Inhalt und Verletzung des Anklageprinzips

Im Urteil 6B_202/2024 vom 17. Februar 2025 aus dem Kanton Solothurn betreffend BetmG-Delikten befasste sich das Bundesgericht mit dem Anklagegrundsatz (u.a. Art. 9 StPO und Art. 325 StPO) bzw. dessen Verletzung. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut, hier die Ausführungen zum Anklagegrundsatz: «Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz (Art. 9 und 325 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat darin die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung möglichst kurz, aber genau zu bezeichnen (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Sodann hat die Anklage gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. g StPO die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen anzugeben. Die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte sind somit in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 147 IV 439 E. 7.2). Ob die zeitliche und örtliche Umschreibung ausreicht, ist nicht abstrakt, sondern zusammen mit dem übrigen Inhalt der Anklage zu beurteilen (Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_62/2024 vom 13. September 2024 E. 3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2). Die Darstellung des tatsächlichen Vorgangs ist auf den gesetzlichen Tatbestand auszurichten, der nach Auffassung der Anklage als erfüllt zu betrachten ist, d.h. es ist anzugeben, welche einzelnen Vorgänge und Sachverhalte den einzelnen Merkmalen des Straftatbestandes entsprechen. Zu den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung gehören neben den Tatbestandsmerkmalen die Schuldform (sofern vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten strafbar ist), die Teilnahmeform (Mittäterschaft, Anstiftung, Gehilfenschaft), die Erscheinungsform (Versuch oder vollendetes Delikt) und allfällige Konkurrenzen (vgl. BGE 120 IV 348 E. 3c; Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_594/2022 vom 9. August 2023 E. 4.2.2; 6B_1454/2021 vom 26. Mai 2023 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Unter diesem Gesichtspunkt muss die beschuldigte Person aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Dies bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass die betroffene Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen sie beschuldigt wird und welchen Straftatbestand sie durch ihr Verhalten erfüllt haben soll, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann (BGE 143 IV 63 E. 2.2; 141 IV 132 E. 3.4.1; 133 IV 235 E. 6.2 f.; Urteil 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Allgemein gilt, je gravierender die Vorwürfe, desto höhere Anforderungen sind an den Anklagegrundsatz zu stellen (Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2; 6B_549/2021 vom 18. Mai 2022 E. 2.4.2; je mit Hinweisen). Solange klar ist, welcher Sachverhalt der beschuldigten Person vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf (BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2). Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen und darüber zu befinden, ob der angeklagte Sachverhalt erstellt ist oder nicht (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2; Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_140/2021 vom 24. Februar 2022 E. 1.4; je mit Hinweisen). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip ist verletzt, wenn die angeklagte Person für Taten verurteilt wird, bezüglich welcher die Anklageschrift den inhaltlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn das Gericht mit seinem Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_239/2022 vom 22. März 2023 E. 4.2; 6B_424/2021 vom 26. Januar 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Ergibt das gerichtliche Beweisverfahren, dass sich das Tatgeschehen in einzelnen Punkten anders abgespielt hat als im Anklagesachverhalt dargestellt, so hindert der Anklagegrundsatz das Gericht nicht, die beschuldigte Person aufgrund des abgeänderten Sachverhalts zu verurteilen, sofern die Änderungen für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts nicht ausschlaggebende Punkte betreffen und die beschuldigte Person Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_611/2022 vom 23. Oktober 2023 E. 1.2; 6B_1424/2021 vom 5. Oktober 2023 E. 3.3.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn wirft A. in der Anklageschrift vom 27. August 2021 zusammengefasst vor, er habe in der Zeit zwischen mindestens 10. Februar 2018 und 28. Januar 2019 mindestens ca. 21 kg Kokaingemisch und ca. 18.6 kg MDMA/ Ecstasy (30’000 Tabletten) erworben, besessen und (teilweise) veräussert. Die Widerhandlungen habe er nach Art eines Berufs ausgeübt und diese hätten sich auf eine Menge von reinem Kokain bezogen, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne (AS-Ziff. 1). Zudem habe er zwischen mindestens 8. Oktober 2018 und 28. Januar 2019 unter mindestens 16 Malen aus der Veräusserung von qualifizierten Mengen Betäubungsmittel stammendes Bargeld in Schweizer Franken im Umfang von jeweils mindestens Fr. 40’000.– in Bargeld der Währung Euro wechseln lassen und damit in der Folge neue Kokainlieferungen bar bezahlt (AS-Ziff. 2.1) sowie zwischen mindestens 3. Mai 2018 und 16. August 2018 entsprechendes Bargeld im Gesamtbetrag von Fr. 103’000.– in den Kauf eines gemeinsamen Hauses mit seiner Mutter und seinem Bruder investiert (AS-Ziff. 2.2). Diese Handlungen seien geeignet gewesen, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung und die Einziehung des ursprünglich aus der Veräusserung von Betäubungsmitteln stammenden Bargelds zu vereiteln. Ferner habe er sich am 11. Dezember 2018 als Lenker eines Personenwagens durch Flucht vor einer Polizeikontrolle der Anordnung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit entzogen (AS-Ziff. 3), habe zwischen 9. Mai 2018 und 20. Mai 2018 seinen Cousin in seiner Firma arbeiten lassen, obwohl er gewusst habe, dass dieser nicht über die notwendige Arbeitsbewilligung verfügt habe (AS-Ziff. 4), und habe am 28. Januar 2019 als serbischer Staatsangehöriger Waffen bzw. Munition besessen, ohne über eine entsprechende Bewilligung zu verfügen (AS-Ziff. 5). Im zur Anklage erhobenen Strafbefehl vom 21. Oktober 2021 wirft die Staatsanwaltschaft A. vor, er habe in der Zeit vom 13. November 2017 bis zum 7. Januar 2019 als Geschäftsführer und Organ einer Firma die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsgemässen Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern verletzt, sodass der Vermögensstand der Firma nicht oder nicht vollständig ersichtlich gewesen sei.

