Opfermitverantwortung der Sozialbehörde bei Art. 148a StGB

Im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht sowohl generell-abstrakt als auch detailreich fallbezogen mit dem Tatbestand von Art. 148a StGB Unrechtmässiger Bezug von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe, mit Fokus auf das Vorliegen eines leichten Falles i.S.v. Art. 148 Abs. 2 StGB sowie die Bedeutung der Opfermitverantwortung der Sozialbehörde. Hier sind einige der Ausführungen des Bundesgerichts: «Art. 148a StGB ist als Auffangtatbestand zum Betrug (Art. 146 StGB) konzipiert und wird im Bereich des unrechtmässigen Bezugs von Sozialleistungen anwendbar, wenn das Betrugsmerkmal der Arglist nicht gegeben ist […]. Der Tatbestand erfasst jede Täuschung. Diese kann durch unwahre oder unvollständige Angaben erfolgen oder auf dem Verschweigen bestimmter Tatsachen beruhen.» (E.2.3.1).  «Im Gegensatz zum Betrug muss der Irrtum aufgrund der Konzeption von Art. 148a StGB nicht arglistig herbeigeführt oder verstärkt worden sein […]. Die Opfermitverantwortung als Aspekt der Arglist spielt deshalb bei der Beurteilung der Tatbestandsmässigkeit nach Art. 148a Abs. 1 StGB keine Rolle […]. Eine allfällige Mitverantwortung der Sozialbehörde kann indessen bei der Beurteilung des Verschuldens des Beschwerdeführers und damit auch bei der Frage, ob es sich um einen leichten Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB handelt, sowie im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden.» (E.2.3.2).«Gemäss BGE 149 IV 273 E. 1.5 – der rund ein halbes Jahr nach dem hier angefochtenen Urteil erging – dient der Deliktsbetrag als Ausgangspunkt bei der Bestimmung des leichten Falls. […]» (E.4.5). Das Bundesgericht bejahte hier den leichten Fall und hiess die Beschwerde teilweise gut (E.5).

Sachverhalt

Der A. bezog in den Jahren 2017 und 2018 Sozialhilfe beim Sozialdienst U. Am 30. Juni 2017 unterzeichnete er eine Lohnabtretungserklärung, in der er seine ehemalige Arbeitgeberin, die B. AG, dazu „ermächtigte“, seinen Lohn für den Juni 2017 direkt an den Sozialdienst zu überweisen. Nach mehreren Zahlungsaufforderungen des Sozialdienstes und von A. überwies die B. AG am 6. Oktober 2017 die geschuldeten Fr. 5’333.85 auf das Privatkonto von A. A. meldete den Zahlungseingang dem Sozialdienst nicht. Erst als er den Auszug seines Bankkontos vom Oktober 2017 am 20. September 2018 dem Sozialdienst einreichte, wurde entdeckt, dass die B. AG den Lohn für Juni 2017 bereits an A. überwiesen hatte (Anklagesachverhalt a).

Im Weiteren erhielt A. zwischen Juni 2018 und Oktober 2018 von der C. AG Lohnzahlungen in der Höhe von insgesamt Fr. 5’674.– auf sein Privatkonto überwiesen. Auch diese Zahlungseingänge meldete A. dem Sozialdienst nicht (Anklagesachverhalt c).

Instanzenzug

Das Bezirksgericht Hinwil verurteilte A. am 9. Dezember 2020 wegen mehrfachen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe gemäss Art. 148a Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten bei einer Probezeit von vier Jahren. Es verwies ihn für fünf Jahre des Landes (Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB).

