Nicht in Akten aufgenommen Daten sind keine Beweisgegenstände i.S.v. Art. 192 StPO

Im Urteil 7B_461/2024 vom 27. August 2024 aus dem Kanton Basel-Landschaft befasste sich das Bundesgericht mit einem Antrag auf Akteneinsicht betreffend Handydaten. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Streitig sind vorliegend diejenigen Daten, die sich im Zeitpunkt der Übergabe an die Polizei auf dem Mobiltelefon der Privatklägerin befanden und entsprechend gespiegelt wurden, dann aber nicht Eingang in den Auswertungsbericht vom 8. Dezember 2022 fanden. Zuvor war das Mobiltelefon als Datenträger sichergestellt und durchsucht worden (Art. 246 ff. StPO […]). Diejenigen Daten, welche als Beweismittel gebraucht wurden (vgl. Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO), wurden in den Auswertungsbericht und damit in die Akten aufgenommen. Alle anderen Daten wurden entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht Bestandteil der Akten. Insbesondere sein Hinweis auf Art. 192 StPO verfängt nicht: Nur, was entscheidrelevante Aufschlüsse vermitteln kann, ist Beweisgegenstand in diesem Sinne. Sicherstellung und gegebenenfalls Beschlagnahme gehen der Aufnahme in die Akten voraus […]. Was mangels Relevanz vorher ausgesondert wird, fällt nicht unter Art. 192 StPO. Vorliegend sind somit erst die nach Auswertung des Mobiltelefons in den Auswertungsbericht samt Beilagen aufgenommenen Daten (eine separate Beschlagnahmeverfügung hat die Staatsanwaltschaft nicht erlassen) Beweisgegenstände nach Art. 192 StPO. Dass die Privatklägerin ihr Mobiltelefon freiwillig herausgab, führt, anders als der Beschwerdeführer meint, zu keinem anderen Ergebnis. Durchsuchung und Beschlagnahme als Zwangsmassnahmen (Art. 196 lit. a StPO) setzen nicht zwingend den Widerstand der betroffenen Person voraus. Vielmehr stellen Verfahrenshandlungen, die unter die Definition von Art. 196 StPO fallen, Zwangsmassnahmen dar und unterliegen als solche den einschlägigen Bestimmungen der StPO, auch wenn sie mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgen […]. Die freiwillige Übergabe des Telefons zwecks Spiegelung und Durchsuchung bedeutet somit nicht, dass sämtliche darauf gespeicherten Daten automatisch zu Beweisgegenständen im Sinne von Art. 192 StPO würden.» (E.1.3). «Nach dem Gesagten ersucht der Beschwerdeführer um Einsicht in Daten, die gar nicht Bestandteil der Akten sind. Bei der Prüfung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils ist sein Begehren daher nicht wie ein Akteneinsichtsgesuch, sondern wie ein Beweisantrag zu behandeln.» (E.1.4.1). Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde nicht ein.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft führt ein Verfahren gegen A. wegen Vergewaltigung. Am 4. November 2021 wurde die Privatklägerin B. als Auskunftsperson befragt. Dabei erklärte sie, dass auf ihrem Mobiltelefon Nachrichten vorhanden seien, die gesichert werden könnten, und dass sie bereit sei, ihr Mobiltelefon zwecks Sicherung der Daten der Polizei zu übergeben. Gleichentags erliess die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchungs- und Sicherstellungsverfügung. Konkret gab sie der Polizei Basel-Landschaft, IT-Forensik, den Auftrag, die auf dem Mobiltelefon (inkl. SIM-Karte und Speicherkarten) vorhandenen Aufzeichnungen sowie die gespeicherten Daten abgeleiteter lnternetdienste sicherzustellen und zu durchsuchen. Gleichzeitig wurde die Privatklägerin auf ihr Siegelungsrecht hingewiesen. Mit Bericht vom 8. Dezember 2022 erfolgte eine Auswertung der sichergestellten Daten. Dieser enthält Informationen zu telefonischen Kontakten und Chat-Nachrichten zwischen A. und B., zu GPS-Daten, Audiodateien, Fotos und zu eingegebenen Suchbegriffen. Diese Daten sowie der Extraktionsbericht der Polizei Basel-Landschaft vom 9. November 2021 wurden als Beilagen zum Bericht vom 8. Dezember 2022 in die Akten aufgenommen.

