Landesverweisung: Härtefallbegründung durch 14 Jahre altes Kind und Interessensabwägung in dieser Alterskategorie 

Im Urteil 7B_468/2023 vom 20. August 2024 aus dem Kanton Nidwalden befasste sich das Bundesgericht mit der strafrechtlichen Landesverweisung eines Täters, einen 14 Jahre alten Sohn hat, der bei der Mutter lebt. Es  äusserte sich u.a. wie folgt: «Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die tatsächlich gelebte Beziehung zu seinem 14-jährigen Sohn härtefallbegründend im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK wirkt (vgl. dazu BGE 149 IV 231 E. 2.1.1 und BGE 147 IV 453 E. 1.4.5, wonach ein Eingriff in das Recht auf Familienleben in der Regel einen Härtefall begründet).» (E.2.3). Das Bundesgericht stützt die Landesverweisung u.a. wie folgt: «Diese von der Vorinstanz vorgenommene Interessenabwägung gibt keinerlei Anlass zur Kritik. Die Vorinstanz berücksichtigt die von der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR entwickelten gängigen Kriterien […] Nachdem der Sohn, den der Beschwerdeführer als Hauptargument anführt, im vorinstanzlichen Urteilszeitpunkt mit nahezu 14.5 Jahren kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben steht („Bürojob“), zunehmend selbständig ist und eigenen Interessen (Freunden, Fussball) nachgeht, eweist sich die vorinstanzliche Würdigung treffend, wonach das Kontaktrecht bei einer Landesverweisung auch mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden kann. Dies gilt umso mehr, als es sich um einen jungen Erwachsenen handelt, der mit der Nutzung moderner Kommunikationsmittel aufgewachsen und vertraut ist. Sodann geht die Vorinstanz richtig davon aus, dass der persönliche Kontakt weiterhin im Rahmen gemeinsamer Ferien im Heimatland des Beschwerdeführers stattfinden könne. Mit ihren Erwägungen zum Alter, zur beruflichen Zukunft und zu den privaten Interessen des Sohnes trägt die Vorinstanz der zunehmenden Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom Elternhaus Rechnung, welche jungen Erwachsenen in diesem Lebensabschnitt zukommt. Nachdem die Landesverweisung in den Kosovo, ein Land innerhalb Europas, erfolgt, welches mit dem Flugzeug in kurzer Zeit erreichbar ist, erscheint sogar die Wahrnehmung regelmässiger Besuche realistisch, wenn auch nicht in bisherigem Ausmass (d.h. 14-täglich). […] (E.2.5).

Sachverhalt

Das Kantonsgericht Nidwalden sprach A. am 6. Januar 2022 wegen mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher Drohung, vorsätzlicher einfacher Körperverletzung und Tätlichkeit zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau schuldig. Betreffend zwei weitere Vorwürfe der Drohung sprach es ihn frei und betreffend einen dritten Vorwurf stellte es das Verfahren zufolge Verjährung ein. Es bestrafte A. mit einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 85.– und einer Busse von Fr. 4’000.–. Für Freiheits- und Geldstrafe gewährte es den bedingten Strafvollzug bei einer Probezeit von drei Jahren. Die ausgestandene Haft rechnete es auf die Freiheitsstrafe an. Weiter verwies das Kantonsgericht A. für fünf Jahre des Landes, verzichtete indes auf eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS). Schliesslich befand es über die Neben-, Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Instanzenzug

Das Obergericht des Kantons Nidwalden bestätigte mit Urteil vom 12. Januar 2023 die erstinstanzlich angeordnete Landesverweisung und stellte im Übrigen die Rechtskraft der weiteren Punkte des erstinstanzlichen Urteils fest.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, unter Aufhebung der betreffenden Dispositiv-Ziffern des angefochtenen Urteils sei von einer Landesverweisung abzusehen. Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_468/2023 vom 20. August 2024  

Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht geltend, die Landesverweisung verstosse gegen Bundesrecht. Es liege ein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vor und seine persönlichen Interessen am Verbleib in der Schweiz wiegten schwerer als das Interesse an der Landesverweisung. Die durch eine Landesverweisung bewirkte Trennung von seinem 14-jährigen Sohn, der bei der Kindsmutter, seiner Ex-Frau, in der Schweiz lebe, begründe einen Härtefall. Im Rahmen der Interessenabwägung sei sodann zu berücksichtigen, dass zahlreiche weitere Verwandte in der Schweiz lebten. Sodann habe der Beschwerdeführer Delikte im Rahmen der belasteten partnerschaftlichen Beziehung begangen. Da diese inzwischen aufgelöst sei, fehle es an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (E.2.1).

