Strafart und Strafbegründung

Im Urteil 6B_681/2024 vom 15. Januar 2025 aus dem Kanton Aargau behandelte das Bundesgericht die Frage der Strafzumessung, insbesondere das Ausfällen einer Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe anstatt einer Gesamtfreiheitsstrafe. Das Bundesgericht äusserte sich u.a.: «Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Dabei hat es zunächst für jede der mehreren Straftaten die Art der Strafe zu bestimmen. Art. 49 Abs. 1 StGB ist nur anwendbar, wenn diese Strafen gleichartig sind. Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen vorsehen, genügt nicht. Eine Gesamtfreiheitsstrafe ist nur zulässig, wenn für jede einzelne Straftat die Freiheitsstrafe erforderlich ist (sog. konkrete Methode […]). Gemäss der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall eine Geld- oder Freiheitsstrafe auszusprechen ist, gemäss Art. 47 StGB nach dem Ausmass des (Einzeltat-) Verschuldens […], wobei die Geldstrafe gegenüber der Freiheitsstrafe als mildere Sanktion gilt. Das Gericht trägt bei der Wahl der Strafart neben dem Verschulden des Täters, der Zweckmässigkeit der Strafe, ihren Auswirkungen auf die Täterschaft und auf ihr soziales Umfeld sowie ihrer Wirksamkeit unter dem Gesichtswinkel der Prävention Rechnung […]. Dabei berücksichtigt es, dass bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall jene gewählt werden soll, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft […]. Dies gilt auch im Rahmen der Gesamtstrafenbildung. Der Täter soll und kann aufgrund des Umstandes, dass mehrere Delikte gleichzeitig zur Beurteilung stehen, für die einzelnen Taten nicht schwerer bestraft werden als bei separater Beurteilung […]. In die Wahl der Strafart einzubeziehen sind auch die Kriterien von Art. 41 Abs. 1 StGB […]. Demnach kann das Gericht statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen wenn (lit. a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten oder (lit. b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. Die Wahl der Freiheitsstrafe ist zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB).» (E.2.1.1). Im vorliegenden Fall hiess das Bundesgericht die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft gut und wies, nach gewissen Kritikpunkten, den Fall zurück an die Vorinstanz (E.2.3.2, E.3).

Sachverhalt

Am 6. Oktober 2022 sprach das Bezirksgericht Lenzburg A. der mehrfachen sexuellen Nötigung, mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, mehrfachen harten Pornografie, mehrfachen, teilweise versuchten Nötigung, mehrfachen Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte, mehrfachen Zugänglichmachens von pornografischen Bildaufnahmen sowie des Beschaffens bzw. Besitzens von Gewaltdarstellungen schuldig. Es verurteilte ihn zu 4 Jahren Freiheitsstrafe und ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme und ein lebenslängliches Verbot für berufliche und organisierte ausserberufliche Tätigkeiten mit regelmässigem Kontakt zu Minderjährigen an.

Instanzenzug

Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die Berufung von A. am 22. August 2024 teilweise gut. Es sprach eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten und eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à Fr. 10.–, beides unbedingt, aus und ordnete eine ambulante Massnahme an. Am Tätigkeitsverbot hielt es fest.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, die Sache sei zur Neubemessung der Strafe an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Der Beschwerdegegner, welchem präsidialiter die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt wurde, beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_681/2024 vom 15. Januar 2025  

Die Beschwerdeführerin (Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau) kritisiert die Strafzumessung, insbesondere das Ausfällen einer Geld-, anstelle einer Gesamtfreiheitsstrafe (E.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_681/2024 vom 15. Januar 2025 zunächst generell-abstrakt zum Thema Strafen wie folgt:

«Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Dabei hat es zunächst für jede der mehreren Straftaten die Art der Strafe zu bestimmen. Art. 49 Abs. 1 StGB ist nur anwendbar, wenn diese Strafen gleichartig sind. Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen vorsehen, genügt nicht. Eine Gesamtfreiheitsstrafe ist nur zulässig, wenn für jede einzelne Straftat die Freiheitsstrafe erforderlich ist (sog. konkrete Methode; BGE 144 IV 313 E. 1.1.1; 217 E. 2.2). Gemäss der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall eine Geld- oder Freiheitsstrafe auszusprechen ist, gemäss Art. 47 StGB nach dem Ausmass des (Einzeltat-) Verschuldens (BGE 144 IV 217 E. 3.3.1), wobei die Geldstrafe gegenüber der Freiheitsstrafe als mildere Sanktion gilt. Das Gericht trägt bei der Wahl der Strafart neben dem Verschulden des Täters, der Zweckmässigkeit der Strafe, ihren Auswirkungen auf die Täterschaft und auf ihr soziales Umfeld sowie ihrer Wirksamkeit unter dem Gesichtswinkel der Prävention Rechnung (BGE 147 IV 241 E. 3.2; 144 IV 313 E. 1.1.1). Dabei berücksichtigt es, dass bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall jene gewählt werden soll, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft (BGE 138 IV 120 E. 5.2; 134 IV 82 E. 4.1, 97 E. 4.2.2). Dies gilt auch im Rahmen der Gesamtstrafenbildung. Der Täter soll und kann aufgrund des Umstandes, dass mehrere Delikte gleichzeitig zur Beurteilung stehen, für die einzelnen Taten nicht schwerer bestraft werden als bei separater Beurteilung (BGE 144 IV 313 E. 1.1.3, 217 E. 3.3.3; Urteil 6B_355/2021 vom 22. März 2023 E. 3.3 mit Hinweisen). In die Wahl der Strafart einzubeziehen sind auch die Kriterien von Art. 41 Abs. 1 StGB (Urteil 7B_223/2022 vom 14. März 2024 E. 4.2). Demnach kann das Gericht statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen wenn (lit. a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten oder (lit. b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. Die Wahl der Freiheitsstrafe ist zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB).» (E.2.1.1).

«Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB wiederholt dargelegt (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 217 E. 3; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Dem Sachgericht steht bei der Gewichtung der verschiedenen Strafzumessungsfaktoren ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur in die Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen überschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 136 IV 55 E. 5.6; je mit Hinweisen).» (E.2.1.2).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_681/2024 vom 15. Januar 2025 wie folgt:

«Die dem Beschwerdegegner zur Last gelegten Taten geschahen vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung (einer paranoiden Schizophrenie, episodisch mit stabilem Residuum, sowie einer Pädophilie/Hebephilie mit gegengeschlechtlicher Ausrichtung vom nicht ausschliesslichen Typ) und basieren auf einem einheitlichen Vorgehen. Demnach suchte der Beschwerdegegner im Internet nach Möglichkeiten zur Befriedigung seiner erotischen Bedürfnisse, wobei er auf eine App zum Dating von Minderjährigen stiess. In der Folge nahm er Kontakt zu diesen auf und brachte die jungen Frauen teils motivierend, teils nötigend dazu, ihm Fotos und Videos zu schicken, die seine sexuellen Fantasien befriedigten. Der Beschwerdegegner sei sehr systematisch und planvoll vorgegangen. Er habe seine Methoden variiert, je nachdem, wie er die jungen Frauen eingeschätzt habe, habe die Nähe zu ihnen gesucht, jedoch eine physische Begegnung und erst recht eine Beziehung vermieden.» (E.2.2.1).

«Die Vorinstanz fällt für die als schwerstes beurteilten Delikte eine Freiheitsstrafe aus. Dabei handelt es sich um zwei sexuelle Nötigungen zum Nachteil von B. sowie eine zum Nachteil von C.. Aufgrund der Schwere des Verschuldens komme hier eine Geldstrafe nicht mehr in Frage […].» (E.2.2.2).

«Für sämtliche weiteren Delikte zu 21 Fällen spricht die Vorinstanz hingegen Geldstrafen aus. Bei konkreter Einzelbetrachtung falle aufgrund des Verschuldens je noch eine Geldstrafe in Betracht. Auch unter dem Gesichtspunkt der präventiven Effizienz und Zweckmässigkeit sei nicht ersichtlich, weshalb sich der Beschwerdegegner nur von einer Freiheitsstrafe beeindrucken liesse, zumal er nicht vorbestraft und aus seinen Aussagen ersichtlich sei, dass ihn die Höhe einer Geldstrafe während der Strafuntersuchung sehr beschäftigt und er davor einen grossen Respekt habe. […] Diese Einsatzstrafe wäre für die weiteren Fälle der sexuellen Nötigung, bei denen aufgrund der eher leichten Intensität der Handlung oder des ausgeübten Drucks jeweils ebenfalls eine Einzelgeldstrafe von 180 Tagessätzen angemessen ist, zu erhöhen. Gleiches würde für die mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, die mehrfache Pornografie, die mehrfache Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte, die mehrfache, teils versuchte, Nötigung und die Gewaltdarstellungen gelten. Auch unter Berücksichtigung des teilweise engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen den Delikten und der leicht strafmindernden Täterkomponente wäre eine Erhöhung vorzunehmen, welche die Strafobergrenze von 180 Tagessätzen deutlich überschreiten würde. Da aber die Strafobergrenze erreicht und ein Strafartenwechsel ausgeschlossen sei, müsse es bei der Geldstrafe von 180 Tagessätzen sein Bewenden haben. Dass dieses Ergebnis zu einer unbillig milden Strafe führen könne, sei nach der Rechtsprechung hinzunehmen und rechtfertige kein systemwidriges und ergebnisorientiertes Abweichen vom Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut der Norm. Eine zusätzliche Reduktion der Geldstrafe wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots sei aber ausgeschlossen, zumal dem bereits bei der Freiheitsstrafe umfassend Rechnung getragen worden sei.» (E.2.2.3).

