Staatsanwaltschaft nicht befugt zur Triage im Entsiegelungsverfahren

Im Urteil 7B_805/2023, 7B_806/2023 vom 28. Juni 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit dem beliebten Thema des Entsiegelungsverfahrens. Das Bundesgericht entschied den Fall wie folgt: «Die Vorinstanz [Bezirksgericht Pfäffikon, Zwangsmassnahmengericht] überlässt – ohne weitere Begründung – die „Entsiegelung, Aussonderung und Durchsuchung“ hinsichtlich der im Entsiegelungsverfahren GT230004 sichergestellten Datenträger und Aufzeichnungen der Beschwerdegegnerin [Staatsanwaltschaft See/Oberland]. Wenn sie mithin die Triage an die Beschwerdegegnerin als Strafverfolgungsbehörde delegiert, anstatt sie selber vorzunehmen oder von einer beigezogenen sachverständigen Person vornehmen zu lassen, ist dies nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.» (E.2.2).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft See/Oberland verdächtigt A., zusammen mit B. sowie anderen Drittpersonen (bandenmässig) im Raum Zürich diverse Marihuana-Indoor-Anlagen zu betreiben und alsdann Cannabis und weitere Betäubungsmittel unter Nutzung von Messenger-Diensten per Kurier im grösseren Stil zu veräussern.

Instanzenzug

Mit Verfügungen vom 31. Mai 2023 edierte die Staatsanwaltschaft bei der C. AG sowie bei der D. Bank Bankunterlagen ab dem 1. Januar 2021 zu Bankkonti von A., worauf deren Verteidigung am 6. Juni 2023 die Siegelung dieser Unterlagen verlangte. Am 20. Juni 2023 ersuchte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Pfäffikon um die Entsiegelung der sichergestellten Unterlagen.

Mit Verfügung vom 12. September 2023 ordnete das Zwangsmassnahmengericht die vollumfängliche Entsiegelung der edierten Bankunterlagen nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist an, wobei sie die „Entsiegelung und Durchsuchung“ der Staatsanwaltschaft überliess (Verfahren Nr. GT230006).

Anlässlich der bei A. durchgeführten Hausdurchsuchung vom 25. Mai 2023 wurden deren Mobiltelefon iPhone (A017’418’461), Steuerunterlagen (A017’420’063) sowie zwei Ordner (A017’420’085 und A071’420’096) sichergestellt. Nachdem ihr Verteidiger am 25. Mai 2023 für sämtliche sichergestellten und in ihrem Eigentum stehenden Datenträger und Aufzeichnungen die Siegelung verlangt hatte, ersuchte die Staatsanwaltschaft am 31. Mai 2023 beim Zwangsmassnahmengericht um die Entsiegelung der sichergestellten Datenträger.

Mit Verfügung vom 12. September 2023 ordnete das Zwangsmassnahmengericht die Entsiegelung der Steuerunterlagen, der zwei Ordner sowie des Mobiltelefons iPhone von A. an, unter Ausschluss von deren Korrespondenz in der App „Mail“ mit Rechtsanwalt E. und Ärztinnen und Ärzten, namentlich dem Hausarzt Dr. med. F., Spitälern, namentlich dem Universitätsspital Zürich, und Psychologinnen, namentlich Dr. G. und H.. Die „Entsiegelung, Aussonderung und Durchsuchung“ überliess sie der Staatsanwaltschaft (Verfahren Nr. GT230004).

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. gelangt mit zwei separaten Beschwerden in Strafsachen an das Bundesgericht (Verfahren 7B_805/2023 und 7B_806/2023) und beantragt jeweils, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 12. September 2023 (GT230006 bzw. GT230004) aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung und Durchführung eines bundesrechtskonformen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit Präsidialverfügung vom 8. November 2023 wurden die Verfahren 7B_805/2023 und 7B_806/2023 vereinigt und den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Zwangsmassnahmengericht und die Staatsanwaltschaft haben in beiden Verfahren auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_805/2023, 7B_806/2023 vom 28. Juni 2024  

Das Bundesgericht tritt auf zahlreiche Rügen nicht ein, hier jedoch die Ausnahme, wo es eintritt:

«Im Entsiegelungsverfahren GT230006 bejahte die Vorinstanz schützenswerte Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin zumindest in Bezug auf die von dieser spezifizierte Korrespondenz mit ihrem Anwalt E. sowie Ärzten und Psychologen in der „Mail“-App auf dem sichergestellten Mobiltelefon. Soweit die Beschwerdeführerin vorliegend geltend macht, das Zwangsmassnahmengericht verletze Bundesrecht, wenn es die Aussonderung dieser schützenswerten Geheimnisse der Beschwerdegegnerin überlasse, droht ihr – auch mit Blick auf nachstehende Rechtsprechung (vgl. E. 2.1) – ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. In diesem Umfang ist auf die Beschwerde im Verfahren 7B_806/2023 einzutreten.» (E.1.3).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_805/2023, 7B_806/2023 vom 28. Juni 2024 weiter wie folgt:

«Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden. Stellt die Strafbehörde innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet darüber im Vorverfahren das Zwangsmassnahmengericht innerhalb eines Monats endgültig. Das Gericht kann zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen und Gegenstände eine sachverständige Person beiziehen (aArt. 248 StPO; vgl. seit dem 1. Januar 2024 nArt. 248a Abs. 6 lit. a StPO, wonach das Gericht eine sachverständige Person beiziehen kann, um den Inhalt der Aufzeichnungen und Gegenstände zu prüfen, den Zugang zu diesen zu erhalten oder deren Integrität zu gewährleisten).  Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts hat im Entsiegelungsverfahren nicht die Untersuchungsbehörde, sondern, allenfalls unter Beizug einer sachverständigen Person, das Zwangsmassnahmengericht zu prüfen, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen. Dieses Vorgehen dient namentlich der Verhinderung von Zufallsfunden sowie der Wahrung der unter verfassungsrechtlichem Schutz stehenden Privat- und Geheimsphäre gemäss Art. 13 BV (BGE 148 IV 221 E. 2.3 mit Hinweisen).» (E.2.1).

Fallbezogen entscheidet das Bundesgericht im Urteil 7B_805/2023, 7B_806/2023 vom 28. Juni 2024 wie folgt:

«Die Vorinstanz überlässt – ohne weitere Begründung – die „Entsiegelung, Aussonderung und Durchsuchung“ hinsichtlich der im Entsiegelungsverfahren GT230004 sichergestellten Datenträger und Aufzeichnungen der Beschwerdegegnerin. Wenn sie mithin die Triage an die Beschwerdegegnerin als Strafverfolgungsbehörde delegiert, anstatt sie selber vorzunehmen oder von einer beigezogenen sachverständigen Person vornehmen zu lassen, ist dies nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.» (E.2.2).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut (E.3.2).

 

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