Verletzung des Anspruchs auf unabhängiges und unparteiisches Gericht

Im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der Frage der ordnungsgemässen Besetzung des Obergerichts des Kantons Zürich als Berufungsinstanz. Es äusserte sich u.a. wie folgt: «Will eine Partei einen Ablehnungsgrund im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemässen Zusammensetzung einer richterlichen Behörde geltend machen, muss sie diesen gemäss der Rechtsprechung zur Ablehnung geltend machen, sobald sie davon Kenntnis hat, ansonsten verfällt das Recht, sich später auf diesen Grund zu berufen […].  Sind allerdings die Umstände, die den Anschein der Befangenheit bewirken, derart offensichtlich, dass der Richter von sich aus hätte in den Ausstand treten müssen, ist dies stärker zu gewichten als eine verspätete Geltendmachung […].» (E.3.4.3). Das Bundesgericht heisst die Beschwerde wie folgt gut: «Aus dem soeben Ausgeführten ergibt sich, dass die Vorinstanz [Obergericht des Kantons Zürich] nicht ordentlich zusammengesetzt war, als sie das angefochtene Urteil vom 8. September 2023 fällte. Dasselbe gilt für den Nachtragsbeschluss vom 8. Januar 2024. Durch die in Widerspruch zur einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung und zudem gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Gerichtsbesetzung mit der Leitenden Gerichtsschreiberin […] als Ersatzrichterin hat die Vorinstanz den verfassungsmässigen Anspruch des Beschwerdeführers 1 auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 1 BV verletzt, weshalb die Beschwerden des Beschwerdeführers 1 in den Verfahren 6B_78/2024 und 6B_130/2024 gutzuheissen und das vorinstanzliche Urteil vom 8. September 2023 sowie der Nachtragsbeschluss vom 8. Januar 2024 aufzuheben sind. Die Sache ist zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.» (E.4.4.).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich wirft A. vor, am frühen Morgen des 26. Januar 2018 in der Raucherlounge des Clubs E. nach einer kurzen (verbalen) Auseinandersetzung mit B.B. mit einem Klappmesser mehrfach auf bzw. gegen dessen Kopf gestochen zu haben, wobei B.B. diverse Verletzungen am Kopf, am linken Unterarm sowie am Unterbauch erlitten habe und in der Folge notfallmässig habe operiert werden müssen. Anlässlich des Messerangriffs soll A. zudem C.B., welcher seinem Bruder B.B. zu Hilfe geeilt sei, in den rechten Arm geschnitten haben, wobei C.B. eine Schnittverletzung am rechten Unterarm erlitten habe.

Instanzenzug

Mit Urteil vom 2. Juli 2020 sprach das Bezirksgericht Zürich A. schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB sowie der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren; für die Zeit des Vollzugs ordnete es eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an. Das Bezirksgericht verwies ihn für 15 Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung im Schengener Informationssystem an. Zudem stellte es fest, dass er gegenüber B.B. sowie der D. AG je dem Grundsatz nach schadenersatzpflichtig ist, wobei es letztere beiden zur genauen Feststellung des Umfangs des Schadenersatzanspruchs auf den Zivilweg verwies. Weiter verpflichtete es A., B.B. Fr. 50’000.– sowie C.B. Fr. 1’000.–, je zuzüglich 5 % Zins ab dem 26. Januar 2018, als Genugtuung zu bezahlen.

