Sachverhalt
Die Justizvollzugsanstalt Thorberg verfügte am 4. April 2023, dass der verwahrte A. nach jedem Besuch einer oberflächlichen Leibesvisitation unterzogen werden soll. Zur Begründung führte sie aus, dies sei notwendig, um die Einfuhr unerlaubter Gegenstände und Substanzen zu verhindern und damit die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu gewährleisten.
Instanzenzug
Dagegen erhob A. am 24. April 2023 Beschwerde und ersuchte um unentgeltliche Rechtspflege.
Diese Eingabe leitete die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern mit Verfügung vom 27. April 2023 dem Amt für Justizvollzug weiter zur Durchführung des Einigungsverfahrens gemäss Art. 51 des Gesetzes vom 23. Januar 2018 über den Justizvollzug (Justizvollzugsgesetz, JVG/BE; BSG 341.1). Mit Verfügung vom 30. Mai 2023 übermittelte das Amt für Justizvollzug der Sicherheitsdirektion die Beschwerde vom 24. April 2023 und die Unterlagen aus dem Einigungsverfahren zur Durchführung des ordentlichen Beschwerdeverfahrens. Mit Entscheid vom 21. Juni 2023 wies die Sicherheitsdirektion die Beschwerde von A. und dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab.
Die dagegen gerichtete Beschwerde von A. vom 24. Juli 2023 wies das Obergericht des Kantons Bern am 1. März 2024 ab, soweit es darauf eintrat. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es ebenfalls ab. Die Kosten des obergerichtlichen Beschwerdeverfahrens von Fr. 1’500.– auferlegte es A.
Weiterzug ans Bundesgericht
Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der obergerichtliche Beschluss vom 1. März 2024 sei aufzuheben und es seien die jeweiligen Vollzugseinrichtungen anzuweisen, „unregelmässige, angemessene und verhältnismässige Körperkontrollen“ durchzuführen, insbesondere ohne vollständiges Ausziehen. Es sei festzustellen, dass die systematischen Körperkontrollen, wie sie aktuell in der Justizvollzugsanstalt Thorberg durchgeführt würden, seine Würde verletzten. Ihm sei eine angemessene Genugtuung auszurichten und für die vorinstanzlichen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zur neuen Begründung und Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_459/2024 vom 5. September 2024
Der Beschwerdeführer wehrt sich vor Bundesgericht gegen die Leibesvisitationen in der Justizvollzugsanstalt Thorberg. Er rügt eine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 7 BV sowie eine Verletzung von Art. 36 BV i.V.m. Art. 31 Abs. 1 JVG/BE (E.3).
Das Bundesgericht führt im Urteil 7B_459/2024 vom 5. September 2024 Folgendes aus:
«Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen (Art. 7 BV). Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten (Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 12 Abs. 2 KV/BE, Art. 3 EMRK). Die persönlichen Effekten und die Unterkunft des Gefangenen können zum Schutz der Ordnung und Sicherheit der Strafanstalt durchsucht werden (Art 85 Abs. 1 StGB). Beim Gefangenen, der im Verdacht steht, auf sich oder in seinem Körper unerlaubte Gegenstände zu verbergen, kann eine Leibesvisitation durchgeführt werden. Diese ist von einer Person gleichen Geschlechts vorzunehmen. Ist sie mit einer Entkleidung verbunden, so ist sie in Abwesenheit der anderen Gefangenen durchzuführen. Untersuchungen im Körperinnern sind von einem Arzt oder von anderem medizinischem Personal vorzunehmen (Art. 85 Abs. 2 StGB). Die gilt auch für verwahrte Personen (Art. 90 Abs. 5 StGB). Die Leitung der Vollzugseinrichtung kann Eingewiesene einer oberflächlichen Leibesvisitation durch Personal des gleichen Geschlechts unterziehen sowie die persönlichen Effekten und die Unterkunft der Eingewiesenen durchsuchen lassen (Art. 31 Abs. 1 JVG/BE). Die Vorinstanz hält willkürfrei (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) fest, die Leitung der Vollzugseinrichtung könne diese Befugnis an geeignetes Personal delegieren. Die Durchsuchung beschränke sich nicht auf eine äusserliche Kontrolle samt Kleidervisitation, sondern umfasse auch die Kontrolle von Achselhöhlen, Haartracht und nacktem Körper ohne Eingriff in Körperhöhlen.» (E.3.1).
