Ungerechtfertigte Freigabe beschlagnahmter Vermögenswerte 

Im Urteil 7B_200/2023, 7B_201/2023, 7B_202/2023 vom 25. Juni 2024 aus dem Kanton Zürich behandelte das Bundesgericht das Thema der Freigabe von beschlagnahmten Vermögenswerten, u.a. wurde eine Freigabe zwecks Bezahlung von Anwaltskosten gefordert. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Die Beschlagnahme ist eine konservatorische provisorische Massnahme. Für ihre Anordnung reicht es aus, wenn die Möglichkeit besteht, dass die betroffenen Gegenstände und Vermögenswerte künftig gebraucht, eingezogen oder zurückerstattet werden könnten. Sie ist hinsichtlich ihres Umfangs auf das erforderliche Mass zu beschränken […]. Die Strafbehörden haben während des Strafverfahrens laufend zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Beschlagnahme noch gerechtfertigt ist […]. Eine Beschlagnahme kann auch dadurch unverhältnismässig werden, dass sich ihre Dauer grundlos in die Länge zieht […]. Indessen müssen grundsätzlich sämtliche Vermögenswerte beschlagnahmt bleiben, solange nicht geklärt ist, welcher Anteil der betroffenen Vermögenswerte aus deliktischer Herkunft stammt […]. Wird eine Beschlagnahme ganz oder teilweise aufgehoben, sind die betroffenen Gegenstände und Vermögenswerte den berechtigten Personen nach den Bestimmungen von Art. 267 StPO auszuhändigen. Die Berechtigung richtet sich nach den Regeln des Privatrechts […]; allfällige Sicherungsrechte gemäss SchKG bleiben somit vorbehalten […].» (E.3.3). Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut, u.a. mit der folgenden Argumentation: «Dessen ungeachtet weist die Beschwerdeführerin zu Recht darauf hin, dass nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sämtliche auf dem fraglichen Konto befindlichen Vermögenswerte deliktischer Herkunft sind. Wie die Beschwerdeführerin weiter zutreffend geltend macht, ist die Frage, ob es sich bei den beschlagnahmten Vermögenswerten um Deliktserlös handelt, grundsätzlich vom Sachgericht zu beurteilen. […]. Nach der zitierten Rechtsprechung müssen die betroffenen Vermögenswerte in einem solchen Fall beschlagnahmt bleiben. Mit der verfrühten Freigabe riskiert die Vorinstanz, dass die Honorarnoten der Rechtsvertretung von B.B. und der vom „H. “ geforderte Kostenvorschuss mit Mitteln aus deliktischer Herkunft beglichen werden […]» (E.3.4).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich führte ein Strafverfahren gegen D., den am xx.xx.2022 verstorbenen B.B. und weitere Personen wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiterer Delikte. Sie beschlagnahmte im Rahmen dieser Strafuntersuchung diverse Vermögenswerte, darunter auch ein Bankkonto der Bank E. von B.B. und seiner ehemaligen Ehefrau F.B. (IBAN xxx).

Instanzenzug

Am 26. Oktober 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Bezirksgericht Zürich. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens ersuchte B.B. mit Anträgen vom 19. Januar, 1. April und 26. Juli 2022 um teilweise Aufhebung der Beschlagnahme und Freigabe folgender Beträge:

– Fr. 82’140.65 für die Bezahlung der Honorarnote der Anwaltskanzlei G. vom 31. Dezember 2021,

– Fr. 40’014.50 für die Bezahlung der Hälfte eines vom „H. “ geforderten Kostenvorschusses,

– Fr. 107’621.35 für die Bezahlung der Honorarnote der Anwaltskanzlei I. vom 28. März 2022, und

– Fr. 7’546.55 für die Bezahlung der Honorarnote der Anwaltskanzlei I. vom 12. Juli 2022.

Das Bezirksgericht hiess die Anträge von B.B. mit inhaltlich weitgehend gleichlautenden Beschlüssen vom 7. Februar, 18. Mai und 19. August 2022 gut und wies die Bank E. in teilweiser Aufhebung der Vermögensbeschlagnahme jeweils an, diese Beträge freizugeben.

