Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO

Im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 aus dem Kanton Bern (zur amtl. Publ. vorgesehen) äusserte sich das Bundesgericht ausführlich zur Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO. Hier sind die Schlüsselaussagen dieses Leiturteils: «Folglich richtet sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 lit.b StPO zunächst nach dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Im weiteren Verlauf des Verfahrens letztlich aber danach, welche Strafe und/oder Massnahme für das Einzelgericht konkret in Frage kommt (in Präzisierung von BGE 147 IV 329 E. 2.8, der lediglich festhält, für die Grenze von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO sei massgebend, welchen Freiheitsentzug der Betroffene aufgrund des Urteils des Einzelgerichts insgesamt zu erdulden habe; […].» (E.2.4.3). «Zusammengefasst legen die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO (d.h. die fehlende explizite Regelung, wie sie in Art. 352 Abs. 2 StPO besteht) sowie letztlich auch der systematische Kontext nahe, dass bei der Einhaltung der Maximalgrenze von zwei Jahren nicht auf die Gesamtheit der Sanktionen abzustellen ist. Die Einhaltung dieser Obergrenze richtet sich, ungeachtet einer zugleich beantragten bzw. ausgefällten Geldstrafe, somit alleine nach der Dauer der von der Staatsanwaltschaft beantragten bzw. vom Einzelgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe, wobei einer allenfalls zugleich zu widerrufenden bedingten freiheitsentziehenden Sanktion und/oder zu widerrufenden bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug Rechnung zu tragen ist (vgl. BGE 147 IV 329 E. 2.8 f.). Dass die Geldstrafe mangels unmittelbar freiheitsentziehenden Charakters nicht einzubeziehen ist, drängt sich auch deshalb auf, weil der Gesetzgeber die Grenze von zwei Jahren in Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO bewusst an Art. 42 Abs. 1 StGB angelehnt und sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts folglich am unmittelbaren Freiheitsentzug zu orientieren hat, der abstrakt noch bedingt ausgesprochen werden kann. Das Einzelgericht soll keine Strafe aussprechen können, die abstrakt zwingend immer eine freiheitsentziehende Wirkung hat, wie dies bei Freiheitsstrafen über zwei Jahren und freiheitsentziehenden Massnahmen der Fall ist. In concreto hängt die Zuständigkeit des Einzelgerichts jedoch nicht von der Möglichkeit des bedingten Vollzugs ab […]. Eine solche Auslegung von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO dient sodann nicht nur der Rechtssicherheit sondern letzten Endes auch dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck, die Kollegialgerichte zu entlasten. […]» (E.2.6). Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich mithin ohne Weiteres, dass sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO grundsätzlich auch auf die Anordnung von Massnahmen – ausser der Verwahrung (Art. 64 StGB) sowie der stationären therapeutischen Massnahme (Art. 59 Abs. 3 StGB) – und damit ebenso auf das Aussprechen einer Landesverweisung, die primär als sichernde Massnahme zu verstehen ist […], erstreckt. Auch wenn eine Landesverweisung von der Intensität her vergleichbar mit einer freiheitsentziehenden Sanktion von einem Jahr sein […], dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass auch ein Einzelgericht eine Landesverweisung aussprechen kann.» (E.2.7).

Sachverhalt

Mit Urteil vom 3. Juni 2022 stellte das Regionalgericht Emmental-Oberaargau (Einzelgericht) das Verfahren gegen A. wegen Tätlichkeiten ein und sprach ihn zudem vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG; SR 142.20) durch Verletzung der Anmeldepflichten frei. Hingegen sprach es ihn des Diebstahls, der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs, der Tätlichkeiten, der mehrfachen Beschimpfung, der mehrfachen Drohung, der Hinderung einer Amtshandlung, des geringfügigen Diebstahls, der mehrfachen einfachen Widerhandlungen gegen das BetmG (durch Besitz, Veräussern und Anstaltentreffen zum Veräussern von Heroin), der mehrfachen Konsumwiderhandlungen gegen das BetmG, des Überlassens eines Motorfahrzeugs an einen Führer, der den erforderlichen Ausweis nicht hat, der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit als Motorfahrzeugführer und des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises schuldig. Die Einzelrichterin des Regionalgerichts verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten, einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 30.–, jeweils bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, und zu einer Busse von Fr. 700.–. Weiter sprach sie eine Landesverweisung für die Dauer von sechs Jahren mit Eintrag im Schengener Informationssystem (SIS) aus. Schliesslich regelte sie die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen und entschied über die Zivilklagen bzw. verwies diese auf den Zivilweg. Dagegen erhob A. Berufung.