Auf Berufung von A. und B.B. sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. am 18. November 2021 schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB und Art. 16 Abs. 1 StGB sowie der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB in Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 StGB und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Im Weiteren bestätigte das Obergericht die Anordnung einer ambulanten Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB. Die Dauer der Landesverweisung reduzierte es auf sechs Jahre. Es verpflichtete A., B.B. Schadenersatz im Betrag von Fr. 86’155.30, zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 14. April 2019, zu bezahlen. Überdies stellte es fest, dass A. gegenüber B.B. auch für die Zeit nach dem 2. Juli 2020 sowie der D. AG je dem Grundsatz nach schadenersatzpflichtig ist, wobei es letztere beiden zur genauen Feststellung des Umfangs des Schadenersatzanspruchs auf den Zivilweg verwies. Zudem verpflichtete das Obergericht A., B.B. Fr. 40’000.–, zuzüglich 5 % Zins ab dem 26. Januar 2018, als Genugtuung zu bezahlen. Die Genugtuungsforderung von C.B. wies es vollumfänglich ab.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025

Der Beschwerdeführer 1 rügt vor Bundesgericht die Zusammensetzung des Spruchkörpers durch die Vorinstanz (Verfahren 6B_78/2024). So beruhe die Bildung des Spruchkörpers auf keiner gesetzlichen Grundlage, wodurch Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt werde. Überdies sei Oberrichter Spiess, der bis anhin die Verfahrensleitung innegehabt habe, ohne ersichtliche Gründe aus dem Spruchkörper ausgeschieden und das Gericht stattdessen mit Oberrichterin Bertschi als Präsidentin, Ersatzoberrichterin Schoder als Referentin und Ersatzroberrichterin Laufer als Koreferentin zusammengesetzt worden. Ersatzoberrichterin Laufer sei ordentlicherweise als Leitende Gerichtsschreiberin in der zweiten Strafkammer (welche als Vorinstanz amtete) tätig. Zufolge bestehender informeller Hierarchieverhältnisse gegenüber der Ersatzoberrichterin Laufer bestehe der Anschein der Beeinflussung, was wiederum den Anspruch auf ein unabhängiges Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletze (E.2.1).

Das Bundesgericht erklärt zunächst im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025:

«Aus den Akten ergibt sich hinsichtlich der Mitteilung des Spruchkörpers folgender Ablauf: Mit E-Mail vom 9. Januar 2023 hat Oberrichter Spiess in seiner Eigenschaft als Verfahrensleiter die Parteien angefragt, ob sie mit der schriftlichen Durchführung des Neubeurteilungsverfahrens einverstanden seien. Nachdem der Beschwerdeführer 1 dagegen opponierte, wurde mit Schreiben vom 1. März 2023 zur Berufungsverhandlung auf den 5. September 2023 vorgeladen. Gleichzeitig wurde ohne Angabe von Gründen eine Änderung der Zusammensetzung des Spruchkörpers angekündigt mit Oberrichterin Bertschi als Vorsitzende und Ersatzoberrichterin Laufer. Mit Schreiben vom 7. März 2023 wies der Beschwerdeführer 1 darauf hin, dass die Mitwirkung der Leitenden Gerichtsschreiberin Laufer als Ersatzoberrichterin der bundesgerichtlichen Rechtsprechung widerspreche. Mit Schreiben vom 14. März 2023 erwiderte Oberrichterin Bertschi als neue Verfahrensleiterin, dass ihr diese Rechtsprechung bekannt sei. Da zwischen Ersatzoberrichterin Laufer und ihr jedoch kein Weisungs- oder Unterordnungsverhältnis bestehe, widerspreche die angekündigte Gerichtsbesetzung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht. Der Beschwerdeführer 1 wurde aufgefordert, zu verdeutlichen, ob gegen die angekündigte Besetzung mit Ersatzoberrichterin Laufer als Koreferentin Einwände bestehen. Am 12. April 2023 teilte dieser mit, dass neben den bereits geltend gemachten funktionellen und organisatorischen Gründen keine weiteren Einwände gegen den Einsatz der Leitenden Gerichtsschreiberin Laufer als Ersatzoberrichterin bestünden.» (E.2.2).

