Urteil des Bundesgerichts zur «Covid-19-Parade für Frieden, Freiheit und Demokratie» vom 31. Oktober 2020

Im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der «Covid-19-Parade für Frieden, Freiheit und Demokratie» vom 31. Oktober 2020, bei der die Teilnehmenden keine Maske trugen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Beschwerdeführers ab, welcher u.a. Rügen zur «lex mitior» (E.3.1) sowie zur Verletzung des Legalitäts- und des Verhältnismässigkeitsprinzips sowie der Unschuldsvermutung (E.4.1) vorbrachte.

Sachverhalt

Dem A. wird mit Strafbefehl vom 8. Juni 2021 zusammengefasst vorgeworfen, er habe am 31. Oktober 2020 auf einem Platz in Zürich an der bewilligten Kundgebung «Covid-19-Parade für Frieden, Freiheit und Demokratie» teilgenommen, zu der sich ca. 150 Personen versammelt hätten, und dabei wissentlich sowie willentlich keine Gesichtsmaske getragen. Deshalb sei er durch die Polizei kontrolliert und um ca. 14.25 Uhr von der Örtlichkeit weggewiesen worden.

Instanzenzug

Das Bezirksgericht Zürich sprach A. am 23. September 2021 des Nichttragens einer Gesichtsmaske anlässlich der Teilnahme an einer politischen Kundgebung im Sinne von Art. 83 Abs. 1 lit. j i.V.m. Art. 6 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen [Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101]), Art. 40 Abs. 2 EpG und Art. 6c Abs. 2 der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 [aCovid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26; Fassung vom 29. Oktober 2020; nachfolgend: aCovid-19-Verordnung besondere Lage]) schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.–.

Auf Berufung von A. bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 18. Juli 2022 das Urteil des Bezirksgerichts Zürich im Schuld- sowie im Strafpunkt.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 2022 sei aufzuheben. Er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache der Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025  

Das Bundesgericht führt im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025 aus:

«Nach Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von politischen sowie zivilgesellschaftlichen Kundgebungen eine Gesichtsmaske tragen. Dabei galt eine Ausnahme für Personen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können (vgl. Art. 3b Abs. 2 lit. b aCovid-19-Verordnung besondere Lage; Fassung vom 29. Oktober 2020). Gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. b EpG kann der Bundesrat nach Anhörung der Kantone Massnahmen gegenüber der Bevölkerung anordnen, wenn eine besondere Lage vorliegt. Gemäss Art. 40 Abs. 1 EpG ordnen die zuständigen kantonalen Behörden Massnahmen an, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Sie koordinieren ihre Massnahmen untereinander. Sie können insbesondere folgende Massnahmen treffen: (lit. a) Veranstaltungen verbieten oder einschränken; (lit. b) Schulen, andere öffentliche Institutionen und private Unternehmen schliessen oder Vorschriften zum Betrieb verfügen; (lit. c) das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verbieten oder einschränken (Art. 40 Abs. 2 EpG). Wer sich vorsätzlich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung (Art. 40 EpG) widersetzt, wird nach Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG mit Busse bestraft.» (E.2.).

Zur «lex mitior»

Unter dem Titel „lex mitior“ macht der Beschwerdeführer vor Bundesgericht zusammengefasst geltend, mit Aufhebung der Massnahmen am 16. Februar 2022 sei seine Handlung nicht mehr als rechtswidrig zu qualifizieren. Deshalb sei er in Anwendung des milderen Rechts (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 333 Abs. 1 StGB) in Bezug auf das Nichttragen einer Gesichtsmaske freizusprechen (Beschwerde S. 31 ff.) (E.3.1).

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025 wie folgt:

«Gemäss Art. 2 Abs. 1 StGB wird nach diesem Gesetz bestraft, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder ein Vergehen begeht. Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist (Art. 2 Abs. 2 StGB). Der Grundsatz der „lex mitior“ gilt auch bei Übertretungen (siehe Art. 104 StGB) und im Nebenstrafrecht (vgl. Art. 333 Abs. 1 StGB), jedoch nicht für Zeitgesetze, d.h. nicht für Erlasse, deren Geltung ausdrücklich oder gemäss der Funktion des Erlasses von vornherein zeitlich beschränkt ist (vgl. BGE 116 IV 258 E. 4; 105 IV 1 E. 1; 102 IV 198 E. 2b mit Hinweisen). Späteres milderes Recht (einschliesslich der Suspendierung oder der ersatzlosen Aufhebung des Zeitgesetzes) wirkt somit nicht auf die Beurteilung der während der Geltungsdauer eines Zeitgesetzes begangenen Handlungen zurück (BGE 105 IV 1 E. 1). Die Aufhebung eines Zeitgesetzes beruht in der Regel nicht auf geänderter Rechtsanschauung, sondern auf geänderten tatsächlichen Verhältnissen (BGE 89 IV 113 E. 1a).» (E.3.2).

«Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind unbegründet. Das Bundesgericht hat sich bereits zur Frage des milderen Rechts im Zusammenhang mit der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (SR 818.101.26) geäussert (Urteil 6B_824/2023 vom 29. August 2023 E. 4.2.2 mit Hinweis). Demnach handelt es sich bei der – vorliegend ebenfalls massgeblichen – Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (SR 818.101.26) um ein Zeitgesetz im vorgenannten Sinn, da die Verordnung auf die Dauer der besonderen Lage im Sinne von Art. 6 EpG und damit von vornherein zeitlich auf die Ausnahmesituation begrenzt war. Die besondere Lage und die letzten in der Covid-19-Verordnung vorgesehenen Massnahmen wurden wegen der hohen Immunisierung der Bevölkerung sowie der folglich geringen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit per 1. April 2022 aufgehoben. Damit erfolgte die Rückkehr in die normale Lage, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers, nicht aufgrund einer milderen ethischen Wertung, sondern vielmehr wegen den geänderten tatsächlichen Verhältnissen. Dass die Covid-19-Verordnung besondere Lage zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils nicht mehr in Kraft war, ändert an der Strafbarkeit der vom Beschwerdeführer während der Geltung dieser Verordnung begangenen Straftat mithin nichts.» (E.3.3).

Zur Verletzung des Legalitäts- und des Verhältnismässigkeitsprinzips sowie der Unschuldsvermutung

Weiter rügt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht, das Legalitäts- und das Verhältnismässigkeitsprinzip sowie die Unschuldsvermutung seien verletzt. Im Wesentlichen legt er dar, das EpG und seine Folgeverordnungen seien im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit als gesetzestechnische Fehlgriffe zu bezeichnen. Eine Maskentragepflicht sei weder geeignet noch erforderlich, um einem Infektionsgeschehen zu begegnen. Die Verhältnismässigkeit der Maskentragepflicht sei damit schon im Grundsatz abzulehnen. Ferner seien die Massnahmen letztlich trotz konstant hoher Fallzahlen aufgehoben worden. Dies zeige anschaulich auf, dass die Annahme, die Eingrenzung der Ausbreitung des Corona-Virus habe stets im öffentlichen Interesse gelegen, keinesfalls eine gefestigte Praxis darstelle, sondern bestenfalls als Ausdruck des damaligen (hysterischen) Zeitgeistes zu werten sei. Deshalb bedürfe die Frage des öffentlichen Interesses einer neuen, eingehenden Auseinandersetzung. Dass es sich bei Covid-19 um eine übertragbare und ansteckende Krankheit handle, bezweifle und bestreite niemand. Unter Virologen, Immunologen und Ärzten sei aber umstritten, ob Covid-19 gefährlich sei. Schliesslich sei bereits zu Beginn der Covid-19-Pandemie erkennbar gewesen, dass diese Krankheit an sich keine ausserordentliche Gefährlichkeit aufweise. Die Angaben des Bundesamts für Statistik würden belegen, dass es in den Jahren 2020 und 2021 keine Übersterblichkeit in der Schweiz gegeben habe. Dies zeige deutlich, dass Covid-19 zu keinem Zeitpunkt gefährlich gewesen sei. Ferner bestehe kein Nachweis, der eine signifikante Wirksamkeit von Schutzmasken belege. Die Anordnung einer Maskentragepflicht sei unter diesem Aspekt als willkürlich und als reines politisches Symbol ohne adäquaten Nutzen zu betrachten. Im Übrigen habe er im Zeitpunkt des angeblichen Verstosses ein gültiges Attest mit sich getragen und sei somit von der Maskentragepflicht befreit gewesen. Es habe daher vorliegend überhaupt keine Rechtsverletzung stattgefunden. Aus all diesen Gründen sei er freizusprechen, argumentiert der Beschwerdeführer (E.4.1).

