Prüfung der Verwertbarkeit von Beweismitteln im Entsiegelungsverfahren?

Im Urteil 1B_25/2023 vom 25. April 2023 aus dem Kanton Schaffhausen hatte sich das Bundesgericht mit einem Entsiegelungsverfahren in der Untersuchung der Vorgänge in der kantonalen Schulzahnklinik Schaffhausen zu befassen. Gegenstand der Siegelung war das Protokoll der Einvernahme des Beschuldigten durch die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). Als Siegelungsgrund gab der Beschwerdeführer u.a. die Unverwertbarkeit des Protokolls als Beweismittel im Strafverfahren im Sinne von Art. 141 StPO, weil die von der PUK einvernommene Person nicht über ihr umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäss Art. 180 Abs. 1 StPO belehrt worden und nicht im Sinne von Art. 320 Ziff. 2 sowie Art. 321 Ziff. 2 StGB vom Amts- bzw. Berufsgeheimnis entbunden worden sei. Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde nicht ein und erklärte: «Falls es zur Anklage kommen wird, wird der Beschwerdeführer die Frage der Verwertbarkeit des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme dem Sachgericht unterbreiten können. Alleine weil er sich während des Untersuchungsverfahrens auf Nichtverwertbarkeitsgründe beruft, droht ihm kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.» (E.2.5)

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen eröffnete am 23. Oktober 2018 unter anderem wegen verschiedener Vermögensdelikte eine Strafuntersuchung gegen A.. Der untersuchte Sachverhalt betrifft das Abwerben von Patienten der Schulzahnklinik Schaffhausen in eine Privatklinik sowie ein allfällig daraus entstandener Schaden durch Mindereinnahmen zu Lasten des Kantons Schaffhausen.

Zur Untersuchung der mutmasslich unzulässigen Vorgänge in der kantonalen Schulzahnklinik wurde vom Kantonsrat Schaffhausen ausserdem eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt. Am 17. September 2021 wurde B. von der PUK einvernommen.

Instanzenzug

Mit Verfügung vom 27. Oktober 2021 verlangte die Staatsanwaltschaft vom Kantonsratssekretariat die Herausgabe des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme von B. Am 1. November 2021 verlangte A. die Siegelung dieses Protokolls. Am 3. November 2021 übersandte das Kantonsratssekretariat der Staatsanwaltschaft das besagte Protokoll in einem versiegelten Umschlag. Am 22. November 2021 stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Schaffhausen Antrag auf Entsiegelung und Durchsuchung des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme. Die Einzelrichterin des Kantonsgerichts Schaffhausen hiess den Antrag auf Entsiegelung als Zwangsmassnahmenrichterin am 15. Dezember 2022 gut und gab das erwähnte Protokoll zur Durchsuchung frei.

Weiterzug ans Bundesgericht

Dagegen hat A. am 16. Januar 2023 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, der Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen und das gesiegelte Couvert samt Inhalt zu vernichten oder dem Kantonsrat bzw. dem Kantonsratssekretariat zu retournieren. Mit Verfügung vom 7. Februar 2023 hat das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Eventualiter – im Falle der Gutheissung der Beschwerde – sei das versiegelte Couvert nicht zu vernichten, sondern dem Kantonsratssekretariat zu retournieren. Die Vorinstanz hat auf Stellungnahme verzichtet. Mit Eingabe vom 6. März 2023 hat der Beschwerdeführer an seiner Beschwerde festgehalten.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_25/2023 vom 25. April 2023

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht nicht geltend, das Gesetz sehe ausdrücklich die sofortige Rückgabe des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme aus den Akten bzw. dessen Vernichtung vor. Auch bringt er nicht vor und ist nicht zu sehen, dass der Aushändigung des Protokolls an die Strafuntersuchungsbehörden geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstünden. Der Beschwerdeführer ist indessen vor Bundesgericht der Auffassung, das Protokoll dürfe aus zwei Gründen nicht freigegeben werden. Erstens habe die Staatsanwaltschaft dessen Herausgabe fälschlicherweise gestützt auf Art. 265 StPO verlangt und den Kantonsrat bzw. das Kantonsratssekretariat nicht wie in Art. 194 Abs. 2 StPO vorgesehen rechtshilfeweise um die Aushändigung des Protokolls ersucht. Zweitens sei die Unverwertbarkeit des Protokolls als Beweismittel im Strafverfahren im Sinne von Art. 141 StPO offensichtlich, weil die von der PUK einvernommene Person nicht über ihr umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäss Art. 180 Abs. 1 StPO belehrt worden und nicht im Sinne von Art. 320 Ziff. 2 sowie Art. 321 Ziff. 2 StGB vom Amts- bzw. Berufsgeheimnis entbunden worden sei.

Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 1B_25/2023 vom 25. April 2023 wie folgt:

«Nach Art. 44 StPO sind die Behörden des Bundes und der Kantone zur Rechtshilfe verpflichtet, wenn Straftaten nach Bundesrecht in Anwendung der StPO verfolgt und beurteilt werden. Gemäss Art. 194 StPO ziehen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte Akten anderer Verfahren bei, wenn dies für den Nachweis des Sachverhalts oder die Beurteilung der beschuldigten Person erforderlich ist (Abs. 1). Verwaltungs- und Gerichtsbehörden stellen ihre Akten zur Einsichtnahme zur Verfügung, wenn der Herausgabe keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (Abs. 2). Dies hat zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft Verwaltungs- und Gerichtsbehörden weder im Sinne von Art. 265 Abs. 3 StPO hoheitlich zur Herausgabe von Verfahrensakten auffordern kann noch diese in Anwendung von Art. 263 StPO beschlagnahmen kann, falls die Behörden die Herausgabe verweigern (vgl. BGE 129 IV 141 E. 2; Urteil 1B_26/2016 vom 29. November 2016 E. 4.1 mit Hinweisen).  

Das Protokoll der von der PUK durchgeführten Einvernahme wurde der Staatsanwaltschaft vom Kantonsratssekretariat ausgehändigt. Der Beschwerdeführer geht davon aus, der Kantonsrat bzw. seine Organe könnten von der Staatsanwaltschaft nicht hoheitlich zur Herausgabe von Verfahrensakten gezwungen werden. Die Vorinstanz hat die Frage nach der Rechtmässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Editionsverfügung vom 27. Oktober 2021 offengelassen. Selbst wenn man mit dem Beschwerdeführer davon ausgehen würde, die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft sei unrechtmässig gewesen und die Staatsanwaltschaft hätte stattdessen gestützt auf Art. 194 Abs. 2 StPO um Einsicht in das besagte Protokoll ersuchen müssen, stünde damit nicht ohne Weiteres fest, ob das Protokoll im Strafverfahren aus diesem Grund unverwertbar wäre. Inwiefern der Beschwerdeführer insoweit ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Protokolls haben sollte, ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft nicht nur als unrechtmässig, sondern als nichtig bezeichnet.» (E.2.3)

«Art. 140 StPO verbietet verschiedene Methoden der Beweiserhebung. Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmung erhoben wurden oder die von der StPO als unverwertbar bezeichnet werden, sind in keinem Fall verwertbar (Art. 141 Abs. 1 StPO). Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar (Art. 141 Abs. 3 StPO). Ermöglicht ein Beweis, der nach Art. 141 Abs. 2 StPO nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre (Art. 141 Abs. 4 StPO).  

Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Art. 141 StPO auf Art. 180 Abs. 1 StPO und Art. 320 Ziff. 2 sowie Art. 321 Ziff. 2 StGB verweist, steht wiederum nicht ohne Weiteres fest, ob das genannte Protokoll im Strafverfahren aus den von ihm angeführten Gründen unverwertbar ist. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Protokolls haben sollte.» (E.2.4)

«Falls es zur Anklage kommen wird, wird der Beschwerdeführer die Frage der Verwertbarkeit des Protokolls der von der PUK durchgeführten Einvernahme dem Sachgericht unterbreiten können. Alleine weil er sich während des Untersuchungsverfahrens auf Nichtverwertbarkeitsgründe beruft, droht ihm kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.» (E.2.5)

Das Bundesgericht tritt deshalb auf die Beschwerde nicht ein.

 

Kommentare (0)