Instanzenzug

Das Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt verurteilte A. am 23. Februar 2022 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Geldwäscherei, versuchter Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung, mehrfache Widerhandlung gegen das Waffengesetz und Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 30.–. Es verwies ihn für zehn Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) an. Ferner verfügte es über die sichergestellten und beschlagnahmten Gegenstände, Geldbeträge sowie Betäubungsmittel, verpflichtete A. zur Bezahlung einer Ersatzforderung, hielt die angeordnete Grundbuchsperre einer Liegenschaft aufrecht und regelte die Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Der A. erhob gegen dieses Urteil Berufung. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Anschlussberufung.

Das Obergericht des Kantons Solothurn stellte am 12. Dezember 2023 die teilweise Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils fest. Es sprach A. der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der mehrfachen Geldwäscherei und der Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung schuldig und verurteilte ihn in Berücksichtigung der rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldsprüche wegen versuchter Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten. Es stellte fest, dass das Beschleunigungsverbot verletzt worden war, verwies A. für zehn Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS an. Ferner traf es die notwendigen Verfügungen, verpflichtete A. zur Bezahlung einer Ersatzforderung, hielt die angeordnete Grundbuchsperre einer Liegenschaft aufrecht und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz teilweise sowie vom Vorwurf der mehrfachen Geldwäscherei vollumfänglich freizusprechen und mit einer Freiheitsstrafe von maximal sechs Jahren und zehn Monaten sowie einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 30.– zu bestrafen. Von einer Landesverweisung sowie deren Ausschreibung im SIS sei abzusehen und die angeordnete Grundbuchsperre sei aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_202/2024 vom 17. Februar 2025

Der Beschwerdeführer moniert vor Bundesgericht in Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Verletzung des Anklagegrundsatzes und damit einhergehend von Art. 9 Abs. 1 und Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO, Art. 29 Abs. 2 sowie Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 sowie 3 lit. a und b EMRK. Er argumentiert zusammengefasst, die Anklage sei mangelhaft, viel zu unbestimmt und nenne die jeweiligen Teilnahmeformen nicht. Ferner überschreite die Vorinstanz mit ihren Sachverhaltsfeststellungen die Grenzen des Anklagesachverhalts und verletze Art. 350 Abs. 1 StPO (E.2.1).

«Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz (Art. 9 und 325 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat darin die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung möglichst kurz, aber genau zu bezeichnen (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Sodann hat die Anklage gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. g StPO die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen anzugeben. Die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte sind somit in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 147 IV 439 E. 7.2). Ob die zeitliche und örtliche Umschreibung ausreicht, ist nicht abstrakt, sondern zusammen mit dem übrigen Inhalt der Anklage zu beurteilen (Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_62/2024 vom 13. September 2024 E. 3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2). Die Darstellung des tatsächlichen Vorgangs ist auf den gesetzlichen Tatbestand auszurichten, der nach Auffassung der Anklage als erfüllt zu betrachten ist, d.h. es ist anzugeben, welche einzelnen Vorgänge und Sachverhalte den einzelnen Merkmalen des Straftatbestandes entsprechen. Zu den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung gehören neben den Tatbestandsmerkmalen die Schuldform (sofern vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten strafbar ist), die Teilnahmeform (Mittäterschaft, Anstiftung, Gehilfenschaft), die Erscheinungsform (Versuch oder vollendetes Delikt) und allfällige Konkurrenzen (vgl. BGE 120 IV 348 E. 3c; Urteile 6B_584/2024 vom 27. November 2024 E. 3.1; 6B_594/2022 vom 9. August 2023 E. 4.2.2; 6B_1454/2021 vom 26. Mai 2023 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Unter diesem Gesichtspunkt muss die beschuldigte Person aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Dies bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass die betroffene Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen sie beschuldigt wird und welchen Straftatbestand sie durch ihr Verhalten erfüllt haben soll, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann (BGE 143 IV 63 E. 2.2; 141 IV 132 E. 3.4.1; 133 IV 235 E. 6.2 f.; Urteil 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Allgemein gilt, je gravierender die Vorwürfe, desto höhere Anforderungen sind an den Anklagegrundsatz zu stellen (Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_151/2021 vom 15. Mai 2023 E. 4.2; 6B_549/2021 vom 18. Mai 2022 E. 2.4.2; je mit Hinweisen).  

Solange klar ist, welcher Sachverhalt der beschuldigten Person vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf (BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2). Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen und darüber zu befinden, ob der angeklagte Sachverhalt erstellt ist oder nicht (vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2; 145 IV 407 E. 3.3.2; Urteile 6B_1346/2023 vom 28. Oktober 2024 E. 2.3.1; 6B_140/2021 vom 24. Februar 2022 E. 1.4; je mit Hinweisen). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip ist verletzt, wenn die angeklagte Person für Taten verurteilt wird, bezüglich welcher die Anklageschrift den inhaltlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn das Gericht mit seinem Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_239/2022 vom 22. März 2023 E. 4.2; 6B_424/2021 vom 26. Januar 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Ergibt das gerichtliche Beweisverfahren, dass sich das Tatgeschehen in einzelnen Punkten anders abgespielt hat als im Anklagesachverhalt dargestellt, so hindert der Anklagegrundsatz das Gericht nicht, die beschuldigte Person aufgrund des abgeänderten Sachverhalts zu verurteilen, sofern die Änderungen für die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts nicht ausschlaggebende Punkte betreffen und die beschuldigte Person Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen (Urteile 6B_1239/2021 vom 5. Juni 2023 E. 1.2; 6B_611/2022 vom 23. Oktober 2023 E. 1.2; 6B_1424/2021 vom 5. Oktober 2023 E. 3.3.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3).

