Verletzung von Grundsatz von «in dubio pro duriore» 

Im Urteil 7B_692/2024 vom 8. April 2025 aus dem Kanton Obwalden befasst sich das Bundesgericht im Rahmen eines schweren Schlittel-Unfalls mit dem elementaren Grundsatz von «in dubio pro duriore». In Gutheissung der Beschwerde und Anweisung der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung erklärte es u.a.: «Eine Verfahrenseinstellung hat nach Art. 319 Abs. 1 StPO namentlich dann zu erfolgen, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Die Entscheidung über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz „in dubio pro duriore“ zu richten. Danach darf die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren nur bei offensichtlicher Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen einstellen (BGE 146 IV 68 E. 2.1; 143 IV 241 E. 2.2.1; je mit Hinweisen).» (E.2.2). «Die Vorinstanz verletzt erneut Bundesrecht, wenn sie von einer klaren Beweislage und von einem klaren Fall von Straflosigkeit ausgeht. Aufgrund der vorliegenden zweifelhaften Beweislage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht […]. Dieses wird das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht des Beschwerdegegners 2 beurteilen und bejahendenfalls die Frage einer Verletzung dieser Pflicht (namentlich aufgrund einer allfälligen mangelhaften Signalisation oder Präparierung des Schlittelwegs) beantworten sowie die weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen prüfen müssen. […].» (E.2.6).

Sachverhalt

Am 31. Dezember 2017 zwischen etwa 21.50 und 21.55 Uhr verunglückten A und B. anlässlich einer Schlittenfahrt auf dem Schlittelweg der Sportbahnen D. Auf ihrer Fahrt ab der Hütte E. Richtung U. gelangten sie unmittelbar nach der Rechtskurve im Bereich „F. “ vom Schlittelweg auf die Skipiste, wo sie die Herrschaft über den von ihnen gemeinsam benutzten Schlitten verloren und stürzten. A. erlitt infolge des Sturzes unter anderem eine Schädelbasisfraktur mit ausgedehnten Mittelgesichtsfrakturen und ist dauerhaft invalid. B. zog sich nebst Wirbelfrakturen eine Fraktur an der rechten Hand zu.

Instanzenzug

Mit Verfügung vom 23. Januar 2020 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) das von ihr gegen Unbekannt eröffnete Strafverfahren betreffend fahrlässige schwere Körperverletzung durch Unterlassen ein. Die von A. und B. dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Obwalden am 18. September 2020 ab.

Das Bundesgericht hiess mit Urteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 die von A. und B. dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen gut, hob den obergerichtlichen Beschluss vom 18. September 2020 auf und wies die Sache an das Obergericht des Kantons Obwalden zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen sowie an die Staatsanwaltschaft zur Fortführung der Strafuntersuchung zurück.

Mit Verfügung vom 6. Juni 2023 stellte die Staatsanwaltschaft das am 14. Juni 2022 gegen den damaligen Pisten- und Rettungschef C. eröffnete Strafverfahren wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung durch Unterlassen ein. Die von A. und B. gegen die Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Obwalden am 17. Mai 2024 ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Dagegen gelangen A. und B. am 24. Juni 2024 gemeinsam mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragen, der obergerichtliche Beschluss vom 17. Mai 2024 sei aufzuheben, die Sache sei an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und diese sei zur Anklageerhebung gegen C. zu verpflichten. Eventualiter sei der angefochtene Beschluss aufzuheben, die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese sei zu verpflichten, zur Frage der C. am 31. Dezember 2017 treffenden Verkehrssicherungspflicht weitere tatsächliche Voraussetzungen zu prüfen und anschliessend neu zu entscheiden. Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete am 4. Juli 2024 auf die Einreichung einer Vernehmlassung. Das Obergericht des Kantons Obwalden beantragt mit Eingabe vom 12. August 2024 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. C. ersucht (innert erstreckter Frist) mit Eingabe vom 18. September 2024 um Abweisung der Beschwerde. Diese Eingaben wurden den Beschwerdeführerinnen am 24. September 2024 zur Kenntnisnahme zugestellt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_692/2024 vom 8. April 2025 