Instanzenzug

Am 18. April 2023 stellte A. bei der Staatsanwaltschaft den Antrag, es seien der Verteidigung die gespiegelten Handydaten der Privatklägerin zur Einsichtnahme zuzustellen, ebenso die vollständigen Verfahrensakten in paginierter Form, systematisch geordnet und mit einem detaillierten Inhaltsverzeichnis versehen, unter Beilage des Verfahrensprotokolls. Dieses Rechtsbegehren wies die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 23. Mai 2023 ab.

Eine von A. hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Beschluss vom 23. Oktober 2023 (zugestellt am 8. März 2024) teilweise gut. Es wies die Staatsanwaltschaft an, ein Aktenverzeichnis im Sinne der Erwägungen zu erstellen. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. reicht beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen ein und beantragt, der Beschluss vom 23. Oktober 2023 bzw. die Verfügung vom 23. Mai 2023 seien vollumfänglich aufzuheben und die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, ihm die vollständigen, gespiegelten Handydaten der Privatklägerin in elektronischer Form samt entsprechender Software zur Einsichtnahme zuzustellen.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt, womit sich Ausführungen zum Verfahrensantrag des Beschwerdeführers um Gewährung des Replikrechts erübrigen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_461/2024 vom 27. August 2024

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_461/2024 vom 27. August 2024 zunächst generell-abstrakt wie folgt:

«Nach der Rechtsprechung muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 147 IV 188 E. 1.3.2; 144 IV 321 E. 2.3; 141 IV 289 E. 1.2). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3).» (E.1.2.2).

«Eine Beschränkung der Akteneinsicht bewirkt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, wenn die beschuldigte Person im gegebenen Verfahrensstadium – namentlich aufgrund der Verfahrensgarantie in Art. 101 Abs. 1 StPO – über ein Recht auf Akteneinsicht verfügt. In allen anderen Fällen bewirkt die (teilweise) Verweigerung der Akteneinsicht prinzipiell keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, da sie – wie die Ablehnung eines Beweisantrags oder jede andere Verweigerung des rechtlichen Gehörs – bei der Anfechtung des Endentscheids gerügt werden kann (Urteile 7B_578/2023 vom 23. Oktober 2023 E. 2.3; 1B_628/2021 vom 20. April 2022 E. 3.4; je mit Hinweisen).» (E.1.2.3).

«Das Bundesgericht beurteilt die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGGBGE 149 IV 9 E. 2; 142 IV 196 E. 1.1; je mit Hinweis). Nach Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG muss die beschwerdeführende Person die Tatsachen darlegen, aus denen sich ihre Beschwerdeberechtigung und der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben sollen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3; je mit Hinweisen).» (E.1.2.4).

Fallbezogen fährt das Bundesgericht im Urteil 7B_461/2024 vom 27. August 2024 fort