Die Vorinstanz gelangt gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts zum Schluss, die Voraussetzungen ans Legalitätsprinzip seien durch die formell-gesetzliche Grundlage von Art. 83 Abs. 1 lit. j i.V.m. Art. 6 Abs. 2 lit. b und Art. 40 Abs. 2 EpG sowie deren Konkretisierung in Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage erfüllt (Urteil S. 11 E. 2.1.5). An der am 31. Oktober 2020 geltenden Maskentragepflicht an politischen Kundgebungen habe ein öffentliches Interesse bestanden. Zudem sei die Maskentragepflicht verhältnismässig und rechtskonform gewesen (Urteil S. 16 E. 2.2.8 und E. 2.3). Schliesslich habe der Beschwerdeführer nicht nachgewiesen, dass er aus besonderen Gründen keine Gesichtsmaske habe tragen können, weshalb kein gültiger Maskendispens vorliege. Folglich sei er wegen Nichttragens einer Gesichtsmaske anlässlich der Teilnahme an einer politischen Kundgebung der Widerhandlung gegen Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 29. Oktober 2020) i.V.m. Art. 83 Abs. 1 lit. j, Art. 6 Abs. 2 lit. b und Art. 40 Abs. 2 EpG schuldig zu sprechen (Urteil S. 16 f. E. 3 f.) (E.4.2).

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025 wie folgt:

«Im Strafrecht gilt das Legalitätsprinzip. Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB). Der Grundsatz der Legalität („nulla poena sine lege“) ist auch in Art. 7 EMRK ausdrücklich verankert. Er ist verletzt, wenn jemand wegen eines Verhaltens strafrechtlich verfolgt wird, das im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet wird; wenn das Gericht ein Verhalten unter eine Strafnorm subsumiert, unter die es auch bei weitestgehender Auslegung der Bestimmung nach den massgebenden Grundsätzen nicht subsumiert werden kann; oder wenn jemand in Anwendung einer Strafbestimmung verfolgt wird, die rechtlich keinen Bestand hat (BGE 148 IV 30 E. 1.3.1; 145 IV 513 E. 2.3.1; 138 IV 13 E. 4.1; je mit Hinweisen).» (E.4.3.1).

«Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung als zumutbar erweist. Es muss eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation vorliegen (BGE 147 I 450 E. 3.2.3; 146 I 157 E. 5.4; 143 I 403 E. 5.6.3; je mit Hinweisen; vgl. Urteile 2C_115/2021 vom 21. Februar 2022 E. 6.1; 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 148 I 89). Dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz kommt besondere Bedeutung zu für die harmonisierende Konkretisierung sich möglicherweise widersprechender verfassungsrechtlicher Vorgaben, wie z.B. dem Schutz von Leben und Gesundheit einerseits und den zu diesem Zweck verhängten Grundrechtsein- oder -beschränkungen andererseits (BGE 148 I 33 E. 6.6, 19 E. 5.5; je mit Verweis auf BGE 147 I 450 E. 3.2.3 mit Hinweisen; Urteile 2C_115/2021 vom 21. Februar 2022 E. 6.1; 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 148 I 89). Auch soweit eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates zur Abwehr von Gesundheitsgefährdungen besteht, können nicht beliebig strenge Massnahmen getroffen werden, um jegliche Krankheitsübertragung zu verhindern. Vielmehr ist nach dem akzeptablen Risiko zu fragen und eine Abwägung zwischen den involvierten Interessen vorzunehmen (BGE 148 I 33 E. 6.6, 19 E. 5.5; je mit Verweis auf BGE 147 I 450 E. 3.2.3 mit Hinweisen; Urteil 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 5.2, nicht publ. in: BGE 148 I 89).» (E.4.3.2).