«Ist zu beantworten, ob eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung gegen die Menschenwürde verstösst und eine erniedrigende Behandlung darstellt, kommt es auf die Umstände an (BGE 146 I 97 E. 2.3; 141 I 141 E. 6.3.5 mit Hinweisen). Die Leibesvisitation bedeutet einen Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV). Sie muss verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV). Das heisst, sie muss geeignet sein, den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Sodann muss sie erforderlich sein. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn mildere Massnahmen zur Erreichung des angestrebten Zwecks genügen. Schliesslich muss die Massnahme der betroffenen Person zumutbar sein (BGE 146 I 97 E. 2.3; 142 I 135 E. 4.1; 141 I 141 E. 6.5.3; vgl. zur Kasuistik: BGE 146 I 97 E. 2.4).» (E.3.2).
«Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist es nachvollziehbar, dass ein Inhaftierter, der einer körperlichen Durchsuchung unterzogen wird, sich dadurch in seiner Intimität und Würde beeinträchtigt fühlt, besonders wenn er sich vor anderen entkleiden und eine unangenehme Stellung („posture embarrassante“) einnehmen muss. Eine solche Behandlung ist jedoch nicht per se illegitim. Auch vollständige körperliche Durchsuchungen können sich als notwendig erweisen zur Gewährleistung der Sicherheit im Gefängnis, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Vorbeugung von Straftaten. Körperliche Durchsuchungen müssen allerdings für die Erreichung dieser Zwecke erforderlich („nécessaire“) sein. Zudem müssen sie dergestalt durchgeführt werden, dass das Mass des Leids oder der Erniedrigung des Inhaftierten nicht jenes übersteigt, das mit dieser Art der Behandlung unvermeidlich verbunden ist. Je schwerer der Eingriff in die Intimität des Inhaftierten wiegt, desto grössere Wachsamkeit („vigilance“) drängt sich auf. Dies gilt insbesondere, wenn er sich vor anderen ausziehen und unangenehme Stellungen einnehmen muss. Es kann zwar notwendig sein, den Inhaftierten im Hinblick auf die Sichtung der Aftergegend dazu anzuhalten, sich zu bücken und zu husten. Eine solche Massnahme ist jedoch nur zulässig, wenn sie angesichts der besonderen Umstände absolut notwendig ist und wenn ernsthafte und konkrete Verdachtsmomente bestehen, dass der Inhaftierte verbotene Gegenstände oder Substanzen in diesem Körperteil verbirgt (Urteil des EGMR 70204/01 in Sachen Frérot gegen Frankreich vom 12. Juni 2007, § 38-41 mit Hinweisen; MEYER-LADEWIG/LEHNERT, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Meyer-Ladewig und andere [Hrsg.], Handkommentar, 5. Aufl. 2023, N. 34 zu Art. 3 EMRK).» (E.3.3).