Zwischenzeitlich hatte das Bezirksgericht mit Urteil vom 11. April 2022 das Strafverfahren gegen B.B. definitiv eingestellt. Mit „Nachtragsurteil“ vom 22. August 2022 entschied es ferner, das Bankkonto IBAN xxx bei der Bank E. zur Sicherung der Verfahrenskosten und Prozessentschädigung der Privatklägerin A. von Fr. 424’069.– heranzuziehen. Die Kontosperre bleibe zwecks Sicherung der Verfahrenskosten und Prozessentschädigung bis zu deren vollständigen Bezahlung bzw. bis zur Anordnung von Sicherungsmassnahmen aufrechterhalten, längstens jedoch für die Dauer von zwei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft. Die Kontosperre „der übrigen in der Position yyy bei der Bank E. enthaltenen Vermögenswerte, lautend auf den Beschuldigten B.B. und die andere Verfahrensbeteiligte F.B. “ werde nach Eintritt der Rechtskraft aufgehoben. Die Bank E. werde angewiesen, diese übrigen Vermögenswerte nach Eintritt der Rechtskraft zuhanden der berechtigten Personen freizugeben.

Die Privatklägerin A. erhob gegen die Beschlüsse vom 7. Februar, 18. Mai und 19. August 2022 des Bezirksgerichts jeweils Beschwerde bei der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich. Diese wies die drei Beschwerden am 19. Dezember 2022 mit drei inhaltlich weitgehend gleichlautenden Beschlüssen ab, kurz nachdem B.B. am xx.xx.2022 verstorben war.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerden in Strafsachen beantragt die A. vor Bundesgericht, es seien die drei Beschlüsse des Obergerichts vom 19. Dezember 2022 aufzuheben und die Vermögensbeschlagnahme unverändert aufrechtzuerhalten. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beschlussfassung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet. Die Rechtsvertretung des verstorbenen B.B. hat Antrag gestellt, auf die Beschwerden sei nicht einzutreten. Eventualiter seien die Beschwerden abzuweisen und der Beschluss vom 19. Dezember 2022 zu bestätigen. Das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat die drei Verfahren (damals noch 1B_66/2023, 1B_68/2023 und 1B_70/2023) mit Verfügung vom 18. April 2023 vereinigt und den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Der Rechtsvertreter von B.B., Rechtsanwalt Fatih Aslantas, hat am 15. Mai 2023 bekanntgegeben, dass die Tochter von B.B., C.B., dessen Alleinerbin sei und ihn mit ihrer Vertretung beauftragt habe. Die A. hat mit Eingabe vom 22. Juni 2023 repliziert.

Am 12. Juli 2023 wurden die Parteien darüber informiert, dass die Beschwerde aufgrund einer internen Reorganisation des Bundesgerichts neu durch die Zweite strafrechtliche Abteilung unter den Verfahrensnummern 7B_200/2023, 7B_201/2023 und 7B_202/2023 behandelt werden.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_200/2023, 7B_201/2023, 7B_202/2023 vom 25. Juni 2024  