Das Bundesgericht äussert sich generell-abstrakt im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025 wie folgt:

«Die richterliche Unabhängigkeit ist sowohl als grundrechtlicher Anspruch (Art. 30 Abs. 1 BV) als auch als institutionelle Garantie der richterlichen Behörden (Art. 191c BV) in der Bundesverfassung verankert. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Die Garantie wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung der Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit besteht (BGE 149 I 14 E. 5.3.2; 147 III 379 E. 2.3.1; 144 I 159 E. 4.3; Urteil 7B_1156/2024 vom 16. Dezember 2024 E. 2.1; je mit Hinweisen). Dabei kann die Garantie des unabhängigen und unbefangenen Gerichts insbesondere durch organisatorische Gegebenheiten tangiert sein (BGE 149 I 14 E. 5.3.2; 147 III 577 E. 6; 147 I 173 E. 5.1). Es obliegt den Behörden, die Einhaltung des sich aus Art. 30 BV ergebenden Anspruchs zu gewährleisten (Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 1.1 mit Hinweis).» (E.3.1).

«Im ebenfalls den Kanton Zürich betreffenden BGE 149 I 14 entschied das Bundesgericht, die Einsetzung einer Gerichtsschreiberin und eines Gerichtsschreibers der entscheidenden Kammer als Richterin und Richter in eben dieser Kammer sei zufolge informeller Hierarchie innerhalb des Spruchkörpers aufgrund der Weisungsgebundenheit der Gerichtsschreiberin/des Gerichtsschreibers gegenüber den ebenfalls im selben Spruchkörper mitwirkenden Richterinnen/Richter nicht mit dem Anspruch auf ein unabhängiges Gericht zu vereinbaren (BGE 149 I 14 E. 5 mit zahlreichen Hinweisen). In einem weiteren den Kanton Zürich betreffenden Urteil 1B_519/2022 vom 1. November 2022 E. 2.3 präzisierte das Bundesgericht, an dieser Einschätzung ändere der Umstand nichts, dass der am angefochtenen Beschluss beteiligte ordentliche Oberrichter den Vorsitz der Kammer nur in Vertretung ausübe.» (E.3.2).

«Der Anspruch auf ein unabhängiges Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist formeller Natur, womit seine Verletzung ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führt (BGE 149 I 14 E. 5.4; 142 I 93 E. 8.3 mit Hinweisen). Indessen führt der Einsatz einer Gerichtsschreiberin/eines Gerichtsschreibers als Richterin/Richter in derselben Kammer nicht zu einer Nichtigkeit des entsprechenden Entscheides, da es sich bei diesen nichtsdestotrotz um gewählte und damit demokratisch legitimierte Gerichtspersonen handelt (BGE 149 I 14 E. 5.4).» (E.3.3).

«Gemäss Art. 5 Abs. 3 BV müssen staatliche Organe und Privatpersonen nach Treu und Glauben handeln. Aus diesem allgemeinen Grundsatz leitet sich insbesondere das in Art. 9 BV verankerte Grundrecht des Einzelnen auf Schutz von Treu und Glauben in seinen Beziehungen zum Staat ab, dessen Einhaltung das Bundesgericht frei überprüft (BGE 147 IV 274 E. 1.10.1; 144 IV 189 E. 5.1; 138 I 49 E. 8.3.1 mit Hinweisen). Der Grundsatz von Treu und Glauben wird auch in Art. 3 Abs. 2 Bst. a StPO konkretisiert und betrifft im Strafverfahren nicht nur die Strafbehörden, sondern gegebenenfalls auch die verschiedenen Parteien, einschliesslich des Beschuldigten (BGE 147 IV 274 E. 1.10.1; 144 IV 189 E. 5.1; 143 IV 117 E. 3.2; Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 3.4).» (E.3.4).

«Generell gilt, dass eine Partei, die bemerkt, dass eine Verfahrensregel zu ihrem Nachteil verletzt wird, nicht das Verfahren seinen Lauf nehmen lassen darf, ohne zu reagieren, um sich zum Beispiel einen Nichtigkeitsgrund vorzubehalten für den Fall, dass das zu ergehende Urteil sie nicht befriedigen wird. Dilatorische Manöver dieser Art sind unzulässig. Daher geht die Partei, die bewusst darauf verzichtet, die Verletzung einer Verfahrensregel vor einem Gericht geltend zu machen, das in der Lage wäre, deren Konsequenzen zu beheben, grundsätzlich des Rechts verlustig, diese Verletzung vor dem Bundesgericht geltend zu machen (vgl. BGE 138 I 97 E. 4.1.5; 135 III 334 E. 2.2; Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 1.3.1; mit Hinweisen).» (E.3.4.2).