«Im Schrifttum wird dargelegt, für eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung seien Anhaltspunkte erforderlich, dass ohne diese Massnahme eine konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung vorliege oder andere besonders wichtige Rechtsgüter betroffen sein könnten. Massgebend seien die Umstände. Eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung sei unverhältnismässig, wenn kein objektiver Grund zur Annahme bestehe, dass die betroffene Person im Besitz gefährlicher Gegenstände sei. Dasselbe gelte, wenn das Abtasten über den Kleidern genüge (BGE 146 I 97 E. 2.6 mit Hinweisen).» (E.3.4)
Fallbezogen erklärt das Bundesgericht im Urteil 7B_459/2024 vom 5. September 2024, dass sich die Vorinstanz mit den Argumenten des Beschwerdeführers sorgfältig auseinandergesetzt hat (E.4). Das Bundesgericht fährt u.a. wie folgt fort:
«Zunächst geht sie auf dessen Kritik ein, wonach die systematischen Leibesvisitationen unverhältnismässig seien. Dazu erwägt sie, weder die Justizvollzugsanstalt Thorberg noch die Sicherheitsdirektion stellten in Abrede, dass nach jedem privaten Besuch oberflächliche Leibesvisitationen vorgenommen würden. Dies ergebe sich auch aus der Stellungnahme des Bundesrats zum Bericht des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 26. Oktober 2021 über dessen Besuch in der Schweiz vom 22. März 2021 bis 1. April 2021. Der Beschwerdeführer argumentierte im vorinstanzlichen Verfahren, die Bezeichnung als „oberflächliche“ Leibesvisitation sei euphemistisch. Dem hält die Vorinstanz unter Hinweis auf BGE 123 I 221 E. II.2 entgegen, die Terminologie in Art. 31 JVG/BE stehe mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers könne auch eine oberflächliche Untersuchung die Kontrolle des nackten Körpers umfassen, während die intime Leibesvisitation die Kontrolle von Körperöffnungen mit einschliesse.» (E.4.1).
«In der Folge prüft die Vorinstanz, ob die soeben erwähnten oberflächlichen Leibesvisitationen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Würde verletzen. Dabei verweist sie auf die Verfügung der Justizvollzugsanstalt Thorberg vom 4. April 2023. Darin wurde festgehalten, die Eingewiesenen stünden jeweils in direktem Kontakt mit den Besuchern, seien räumlich nicht getrennt und würden dieselben Toiletten im Besucherbereich benützen. Wegen dieser Gegebenheiten sehe sich die Justizvollzugsanstalt Thorberg regelmässig mit der Einfuhr unerlaubter Gegenstände oder Substanzen im Körper der Eingewiesenen konfrontiert. Um dies zu verhindern und die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu gewährleisten, seien die oberflächlichen Leibesvisitationen nach Besuchen notwendig. Aufgrund der Ausgestaltung der Besuche in der Justizvollzugsanstalt Thorberg bestehe immer der Verdacht, dass unerlaubte Gegenstände eingeführt werden könnten.» (E.4.2).
«Gemäss Vorinstanz erachtete auch die Sicherheitsdirektion die Leibesvisitationen als verhältnismässig. Sie verwies auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und zitierte insbesondere BGE 141 I 141, der Leibesvisitationen im Gefängnis Champ-Dollon betraf […].» (E.4.3).
«Die Vorinstanz erwägt, die Praxis in der Justizvollzugsanstalt Thorberg rühre offensichtlich daher, dass die Infrastruktur eine systematische Durchsuchung der Eingewiesenen aus Sicherheitsgründen unabdingbar mache. Die Besuchsräume seien nämlich offen, womit ein direkter Kontakt zu Besuchern möglich sei (vgl. auch BGE 141 I 141 E. 6.5.1). Die Vorinstanz verwirft die Rüge des Beschwerdeführers, dass die oberflächliche Leibesvisitation standardmässig erfolge und nicht auf einer individuellen Risikobeurteilung beruhe. Sie betont, die Leibesvisitationen würden durchgeführt, nachdem der Eingewiesene ohne Überwachung direkten Kontakt zu externen Personen gehabt habe. Dies berge das Risiko der Einführung gefährlicher Gegenstände oder Substanzen. Die Vorinstanz gelangt zum zutreffenden Schluss, dass eine aus solchen Sicherheitsüberlegungen fliessende systematische Leibesvisitation nach einem Aufenthalt im Besuchsraum nicht gegen die EMRK verstösst (vgl. BGE 141 I 141 E. 6.5.2).» (E.4.4).