Instanzenzug

Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 27. September 2023 das Urteil der Einzelrichterin des Regionalgerichts im Straf- und Schuldpunkt, soweit es nicht dessen Rechtskraft feststellte.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. September 2023 und das Urteil der Einzelrichterin des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau vom 3. Juni 2022, soweit dieses bereits in Rechtskraft erwachsen sei, seien vollumfänglich aufzuheben und die Sache sei zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuweisen. Er ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024  

Das Bundesgericht bemerkt im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 einleitend:

«Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO, von Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 BV sowie von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Für die Frage, ob der Strafrahmen von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO eingehalten sei, seien die Sanktionen in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Dabei seien allfällige Geldstrafen und Bussen mit der Freiheitsstrafe zu kumulieren. Die Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau habe am 12. Oktober 2021 Anklage beim Einzelgericht erhoben. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung habe sie eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten, eine Geldstrafe von 22 Tagessätzen und eine Busse von Fr. 1’000.– beantragt. Indem die erste Instanz eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten und eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen ausgefällt habe, habe sie ihre Urteilskompetenz als Einzelgericht (Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO) überschritten. Sein Verfahren sei somit vor einem unzuständigen Gericht in einer unzulässigen Gerichtszusammensetzung verhandelt worden. Zudem gehe es in seinem Fall nicht nur um eine insgesamt 24 Monate überschreitende Sanktion, denn es sei auch noch eine Landesverweisung von sechs Jahren angeordnet worden. Deshalb stelle sich die Frage, ob es wirklich dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dem Einzelrichter eine solch grosse Verantwortung zu übertragen.» (E.2.1).

«Die Vorinstanz erwägt, das Bundesgericht habe die Frage, ob Geldstrafen oder Bussen bei Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO umzurechnen und beim Freiheitsentzug entsprechend anzurechnen seien, noch nicht entschieden. Im BGE 147 IV 329 habe es lediglich festgehalten, die Grenze von zwei Jahren sei streng zu handhaben und dürfe unter keinen Umständen überschritten werden. Massgeblich sei dabei, welchen Freiheitsentzug der Betroffene aufgrund des Urteils des Einzelgerichts insgesamt zu erdulden habe. Dies ergäbe sich ausdrücklich aus der in Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO enthaltenen Regel, wonach widerrufene bedingte Sanktionen bei der Beurteilung, ob die Kompetenz des Einzelgerichts noch gegeben sei, einzubeziehen seien. Das Bundesgericht habe geprüft, ob ein Widerruf der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug gleich zu berücksichtigen sei, wie der Widerruf einer bedingt vollziehbaren Strafe. Zur Frage, ob gleichzeitig ausgesprochene Freiheits- und Geldstrafen zu „kumulieren“ seien, habe es sich nicht geäussert (Urteil S. 9 f. E. 6). Die Vorinstanz gelangt zur Überzeugung, die Lehre spreche sich ebenfalls dafür aus, dass die Zuständigkeit beim Einzelgericht liege, wenn im Falle von Freiheitsstrafen bei gleichzeitigem Widerruf bedingter Sanktionen oder bedingter Entlassungen zusammengerechnet der Freiheitsentzug nicht mehr als zwei Jahre dauere. Zusätzlich werde in der Lehre für die Frage einer allfälligen Zusammenrechnung von Freiheits- und Geldstrafen auf die analoge Handhabung bei Art. 352 StPO verwiesen. An der Konferenz der Strafabteilung der Vorinstanz vom 4. Juli 2022 sei die Frage der einzelrichterlichen Kompetenz – nach einem Austausch mit der Generalstaatsanwaltschaft – diskutiert worden. Eine Mehrheit habe sich gegen eine Kumulation von Freiheits- und Geldstrafen ausgesprochen. BGE 147 IV 329 sei als wenig hilfreich erachtet worden. Auch eine analoge Handhabung wie bei Art. 352 StPO sei nicht zielführend, da mit Blick auf den klaren Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO, seiner Entstehungsgeschichte und seinem systematischen Kontext kein Umrechnen und Zusammenzählen einer Geldstrafe mit der von der Staatsanwaltschaft beantragten Freiheitsstrafe zu erfolgen habe. Anders als Art. 352 StPO enthalte Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO keine Regelung, wie bei Geldstrafen bzw. Bussen vorzugehen sei. Eine analoge Handhabung gemäss Art. 352 StPO entfalle somit, zumal es dem Gesetzgeber – hätte er eine Umrechnung vorsehen wollen – ohne Weiteres möglich gewesen wäre, dies explizit im Gesetz aufzunehmen. Darauf sei jedoch verzichtet worden, was im Ergebnis gegen eine Kumulation von Freiheits- und Geldstrafen spreche. Hinzu komme, dass eine Beurteilung durch ein Einzelgericht für die beschuldigte Person in der Regel vorteilhafter sei, weil dieses oft schneller urteilen könne und die Gerichtskosten tiefer ausfallen würden. Ausserdem sei im Urteilszeitpunkt davon auszugehen, dass die ausgefällte Geldstrafe bezahlt werden könne, andernfalls gestützt auf Art. 41 Abs. 1 lit. b StGB bereits im Urteilszeitpunkt auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden müsse. Ob die ausgefällte Geldstrafe letztlich einbringlich sei, sei im Urteilszeitpunkt noch offen. Selbst wenn eine Geldstrafe am Ende nicht bezahlt werden könne, würden der beschuldigten Person vor der Umwandlung in eine Freiheitsstrafe noch diverse Möglichkeiten wie beispielsweise die Zahlung in Raten offenstehen. Diese Aspekte sprächen ebenfalls dafür, eine Freiheits- und Geldstrafe nicht zu kumulieren. Daher habe die erste Instanz mit dem Ausfällen einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten und einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen ihre einzelrichterliche Kompetenz nach Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO nicht überschritten (Urteil S. 10 f. E. 6).» (E.2.2).