Die Beschwerdeführerin rügt vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 70 StGB und Art. 263 StPO. Sie macht geltend, gemäss Anklage der Staatsanwaltschaft handle es sich beim gesamten Betrag auf dem Konto IBAN xxx der Bank E., das bei Anklageerhebung einen Saldo von Fr. 5’231’200.23 aufgewiesen habe, um mutmasslichen Deliktserlös. Als solcher sei der gesamte Betrag einzuziehen und der Beschwerdeführerin zu restituieren. Ob dies zutreffe, sei allein vom Sachgericht zu beurteilen. Die Vorinstanz habe dessen Entscheid deshalb mit der teilweisen Freigabe der Vermögenswerte in unzulässiger Weise vorweggenommen. Zudem liege, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, keine „klare Überdeckung bzw. Überbeschlagnahme“ vor: Die Staatsanwaltschaft gehe aufgrund der bereits bewilligten Freigaben für Lebenshaltungs- und Pflegekosten von B.B. vielmehr von einer „deutliche[n] Unterdeckung“ aus.  Darüber hinaus liessen sich die von B.B. beantragten Freigaben von beschlagnahmten Vermögenswerten auch sonst nicht (vollumfänglich) rechtfertigen. So seien die von der Vorinstanz freigegebenen Beträge nicht nur für die Verteidigung von B.B. im Strafverfahren bestimmt, sondern beträfen auch andere Aufwendungen, wie etwa der Kostenvorschuss für ein Schiedsverfahren vor dem „H.“, das inzwischen bereits abgeschrieben worden sei. Auch die Honorarnoten der Anwaltskanzlei I. vom 28. März und 12. Juli 2022 beträfen teilweise Aufwendungen für dieses Schiedsverfahren, das B.B.“aus eigenen Stücken und ohne Not“ (mit-) initiiert habe. Da diese Aufwendungen nicht das Straf- bzw. Beschlagnahmeverfahren beträfen, seien die entsprechenden Vermögensfreigaben nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unzulässig (E.3.1).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_200/2023, 7B_201/2023, 7B_202/2023 vom 25. Juni 2024 generell-abstrakt wie folgt:

«Nach aArt. 263 Abs. 1 StPO können Gegenstände und Vermögenswerte einer beschuldigten Person oder einer Drittperson beschlagnahmt werden, wenn sie voraussichtlich als Beweismittel gebraucht werden (lit. a), zur Sicherstellung von Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen und Entschädigungen gebraucht werden (lit. b), den Geschädigten zurückzugeben sind (lit. c) oder einzuziehen sind (lit. d). Die Beschlagnahme ist mit einem schriftlichen, kurz begründeten Befehl anzuordnen. In dringenden Fällen kann sie mündlich angeordnet werden, ist aber nachträglich schriftlich zu bestätigen (Art. 263 Abs. 2 StPO). Ist Gefahr im Verzug, so können die Polizei oder Private Gegenstände und Vermögenswerte zuhanden der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte vorläufig sicherstellen (Art. 263 Abs. 3 StPO).  Gemäss Art. 70 StGB verfügt das Gericht die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind oder dazu bestimmt waren, eine Straftat zu veranlassen oder zu belohnen, sofern sie nicht der geschädigten Person zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden (Abs. 1). Die Einziehung ist ausgeschlossen, wenn ein Dritter die Vermögenswerte in Unkenntnis der Einziehungsgründe erworben hat und soweit er für sie eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat oder die Einziehung ihm gegenüber sonst eine unverhältnismässige Härte darstellen würde (Abs. 2). Das Recht zur Einziehung verjährt nach sieben Jahren; ist jedoch die Verfolgung der Straftat einer längeren Verjährungsfrist unterworfen, so findet diese Frist auch auf die Einziehung Anwendung (Abs. 3). Die Einziehung ist amtlich bekannt zu machen. Die Ansprüche Verletzter oder Dritter erlöschen fünf Jahre nach der amtlichen Bekanntmachung (Abs. 4). Lässt sich der Umfang der einzuziehenden Vermögenswerte nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ermitteln, so kann das Gericht ihn schätzen (Abs. 5).» (E.3.2).