«Die Vorinstanz weist den Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass die beträchtliche Anzahl von Besuchen in der Justizvollzugsanstalt Thorberg unvermeidlich die Anwendung eines standardisierten Verfahrens notwendig macht. Würden die Abläufe so angepasst, wie es sich der Beschwerdeführer vorstelle, dann wären Besuche im bisherigen Ausmass nicht mehr durchführbar. Dies kann nicht im Interesse der Eingewiesenen sein. Auch diesbezüglich verweist die Vorinstanz zutreffend auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Gefängnis Champ-Dollon (vgl. BGE 141 I 141 E. 6.5.2). Die Vorinstanz hebt mit der Sicherheitsdirektion den Sicherheitsaspekt hervor. Die pauschale Kritik des Beschwerdeführers, wonach die Justizvollzugsanstalt Thorberg „alles gebetsmühlenartig mit dem Sicherheitsargument“ begründe, verwirft sie zu Recht.» (E.4.5).
«Massnahmen wie Leibesvisitationen müssen verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV; vgl. etwa BGE 146 I 97 E. 2.3), will sagen: sie müssen geeignet sein, den damit verfolgten Zweck zu erreichen (Eignung). Sodann müssen sie erforderlich sein (Erforderlichkeit). Daran fehlt es, wenn mildere Massnahmen zur Erreichung des angestrebten Zwecks genügen. Schliesslich müssen sie zumutbar sein (Zumutbarkeit). Von diesen anerkannten Grundsätzen lässt sich die Vorinstanz leiten. Sie hält fest, die Eignung der Leibesvisitationen zur Erreichung der Sicherheitsanforderungen sei offensichtlich. Sodann prüft sie eingehend, ob die Leibesvisitationen auch erforderlich seien. Dabei übersieht sie nicht, dass die systematische Durchsuchung des nackten Körpers einen Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers bedeutet. Dieser mache geltend, es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn ein bis zwei Mal pro Jahr eine Zufallskontrolle durchgeführt werde. Dem hält die Vorinstanz zu Recht entgegen, dass damit die notwendige Sicherheit in der Justizvollzugsanstalt Thorberg massiv beeinträchtigt würde. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf den bereits mehrfach zitierten BGE 141 I 141. Dort hielt das Bundesgericht fest, dass neben Leibesvisitationen durchaus andere Mittel zur Gewährleistung der Sicherheit bestünden. Es nannte beispielhaft Trennscheiben, Metalldetektoren und die Abtastung oder eine verstärkte Kontrolle der Besucher vor und während des Besuchs. Wie das Bundesgericht bereits damals erklärte, mag auf den ersten Blick der Eindruck entstehen, dass die Gesamtheit solcher Massnahmen weniger stark in die Menschenwürde eingreift („l’ensemble de ces instruments peuvent de prime abord apparaître moins attentatoires à la dignité“). Allerdings gab das Bundesgericht zu bedenken, dass auch solche Massnahmen Nachteile hätten. Dies gelte sowohl für die Sicherheit wie auch für den Schutz des Privat- und Familienlebens und der persönlichen Freiheit (E. 6.5.3). Die Vorinstanz stützt sich zu Recht auf diese Rechtsprechung. Weiter hält sie in vertretbarer Weise fest, die mildere Massnahme einer Kontrolle über der Unterwäsche scheine nicht hinreichend wirksam.» (E.4.8).
«Nach dem Gesagten gelangt die Vorinstanz zu Recht zum Schluss, dass die Praxis der Leibesvisitationen in der Justizvollzugsanstalt Thorberg verhältnismässig ist und im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht. Damit ist auch den Anforderungen der EMRK Genüge getan.» (E.4.9).
Auf die weiteren Ausführungen zur unentgeltlichen Rechtspflege wird hier nicht eingegangen (E.5).