Auf Berufung von A. bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 1. November 2022 das erstinstanzliche Urteil.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht, das Berufungsurteil sei aufzuheben und er sei bezüglich Anklagesachverhalt a) des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe gemäss Art. 148a Abs. 1 StGB vollumfänglich freizusprechen, eventualiter nur wegen eines leichten Falls im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB schuldig zu sprechen. Auch hinsichtlich Anklagesachverhalt c) sei er nur wegen eines leichten Falles zu verurteilen. Von einer Landesverweisung sei abzusehen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht A. für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichtet auf Vernehmlassung. Die kantonalen Akten wurden eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht hinsichtlich der nicht gemeldeten Lohnzahlung vom Juni 2017 (Anklagesachverhalt a) eine Verletzung von Art. 148a Abs. 1 StGB. Er bringt vor Bundesgericht vor, es fehle am Irrtum und am Vermögensschaden aufseiten des Sozialdienstes. Insbesondere wendet der Beschwerdeführer dabei ein, dass der Sozialdienst die Lohnforderung für Juni 2017 gegenüber der B. AG mit Einleitung einer Schuldbetreibung jederzeit selbst hätte durchsetzen können, weshalb dem Sozialdienst kein Schaden entstanden sei (E.2.1).

Das Bundesgericht fasst die Position der Vorinstanz wie folgt zusammen: «Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe durch das Verschweigen der leistungsrelevanten Tatsachen den Sozialdienst in einen Irrtum über seine finanziellen Verhältnisse versetzt. Daran ändere nichts, dass die Sozialbehörde von der verschwiegenen Information auch anderweitig hätte Kenntnis erlangen können. Ebenso wenig sei von Belang, ob die Behörde eine zu Unrecht ausbezahlte Sozialhilfeleistung nachträglich von anderer Seite ersetzt erhält. Die Vorinstanz sieht einen zumindest vorübergehenden Vermögensschaden und führt aus, die Sozialbehörde habe Anspruch gehabt auf eine zeitnahe Bezahlung des dem Beschwerdeführer von der B. AG ausbezahlten Lohns. Durch das Verschweigen des Zahlungseingangs habe der Beschwerdeführer die Erfüllung dieses Anspruchs verzögert. Der Vermögensschaden liege darin, dass die Sozialbehörde das Geld nicht sofort vom Beschwerdeführer überwiesen erhalten habe, nachdem es diesem am 6. Oktober 2017 von der B. AG überwiesen worden sei. Durch diese Verzögerung sei der Sozialdienst vorübergehend in seinem Vermögen geschädigt gewesen.» (E.2.2).

Generell-abstrakt nimmt das Bundesgericht im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024 zunächst wie folgt Stellung:

«Des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe nach Art. 148a Abs. 1 StGB macht sich schuldig, wer jemanden durch unwahre oder unvollständige Angaben, durch Verschweigen von Tatsachen oder in anderer Weise irreführt oder in einem Irrtum bestärkt, sodass er oder ein anderer Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, die ihm oder dem andern nicht zustehen.» (E.2.3).

«Art. 148a StGB ist als Auffangtatbestand zum Betrug (Art. 146 StGB) konzipiert und wird im Bereich des unrechtmässigen Bezugs von Sozialleistungen anwendbar, wenn das Betrugsmerkmal der Arglist nicht gegeben ist (BGE 149 IV 273 E. 1.5.8 mit Hinweisen). Der Tatbestand erfasst jede Täuschung. Diese kann durch unwahre oder unvollständige Angaben erfolgen oder auf dem Verschweigen bestimmter Tatsachen beruhen. Dabei umfasst die Tatbestandsvariante des „Verschweigens“ auch das passive Verhalten durch Unterlassen der Meldung einer veränderten bzw. verbesserten Lage. Im Unterschied zum Betrug setzt das Verschweigen von Tatsachen keine Garantenstellung im Sinne eines unechten Unterlassungsdelikts voraus. Da nach dem Gesetz alle leistungsrelevanten Tatsachen gemeldet werden müssen, genügt zur Tatbestandserfüllung die blosse Nichtanmeldung geänderter Verhältnisse (Urteile 6B_950/2023 vom 5. Februar 2024 E. 2.2.1; 6B_1042/2021 vom 24. Mai 2023 E. 3.2.1; 6B_1015/2019 vom 4. Dezember 2019 E. 4.5-4.6 mit Hinweisen).» (E.2.3.1).