Das Bundesgericht führt alsdann im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 generell-abstrakt aus:

«Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt (vgl. auch Art. 6 Ziff. 1 EMRK).» (E.2.3.1).

«Gemäss Art. 19 Abs. 2 StPO können Bund und Kantone als erstinstanzliches Gericht ein Einzelgericht vorsehen für die Beurteilung von (a) Übertretungen; (b) Verbrechen und Vergehen, mit Ausnahme derer, für welche die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB, eine Behandlung nach Artikel 59 StGB (bzw. nach Artikel 59 Abs. 3 StGB, in der bis 31. Dezember 2023 gültigen Fassung) oder, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren beantragt.  

Nach Art. 55 Abs. 2 des Einführungsgesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung (EG ZSJ; BSG 271.1) erhebt die Staatsanwaltschaft in Wirtschaftsstraffällen beim Einzelgericht des Wirtschaftsstrafgerichts Anklage, wenn zusätzlich [zu den zuvor in Abs. 1 genannten Merkmalen] die Voraussetzungen von Artikel 19 Absatz 2 StPO vorliegen. In den übrigen Fällen erhebt die Staatsanwaltschaft beim Regionalgericht Anklage, wobei sie in der Anklageschrift den Spruchkörper bezeichnet, nämlich (lit. a) das Einzelgericht, sofern die Voraussetzungen von Artikel 19 Absatz 2 StPO vorliegen, (lit. b) das Kollegialgericht in der Besetzung mit vier Laienrichterinnen und Laienrichtern, sofern sie eine Freiheitsstrafe von über fünf Jahren oder Verwahrung im Sinne von Artikel 64 StGB beantragt, (lit. c) das Kollegialgericht in der Besetzung mit zwei Laienrichterinnen oder Laienrichtern in den übrigen Fällen (Art. 56 Abs. 1 und 2 EG ZSJ).» (E.2.3.2).

«Der Vorentwurf zur Schweizerischen Strafprozessordnung vom Juni 2001 sah die Urteilskompetenz des Einzelgerichts bei Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor (Art. 24 Abs. 1 lit. b). Dies wurde im Vernehmlassungsverfahren als zu weit kritisiert. Dem trug der Bundesrat Rechnung. Er schlug vor, die Grenze bei zwei Jahren festzusetzen; dies in Anlehnung an Art. 42 Abs. 1 StGB, wonach die Möglichkeit des bedingten Vollzugs bei Freiheitsstrafen ebenfalls bis zu zwei Jahren besteht (BGE 147 IV 329 E. 2.4 mit Hinweis auf die Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1139; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Petit commentaire du Code de procédure pénale, 2. Auflage, Basel 2016, N. 11 zu Art. 19 StPO; KIPFER/LUKÁCS, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2023, N. 5 zu Art. 19 StPO; HENZELIN/MAEDER MORVANT, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 8 zu Art. 19 StPO). In der parlamentarischen Beratung wurde der Vorschlag des Bundesrats teilweise immer noch als zu weit angesehen. Im Ständerat beantragte die Minderheit, die Urteilskompetenz des Einzelgerichts auf ein Jahr zu begrenzen; im Nationalrat auf sechs Monate. Beides lehnten die Räte ab und stimmten dem Entwurf des Bundesrats zu (BGE 147 IV 329 E. 2.4 mit Hinweisen). Von der ihnen nach Art. 19 Abs. 2 StPO eingeräumten Befugnis machen der Bund und die Kantone unterschiedlich Gebrauch. Nur die Kantone Bern, Genf, Jura, Neuenburg, Tessin, Wallis und Zug räumen dem Einzelgericht eine Urteilskompetenz bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ein; ebenso der Bund. Nebst dem Kanton Solothurn beschränkt der Kanton Freiburg die Urteilskompetenz des Einzelgerichts auf 18 Monate. Aargau, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, Nid- und Obwalden, St. Gallen, Schaffhausen, Uri, Waadt sowie Zürich legen die Grenze bei 12 Monaten fest. Der Kanton Schwyz sieht die Zuständigkeit des Einzelgerichts nur bei Übertretungen und Einsprachen gegen Strafbefehle vor, der Kanton Glarus lediglich bei Übertretungen. Kein Einzelgericht kennen Appenzell Innerrhoden, Graubünden und Thurgau. Demnach schöpft die deutliche Mehrheit der Kantone die ihnen von Art. 19 Abs. 2 StPO gewährte Befugnis nicht aus. Dies zeigt, dass die im Gesetzgebungsverfahren bereits auf zwei Jahre herabgesetzte Urteilskompetenz des Einzelgerichts überwiegend immer noch als zu weit angesehen wird. Auch im Schrifttum wird der von Art. 19 Abs. 2 StPO vorgesehene Kompetenzrahmen für das Einzelgericht als zu weit kritisiert. Er sei rechtsstaatlich bedenklich. Die Zurückdrängung des Kollegialprinzips im Bereich mittelschwerer Kriminalität stelle eine fragwürdige Rationalisierung dar (BGE 147 IV 329 E. 2.5 f. mit Hinweisen; RIEDO/MEILE, ZBJV 1/2023 S. 23).» (E.2.3.3).

«Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, d.h. nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode. Das Bundesgericht befolgt einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis in dieser Situation eine von den Materialien abweichende Lösung kaum nahelegen (vgl. BGE 148 IV 247 E. 3, 96 E. 4.4.1; 146 II 201 E. 4.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3.4).

«Zunächst ist zu präzisieren, dass bei der Frage, ob die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO und damit auch, ob die Obergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe eingehalten wurde, gemäss dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht einfach auf die tatsächlich vom Einzelgericht ausgesprochene Strafe abzustellen ist. Vielmehr richtet sich die Zuständigkeit des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO zunächst nach dem Antrag, den die Staatsanwaltschaft diesem stellt (vgl. Urteile 6B_771/2017 vom 19. Januar 2018 E. 1.4; 6B_762/2017 vom 19. Januar 2018 E. 5.4; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung mit JStPO, StBOG und weiteren Erlassen, Orell Füssli Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 19 StPO; HENZELIN/MAEDER MORVANT, a.a.O., N. 8 zu Art. 19 StPO; MARKO CESAROV, Zur sachlichen Zuständigkeit des Einzelgerichts, forumpoenale 1/2014, S. 41 ff., S. 41). Mit anderen Worten ist bei der Frage der Zuständigkeit des Einzelgerichts vorab, d.h. bei der Prüfung der Zuständigkeit durch die Verfahrensleitung im Rahmen der Eintretensprüfung i.S.v. Art. 329 Abs. 1 StPO, somit der Antrag der Staatsanwaltschaft massgebend.» (E.2.4.1).

«Hingegen muss die Anklage nicht zwingend schon die Anträge zur Sanktion enthalten (vgl. Art. 325 StPO zum Inhalt der Anklageschrift; Urteile 6B_205/2019 vom 9. August 2019 E. 1.2.1; 6B_887/2016, 6B_888/2016 und 6B_891/2016 vom 6. Oktober 2016 E. 4.2). Die Staatsanwaltschaft kann im Zeitpunkt der Anklage gemäss Art. 326 Abs. 1 lit. f StPO bloss ankündigen, die Anträge zu den Sanktionen würden erst an der Hauptverhandlung gestellt. Sie muss in der Anklageschrift jedoch sagen, an welches Gericht sich die Anklage richtet. Sofern keine Anträge gestellt werden, genügt es dabei nicht, lediglich das örtlich zuständige erstinstanzliche Gericht zu bezeichnen, sondern diesfalls muss präzisiert werden, ob das Einzel- oder das Kollegialgericht gemeint ist (FRANZ RIKLIN, a.a.O., N. 3 zu Art. 19 StPO). Die StPO sieht die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft an der mündlichen Hauptverhandlung nur vor, wenn diese eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt (Art. 337 Abs. 3 StPO) oder wenn das Gericht dies aus anderen Gründen für nötig erachtet (Art. 337 Abs. 4 StPO). Gemäss Art. 337 Abs. 1 StPO steht es der Staatsanwaltschaft frei, dem Gericht schriftliche Anträge zu stellen oder persönlich vor Gericht aufzutreten. Sodann ist sie weder an die in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Würdigung noch an die darin gestellten Anträge gebunden (Art. 337 Abs. 2 StPO). Es steht ihr daher frei, vor Gericht über die Anträge in der Anklageschrift hinauszugehen (Urteil 6B_1404/2020 vom 17. Januar 2022 E. 2.5.4, nicht publ. in BGE 148 IV 124 E. 2.6). Gelangt das Einzelgericht im Verlaufe des Verfahrens zum Schluss, in einem bei ihm hängigen Verfahren komme eine Strafe oder Massnahme in Frage, die seine Urteilskompetenz überschreitet, so überweist es den Fall spätestens nach Abschluss der Parteivorträge dem zuständigen Gericht. Dieses führt ein eigenes Beweisverfahren durch (vgl. Art. 334 Abs. 1 StPO). Denn das Gericht ist zwar an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung (Art. 350 Abs. 1 StPO) oder an die von der Staatsanwaltschaft beantragte Sanktion gebunden (Urteile 6B_1032/2017 vom 1. Juni 2018 E. 6.2 mit Hinweis; 6B_565/2014 vom 7. Oktober 2014 E. 4). Aus prozessökonomischen Gründen empfiehlt es sich deshalb, im Zweifelsfall frühzeitig die Überweisung vorzunehmen, damit die unnötige Wiederholung von Teilen der Gerichtsverhandlung vermieden werden kann (JONAS ACHERMANN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 3 zu Art. 334 StPO).» (E.2.4.2).