«Streitig sind vorliegend diejenigen Daten, die sich im Zeitpunkt der Übergabe an die Polizei auf dem Mobiltelefon der Privatklägerin befanden und entsprechend gespiegelt wurden, dann aber nicht Eingang in den Auswertungsbericht vom 8. Dezember 2022 fanden. Zuvor war das Mobiltelefon als Datenträger sichergestellt und durchsucht worden (Art. 246 ff. StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.1). Diejenigen Daten, welche als Beweismittel gebraucht wurden (vgl. Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO), wurden in den Auswertungsbericht und damit in die Akten aufgenommen. Alle anderen Daten wurden entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht Bestandteil der Akten. Insbesondere sein Hinweis auf Art. 192 StPO verfängt nicht: Nur, was entscheidrelevante Aufschlüsse vermitteln kann, ist Beweisgegenstand in diesem Sinne. Sicherstellung und gegebenenfalls Beschlagnahme gehen der Aufnahme in die Akten voraus (AGATA DZIERZEGA ZGRAGGEN, in: Basler Kommentar Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 1 und 9 zu Art. 192 StPO). Was mangels Relevanz vorher ausgesondert wird, fällt nicht unter Art. 192 StPO. Vorliegend sind somit erst die nach Auswertung des Mobiltelefons in den Auswertungsbericht samt Beilagen aufgenommenen Daten (eine separate Beschlagnahmeverfügung hat die Staatsanwaltschaft nicht erlassen) Beweisgegenstände nach Art. 192 StPO. Dass die Privatklägerin ihr Mobiltelefon freiwillig herausgab, führt, anders als der Beschwerdeführer meint, zu keinem anderen Ergebnis. Durchsuchung und Beschlagnahme als Zwangsmassnahmen (Art. 196 lit. a StPO) setzen nicht zwingend den Widerstand der betroffenen Person voraus. Vielmehr stellen Verfahrenshandlungen, die unter die Definition von Art. 196 StPO fallen, Zwangsmassnahmen dar und unterliegen als solche den einschlägigen Bestimmungen der StPO, auch wenn sie mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgen (Urteil 6B_1000/2016 vom 4. April 2017 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Die freiwillige Übergabe des Telefons zwecks Spiegelung und Durchsuchung bedeutet somit nicht, dass sämtliche darauf gespeicherten Daten automatisch zu Beweisgegenständen im Sinne von Art. 192 StPO würden.» (E.1.3).

«Nach dem Gesagten ersucht der Beschwerdeführer um Einsicht in Daten, die gar nicht Bestandteil der Akten sind. Bei der Prüfung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils ist sein Begehren daher nicht wie ein Akteneinsichtsgesuch, sondern wie ein Beweisantrag zu behandeln.» (E.1.4.1).

«Bei Zwischenentscheiden, mit denen Beweiserhebungen abgelehnt werden, droht in der Regel kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur. Insbesondere kann die rechtsuchende Person einen zu Unrecht erfolgten derartigen Zwischenentscheid nach der Rechtsprechung grundsätzlich noch mit dem Rechtsmittel gegen den Endentscheid korrigieren (vgl. BGE 141 III 80 E. 1.2 mit Hinweisen). Eine Ausnahme liegt vor, wenn durch den angefochtenen Zwischenentscheid ein Beweisverlust droht (zum Ganzen: Urteile 1B_231/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 2.3.2; 1B_108/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 1.3; je mit Hinweisen).» (E.1.4.2).

«Die Vorinstanz weist in diesem Sinne zutreffend darauf hin, dass der Beschwerdeführer, soweit er davon ausgeht, dass sich auf dem Mobiltelefon der Privatklägerin weitere, entlastende Daten befinden, bei der Staatsanwaltschaft einen entsprechend substanziierten Beweisantrag auf Durchsuchung und Beschlagnahme stellen kann. Weshalb es ihm nicht möglich sein sollte, im späteren Lauf des Verfahrens, spätestens mit Anfechtung des Endentscheids, die Beschlagnahme weiterer Daten vom Mobiltelefon der Privatklägerin zu beantragen bzw. inwiefern ein Beweisverlust drohen könnte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Unbehelflich ist jedenfalls sein Einwand, den Inhalt der zu triagierenden Akten nicht zu kennen, weshalb ihm eine Begründung und Substanziierung entsprechender Anträge von vornherein unmöglich sei. Seine – im angefochtenen Beschluss wiedergegebene – Beschwerdebegründung an die Vorinstanz führt zu einem anderen Schluss. Darin führte er aus, es dränge sich der Verdacht auf, dass die Privatklägerin Intimkontakte ausserhalb ihrer Beziehung gepflegt haben könnte. Ohne dass die Relevanz solcher allfälliger Kontakte in Bezug auf den Vergewaltigungsvorwurf vorliegend näher beleuchtet werden müsste, steht es dem Beschwerdeführer jedenfalls frei, in Bezug auf diesen Verdacht weitere Beweisanträge zu stellen. Es ist insgesamt nicht ersichtlich, inwiefern der angefochtene Beschluss einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken soll.» (E.1.4.3).

Das Bundesgericht trat im Urteil 7B_461/2024 vom 27. August 2024 auf die Beschwerde nicht ein (E.2).

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