«Der Beschwerdeführer moniert zunächst, in Ziff. 1.1.1 der Anklageschrift werde ihm in Bezug auf den Erwerb von Kokaingemisch unter anderem vorgeworfen, er habe am 14. Juli 2018 und am 12. Januar 2019 jeweils ein Kilogramm Kokaingemisch erworben. Nachweislich sei er zu diesen Zeitpunkten jedoch nicht in der Schweiz und damit nicht am Tatort gewesen, sondern in Serbien, wovon auch die Vorinstanz ausgehe. Damit fehle in der Anklage der zwingend notwendige Hinweis, dass er das Kokain nicht in eigener Person, sondern allenfalls mit Hilfe eines Dritten erworben habe. Für ihn sei damit aus der Anklage nicht ersichtlich, welcher Vorwurf ihm konkret gemacht werde, wenn er sich die Handlungen von in der Anklage nicht erwähnten Personen anrechnen lassen müsse. Ferner überschreite die Vorinstanz mit ihrer Sachverhaltserstellung die Grenzen des Anklagesachverhalts im Sinne von Art. 350 Abs. 1 StPO, indem sie einen nicht angeklagten Sachverhalt in entscheidrelevanter Weise für erstellt erachte.» (E.2.4.1).

«Die erste Instanz, auf deren Ausführungen die Vorinstanz verweist (Urteil S. 14 f.), erwägt, die Vorwürfe bzw. Begriffe der Übernahme und Veräusserung von Kokaingemisch bezögen sich entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht nur auf die physischen Handlungen an sich, sondern erfassten insbesondere auch die Übernahme und Veräusserung in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Entgegennahme von Betäubungsmitteln vor Ort bzw. das Übergeben von Betäubungsmitteln im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts könne durch eine andere Person zur genannten Tatzeit am genannten Tatort erfolgt sein; die an den Betäubungsmitteln „wirtschaftlich berechtigte Person“, welche die physischen Handlungen vor Ort hat ausführen lassen, sei dabei gleichermassen Übernehmer bzw. Veräusserer der Betäubungsmittel. Diese Konstellationen liessen sich im Übrigen ohne Weiteres der ausführlichen Strafanzeige der Polizei entnehmen, die dem Beschwerdeführer und der Verteidigung bestens bekannt seien, und seien dem Beschwerdeführer im Beisein seiner Verteidigung in den verschiedenen Einvernahmen auch jeweils konkret vorgehalten worden. Entsprechend sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer fraglos klar sei, was ihm vorgehalten werde, auch wenn in der Anklage teilweise differenziertere Formulierungen hätten gewählt werden können. Damit könne sich der Beschwerdeführer auch ohne Weiteres wirksam gegendie erhobenen Vorwürfe verteidigen (erstinstanzliches Urteil S. 8).  Im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung, auf welche die Vorinstanz ebenfalls verweist (Urteil S. 23 f.), erwägt die erste Instanz bezüglich der Lieferung vom 14. Juli 2018, aus den relevanten Kommunikationen sei zu schliessen, dass sich der Beschwerdeführer in der fraglichen Zeit in Serbien aufgehalten habe, er aber wie sonst auch als wirtschaftlich berechtigter Übernehmer (und Veräusserer) hinter dem Geschäft gestanden habe (erstinstanzliches Urteil S. 61). Bezüglich der Lieferung vom 12. Januar 2019 führt sie aus, gemäss den polizeilichen Erkenntnissen habe sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt dieser Lieferung in Serbien befunden. Auch hier sei nach der gesamten Beweislage aber ohne Weiteres davon auszugehen, dass nicht nur D. Adressat der Kokainlieferung gewesen sei, sondern der Beschwerdeführer wie sonst auch daran mitbeteiligt gewesen sei bzw. als wirtschaftlich berechtigter Übernehmer anteilsmässig hinter dem Geschäft gestanden habe (erstinstanzlichen Urteil S. 63). Sowohl die erste Instanz als auch die Vorinstanz qualifizieren die von ihnen erstellten Handlungen als Erwerbshandlungen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG (Urteil S. 29; erstinstanzliches Urteil S. 89).» (E.2.4.3).