«Im Gegensatz zum Betrug muss der Irrtum aufgrund der Konzeption von Art. 148a StGB nicht arglistig herbeigeführt oder verstärkt worden sein (Botschaft vom 26. Juni 2013 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes, BBl 2013 6036 f. Ziff. 2.1.6; BGE 149 IV 273 E. 1.5.8). Die Opfermitverantwortung als Aspekt der Arglist spielt deshalb bei der Beurteilung der Tatbestandsmässigkeit nach Art. 148a Abs. 1 StGB keine Rolle (Urteile 6B_1042/2021 vom 24. Mai 2023 E. 3.3; 6B_1246/2020 vom 16. Juli 2021 E. 3.5.2). Eine allfällige Mitverantwortung der Sozialbehörde kann indessen bei der Beurteilung des Verschuldens des Beschwerdeführers und damit auch bei der Frage, ob es sich um einen leichten Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB handelt, sowie im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden (Urteil 6B_1246/2020 vom 16. Juli 2021 E. 3.5.2 und E. 4.4).» (E.2.3.2).

«Bei Art. 148a StGB handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, das wie der Betrug eine Vermögensdisposition und einen Vermögensschaden voraussetzt (Urteil 6B_688/2021 vom 18. August 2022 E. 2.7.5; STEFAN MAEDER, Gefährdung – Schaden – Vermögen, 2017, S. 21; MATTHIAS JENAL, Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, N. 14 zu Art. 148a StGB). Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Begünstigte auf die ausbezahlten Leistungen der Sozialversicherung oder Sozialhilfe keinen Anspruch hatte (Urteil 6B_688/2021 vom 18. August 2022 E. 2.7.1 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zu Art. 146 StGB; BBl 2013 6038 Ziff. 2.1.6).» (E.2.3.3).

«Art. 148a StGB ist als Vorsatzdelikt ausgestaltet und setzt in der Variante des „Verschweigens“ individuelles Wissen um Bestand und Umfang der Meldepflicht sowie tatsächlichen Täuschungswillen voraus (Urteile 6B_1042/2021 vom 24. Mai 2023 E. 3.2.1; 6B_688/2021 vom 18. August 2022 E. 2.4.1; 6B_1246/2020 vom 16. Juli 2021 E. 3.4). Eventualvorsatz genügt (vgl. Art. 12 Abs. 2 StGB).» (E.2.3.4).

Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024 wie folgt:

«Der vorinstanzlichen Argumentation ist im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zu folgen. Unzutreffend ist die Annahme, der Vermögensschaden liege darin, dass der Beschwerdeführer die Fr. 5’333.85, die er von der B. AG überwiesen erhalten hatte, der Sozialhilfebehörde nicht direkt weiterleitete. Der Schaden muss bei Art. 148a StGB vielmehr durch die selbstschädigende Vermögensdisposition der Behörde entstehen und liegt vor, wenn Leistungen unrechtmässig bezogen wurden. Die Annahme der Vorinstanz deckt sich im Übrigen auch nicht mit der Anklageschrift.» (E.2.5.1).

«Es ist festzuhalten, dass die Sozialhilfebehörde sich in einem Irrtum über die Unterstützungsbedürftigkeit des Beschwerdeführers befand. Aufgrund dieses Irrtums zahlte sie weiterhin Sozialhilfeleistungen an den Beschwerdeführer aus, obwohl dieser darauf keinen Anspruch mehr hatte. Dadurch entstand ihr ein Vermögensschaden in Höhe von Fr. 5’333.85. Die Vorinstanz hat den objektiven Tatbestand von Art. 148 Abs. 1 StGB deshalb im Resultat zu Recht bejaht.» (E.2.5.3).