Das Bundesgericht hält die Beschwerde für begründet (E.2.3) und erklärt hierzu im Urteil 6B_681/2024 vom 15. Januar 2025:

«Die Vorinstanz beurteilt die sexuelle Nötigung gegenüber D. im Wesentlichen gleich wie diejenigen gegenüber den beiden anderen, namentlich genannten Opfern. Dies betrifft insbesondere das Alter des Opfers, das Tatvorgehen des Beschwerdegegners, dessen Motive und Verschulden sowie die Schwere der Nötigung. In allen Fällen hat der Beschwerdegegner damit gedroht, zuvor erhaltene intime Fotos und Videos der Opfer öffentlich und/oder gegenüber Klassenkameraden zu verbreiten und das Opfer damit erheblich öffentlich blosszustellen. Einziger Unterschied bildet soweit ersichtlich die Tatsache, dass sich D. nicht wie in den anderen Fällen an der Vagina, sondern an der nackten Brust stimulieren und – darüber hinaus – den Griff einer Haarbürste in den Mund schieben und hinein und hinaus bewegen sollte. Weshalb es sich dabei um einen weniger schweren Eingriff in die sexuelle Integrität des Opfers handeln soll, begründet die Vorinstanz nicht und leuchtet nicht ein. Zudem ist allen Taten gemein, dass das Opfer die Handlungen in Abwesenheit des Beschwerdegegners an sich selbst vornehmen musste.  Die Vorinstanz begründet auch nicht, weshalb die Tat gegenüber D. insbesondere „aufgrund des Verschuldens“ bei im Übrigen gleichem Tatvorgehen des Beschwerdegegners und einem als leicht beurteilten Verschulden von den Taten gegenüber den ersten beiden Opfern in einer Weise abweichen soll, welche – im Unterschied zu den Erstbeurteilten – eine Geldstrafe als angemessen rechtfertigen würde. Dies gilt umso weniger, als die Vorinstanz die maximal mögliche Geldstrafe ausspricht. Indem sie hier nicht ebenfalls auf eine Freiheitsstrafe erkennt, verletzt sie das ihr zustehende Ermessen. Es kann offenbleiben, ob sie zu Recht annimmt, dass sich der nicht vorbestrafte Beschwerdegegner nach eigenen Aussagen von der angedrohten Geldstrafe genügend beeindrucken lässt (oben E. 1.2.3). Immerhin weist aber die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass die Geldstrafe angesichts des Tagessatzes von Fr. 10.– äusserst gering ausfällt, sodass eine präventive Wirkung fraglich erscheint.» (E.2.3.1).

«Soweit es die übrigen 20 Fälle sexueller Nötigungen – und die übrigen Tatbestände, namentlich sexuelle Handlungen mit Kindern, mehrfache Pornografie, mehrfache Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte, mehrfache, teils versuchte, Nötigung und die Gewaltdarstellungen – betrifft, unterlässt die Vorinstanz jegliche Ausführungen zu den konkreten Taten oder deren Schwere. Eine Auseinandersetzung damit ist dem Bundesgericht nicht möglich, sodass nicht geprüft werden kann, ob die Vorinstanz auch insoweit im Rahmen der Wahl der Strafart Bundesrecht verletzt. Ihren Erwägungen ist immerhin zu entnehmen, dass sie für die weiteren Fälle der sexuellen Nötigung und sexuellen Handlungen mit Kindern ebenfalls eine Einzelgeldstrafe von 180 Tagessätzen für angemessen erachtet. Diese scheinen sich daher in einem ähnlichen Rahmen zu bewegen wie die konkret beurteilte Tat gegenüber D. Die Vorinstanz wird sich dazu in Anwendung von Art. 50 StGB zu äussern haben.» (E.2.3.2).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut (E.3). Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2024 wird aufgehoben und die Sache ist zu neuer Strafzumessung an das Obergericht zurückgewiesen (E.3).

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