«Folglich richtet sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.V. Art. 19 Abs. 2 lit.b StPO zunächst nach dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Im weiteren Verlauf des Verfahrens letztlich aber danach, welche Strafe und/oder Massnahme für das Einzelgericht konkret in Frage kommt (in Präzisierung von BGE 147 IV 329 E. 2.8, der lediglich festhält, für die Grenze von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO sei massgebend, welchen Freiheitsentzug der Betroffene aufgrund des Urteils des Einzelgerichts insgesamt zu erdulden habe; siehe JOSITSCH/ SCHMID, StPO Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 10 zu Art. 19 StPO).» (E.2.4.3).

Das Bundesgericht fährt alsdann im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 fort:

«Vorliegend reichte die Staatsanwaltschaft am 12. Oktober 2021 beim Regionalgericht Emmental-Oberaargau, Einzelgericht, Anklage gegen den Beschwerdeführer ein. Sie nannte dabei die Anträge zu den Sanktionen (noch) nicht (erstinstanzliches Urteil S. 6 Prozessgeschichte). Im Rahmen ihrer Ausführungen anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beantragte sie eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten, eine Geldstrafe von 22 Tagessätzen und eine Busse von Fr. 1’000.–. Die Einzelrichterin des Regionalgerichts verurteilte den Beschwerdeführer schliesslich zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten, einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 700.–. Zudem sprach sie eine Landesverweisung aus. Wenn hinsichtlich der Urteilskompetenz des Einzelgerichts (Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO) bei der Obergrenze von zwei Jahren die hier zugleich mit der Freiheitsstrafe von 23 Monaten ausgesprochene Geldstrafe von 100 Tagessätzen mit einzubeziehen ist, fällt die Beurteilung des vorliegenden Straffalls nicht mehr in die Zuständigkeit der Einzelrichterin des Regionalgerichts. Demgegenüber hat die zusätzlich zur Freiheitsstrafe beantragte und ausgesprochene Busse hier keinen Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit des Einzelgerichts; die Grenze von zwei Jahren wird auch mit der Busse nicht überschritten.» (E.2.5).

«Das Bundesgericht hat sich zur Frage, ob bei der Obergrenze von zwei Jahren bei der Urteilskompetenz des Einzelgerichts nach Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO eine zusammen mit einer Freiheitsstrafe beantragte bzw. ausgefällte Geldstrafe mit zu berücksichtigen ist, bis anhin noch nicht geäussert. In seinem BGE 147 IV 329 (bei dem es darum geht, ob dem Widerruf einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug ebenso Rechnung zu tragen ist wie dem Widerruf einer bedingten Sanktion, was das Bundesgericht bejaht hat, E. 2) hält es indessen ausdrücklich fest, das Unbehagen gegenüber einer (zu) weiten Urteilskompetenz des Einzelrichters sei nachvollziehbar. Bei der Beurteilung eines Falles durch diesen finde keine Beratung im Richtergremium statt. Eine solche erhöhe aber in der Regel die Qualität des Urteils, weil mehrere Richter auf Gesichtspunkte hinweisen könnten, die ein Einzelner möglicherweise nicht gesehen hätte. In einer Beratung zeige sich zudem, ob die Auffassung eines Richters allfälliger Kritik seiner Kollegen standhalte. Die Beurteilung durch ein Gremium erhöhe überdies die Akzeptanz des Urteils. Fälle ein Kollegialgericht ein Urteil, müsse nicht ein Richter alleine die Verantwortung tragen (a.a.O. E. 2.7). Demzufolge kommt das Bundesgericht in diesem Entscheid zum Schluss, Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO sei restriktiv anzuwenden. Die Grenze von zwei Jahren sei streng zu handhaben. Sie dürfe unter keinen Umständen überschritten werden. Massgeblich sei dabei, welchen Freiheitsentzug der Betroffene aufgrund des Urteils des Einzelgerichts insgesamt zu erdulden habe (a.a.O. E. 2.8).» (E.2.5.1).