Der Beschwerdeführer wurde wegen Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB verurteilt. Dabei handelt es sich unbestrittenermassen um eine Katalogtat, welche ungeachtet der Höhe der Strafe nach Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB zu einer Landesverweisung von fünf bis fünfzehn Jahren führt (E.2.2).

Das Bundesgericht macht im Urteil 7B_468/2023 vom 20. August 2024 die folgenden Ausführungen:

«Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die tatsächlich gelebte Beziehung zu seinem 14-jährigen Sohn härtefallbegründend im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK wirkt (vgl. dazu BGE 149 IV 231 E. 2.1.1 und BGE 147 IV 453 E. 1.4.5, wonach ein Eingriff in das Recht auf Familienleben in der Regel einen Härtefall begründet). Das angefochtene Urteil erweist sich in dieser Hinsicht als bundesrechtswidrig. Dies führt dazu, auf die von der Vorinstanz im Sinne einer Eventualbegründung durchgeführte Interessenabwägung einzugehen.» (E.2.3).

«Die Landesverweisung im Falle der Verurteilung zu einer Katalogtat, vorliegend der Vergewaltigung, ist gesetzlich vorgesehen (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB) und entspricht einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Verhütung von Straftaten. Zu prüfen ist die Verhältnismässigkeit. Hierzu führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer habe während mehrerer Jahre eine Vielzahl von schwerwiegenden Delikten begangen, darunter zwei Vergewaltigungen in den Jahren 2008 und 2019 sowie weitere Delikte (Schläge an den Kopf, Todesdrohungen) mit hohem Gewalt- und Gefährdungspotential, alles zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau. Es falle ins Gewicht, dass sich der Beschwerdeführer wiederholt und mehrfach in erheblichem zeitlichen Abstand eines gravierenden Delikts gegen die sexuelle Integrität, d.h. der Vergewaltigung, strafbar gemacht habe. Auf das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit den zu beurteilenden Vorfällen könne nicht abgestellt werden, zumal er sich seit der Trennung bzw. Scheidung von seiner Ehefrau nie mehr in einer längerfristigen Beziehung befunden habe und sich insoweit nie habe bewähren müssen. Die Vorinstanz gibt erhebliche Zweifel an der Bewährungsprognose zu erkennen, indem sie ausführt, tatsächliche Reue und Einsicht in seine Straftaten zeige der Beschwerdeführer keine, sondern er tue die Delikte als Missverständnisse zwischen Mann und Frau ab und schiebe seiner Ex-Ehefrau die Schuld zu. Die Vorinstanz attestiert dem Beschwerdeführer, dass er jeglichen Realitätsbezug und jegliches Schuldbewusstsein vermissen lässt, wenn er ausführt, sein bisheriges Verhalten in der Schweiz – auch jenes während der Deliktsperioden – sei tadellos gewesen. Zu den persönlichen und familiären Umständen führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer sei in wirtschaftlicher Hinsicht im Gastland grundsätzlich integriert. Er verfüge über eine mehrjährige feste Arbeitsstelle. Er habe kein Vermögen und Schulden in einem noch akzeptablen Rahmen von mehreren tausend Franken. Indessen kämen Verfahrens- und Anwaltskosten sowie Kosten aus der Ehescheidung von ca. Fr. 97’000.– auf den Beschwerdeführer zu. Insoweit gebe es erhebliche Vorbehalte zum Fortbestehen der stabilen wirtschaftlichen Situation nach Abschluss des vorliegenden Strafverfahrens. 