«Zwar mag mit der Vorinstanz zutreffen, dass die Begriffe der Übernahme und Veräusserung von Kokaingemisch sich in rechtlicher Hinsicht nicht nur auf die physischen Handlungen an sich beziehen, sondern insbesondere auch die Übernahme und Veräusserung in wirtschaftlicher Hinsicht umfassen. Dies ändert in tatsächlicher Hinsicht jedoch nichts daran, dass die beschuldigte Person wissen muss, welcher konkrete Lebenssachverhalt ihr vorgeworfen wird, damit sie sich hinreichend verteidigen kann. In tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich eine persönliche Übernahme von Betäubungsmitteln klar von der Übernahme durch Dritte. In der Anklageschrift wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe das Kokaingemisch erworben, indem er es entgegengenommen bzw. in V., Tiefgarage W. weg, übernommen habe. Damit wird dem Beschwerdeführer unmissverständlich Erwerb durch persönliche Übernahme, mithin ein persönliches unmittelbares Tätigwerden, vorgeworfen. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass eine Übernahme durch eine dritte Person (in seinem Auftrag) in der Anklageschrift nicht umschrieben ist und sich in tatsächlicher Hinsicht klar vom Vorwurf des selbstständigen Tätigwerdens unterscheidet. Hätte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer vorwerfen wollen, er habe zwar die Betäubungsmittel nicht selbst übernommen, diese jedoch „als wirtschaftlich berechtigter Übernehmer“ erworben, hätte sie einen entsprechenden Vorwurf im Anklagesachverhalt umschreiben können und müssen, zumal dies gemäss erstinstanzlicher Feststellung in den Einvernahmen bereits thematisiert worden war. Indem die Vorinstanz als erstellt erachtet, dass der Beschwerdeführer die Betäubungsmittel am 14. Juli 2018 und am 12. Januar 2019 durch eine Drittperson übernehmen liess – da er selbst in Serbien weilte -, er jedoch als wirtschaftlich berechtigter Übernehmer fungiert habe, geht sie in für die rechtliche Qualifikation relevanter Weise über den angeklagten Sachverhalt hinaus. Damit verletzt die Vorinstanz den Anklagegrundsatz und Art. 350 Abs. 1 StPO.» (E.2.4.4).

«Soweit der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und ihre Begründungspflicht, indem sie nicht auf seinen erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachten Einwand eingehe, trifft dies zu. Der Beschwerdeführer hat bereits im vorinstanzlichen Verfahren – wie auch vor Bundesgericht – bemängelt, dass ihm in Ziff. 1.4 der Anklageschrift zwar einleitend die Veräusserung von mindestens ca. 19.55 kg Kokaingemisch vorgeworfen werde, in den Unterziffern jedoch nur konkrete Veräusserungshandlungen von rund 7.5 kg umschrieben seien. Damit sei die Anklage mangelhaft und es bestehe darin keine Grundlage für eine Verurteilung für Veräusserungen von 19.55 kg bzw. 17.55 kg Kokaingemisch. Die erste Instanz (bzw. vor Bundesgericht die Vorinstanz) gehe über den angeklagten Sachverhalt hinaus, indem sie bei der Sachverhaltsfeststellung, der rechtlichen Würdigung und der Strafzumessung von einer Veräusserung von 17.55 kg ausgehe (Akten Vorinstanz, pag. 95 f.). Weder dem vorinstanzlichen noch dem erstinstanzlichen Urteil sind Ausführungen zu dieser Rüge zu entnehmen. Da die Vorinstanz festhält, das Argumentativ des Beschwerdeführers decke sich vollständig mit den erstinstanzlichen Vorbringen und zur Begründung auf die Ausführungen der ersten Instanz verweist, die sich zum entsprechenden Vorbringen nicht äussert, verletzt sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör.» (E.2.6.2).