«Will eine Partei einen Ablehnungsgrund im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemässen Zusammensetzung einer richterlichen Behörde geltend machen, muss sie diesen gemäss der Rechtsprechung zur Ablehnung geltend machen, sobald sie davon Kenntnis hat, ansonsten verfällt das Recht, sich später auf diesen Grund zu berufen (BGE 149 III 12 E. 3.2.1; 143 V 66 E. 4.3; Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 1.3.2; je mit Hinweisen).  Sind allerdings die Umstände, die den Anschein der Befangenheit bewirken, derart offensichtlich, dass der Richter von sich aus hätte in den Ausstand treten müssen, ist dies stärker zu gewichten als eine verspätete Geltendmachung (BGE 139 III 120 E. 3.2.2; 134 I 20 E. 4.3.2; Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 1.3.2; je mit Hinweisen).» (E.3.4.3).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025 dann wie folgt:

«Vorliegend war der Vorinstanz [Obergericht des Kantons Zürich] seit Eröffnung des Urteils 1B_519/2022 vom 1. November 2022 bekannt, dass der Einsatz einer Gerichtsschreiberin in derselben Kammer (in welcher sie ordentlicherweise amtet) als Ersatzrichterin auch dann den Anspruch auf ein unabhängiges Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, wenn statt des Kammerpräsidenten ein Kammermitglied in Vertretung den Vorsitz ausübt. Die auf den Hinweis des Beschwerdeführers vom 7. März 2023 erfolgte Antwort der Verfahrensleitung, mit welcher erwidert wurde, die bundesgerichtliche Rechtsprechung sei bekannt, da zwischen der Ersatzoberrichterin Laufer und der vorsitzenden Richterin Bertschi jedoch kein Weisungs- oder Unterordnungsverhältnis bestehe, widerspreche die angekündigte Gerichtsbesetzung der bundesgerichtlichen Rechtsprechug nicht, erweist sich daher als falsch.» (E.4.1).

«Im Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 hielt das Bundesgericht fest, bei der Unvereinbarkeit der Tätigkeit einer Gerichtsschreiberin/eines Gerichtsschreibers als Richterin/Richter in derselben Kammer, an welcher diese/dieser ordentlicherweise tätig ist, handle es sich seit Bekanntwerden der diesbezüglichen Rechtsprechung um einen offensichtlichen Ausstandsgrund, der das Gericht dazu verpflichte, diesen von sich aus zu berücksichtigen. Einer Partei die Verspätung eines entsprechenden Ausstandsbegehrens vorzuhalten, obwohl das Gericht von sich aus hätte vorgehen müssen, lasse sich mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbaren (Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 2.3). Vorliegend hat der Beschwerdeführer 1 im vorinstanzlichen Verfahren zwar letztendlich darauf verzichtet, ein formelles Ausstandsgesuch zu stellen. Die vorinstanzliche Verfahrensleitung hätte jedoch in Kenntnis der klaren bundesgerichtlichen Rechtsprechung den Einsatz von Gerichtsschreiberin Laufer als Ersatzrichterin nicht in Aussicht nehmen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, von sich aus für eine ordentliche Gerichtsbesetzung zu sorgen. Nachdem der Beschwerdeführer 1 auf die diesbezügliche Ankündigung der Gerichtsbesetzung vom 1. März 2023 am 7. März 2023 auf den Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung hingewiesen hatte, erweist sich jedoch das Beharren seitens der Verfahrensleitung der Vorinstanz an der angekündigten Gerichtsbesetzung mit Schreiben vom 14. März 2023 – notabene mit dem Hinweis die bundesgerichtliche Rechtsprechung sei bekannt, in der vorliegenden Konstellation jedoch nicht einschlägig – in Verbindung mit der Aufforderung an den Beschwerdeführer 1, zu verdeutlichen, ob gegen die angekündigte Besetzung Einwände bestünden, als Verstoss gegen Treu und Glauben. Hinzu kommt, dass sich auch aus dem Antwortschreiben des Beschwerdeführers 1 vom 12. April 2023 kein Verzicht auf eine verfassungsgemässe Gerichtsbesetzung ableiten lässt. In diesem Schreiben teilte der Beschwerdeführer 1 der Vorinstanz mit, dass „neben den bereits geltend gemachten funktionellen und organisatorischen Gründen keine weiteren Einwände gegen den Einsatz der Leitenden Gerichtsschreiberin Laufer als Ersatzoberrichterin“ bestünden.» (E.4.2).

«Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Einsatz von Gerichtsschreiberinnen/Gerichtsschreiber als Ersatzrichter in derselben Kammer die dem Bundesgericht untergeordneten Gerichte verpflichtet, dieser Rechtsprechung von sich aus nachzuleben. Das Vorgehen der Vorinstanz, im Wissen um die Rechtswidrigkeit der angekündigte Gerichtsbesetzung die Parteien auf ein formelles Ausstandsgesuch zu verweisen, ist unter dem Aspekt von Treu und Glauben nicht hinnehmbar. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist für die untergeordneten Instanzen verbindlich und deren Respektierung kann nicht der Parteidisposition anheimgestellt werden. Gegenüber diesem Verstoss gegen verfassungsrechtliche Prinzipien (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 5 Abs. 3 BV, Art. 9 BV) tritt die Pflicht der Partei, Ausstandsgründe rechtzeitig geltend zu machen, klar in den Hintergrund, mit der Folge, dass solche auch ohne vorgängig gestelltes formelles Ausstandsgesuch im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht vorgebracht werden können. Davon abgesehen hat der Beschwerdeführer die rechtswidrige Gerichtsbesetzung bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorgebracht (wenn auch ohne auf einen diesbezüglichen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 92 Abs. 1 BGG zu beharren).» (E.4.3).

«Aus dem soeben Ausgeführten ergibt sich, dass die Vorinstanz nicht ordentlich zusammengesetzt war, als sie das angefochtene Urteil vom 8. September 2023 fällte. Dasselbe gilt für den Nachtragsbeschluss vom 8. Januar 2024. Durch die in Widerspruch zur einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung und zudem gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Gerichtsbesetzung mit der Leitenden Gerichtsschreiberin Laufer als Ersatzrichterin hat die Vorinstanz den verfassungsmässigen Anspruch des Beschwerdeführers 1 auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 1 BV verletzt, weshalb die Beschwerden des Beschwerdeführers 1 in den Verfahren 6B_78/2024 und 6B_130/2024 gutzuheissen und das vorinstanzliche Urteil vom 8. September 2023 sowie der Nachtragsbeschluss vom 8. Januar 2024 aufzuheben sind. Die Sache ist zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers 1 brauchen demzufolge vorliegend nicht beurteilt zu werden. Zufolge Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils wird die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 im Verfahren 6B_107/2024 gegenstandslos. In Anbetracht der prozessualen Natur des untersuchten Mangels und da das Bundesgericht die Sache nicht materiell behandelt hat und somit den Ausgang der Sache nicht vorwegnimmt, kann die Rückweisung ohne vorherigen Schriftenwechsel erfolgen (vgl. BGE 133 IV 293 E. 3.4.2; Urteil 6B_1381/2023 vom 11. November 2024 E. 3).» (E.4.4.).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerden im Urteil 6B_78/2024, 6B_107/2024, 6B_130/2024 vom 10. Januar 2025 gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht des Kantons Zürich zurück.

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