Der Beschwerdeführer sei trotz seinem 18 Jahre dauernden Aufenthalt im Gastland nicht integriert. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache, sowohl Hoch- wie Schweizerdeutsch, seien rudimentär und er leiste keinen Effort, dies zu verbessern. Sodann pflege er ausserfamiliär lediglich zu den Arbeitskollegen Kontakt. Freizeitaktivitäten und Verbindungen ausserhalb der Familie übe er wenige bis keine aus. In seinem Heimatland Kosovo, wo er aufgewachsen sei, lebten seine Eltern und weitere Verwandte. Er besuche die Heimat einmal jährlich. Weiter spreche er die dortige Sprache und sei mit der Kultur vertraut. Eine Integration in seine Heimat scheine sowohl in sozialer, kultureller und beruflicher Hinsicht (namentlich aufgrund seiner Arbeitserfahrung in der Schweiz) möglich. 

Der Beschwerdeführer habe einen rund 14-jährigen Sohn (geb. 2008) aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe. Mit diesem verbringe er jedes zweite Wochenende. Er habe geplant, mit seinem Sohn erste gemeinsame Ferien seit der Scheidung zu verbringen, dazu sei es allerdings noch nicht gekommen. Die Beziehung zum Sohn sei nicht ausserordentlich intensiver Natur, zumal seine Kenntnisse nicht über die wesentlichen Aspekte hinausgingen (der Beschwerdeführer habe die Namen des Lehrers und der Freunde seines Sohnes nicht gekannt oder dessen Berufswunsch bloss rudimentär [„einen Bürojob“] beschreiben können).» (E.2.4).

«Diese von der Vorinstanz vorgenommene Interessenabwägung gibt keinerlei Anlass zur Kritik. Die Vorinstanz berücksichtigt die von der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR entwickelten gängigen Kriterien (vgl. oben E. 2.2 und die dortigen Referenzen). So würdigt sie die Schwere der von ihm begangenen Delikte, die seit den Delikten vergangene Zeit sowie sein Verhalten seit den Taten. Sodann ergeben sich die relevanten Ausführungen zur Dauer des Aufenthalts im Gastland sowie seiner familiären Situation aus den vorinstanzlichen Erwägungen zur Frage, ob ein Härtefall vorliegt. Die letzten beiden Punkte fliessen in die Interessenabwägung mit ein, denn das vorinstanzliche Urteil ist als Ganzes zu lesen. Nachdem der Sohn, den der Beschwerdeführer als Hauptargument anführt, im vorinstanzlichen Urteilszeitpunkt mit nahezu 14.5 Jahren kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben steht („Bürojob“), zunehmend selbständig ist und eigenen Interessen (Freunden, Fussball) nachgeht, eweist sich die vorinstanzliche Würdigung treffend, wonach das Kontaktrecht bei einer Landesverweisung auch mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden kann. Dies gilt umso mehr, als es sich um einen jungen Erwachsenen handelt, der mit der Nutzung moderner Kommunikationsmittel aufgewachsen und vertraut ist. Sodann geht die Vorinstanz richtig davon aus, dass der persönliche Kontakt weiterhin im Rahmen gemeinsamer Ferien im Heimatland des Beschwerdeführers stattfinden könne. Mit ihren Erwägungen zum Alter, zur beruflichen Zukunft und zu den privaten Interessen des Sohnes trägt die Vorinstanz der zunehmenden Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom Elternhaus Rechnung, welche jungen Erwachsenen in diesem Lebensabschnitt zukommt. Nachdem die Landesverweisung in den Kosovo, ein Land innerhalb Europas, erfolgt, welches mit dem Flugzeug in kurzer Zeit erreichbar ist, erscheint sogar die Wahrnehmung regelmässiger Besuche realistisch, wenn auch nicht in bisherigem Ausmass (d.h. 14-täglich). Nicht zu beanstanden ist die von der Vorinstanz bejahte Rückfallgefahr, die sie in jeder längeren Partnerschaft sieht, dies angesichts der uneinsichtigen Haltung des Beschwerdeführers gegenüber seinen Delikten. Dass der Beschwerdeführer dies anders wahrnimmt, ändert daran nichts.» (E.2.5).

Das Bundesgericht weist im Urteil 7B_468/2023 vom 20. August 2024 die Beschwerde ab (E.3).

 

 

 

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