«Begründet ist auch der Vorwurf, die Vorinstanz verletze den Anklagegrundsatz bzw. gehe über den angeklagten Sachverhalt hinaus, indem sie den Beschwerdeführer auch für Betäubungsmittelübergaben verurteilt, die durch eine in der Anklage nicht umschriebene Drittperson während seiner Auslandabwesenheit vorgenommen wurden. Der Beschwerdeführer argumentiert zutreffend, dass ihm in der Anklageschrift wiederum – wie bereits beim Erwerb – ein persönliches Tätigwerden vorgeworfen wird. Zwar liesse sich mit der Vorinstanz argumentieren, dass eine Veräusserung nicht zwingend mit einer persönlichen Übergabe einhergeht. Ferner findet sich in den Anklageziffern 1.4.1, 1.4.3, 1.4.5 bis 1.4.7 kein expliziter Vorwurf, dass der Beschwerdeführer das Kokaingemisch selbst übergeben haben soll. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in Ziff. 1.4.8 bis Ziff. 1.4.10 ein mittäterschaftliches Zusammenwirken mit einer Drittperson erwähnt wird, wobei explizit ausgeführt wird, dass diese Kokain im Auftrag des Beschwerdeführers übergeben habe. Daraus folgt, dass die Staatsanwaltschaft eine Veräusserung mit Hilfe von weiteren Personen ohne Weiteres in der Anklageschrift hätte umschreiben können bzw. müssen und dies auch teilweise tat. Da in den Anklageziffern 1.4.1, 1.4.3, 1.4.5 bis 1.4.7 keine Übergabe durch eine Drittperson umschrieben ist, obwohl dies – hätte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer auch in diesen Punkten eine Veräusserung mit Hilfe von Drittpersonen vorwerfen wollen – für die Wahrung des Anklagegrundsatzes notwendig gewesen wäre, verletzt die Vorinstanz den Anklagegrundsatz und geht über den angeklagten Sachverhalt hinaus, indem sie eine persönliche Übergabe des Kokaingemischs durch den Beschwerdeführer zwar nicht feststellt bzw. die Frage offen lässt, jedoch den angeklagten Sachverhalt dennoch als erstellt erachtet. Da sich aus dem vorinstanzlichen Urteil bzw. jenem der ersten Instanz nicht klar ergibt, hinsichtlich welcher Unteranklagepunkte die Vorinstanz von einer Veräusserung durch Dritte ausgeht bzw. sie die Frage, wer konkret die Betäubungsmittel übergeben hat, teilweise offen lässt, kann vorliegend nicht abschliessend beurteilt werden, in welchen Anklageziffern die Vorinstanz über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (vgl. erstinstanzliches Urteil S. 78, wonach betreffend Anklageziffer 1.4.1 offen bleiben könne, ob die 500 Gramm Kokaingemisch durch den Beschwerdeführer oder eine Drittperson übergeben worden seien; S. 81 betreffend Anklageziffer 1.4.3, wonach der Beschwerdeführer bei der Übernahme nicht zugegen war; S. 61 f., 72, 82 betreffend Anklageziffern 1.4.5 bis 1.4.7, woraus nicht hervor geht, wer das Kokaingemisch übergeben hat). Die Vorinstanz wird auch diesen Punkt nochmals prüfen müssen.» (E.2.6.3).

«Aufgrund des Vorstehenden wird die Vorinstanz einzelne Anklagepunkte neu beurteilen und die Strafzumessung neu vornehmen müssen. Die teilweise Gutheissung der Beschwerde hat unter anderem Einfluss auf die Betäubungsmittelmenge hinsichtlich des Schuldspruchs wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mithin das Anlassdelikt für die obligatorische Landesverweisung. Die Vorinstanz wird auch diese gestützt auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt ihres neuen Urteils neu prüfen müssen. Es erübrigt sich daher, auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Strafzumessung und zur Landesverweisung einzugehen.» (E.4).

Das Bundesgericht heisst im Urteil 6B_202/2024 vom 17. Februar 2025 die Beschwerde teilweise gut (E.5).

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