Schutz des Anwaltsgeheimnisses im Entsiegelungsverfahren

Im Urteil 7B_113/2022 vom 27. November 2023 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema der Entsiegelung. Das Bundesgericht schützt hier die Rüge der Verletzung des Anwaltsgeheimnisses wie folgt: «Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger im Sinne von Art. 170 StPO, insbesondere Rechtsanwälte und -anwältinnen bzw. ihre Klientschaft, können sich auf den Berufsgeheimnisschutz als Entsiegelungs- bzw. Beschlagnahmehindernis berufen, wenn die Geheimnisträgerinnen und -träger im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt oder mitbeschuldigt sind (Art. 264 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 StPO; BGE 141 IV 77 E. 5.2; 140 IV 108 E. 6.5; 138 IV 225 E. 6.1-6.2). Wie bereits dargelegt (oben E. 1.4), sind die Feststellungen der Vorinstanz zu den vom Beschwerdeführer substanziierten anwaltlichen Aufzeichnungen aktenwidrig. Dass die Vorinstanz diesbezüglich auf eine Sichtung und Aussonderung der anlässlich der Hausdurchsuchung beim Beschwerdeführer sichergestellten Aufzeichnungen verzichtet hat, verletzt das Anwaltsgeheimnis und hält vor dem Bundesrecht nicht stand (Art. 248 Abs. 1 i.V.m. Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO).» (E.3).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft See/Oberland führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Verdachts des Diebstahls, des Hausfriedensbruches, des unbefugten Eindringens in ein Datenverarbeitungssystem, der mehrfachen Datenbeschädigung und des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes. Am 31. August 2021 liess sie beim Beschuldigten eine Hausdurchsuchung durchführen, bei der diverse Aufzeichnungen und Gegenstände sichergestellt und in der Folge versiegelt wurden. Versiegelt wurde auch ein von einer Privatklägerin eingereichter Laptop. Am 15. September 2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Gesuch um Entsiegelung sämtlicher anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellter Asservate und des eingereichten Laptops.

Instanzenzug

Mit Verfügung vom 11. Oktober 2022 hiess das Bezirksgericht Uster, Zwangsmassnahmengericht (ZMG), das Entsiegelungsgesuch gut, indem es sowohl die bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Asservate als auch den eingereichten Laptop an die Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung freigab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Gegen den Entsiegelungsentscheid des ZMG gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 16. November 2022 an das Bundesgericht. Er beantragt zur Hauptsache die Beschränkung der von der Vorinstanz bewilligten Freigabe zur Durchsuchung mit Bezug auf „die anlässlich der Hausdurchsuchung vom 31. August 2021 beim Beschwerdeführer sichergestellten“ Asservate.

Am 21. November bzw. 7. Dezember 2022 verzichteten die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft je auf Vernehmlassungen. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 bewilligte das Bundesgericht das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Am 13. Juli 2023 zeigte das Bundesgericht den Verfahrensbeteiligten einen Zuständigkeits- bzw. Abteilungswechsel an (Übergang des Verfahrens 1B_589/2022 von der I. öffentlichrechtlichen auf die II. strafrechtliche Abteilung unter der neuen Verfahrensnummer 7B_113/2022).

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_113/2022 vom 27. November 2023

Zur Beschwerde in Strafsachen bei Entsiegelungen

Das Bundesgericht nimmt zunächst allgemein im Urteil 7B_113/2022 vom 27. November 2023 wie folgt Stellung:

«Die Beschwerde in Strafsachen gegen Entsiegelungsentscheide der Zwangsmassnahmengerichte ist nur zulässig, wenn dem Betroffenen wegen eines Eingriffs in seine rechtlich geschützten Geheimnisinteressen ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil droht (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 143 I 241 E. 1; 141 IV 289 E. 1.1-1.2 mit Hinweisen; nicht amtl. publ. E. 1 von BGE 144 IV 74, E. 2.1 von BGE 143 IV 270, und E. 2 von BGE 142 IV 207).  Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) spätestens im Entsiegelungsverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht ausreichend zu substanziieren. Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das Gericht nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist der Betroffene nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (BGE 142 IV 207 E. 7.1.5 und E. 11; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.5.3 und E. 5.6; 138 IV 225 E. 7.1; 137 IV 189 E. 4.2 und E. 5.3.3; nicht amtl. publ. E. 6 von BGE 144 IV 74). Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht sind in der Beschwerdeschrift ausreichend zu substanziieren, soweit sie nicht offensichtlich erfüllt erscheinen (Art. 42 Abs. 1-2 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1; 284 E. 2.3; 289 E. 1.3; je mit Hinweisen). Pauschale Hinweise auf angebliche Geheimnisse genügen nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes nicht zur Substanziierung von konkreten schutzwürdigen Geheimnisinteressen (Urteile 7B_222/2023 vom 31. Oktober 2023 E. 2; 7B_107/2022 vom 12. September 2023 E. 2.1; 7B_87/2022 vom 18. Juli 2023 E. 3.1; 1B_534/2022 vom 5. Juni 2023 E. 2.1; 1B_208/2021 vom 17. Januar 2022 E. 3.2-3.4; 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.8; 1B_427/2020 vom 19. Mai 2021 E. 1.2; 1B_423/2019 vom 5. März 2020 E. 1.4; 1B_153/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 1.6; je mit Hinweisen).» (E.1.1)

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht zum drohenden nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 1 StPO) insbesondere geltend, dass sich unter den anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellten Asservaten Unterlagen bzw. Dateien befänden, welche vom Anwaltsgeheimnis geschützt seien. In diesem Zusammenhang habe die Vorinstanz aktenwidrige Tatsachenfeststellungen getroffen (vgl. Beschwerdeschrift S. 5 Rz. 4-5, S. 13-16 Rz. 35-42) (E.1.2)

Gemäss dem Bundesgericht substanziiert der Beschwerdeführer einen drohenden nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteil wegen eines Eingriffs in das Anwaltsgeheimnis infolge der bewilligten Durchsuchung der anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellten Asservate (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 1 und Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG grundsätzlich erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten, wie das Bundesgericht bemerkt (E1.5).

Auf verschiedene (erfolglose) Rügen des Beschwerdeführers (vgl. z.B. E.2) wird hier nicht eingegangen.

Zur Verletzung des Anwaltsgeheimnisses

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses und des Willkürverbotes (E.3).

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 7B_113/2022 vom 27. November 2023 wie folgt kurz und bündig:

«Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger im Sinne von Art. 170 StPO, insbesondere Rechtsanwälte und -anwältinnen bzw. ihre Klientschaft, können sich auf den Berufsgeheimnisschutz als Entsiegelungs- bzw. Beschlagnahmehindernis berufen, wenn die Geheimnisträgerinnen und -träger im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt oder mitbeschuldigt sind (Art. 264 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 StPO; BGE 141 IV 77 E. 5.2; 140 IV 108 E. 6.5; 138 IV 225 E. 6.1-6.2). Wie bereits dargelegt (oben E. 1.4), sind die Feststellungen der Vorinstanz zu den vom Beschwerdeführer substanziierten anwaltlichen Aufzeichnungen aktenwidrig. Dass die Vorinstanz diesbezüglich auf eine Sichtung und Aussonderung der anlässlich der Hausdurchsuchung beim Beschwerdeführer sichergestellten Aufzeichnungen verzichtet hat, verletzt das Anwaltsgeheimnis und hält vor dem Bundesrecht nicht stand (Art. 248 Abs. 1 i.V.m. Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO).» (E.3).

Zusammenfassend ist stellt das Bundesgericht im Urteil 7B_113/2022 vom 27. November 2023 fest, dass der angefochtene Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist, soweit er die verfügte Entsiegelung des von einer Privatklägerin edierten Laptops betrifft. Die Beschwerde wird durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen, der angefochtene Entscheid wird aufgehoben, soweit er die Entsiegelung der anlässlich der Hausdurchsuchung beim Beschwerdeführer sichergestellten Asservate betrifft, und die Sache ist an die Vorinstanz zurückgewiesen, zur Aussonderung der vom Anwaltsgeheimnis betroffenen Aufzeichnungen und zur diesbezüglichen neuen Entscheidung über das Entsiegelungsgesuch. Über die noch auszusondernden anwaltlichen Aufzeichnungen hinaus ist die Beschwerde abzuweisen (E.4).

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