Auf die Rügen zum subjektiven Tatbestand geht das Bundesgericht mangels Substanziierung nicht ein (E.3).Der Beschwerdeführer macht im Eventualstandpunkt vor Bundesgericht geltend, bei den zu Unrecht bezogenen Sozialleistungen im Anschluss an das Verschweigen der Lohnzahlung für Juni 2017 der B. AG (Anklagesachverhalt a) handle es sich jedenfalls um einen leichten Fall des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB. Das gelte auch für die verschwiegenen Lohnzahlungen der C. AG im Sommer 2018 (Anklagesachverhalt c) (E.4.1).

Das Bundesgericht setzt sich im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024 mit den diesbezüglichen Rügen und Ausführungen der Vorinstanz im Detail auseinander, hier sind nur einige wichtige Auszüge:

«Gemäss Art. 148a Abs. 2 StGB werden leichte Fälle unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe mit Busse bestraft. Diesfalls stellt der Tatbestand eine Übertretung dar (Art. 103 StGB).  Wann ein leichter Fall gegeben ist, definiert das Gesetz nicht. Die Bestimmung eines leichten Falls erfolgt über abgestufte, an den Deliktsbetrag anknüpfende Erheblichkeitsschwellen, anhand derer im Interesse der Rechtssicherheit ein klarer Rahmen für die Anwendung von Art. 148a Abs. 2 StGB geschaffen wurde und zugleich im Sinne des gesetzgeberischen Willens der nötige Spielraum für die Berücksichtigung weiterer Tatumstände und anderer Komponenten des Verschuldens belassen wird (BGE 149 IV 273 E. 1.5.1-1.5.4). 

Die Mindestgrenze liegt bei Fr. 3’000.–, bei deren Unterschreitung stets von einem leichten Fall des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe auszugehen ist (BGE 149 IV 273 E. 1.5.5). Die Obergrenze ist bei Fr. 36’000.– festgelegt, bei deren Überschreitung ein leichter Fall grundsätzlich ausscheidet, ausser es liegen im Sinne einer Ausnahme ausserordentliche, besonders gewichtige Umstände vor, die eine massive Verminderung des Verschuldens bewirken. Zu denken ist beispielsweise an eine beschuldigte Person, welche die Tat in einem Zustand sehr stark verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (BGE 149 IV 273 E. 1.5.6). 

Im mittleren Bereich, das heisst bei Deliktsbeträgen von Fr. 3’000.– bis Fr. 36’000.–, ist eine differenzierte Prüfung erforderlich, bei der Art. 47 Abs. 1 und 2 StGB entsprechend die gesamten Tatumstände (sog. Tatkomponenten) zu berücksichtigen sind, namentlich die Art und Weise der Herbeiführung des verschuldeten Erfolgs und die Verwerflichkeit des Handelns. Demgemäss kann das Verschulden etwa dann leichter ausfallen, wenn die Dauer des unrechtmässigen Leistungsbezugs kurz war, das Verhalten der Täterschaft nur eine geringe kriminelle Energie offenbart oder ihre Beweggründe und Ziele nachvollziehbar sind. Auch eine Tatbegehung durch reines Verschweigen verbesserter wirtschaftlicher Verhältnisse und somit durch Unterlassen kann für einen leichten Fall sprechen. Nicht in die Beurteilung miteinzubeziehen sind dagegen die Täterkomponenten. Liegen nennenswerte verschuldensmindernde Umstände vor, ist ein leichter Fall gegeben (BGE 149 IV 273 E. 1.5.7 mit Hinweisen).» (E.4.3).

«Gemäss BGE 149 IV 273 E. 1.5 – der rund ein halbes Jahr nach dem hier angefochtenen Urteil erging – dient der Deliktsbetrag als Ausgangspunkt bei der Bestimmung des leichten Falls. Er liegt beim unrechtmässigen Bezug von Sozialhilfeleistungen infolge des Verschweigens der Lohnzahlung der B. AG in der Höhe von Fr. 5’333.85 am unteren Ende des Mittelbereichs. Unter Berücksichtigung der gesamten Tatumstände gilt es folglich zu eruieren, ob die Anwendung des privilegierten Falls von Art. 148a Abs. 2 StGB gerechtfertigt erscheint. Das ist aus den nachfolgenden Gründen zu bejahen.» (E.4.5).

