Tücken beim Strafantrag

Im Urteil 7B_133/2023 vom 27. Juni 2024 aus dem Kanton Zug befasste sich das Bundesgericht mit den Tücken beim Strafantrag (es ging um Unbefugtes Aufnehmen fremder Gespräche i.S.v. Art. 179ter StGB). Das Bundesgericht äusserte sich zum Strafantrag allgemein wie folgt: «Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist grundsätzlich höchstpersönlicher Natur und unübertragbar […]. Daraus folgt aber nicht, dass das Antragsrecht nicht auch von einem Vertreter ausgeübt werden könnte (Vertretung in der Erklärung). Hierfür genügt auch die Erteilung einer generellen Vollmacht. Einem bevollmächtigten Vertreter kann die Befugnis eingeräumt werden, die Willenserklärung abzugeben. Für die Verletzung materieller Rechtsgüter, die nicht direkt von der Person des Berechtigten abhängen, sondern etwa vom Inhalt einer vertraglichen Beziehung (z.B. bei Hausfriedensbruch), kann dem Vertreter durch eine generelle Ermächtigung die Entscheidung überlassen werden, ob er Strafantrag erheben will […]. Einer speziellen, auf den konkreten Fall zugeschnittenen ausdrücklichen oder konkludenten Ermächtigung bedarf der Bevollmächtigte nur bei Verletzung höchstpersönlicher immaterieller Rechtsgüter, die dem Berechtigten naturgemäss innewohnen oder von ihrem Status herrühren, wie Leib und Leben, Ehre, persönliche Freiheit sowie Eheschliessung und Kindesverhältnis […].  Bei Fehlen einer schriftlichen Vollmacht ist nur, aber immerhin zu verlangen, dass sich aus den individuell-konkreten Umständen eine eindeutige Willenserklärung ergibt […]» (E.2.2.3). Im vorliegenden Fall schützte das Bundesgericht den Strafantrag und wies die Beschwerde ab (E.4).

Sachverhalt

Der A. wird vorgeworfen, zu mehreren Zeitpunkten im Januar und Februar 2018 private Gespräche zwischen ihr und B. ohne dessen Einwilligung aufgezeichnet zu haben. Das letzte Gespräch soll sie am 18. März 2018 aufgenommen haben.

Instanzenzug

Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte A. am 1. September 2022 wegen mehrfachen unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Art. 179ter StGB) zu einer bedingten Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je Fr. 30.–. Bezüglich des Vorwurfs der unbefugten Aufnahme eines Gesprächs am 27. Januar 2018 stellte es das Verfahren zufolge fehlenden Strafantrags ein.

Mit Urteil vom 5. Dezember 2022 wies das Obergericht des Kantons Zug die Berufung von A. ab und bestätigte den erstinstanzlichen Schuldspruch sowie die dafür ausgefällte Strafe.

Weiterzug ans Bundesgericht

Die A. erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 5. Dezember 2022 sei aufzuheben, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen und ihrem Verteidiger sei für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren eine Entschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Begründung und Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. A. ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Mit Verfügung vom 8. Februar 2023 wies die Präsidentin der damals zuständigen Strafrechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.

Am 31. August 2023 ist den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt worden, dass die Beschwerde aufgrund einer internen Reorganisation des Bundesgerichts nun durch die II. strafrechtliche Abteilung behandelt wird.

Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_133/2023 vom 27. Juni 2024  

Die Beschwerdeführerin rügt vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 30 ff. StGB sowie eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts. Die damalige amtliche Verteidigerin des Beschwerdegegners 2 sei nicht dazu bevollmächtigt gewesen, einen Strafantrag zu stellen. Es sei deshalb nicht möglich, sie (die Beschwerdeführerin) wegen unbefugten Aufnehmens fremder Gespräche (Art. 179ter StGB) zu verurteilen, argumentiert die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht (E.2.1).

Das Bundesgericht macht im Urteil 7B_133/2023 vom 27. Juni 2024 die folgenden generell-abstrakten Ausführungen:

«Beim Tatbestand des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (Art. 179ter StGB) handelt es sich um ein Antragsdelikt. Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen (Art. 30 Abs. 1 StGB). Zum Strafantrag berechtigt ist jene Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Nach Art. 304 Abs. 1 StPO ist der Strafantrag bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder der Übertretungsstrafbehörde schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben (vgl. dazu BGE 145 IV 190 E. 1.3-1.4).» (E.2.2.2).

«Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist grundsätzlich höchstpersönlicher Natur und unübertragbar (BGE 141 IV 380 E. 2.3.4 S. 387; Urteil 6B_1423/2019 vom 26. Oktober 2020 E. 1.3; je mit Hinweis). Daraus folgt aber nicht, dass das Antragsrecht nicht auch von einem Vertreter ausgeübt werden könnte (Vertretung in der Erklärung). Hierfür genügt auch die Erteilung einer generellen Vollmacht. Einem bevollmächtigten Vertreter kann die Befugnis eingeräumt werden, die Willenserklärung abzugeben. Für die Verletzung materieller Rechtsgüter, die nicht direkt von der Person des Berechtigten abhängen, sondern etwa vom Inhalt einer vertraglichen Beziehung (z.B. bei Hausfriedensbruch), kann dem Vertreter durch eine generelle Ermächtigung die Entscheidung überlassen werden, ob er Strafantrag erheben will (Vertretung im Willen; BGE 122 IV 207 E. 3c; Urteil 6B_295/2020 vom 22. Juli 2020 E. 1.4.3). Einer speziellen, auf den konkreten Fall zugeschnittenen ausdrücklichen oder konkludenten Ermächtigung bedarf der Bevollmächtigte nur bei Verletzung höchstpersönlicher immaterieller Rechtsgüter, die dem Berechtigten naturgemäss innewohnen oder von ihrem Status herrühren, wie Leib und Leben, Ehre, persönliche Freiheit sowie Eheschliessung und Kindesverhältnis (BGE 122 IV 207 E. 3c; Urteile 6B_995/2017 vom 4. Juli 2018 E. 1.5; 6B_334/2012 vom 26. September 2012 E. 2.2; je mit Hinweisen).  Bei Fehlen einer schriftlichen Vollmacht ist nur, aber immerhin zu verlangen, dass sich aus den individuell-konkreten Umständen eine eindeutige Willenserklärung ergibt (Urteil 6B_1423/2019 vom 26. Oktober 2020 E. 1.7.2 mit Hinweis).» (E.2.2.3).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_133/2023 vom 27. Juni 2024 wie folgt:

«In tatsächlicher Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdegegner 2 zum Zeitpunkt der Antragsstellung selbst Beschuldigter in einem Strafverfahren war, in dem die Beschwerdeführerin als Privatklägerin agierte. Anlässlich einer Einvernahme als Beschuldigter hätten er und seine damalige amtliche Verteidigerin am 16. April 2019 Kenntnis von den inkriminierten Audio-Aufnahmen erhalten. Die Verteidigerin habe schon am 15. Juli 2019 schriftlich einen Strafantrag gegen die Beschwerdeführerin gestellt. Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte geht die Vorinstanz davon aus, dass der Beschwerdegegner 2 seiner amtlichen Verteidigerin die Ermächtigung dazu spätestens bei einem Telefongespräch am selben Tag mündlich erteilt hatte.» (E.2.3).

«Diese Schlussfolgerung ist nicht schlechterdings unhaltbar: Die Vorinstanz berücksichtigt zunächst, dass die Anwältin im Schreiben vom 15. Juli 2019 die Formulierung „wir“ verwendet („stellen wir hiermit Strafantrag“) und sie das Schreiben in Kopie auch dem Beschwerdegegner 2 zugestellt hat. Bereits diese Umstände legen nahe, dass sie sich im Vornherein mit ihrem Klienten über die Antragsstellung abgesprochen haben muss. Sodann trägt die Vorinstanz dem Umstand Rechnung, dass die amtliche Verteidigerin in ihrer Honorarnote im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner 2 aufführte, im Anschluss an die Einvernahme vom 16. April 2019 eine Nachbesprechung und am 15. Juli 2019 – am Tag, an dem sie den Strafantrag gestellt hatte – ein Telefongespräch mit diesem geführt zu haben. Obwohl es nicht völlig ausgeschlossen ist, dass die amtliche Verteidigerin eigenmächtig handelte, ohne sich mit dem Beschwerdegegner 2 abgesprochen zu haben, lässt sich aus diesen Indizien willkürfrei der Schluss ziehen, dieser habe sie zur Strafantragstellung vorgängig mündlich oder konkludent ermächtigt. Der Umstand, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdegegners 2 den Aufwand für die gemeinsamen Besprechungen im Strafverfahren gegen diesen als Teil des amtlichen Mandats abgerechnet hat, steht dieser Schlussfolgerung, anders als die Beschwerdeführerin vorträgt, nicht entgegen. Im Gegenteil: Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, konnte das Stellen eines Strafantrags gegen die Beschwerdeführerin auch der Interessenwahrung im gegen den Beschwerdegegner 2 laufenden Strafverfahren dienen, wo die durch (möglicherweise) strafbares Verhalten gewonnenen Aufzeichnungen von privaten Gesprächen (potenziell unverwertbare) Beweismittel darstellen konnten. Ob bereits das amtliche Mandat die generelle Ermächtigung zur Ausübung des Antragsrechts umfasst, braucht aufgrund der willkürfrei festgestellten konkreten Ermächtigung nicht erörtert zu werden. Soweit die Beschwerdeführerin im Übrigen einwendet, es hätte eine „explizite Vollmacht“ beigebracht werden müssen, übersieht sie, dass die Ermächtigung, um stellvertretend für den Berechtigten einen Strafantrag zu stellen, nach der Rechtsprechung keiner Formvorschrift unterliegt und damit dem Bevollmächtigten weder schriftlich noch sonst wie ausdrücklich erteilt werden muss (vgl. E. 2.2.3 hiervor).» (E.2.4).

«Die Auffassung der Vorinstanz, es habe ein gültiger Strafantrag vorgelegen, erweist sich als bundesrechtskonform.» (E.2.5).

Das Bundesgericht weist im Urteil 7B_133/2023 vom 27. Juni 2024 die Beschwerde ab (E.4).

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