«Soweit auf die Rügen des Beschwerdeführers eingetreten werden kann, erweisen sie sich als unbegründet.  Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Bundesgericht bereits eingehend mit den Fragen der Ermächtigung des Bundesrats zur Anordnung von Massnahmen gegenüber der Bevölkerung im Falle einer besonderen Lage, der gesetzlichen Grundlage der Verhaltensnormen und dem Legalitätsprinzip, der Gesichtsmaskentragepflicht, der Wirksamkeit von Gesichtsmasken, der Strafnormen sowie Sanktionen, der Rechts- und Verhältnismässigkeit gewisser Covid-Massnahmen sowie der Beurteilung der Covid-19-Krankheit als Pandemie auseinandergesetzt hat (vgl. u.a. BGE 148 I 33 E. 5, 19 E. 4; 147 I 478 E. 3, 450 E. 3, 393 E. 4 f., Urteile 6B_324/2022 vom 16. Dezember 2022 E. 2.3.2; 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 3.3 f. und E. 6.3, nicht publ. in: BGE 148 I 89; 2C_228/2021 vom 23. November 2021 E. 3.3; 1B_359/2021 vom 5. Oktober 2021 E. 5; 2C_115/2021 vom 21. Februar 2022 E. 4). Es kann ohne Weiteres auf diese Rechtsprechung verwiesen werden. Sodann bestätigte das Bundesgericht kürzlich zudem seinen Entscheid, wonach unter den Begriff der „Massnahmen gegenüber der Bevölkerung“ i.S.v. Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG auch Massnahmen fallen, die der Bundesrat gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. b EpG in der Covid-19-Verordnung besondere Lage eingeführt hatte (Urteil 7B_262/2022 vom 27. Juni 2024 E. 2.2), wobei es sich bei der in dieser Verordnung verankerten Pflicht, eine Gesichtsmaske zu tragen, um eine Massnahme gegenüber der Bevölkerung i.S.v. Art. 40 EpG handle (vgl. Urteil 6B_1433/2021 vom 3. März 2022 E. 3.3 zur Maskentragepflicht bei der Teilnahme an Kundgebungen gemäss Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage, Stand am 29. Oktober 2020; vgl. BGE 147 I 478 E. 3.6.1). Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beschwerdeführers besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern.» (E.4.4).

«Das Bestimmtheitsgebot („nulla poena sine lege certa“) als Teilgehalt des Legalitätsprinzips, welches auch im Nebenstrafrecht gilt, verlangt eine hinreichend genaue Umschreibung der Straftatbestände. Das Gesetz muss so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann (BGE 147 I 354 E. 6.3.1; 146 I 11 E. 3.1.2; 145 IV 513 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Dass der Gesetzgeber allgemeine Begriffe verwendet, die nicht eindeutig allgemeingültig umschrieben werden können und deren Auslegung und Anwendung er der Praxis überlassen muss, lässt sich indes nicht vermeiden (BGE 145 IV 329 E. 2.2; 141 IV 279 E. 1.3.3; 138 IV 13 E. 4.1; Urteil 6B_478/2022 vom 8. Juli 2024 E. 4.3.2 mit Hinweisen). Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (BGE 147 I 103 E. 16; 144 I 126 E. 6.1; 138 IV 13 E. 4.1; je mit Hinweisen). Nach dieser Rechtsprechung des Bundesgerichts und der Strassburger Organe wird das Erfordernis nach Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage mit dem Gebot der Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Gesetzesanwendung begründet (vgl. BGE 109 Ia 273 E. 4d mit Hinweisen).» (E.4.4.1.1).