«Weiter lässt die Vorinstanz ausser Acht, dass die Sozialhilfebehörde eine gewisse („Opfer-„) Mitverantwortung trifft. Im Gegensatz zu den Fällen unrechtmässigen Bezugs von Sozialhilfeleistungen, in denen der Sozialhilfeempfänger eine Arbeitstätigkeit sowie die damit verbundene Entlohnung komplett verschweigt (z.B. Urteil 6B_1349/2023 vom 19. Februar 2024 E. 3.2) oder Lohnzahlungen z.B. bar oder über ein anderes Konto ausrichten lässt (z.B. Urteil 6B_950/2023 vom 5. Februar 2024 E. 2.3), war der Sozialhilfebehörde in casu die noch ausstehende Lohnzahlung bekannt. Der Sozialdienst wusste nicht nur um die Arbeitstätigkeit des Beschwerdeführers bei der B. AG, sondern hielt auch ein besonderes Augenmerk auf den dafür noch geschuldeten Lohn. Wie sich aus den vorinstanzlichen Erwägungen ergibt, trat der Beschwerdeführer die Lohnforderung für den Juni 2017 sogar dem Sozialdienst ab und informierte seine (ehemalige) Arbeitgeberin mit Schreiben vom 30. Juni 2017, dass diese bis auf Widerruf durch den Sozialdienst den geschuldeten Lohn an diesen zu leisten habe.» (E.4.5.3).

«Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz schliesslich, wenn sie erwägt, es sei unerheblich, ob der Beschwerdeführer unter finanziellem Druck gestanden habe und die Ausgaben seiner Familie nicht habe stemmen können, weil diese Umstände auf sämtliche Bezüger von Sozialhilfe zuträfen.  

Die Vorinstanz scheint diese Auffassung – ohne das explizit zu sagen – auf das sog. Doppelverwertungsverbot zu stützen. Danach ist es dem Gericht untersagt, Umstände, die zur Anwendung eines höheren oder tieferen Strafrahmens führen, innerhalb des geänderten Strafrahmens noch einmal als Straferhöhungs- oder Strafminderungsgrund zu berücksichtigen, weil dem Täter sonst der gleiche Umstand zweimal zur Last gelegt oder zugute gehalten würde (BGE 149 IV 395 E. 3.7.1; 141 IV 61 E. 6.1.3; 118 IV 342 E. 2b; je mit Hinweisen). Das Doppelverwertungsverbot gilt freilich bereits für die gesetzlichen Merkmale des Grundtatbestands, die Voraussetzung für einen Schuldspruch bilden und deshalb nicht zur Bestimmung des Verschuldens beitragen können (Urteile 6S.44/2007 vom 6. Juni 2007 E. 4.3.2; 6B_502/2019 vom 27. Februar 2020 E. 3.4; 6B_95/2018 vom 20. November 2018 E. 2.3). Das Verbot beansprucht grundsätzlich auch Geltung, wenn bei Deliktsummen über Fr. 3’000.– zu beurteilen ist, ob ein leichter Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB vorliegt, da sich diese Beurteilung nach der Rechtsprechung an den für das Tatverschulden massgeblichen Kriterien im Sinne von Art. 47 Abs. 2 StGB orientiert (vgl. E. 4.3 hiervor). 