«Als strafprozessuale Zwangsmassnahme muss eine Beschlagnahme verhältnismässig sein. Sie darf nur soweit angeordnet und aufrechterhalten werden, als die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO, vgl. Art. 36 Abs. 3 BV). Die Beschlagnahme ist eine konservatorische provisorische Massnahme. Für ihre Anordnung reicht es aus, wenn die Möglichkeit besteht, dass die betroffenen Gegenstände und Vermögenswerte künftig gebraucht, eingezogen oder zurückerstattet werden könnten. Sie ist hinsichtlich ihres Umfangs auf das erforderliche Mass zu beschränken (Urteil 7B_176/2022 vom 6. November 2023 E. 5.1 mit Hinweisen; vgl. BGE 130 II 329 E. 6; Urteil 7B_185/2023 vom 26. Juli 2023 E. 2.1 mit Hinweis). Die Strafbehörden haben während des Strafverfahrens laufend zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Beschlagnahme noch gerechtfertigt ist (vgl. Urteile 7B_176/2022 vom 6. November 2023 E. 5.4; 7B_291/2023 vom 12. Oktober 2023 E. 3.3). Eine Beschlagnahme kann auch dadurch unverhältnismässig werden, dass sich ihre Dauer grundlos in die Länge zieht (Urteil 7B_185/2023 vom 26. Juli 2023 E. 2.1 mit Hinweis auf BGE 132 I 229 E. 11.6). Indessen müssen grundsätzlich sämtliche Vermögenswerte beschlagnahmt bleiben, solange nicht geklärt ist, welcher Anteil der betroffenen Vermögenswerte aus deliktischer Herkunft stammt (Urteile 7B_191/2023 vom 14. März 2024 E. 2.3.2; 1B_455/2022 vom 17. Mai 2023 E. 4.3; je mit Hinweisen). Wird eine Beschlagnahme ganz oder teilweise aufgehoben, sind die betroffenen Gegenstände und Vermögenswerte den berechtigten Personen nach den Bestimmungen von Art. 267 StPO auszuhändigen. Die Berechtigung richtet sich nach den Regeln des Privatrechts (Urteil 6B_737/2020 vom 1. April 2021 E. 3.1 mit Hinweisen); allfällige Sicherungsrechte gemäss SchKG bleiben somit vorbehalten (BGE 145 IV 80 E. 2.3 mit Hinweisen).» (E.3.3).

Fallbezogen entscheidet das Bundesgericht im Urteil 7B_200/2023, 7B_201/2023, 7B_202/2023 vom 25. Juni 2024 wie folgt:

«Die Beschwerden sind begründet: Die Vorinstanz erwägt, die Verweigerung der teilweisen Aufhebung der Vermögensbeschlagnahme im fraglichen Umfang würde „angesichts der zurzeit gegebenen Verhältnisse deutlich gegen das zu wahrende Verhältnismässigkeitsprinzip verstossen“. Indessen hält sie in den angefochtenen Entscheiden weder fest, welchen Stand das Konto IBAN xxx aktuell aufweist, noch, welcher Betrag ihrer Auffassung nach beschlagnahmt bleiben muss. Ihre Feststellung, es zeichne sich klar eine „Überdeckung bzw. Überbeschlagnahme“ ab, ist deshalb nicht nachvollziehbar. Dessen ungeachtet weist die Beschwerdeführerin zu Recht darauf hin, dass nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sämtliche auf dem fraglichen Konto befindlichen Vermögenswerte deliktischer Herkunft sind. Wie die Beschwerdeführerin weiter zutreffend geltend macht, ist die Frage, ob es sich bei den beschlagnahmten Vermögenswerten um Deliktserlös handelt, grundsätzlich vom Sachgericht zu beurteilen. Die Vorinstanz erwägt zwar, mit Nachtragsurteil vom 22. August 2022 liege mittlerweile ein Sachentscheid vor; wie sie aber selbst einräumt, war dieser noch unbegründet, als sie die angefochtenen Entscheide gefällt hat, und nicht rechtskräftig. Nach der zitierten Rechtsprechung müssen die betroffenen Vermögenswerte in einem solchen Fall beschlagnahmt bleiben. Mit der verfrühten Freigabe riskiert die Vorinstanz, dass die Honorarnoten der Rechtsvertretung von B.B. und der vom „H. “ geforderte Kostenvorschuss mit Mitteln aus deliktischer Herkunft beglichen werden. 

Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob es – wenn die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung der Beschlagnahme vorlägen – korrekt wäre, die fraglichen Beträge ausdrücklich „für die Bezahlung“ von bestimmten Anwaltsrechnungen und eines Kostenvorschusses des „H.“ freizugeben.» (E.3.4).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerden im Urteil 7B_200/2023, 7B_201/2023, 7B_202/2023 vom 25. Juni 2024gut. Die drei angefochtenen Beschlüsse sind aufzuheben und die Anträge von B.B. vom 19. Januar, 1. April und 26. Juli 2022 um teilweise Aufhebung der Beschlagnahme abzuweisen (E.4).

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