Die Beschwerdeführerinnen rügen vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 StPO und von Art. 319 Abs. 1 StPO. Sie bringen zusammengefasst vor, die vorliegende Sach- und Rechtslage lasse eine Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 nicht zu (E.2.1).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_692/2024 vom 8. April 2025 generell zunächst wie folgt:

«Eine Verfahrenseinstellung hat nach Art. 319 Abs. 1 StPO namentlich dann zu erfolgen, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Die Entscheidung über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz „in dubio pro duriore“ zu richten. Danach darf die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren nur bei offensichtlicher Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen einstellen (BGE 146 IV 68 E. 2.1; 143 IV 241 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). Auf die zu diesem Grundsatz und zur Verkehrssicherungspflicht der Bergbahnunternehmen ergangene, im bundesgerichtlichen Rückweisungsurteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 bereits zitierte Rechtsprechung kann verwiesen werden (Urteil, a.a.O., E. 2.4.1, 2.4.3). Das Gleiche gilt für die im Rückweisungsurteil zitierten, von der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten (SKUS) ausgearbeiteten Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten und die von der Kommission Rechtsfragen auf Schneesportabfahrten der Seilbahnen Schweiz (SBS) herausgegebenen Richtlinien (Urteil, a.a.O., E. 2.4.4).» (E.2.2).

Fallbezogen äusserte sich das Bundesgericht im Urteil 7B_692/2024 vom 8. April 2025, welches bereits ein erstes Rückweisungsurteil gefällt hatte, wie folgt:

«Das Bundesgericht kam im Rückweisungsurteil zum Schluss, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, wenn sie ohne (eigenständige) Berücksichtigung sämtlicher Rahmenumstände, ohne Miteinbezug der Frage allfälliger Absprachen zwischen dem Veranstalter des Silvesteranlasses in der Hütte E. und den Sportbahnen D. und ohne Auseinandersetzung mit den sich im Zusammenhang mit der Sperrung des Schlittelwegs ergebenden Unstimmigkeit von einem klaren Sachverhalt und von einem klaren Fall von Straflosigkeit ausgehe (Urteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 E. 2.6).» (E.2.4.4).

«Das Bestehen und der Umfang der Verkehrssicherungspflicht beurteilen sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls (BGE 130 III 193 E. 2.3; Urteil 6B_985/2023 vom 8. Januar 2024 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Diese lassen im vorliegenden Fall entgegen der Würdigung der Vorinstanz eine Verkehrssicherungspflicht des Beschwerdegegners 2 nicht zweifelsfrei ausschliessen.» (E.2.5).

«Die Vorinstanz erwägt, die Sportbahnen D. seien durch den damaligen Betreiber der Hütte E. nicht aktiv über den Silvesteranlass 2017/2018 informiert und diesbezüglich seien keine Absprachen getroffen worden. Die Beschwerdegegnerin 1 hielt in der Einstellungsverfügung vom 6. Juni 2023 fest, der Beschwerdegegner 2 meine schon, dass er Kenntnis vom Silvesteranlass 2017/2018 in der Hütte E. gehabt habe, obwohl er sich „nicht mehr ganz sicher“ sei. Es habe an Silvester immer einen solchen Anlass gegeben. Zwar waren nach den vorinstanzlichen Feststellungen im Unfallzeitpunkt keine Pistenbearbeitungsmaschinen im Einsatz. Dies schliesst die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht bzw. deren Verletzung jedoch nicht zwingend aus, da die Umstände des konkreten Einzelfalls einen strengeren Massstab gebieten können, als ihn die SBS-Richtlinien (vgl. oben E. 2.3) vorsehen (vgl. Urteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 E. 2.4.3, 2.5.1).» (E.2.5.1).