Entgegen der Vorinstanz ist dem Tatbestand von Art. 148a StGB aber nicht inhärent, dass angespannte finanzielle Verhältnisse den Täter zum Delikt bewegen oder dieser die unrechtmässig bezogenen Sozial (hilfe) leistungen zur Deckung von (Grund-) Bedürfnissen seiner Familie zu verwenden beabsichtigt. Zum einen erfasst die Strafnorm neben der Sozialhilfe auch Zweige des Sozialversicherungsrechts, die keinen oder nicht in erster Linie existenzsichernden Charakter haben, z.B. die Krankenversicherung, die berufliche Vorsorge oder die Unfallversicherung (vgl. JENAL, a.a.O., N. 15 zu Art. 148a StGB). Zum anderen wird selbst für unrechtmässigen Bezug von Leistungen der Sozialhilfe nur bestraft, wer auf die bezogenen Sozialhilfegelder keinen Anspruch hatte (vgl. E. 2.3.3 hiervor), was gerade daran liegen kann, dass der Täter auf die staatliche Hilfe nicht angewiesen war. Selbst wenn die beim Beschwerdeführer vorliegenden Motive und Umstände typisch sein mögen, sind sie nicht tatbestandsbegründend, weshalb ihnen bei der Bemessung des Verschuldens Rechnung getragen werden darf bzw. muss (so auch MARTIN SEELMANN, Strafzumessung und Doppelverwertung, Zürich 2023, S. 388). Die Vorinstanz blendet daher zu Unrecht aus, aus welchen Beweggründen und mit welchen Zielen der Beschwerdeführer handelte, was nach Art. 47 Abs. 2 StGB und der daran orientierten Rechtsprechung zu Art. 148a Abs. 2 StGB (vgl. E. 4.3 hiervor) bei der Verortung des Verschuldens und des einfachen Falls zu berücksichtigen wäre.» (E.4.5.4).

«Vor dem Hintergrund des an der unteren Grenze des Mittelbereichs liegenden Deliktsbetrags (Fr. 5’333.85) und im Lichte der dargelegten Tatumstände ist hinsichtlich des unrechtmässigen Leistungsbezugs durch das Verschweigen der Überweisung der B. AG von einem leichten Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB auszugehen. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.» (E.4.5.5).

«Auch beim unrechtmässigen Bezug von Sozialhilfeleistungen infolge des Verschweigens der Lohnzahlung der C. AG ist der leichte Fall zu bejahen.  Der Deliktsbetrag in Höhe von Fr. 5’674.– ist ebenfalls an der unteren Grenze des Mittelbereichs anzusiedeln. Erschwerend wirkt sich für den Beschwerdeführer auch hier sein direktvorsätzliches Handeln aus. Er deklarierte den Lohn der C. AG auch dann nicht, als der Sozialdienst ihn am 2. Oktober 2018 auf die Lohnzahlung der B. AG ansprach. Neben der Deliktsumme spricht aber auch die relativ kurze Deliktsdauer von fünf Monaten für einen leichten Fall (vgl. BGE 149 IV 273 E. 1.6). Der Beschwerdeführer nahm keine zusätzlichen Verschleierungshandlungen vor, sondern verschwieg lediglich seine Einkünfte. Ebenso musste der Beschwerdeführer auch in dieser Konstellation damit rechnen, dass die Sozialhilfebehörde das zusätzliche Einkommen entdecken würde, da er die Kontoauszüge für den weiteren Bezug von Sozialhilfeleistungen einreichen musste. Das Tatvorgehen zeugt insgesamt von einer geringen kriminellen Energie. Zu den Erwägungen der Vorinstanz bezüglich der Berücksichtigung der Vorstrafe sowie der Beweggründe kann auf die Ausführungen in E. 4.5 verwiesen werden. Gesamthaft betrachtet liegt auch hinsichtlich des unrechtmässigen Bezugs der Sozialhilfeleistungen durch das Verschweigen der Lohnzahlungen der C. AG ein leichter Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB vor. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt begründet.» (E.4.5.6).

Das Bundesgericht kommt im Urteil 7B_770/2023 vom 6. September 2024 zur Schlussfolgerung:

«Da es sich bei beiden Anklagesachverhalten um leichte Fälle des unrechtmässigen Bezugs von Sozialhilfeleistungen (Art. 148a Abs. 2 StGB) und daher nicht um Katalogtaten im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB handelt, fällt eine Landesverweisung ausser Betracht.» (E.4.7).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut (E.5).

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