«In Bezug auf den Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO ist mit der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin festzuhalten (Urteil S. 10 f. E. 6; Vernehmlassung, act. 13 S. 2 f. Ziff. 6 f.), dass dieser darauf schliessen lässt, dass bei der Höhe der Obergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe einzig auf deren Dauer abzustellen ist, ohne dabei eine allenfalls von der Staatsanwaltschaft ebenfalls beantragte oder vom Einzelgericht kumulativ ausgefällte Geldstrafe einzubeziehen. Denn Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO enthält – im Gegensatz zu Art. 352 Abs. 3 StPO – keine ausdrückliche Regelung, wie bei kumulativ beantragter oder angeordneter Freiheits- und Geldstrafe vorzugehen ist. Gemäss Art. 352 Abs. 1 StPO erlässt die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl, wenn die beschuldigte Person im Vorverfahren den Sachverhalt eingestanden hat oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist, wenn sie, unter Einrechnung einer allfällig zu widerrufenden bedingten Strafe oder bedingten Entlassung, eine der folgenden Strafen für ausreichend hält: (lit. a) eine Busse; (lit. b) eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen; (lit. d) eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten. Strafen nach Absatz 1 Buchstaben b-d können miteinander verbunden werden, sofern die insgesamt ausgesprochene Strafe einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten entspricht. Eine Verbindung mit Busse ist immer möglich (Art. 352 Abs. 3 StPO). Dass der Gesetzgeber bei den Voraussetzungen eines Strafbefehlsverfahrens explizit eine Regelung vorgesehen hat, zeigt auf, dass er sich durchaus allfälliger Folgefragen bei kumulativ angeordneten Geld- und Freiheitsstrafen bewusst war. Angesichts des Wortlauts von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO liegt daher die Vermutung nahe, dass der Verzicht darin eine entsprechende Regelung vorzusehen, so zu verstehen ist, dass für die Frage, ob der Strafrahmen von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO eingehalten ist, die Sanktionen nicht in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind, sondern alleine auf die Höhe der Freiheitsstrafe abzustellen ist (vgl. im Sinne einer systematischen Auslegung hierzu die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 130 lit. b StPO: Urteile 6B_1262/2020 vom 2. August 2022 E. 1.3; 6B_783/2018 vom 6. März 2019 E. 2.4.2; 1B_309/2021 vom 3. September 2021 E. 2.2; 1B_344/2015 vom 11. Februar 2016 E. 2.2; je mit Hinweis auf das Urteil 1B_444/2013 vom 31. Januar 2014 E. 2.1.2, wonach der Gesetzgeber die Umrechnung von einer Geld- in eine Freiheitsstrafe nach dem Umrechnungssatz von Art. 36 Abs. 1 StGB ausdrücklich hätte vorsehen können, wenn er Freiheits- und Geldstrafe auch in Bezug auf die notwendige Verteidigung hätte gleichstellen wollen; kritisch dazu: NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 18 zu Art. 130 StPO).» (E.2.5.2).

«Gemäss den Materialien soll die Möglichkeit, als erstinstanzliches Gericht ein Einzelgericht einzusetzen, den Kantonen erlauben, die Kollegialgerichte von leichteren Straffällen zu entlasten (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 1085 ff., 1139; Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, Juni 2001, S. 44 zu Art. 24 VE-StPO). Es sei zu erwarten, dass ein erheblicher Teil der Straffälle künftig durch Einzelgerichte beurteilt werden könnten und so eine wesentliche Entlastung zu erzielen wäre. Berücksichtige man die gut ausgebauten Rechtsmittelmöglichkeiten, könne beim Übergang zum Einzelrichtersystem im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität kein Abbau des Rechtsschutzes erblickt werden. Allerdings gehe ein Ausbau der einzelrichterlichen Kompetenzen im Sinne des Entwurfs im Vergleich zu den gegenwärtigen Befugnissen der Einzelrichter in den meisten Kantonen recht weit (siehe Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, Juni 2001, S. 44 f. zu Art. 24 VE-StPO).  Entsprechend der Zusammenfassung des Bundesamts für Justiz der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über die Vorentwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung und zu einem Bundesgesetz über das Schweizerische Jugendstrafverfahren betraf die breite Kritik an der vorgeschlagenen Konzeption des Einzelgerichts die vorgesehene maximale Strafkompetenz von drei Jahren Freiheitsstrafe (unter Einrechnung einer allenfalls gleichzeitig zu widerrufenen bedingten Sanktion). Für die meisten Vernehmlasser sei diese Grenze deutlich zu hoch. Als Gründe seien v.a. genannt worden: rechtsstaatliche Bedenken, zu viel Macht und Verantwortung für die oft jungen Einzelrichter sowie -richterinnen, Anwendbarkeit des einfachen Beweisverfahrens gemäss Art. 374 ff. VE-StPO, Erledigung der grossen Mehrheit aller Straffälle durch das Einzelgericht und damit bedeutende Kompetenzverschiebung vom Kollegial- zum Einzelgericht (vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über die Vorentwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung und zu einem Bundesgesetz über das Schweizerische Jugendstrafverfahren, Bundesamt für Justiz 2003, S. 25 f.). Bemerkenswert ist im Weiteren, dass Art. 24 des Vorentwurfs zur Schweizerischen Strafprozessordnung vom Juni 2001 noch lautete: „Das Einzelgericht beurteilt als erste Instanz: […] b. Verbrechen und Vergehen, für welche die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen zusammengerechnet einen Freiheitsentzug von nicht mehr als drei Jahren oder eine nicht freiheitsentziehende Massnahme beantragt. In dem schliesslich in Kraft getretenen Art. 19 Abs. 2 StPO werden die Geldstrafe und die gemeinnützige Arbeit in der Folge nicht mehr genannt. Eine mögliche Erklärung für dieses Wegfallen besteht darin, dass der bedingte Vollzug bei der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit unabhängig von deren Höhe möglich war (aArt. 42 Abs. 1 StGB), während die Freiheitsstrafe ab zwei Jahren zumindest teilweise zu vollziehen ist (aArt. 43 Abs. 1 StGB). Da die in Art. 24 Abs. 2 VE-StPO ursprünglich vorgesehene Grenze zur Einzelgerichtskompetenz von drei Jahren schliesslich auf zwei Jahre Freiheitsstrafe gesenkt wurde, erschien die Nennung der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit im Gesetzestext möglicherweise als unnötig. Ob dies jedoch wirklich der Grund für die Änderung des Textes in diesem Punkt war, geht aus den Materialien nicht hervor (vgl. MARKO CESAROV, a.a.O., S. 42 f.).» (E.2.5.3).