«Für das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht im vorliegenden Fall sprechen weiter die am Unfalltag trotz des formell gesperrten Schlittelwegs weiterbestandene Miet- und Transportmöglichkeit sowie der am Unfalltag (und bis im April 2018) im Internet einsehbare Werbeflyer, der eine Schlittelmöglichkeit (auch) für den unfallrelevanten Zeitpunkt von 18.45 bis 22.00 Uhr propagierte. Der Umstand, dass die erfolgte Sperrung des Schlittelwegs – nach Würdigung der Vorinstanz – für die Schlittelgruppe der Beschwerdeführerinnen hinreichend erkennbar gewesen sein soll, vermag als solcher eine Verkehrssicherungspflicht nicht zweifelsfrei auszuschliessen (vgl. Urteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 E. 2.5.1). Unklar bleibt zudem, ob sich die Schlittelgruppe der Beschwerdeführerinnen betreffend Sonderbetriebs- und Öffnungszeiten des Schlittelwegs am fraglichen Werbeflyer orientierte. Dies kann aufgrund der Aussagen der Teilnehmer der Schlittelgruppe nicht klar verneint werden (vgl. Untersuchungsakten B.2 Ziff. 10, B.3 Ziff. 27, B.4a Ziff. 38).» (E.2.5.2).

«Weiter ist festzuhalten, dass unterschiedliche Gründe für die Sperrung des Schlittelwegs am 31. Dezember 2017 ab 17.06 Uhr angegeben wurden. Laut G., Geschäftsführer der Sportbahnen D. (Untersuchungsakten B.14 Ziff. 6 f.), soll das Silvesterschlitteln bereits Mitte Dezember 2017 wegen schlechter Schnee- und Pistenverhältnisse abgesagt bzw. die diesbezügliche Öffnungszeit des Schlittelwegs korrigiert worden sein (Untersuchungsakten B.14 Ziff. 49). Hingegen führte der Beschwerdegegner 2 aus, dass das Silvesterschlitteln Mitte Dezember 2017 hauptsächlich wegen des Wochentags abgesagt worden sei, da ein Nachtschlitteln am Sonntag nie organisiert worden sei (Untersuchungsakten B.19 Ziff. 11, 15 und 107). Weiter gab er zu Protokoll, es treffe nicht zu, dass der Schlittelweg um 17.06 Uhr wegen schlechten Wetters gesperrt worden sei. Das Wetter sei gut gewesen und die Situation sei unverändert gleich geblieben (Untersuchungsakten B.19 Ziff. 38). Eine klare Beweislage liegt auch diesbezüglich nicht vor.» (E.2.5.3).

«Eine Sperrung des Schlittelwegs am Unfalltag ab 17.06 Uhr bedeutet, dass sämtliche am Silvesteranlass teilnehmenden Personen, welche die Hütte E. per Schlitten oder Ski und nicht mit Schneeschuhen erreichten, vor dieser Sperrung dorthin gelangt und bis zur Öffnung des Schlittelwegs am Neujahrsmorgen um 1.00 Uhr dort verblieben wären, hätten sie sich nicht verbotenerweise auf den Schlittelweg begeben wollen. Solches erscheint nach wie vor wenig lebensnah (Urteil 6B_1209/2020 vom 26. Oktober 2021 E. 2.5.3) und nimmt selbst die Vorinstanz erneut nicht an.» (E.2.5.4).

«Die Vorinstanz verletzt erneut Bundesrecht, wenn sie von einer klaren Beweislage und von einem klaren Fall von Straflosigkeit ausgeht. Aufgrund der vorliegenden zweifelhaften Beweislage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1; Urteile 7B_1139/2024 vom 18. November 2024 E. 4.3.2; 7B_891/2024 vom 22. Oktober 2024 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). Dieses wird das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht des Beschwerdegegners 2 beurteilen und bejahendenfalls die Frage einer Verletzung dieser Pflicht (namentlich aufgrund einer allfälligen mangelhaften Signalisation oder Präparierung des Schlittelwegs) beantworten sowie die weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen prüfen müssen. Auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerinnen ist bei diesem Ausgang des Verfahrens nicht einzugehen.» (E.2.6).

«Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Auflage, die Sache danach an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung zurückzuweisen.» (E.3).

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