«In Bezug auf die zumindest sinngemäss gerügte Verletzung des Bestimmtheitsgebots erweist sich die Beschwerde ebenfalls als unbegründet. Vorab ist festzuhalten, dass es sich bei Art. 83 EpG um einen Übertretungstatbestand handelt und die Eingriffsintensität der angedrohten Sanktion daher eher gering ausfällt, weshalb die Anforderungen an die Bestimmtheit hier grundsätzlich nicht so streng sind. Dass die Maskentragepflicht an Kundgebungen im Herbst 2020 unter anderem wegen den stets öffentlichkeitswirksamen Verlautbarungen des Bundesrats und des Bundesamts für Gesundheit (BAG) allgemein bekannt war, ist an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen. Der Beschwerdeführer stellt denn auch nicht in Abrede, dass ihm bewusst war, dass er an der von ihm besuchten Kundgebung am 31. Oktober 2020 eine Gesichtsmaske hätte tragen müssen, wenn kein nachgewiesener Ausnahmefall besteht. Vorliegend geht es vielmehr um die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger und damit auch, ob der Beschwerdeführer am 31. Oktober 2020 die Folgen einer Widerhandlung gegen Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 29. Oktober 2020), d.h. die Folgen des Nichttragens einer Gesichtsmaske anlässlich der Teilnahme an einer Kundgebung, mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen konnte (n). Das Nichttragen einer Gesichtsmaske an einer politischen oder zivilgesellschaftlichen Kundgebung wird in der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 selber erst seit dem 1. Februar 2021 unter Strafe gestellt (Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26; AS 2021 52). Die im Juni 2020 in Kraft getretene Covid-19-Verordnung besondere Lage sah wohl gewisse Strafnormen bei Zuwiderhandlungen durch Betreiber von Betrieben und Organisatoren von Veranstaltungen vor, nicht aber Strafbestimmungen, mit denen Verbote abgesichert werden sollten, die sich an Privatpersonen richten. Es ist anzunehmen, dass ganz bewusst auf eine entsprechende Regelung verzichtet wurde, weil der Bundesrat diesbezüglich davon ausging, das sei nicht nötig, weil nicht nur Verstösse gegen die Massnahmen der Kantone (vgl. Art. 40 EpG), sondern auch Verstösse gegen die Massnahmen des Bundes in der besonderen Lage über Art. 6 Abs. 2 EpG als Übertretung gemäss Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG zu qualifizieren seien (siehe WOHLERS/HENEGHAN/PETERS, Strafrecht in Zeiten der Pandemie, 2021, S. 58 f. und S. 77; Erläuterungen 28a des BAG zur Verordnung vom 19. Juni 2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie [Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26], Version vom 3. Juli 2020, zu Artikel 3a, S. 3). Die Erläuterungen des BAG legen die Strafbarkeit einer Widerhandlung gegen die Gesichtsmaskentragepflicht nahe. Obwohl das BAG nicht über die Kompetenz verfügt, (Straf-) Bestimmungen der Legislativen oder des Bundesrates zu ergänzen, sind die Erläuterungen des BAG als eine Art Auslegungshilfen dennoch wertvoll (vgl. WOHLERS/HENEGHAN/PETERS, a.a.O., S. 95 mit Hinweisen). Im Herbst 2020 konnten die Bürgerinnen und Bürger somit aus dem Erlass selber die Strafbarkeit einer Widerhandlung gegen die in Art. 6c Abs. 2 aCovid-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 29. Oktober 2020) normierte Maskentragepflicht für Kundgebungen nicht entnehmen. Aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG („Massnahmen gegenüber der Bevölkerung“) ergibt sich jedoch trotzdem hinreichend gewiss, dass sowohl Massnahmen kantonaler Behörden (Art. 40 Abs. 2 EpG) als auch – im Falle einer besonderen Lage – solche des Bundesrats (Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 2 EpG) unter den Begriff „Massnahmen gegenüber der Bevölkerung“ fallen (in diesem Sinne Urteil 6B_1433/2021 vom 3. März 2022 E. 3.3). Gemäss Art. 40 Abs. 2 lit. b EpG kann es sich bei einer solchen Massnahme auch um eine Gesichtsmaskentragepflicht handeln. Die hier angewendete Regelungstechnik der Blankettstrafnorm ist grundsätzlich zulässig, denn eine Blankettstrafnorm, die mit einer zweiten, sog. blankettausfüllenden Norm zusammen gelesen und ausgelegt werden muss, vermag den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot zu genügen (vgl. BGE 145 IV 329 E. 2.2; Urteile 6B_22/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 6.2.2; 6B_600/2020 vom 7. September 2020 E. 5.6; je mit Hinweisen). Art. 83 Abs. 1 EpG stellt eine solche Blankettstrafnorm dar. Um zu bestimmen, welches Verhalten strafbar ist, sind die einzelnen Normen, auf die in Art. 83 lit. a-n EpG verwiesen wird, heranzuziehen. Der hier massgebliche Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG verweist auf Art. 40 EpG. In Art. 40 Abs. 2 lit. a-c EpG wird festgelegt, welche Massnahmen die zuständigen kantonalen Behörden gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen anordnen dürfen. Über die Kompetenzen des Bundesrats äussert sich Art. 40 EpG nicht. Diese werden im Falle einer besonderen Lage in Art. 6 Abs. 2 lit. b EpG aufgeführt. Die Massnahme der Gesichtsmaskentragepflicht für Teilnehmer von Kundgebungen hat der Bundesrat in (Art. 6c Abs. 2) der aCovid-19-Verordnung besondere Lage beschlossen (Fassung vom 29. Oktober 2020). Um die Strafbarkeit der Widerhandlung gegen die durch den Bundesrat angeordnete Gesichtsmaskentragepflicht anlässlich von Kundgebungen zum Tatzeitpunkt zu begründen, bedarf es somit zwar zusätzlicher blankettausfüllender Normen, nämlich Art. 6 Abs. 2 lit. b EpG und Art. 6c Abs. 2 aCovid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 29. Oktober 2020), was für die Bürgerinnen und Bürger nach dem Dargelegten aber durchaus zumutbar ist. Die möglichen Straffolgen einer solchen Widerhandlung waren daher auch für die rechtsunkundige Bevölkerung mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennbar. Das Bestimmtheitsgebot ist folglich nicht verletzt.» (E.4.4.1.2).

Auf die weiteren Rügen wird hier nicht eingegangen (E.4.5, E.5).

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_1007/2022 vom 22. Januar 2025 die Beschwerde ab.

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