«Die vereinzelten Meinungen in der Lehre zur Frage, ob bzw. inwiefern bei der Obergrenze von zwei Jahren bei der einzelrichterlichen Zuständigkeit die Sanktionen in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind, d.h. eine allfällige zusätzlich zur Freiheitsstrafe beantragte bzw. ausgesprochene Geldstrafe und/oder Busse miteinzubeziehen ist bzw. sind, erweisen sich als sehr heterogen. So wird zum einen die Ansicht vertreten, mit Blick auf die Entstehungsgeschichte und den systematischen Kontext sei darauf zu schliessen, dass andersartige Strafen mit der Freiheitsstrafe nicht zu kumulieren seien. Art. 19 Abs. 2 StPO verlange also – anders als Art. 352 Abs. 3 StPO – keine Gesamtbetrachtung der Sanktionen. Im Falle einer Kumulation sei aber auch eine Busse zu berücksichtigen (vgl. MARKO CESAROV, a.a.O., S. 41 ff.). JOSITSCH/ SCHMID hingegen befürworten zum anderen in einer analogen Anwendung von Art. 352 StPO eine Kumulation verschiedener Sanktionen, wobei eine zusätzlich verhängte Busse nicht zu berücksichtigen sei (a.a.O., N. 11 zu Art. 19 StPO). ANDREAS J. KELLER seinerseits erachtet es als fraglich, ob die Verbindung der Maximalstrafe mit einer zusätzlichen Busse noch in der Einzelrichterkompetenz liege. Eine einzelrichterliche Maximalstrafe mit zusätzlicher Busse sei ein Mehr an Strafe als die Maximalstrafe alleine. Für ein Überschreiten der Maximalgrenze durch zusätzliche Busse fehle es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, wie sie Art. 352 Abs. 2 StPO für den Strafbefehl vorsehe (ANDREAS J. KELLER, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 5 zu Art. 19 StPO). Nach Berücksichtigung dieser Lehrmeinungen kam das Obergericht des Kantons Zürich in seinem Entscheid vom 30. Mai 2022 (Geschäfts-Nr. SB210491) zum Schluss, die Grundsätze in BGE 147 IV 329 seien auch zu beachten, wenn das kantonale Recht den Kompetenzrahmen des Einzelgerichts nicht ausschöpfe. Vorliegend verlange die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen den Beschuldigten nicht nur die gemäss § 27 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010 (GOG/ZH; LS 211.1) vorgesehene Maximalstrafe von 12 Monaten Freiheitsstrafe, sondern zusätzlich auch die Sanktionierung mit einer Busse von Fr. 6’000.– resp. den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen bei Nichtbezahlung der Busse. Im schlechtesten Fall hätte der Beschuldigte damit insgesamt einen Freiheitsentzug von 14 Monaten zu gewärtigen. Somit sei das Verfahren gegen ihn durch ein unzuständiges Gericht geführt worden (E. 2.6).» (E.2.5.4).

