilfeweise an die Schweiz übermittelt. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten (und weitere Mitbeschuldigte) wegen des Verdachts auf qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei eingeleitet, bevor sie am 27. August 2021 über das BJ ihr Rechtshilfegesuch an die USA stellte. Auch die neuen Erkenntnisse aus den rechtshilfeweise erhobenen Aufzeichnungen sollen gegen die bisherigen Verdächtigen, darunter den Beschuldigten, wegen der bisher bereits untersuchten Delikte (qualifizierter Drogenhandel und Geldwäscherei) verwendet werden. Damit lag hier zum Vornherein keine vom ZMG zu bewilligende Verwendung eines „Zufallsfundes“ i.S.v. Art. 274 i.V.m. Art. 278 StPO vor.
Im Übrigen besteht hier entgegen der Ansicht des Beschuldigten auch kein Ausnahmefall, bei dem die Unverwertbarkeit der rechtshilfeweise erhobenen Aufzeichnungen „bereits ohne Weiteres“ feststünde und vorab, durch einen vorfrageweisen Entscheid des ZMG im Untersuchungsverfahren, durchgesetzt werden müsste. Vielmehr ist dem abschliessenden Entscheid des Sachgerichtes über die Verwertbarkeit von Beweismitteln (Art. 141 StPO) nicht vorzugreifen.» (E.5.8).
«Nach dem Gesagten war das ZMG nicht zuständig für einen Genehmigungsentscheid gestützt auf Art. 278 i.V.m. Art. 274 StPO. Die im kantonalen Beschwerdeverfahren angefochtene Verfügung war bundesrechtswidrig, da das ZMG zu Unrecht das Vorliegen eines „Zufallsfundes“ im Sinne von Art. 278 StPO angenommen und zu Unrecht seine Zuständigkeit für einen diesbezüglichen Genehmigungsentscheid bejaht hatte. Ob die Verfügung des ZMG tatsächlich für nichtig zu erklären war oder ob die Vorinstanz sie stattdessen hätte formell aufheben müssen, kann offenbleiben. Durch ihre Nichtigerklärung entstand weder dem Beschuldigten (im Verfahren 7B_160/2022) noch der Oberstaatsanwaltschaft (im Verfahren 7B_159/2022) ein erkennbarer Prozessnachteil: Die vom Beschuldigten vorinstanzlich erhobenen prozessualen Rügen waren obsolet, da sie an der von Amtes wegen vorzunehmenden ersatzlosen Aufhebung der Verfügung des ZMG nichts zu ändern vermochten. Mit Kosten wurde der Beschuldigte im vorinstanzlichen Verfahren nicht belastet. Dass das Obergericht von einer Nichtigkeit der Verfügung des ZMG ausgeht, führt auch zu keiner prozessualen Beschwer der Oberstaatsanwaltschaft. Eine letzterer missfallende Begründung des angefochtenen Entscheides begründet keine solche und führt im Ergebnis zu keiner Bundesrechtswidrigkeit. Ein definitiver Entscheid des Sachgerichtes über die Verwertbarkeit (Art. 141 StPO) bildet nicht Gegenstand der Beschwerdeverfahren.» (E.5.9).
«Die noch beiläufig erhobene Rüge der Oberstaatsanwaltschaft, das Obergericht habe das rechtliche Gehör der Staatsanwaltschaft verletzt, weil es eine in Aussicht gestellte zusätzliche Akteneingabe nicht abgewartet habe, ist unbegründet. Wie die Vorinstanz darlegt, war der Schriftenwechsel mit Eingang der Beschwerdeantwort der Staatsanwaltschaft am 29. Juni 2022 abgeschlossen. In einer unaufgefordert eingereichten Eingabe vom 18. Oktober 2022 stellte die Staatsanwaltschaft mögliche weitere Akten in Aussicht. Dass die Vorinstanz nach Abschluss des Schriftenwechsels, Zeitablauf von knapp vier Monaten und Spruchreife der Beschwerdesache nicht nochmals und auf weitere unbestimmte Zeit hinaus allfällige zusätzliche, unaufgeforderte Eingaben der Staatsanwaltschaft abwartete, verletzt kein Bundesrecht. Die weiteren Rügen in den beiden Beschwerden haben keine über das bereits Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung.» (E.6).