«Zusammengefasst legen die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO (d.h. die fehlende explizite Regelung, wie sie in Art. 352 Abs. 2 StPO besteht) sowie letztlich auch der systematische Kontext nahe, dass bei der Einhaltung der Maximalgrenze von zwei Jahren nicht auf die Gesamtheit der Sanktionen abzustellen ist. Die Einhaltung dieser Obergrenze richtet sich, ungeachtet einer zugleich beantragten bzw. ausgefällten Geldstrafe, somit alleine nach der Dauer der von der Staatsanwaltschaft beantragten bzw. vom Einzelgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe, wobei einer allenfalls zugleich zu widerrufenden bedingten freiheitsentziehenden Sanktion und/oder zu widerrufenden bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug Rechnung zu tragen ist (vgl. BGE 147 IV 329 E. 2.8 f.). Dass die Geldstrafe mangels unmittelbar freiheitsentziehenden Charakters nicht einzubeziehen ist, drängt sich auch deshalb auf, weil der Gesetzgeber die Grenze von zwei Jahren in Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO bewusst an Art. 42 Abs. 1 StGB angelehnt und sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts folglich am unmittelbaren Freiheitsentzug zu orientieren hat, der abstrakt noch bedingt ausgesprochen werden kann. Das Einzelgericht soll keine Strafe aussprechen können, die abstrakt zwingend immer eine freiheitsentziehende Wirkung hat, wie dies bei Freiheitsstrafen über zwei Jahren und freiheitsentziehenden Massnahmen der Fall ist. In concreto hängt die Zuständigkeit des Einzelgerichts jedoch nicht von der Möglichkeit des bedingten Vollzugs ab (siehe KIPFER/LUKÁCS, a.a.O., N. 5 zu Art. 19 StPO). Eine solche Auslegung von Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO dient sodann nicht nur der Rechtssicherheit sondern letzten Endes auch dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck, die Kollegialgerichte zu entlasten. Indem die Vorinstanz die sachliche Zuständigkeit der Einzelrichterin als erste Instanz als gegeben erachtet, auch wenn diese kumulativ zur Freiheitsstrafe von 23 Monaten eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen ausgesprochen hat, verletzt sie kein Bundesrecht. Die Beschwerde erweist sich insofern als unbegründet.» (E.2.6).

Ferner macht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht  geltend, zusätzlich zu den Strafen habe die Einzelrichterin gegen ihn auch noch eine Landesverweisung für die Dauer von sechs Jahren ausgesprochen. Es sei fraglich, ob es dem Willen des Gesetzesgebers entspreche, einem Einzelgericht eine solche Verantwortung zu übertragen (E.2.7 a.A.).

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 wie folgt:

«Dieses Vorbringen ist ebenfalls unbegründet. Der Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 StPO ist in dieser Hinsicht klar: Demnach kann ein Einzelgericht Übertretungen sowie Verbrechen und Vergehen beurteilen, mit Ausnahme derer, für welche die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB, eine Behandlung nach Artikel 59 StGB (bzw. nach Artikel 59 Abs. 3 StGB, in der bis 31. Dezember 2023 gültigen Fassung) oder, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren beantragt. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich mithin ohne Weiteres, dass sich die Urteilskompetenz des Einzelgerichts i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StPO grundsätzlich auch auf die Anordnung von Massnahmen – ausser der Verwahrung (Art. 64 StGB) sowie der stationären therapeutischen Massnahme (Art. 59 Abs. 3 StGB) – und damit ebenso auf das Aussprechen einer Landesverweisung, die primär als sichernde Massnahme zu verstehen ist (BGE 149 IV 342 E. 2.4.2.1; 146 IV 311 E. 3.7; je mit Hinweisen), erstreckt. Auch wenn eine Landesverweisung von der Intensität her vergleichbar mit einer freiheitsentziehenden Sanktion von einem Jahr sein könnte (vgl. NIKLAUS RUCKSTUHL, a.a.O., N. 23a zu Art. 130 StPO; VIKTOR LIEBER, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 17a zu Art. 130 StPO), steht bei ihr weiterhin nicht der Straf- sondern vielmehr der Massnahmecharakter im Vordergrund (BGE 149 IV 342 E. 2.4.2.1; 146 IV 311 E. 3.7; je mit Hinweisen). Mit der Umsetzung der „Ausschaffungsinitiative“ wurden in der StPO lediglich die Art. 130 lit. b, Art. 220 Abs. 2 und Art. 352 Abs. 2 angepasst; Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO hingegen nicht (Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs und Militärstrafgesetzes vom 20. März 2015 [Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer] samt Anhang betreffend Änderung anderer Erlasse, AS 2016 2329; Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 2013 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes [Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländer], BBl 2013 5975 6049 f., mit weiteren Ausführungen). Dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung der „Ausschaffungsinitiative“ darauf verzichtet hat Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO entsprechend zu ergänzen, bedeutet schliesslich, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass auch ein Einzelgericht eine Landesverweisung aussprechen kann.» (E.2.7).

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_1377/2023 vom 4. September 2024 die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

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