Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Vermögensdelikten

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr wird bei Vermögensdelikten nur mit grösster Zurückhaltung angenommen. Im Urteil des Bundesgerichts 1B_445/2022 vom 22. September 2022 stand dieses Thema wieder einmal zur Diskussion. Das Bundesgericht bestätigte seine Praxis, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr primär dem Schutz der Allgemeinheit vor Gewalt- oder Sexualdelikten dient und nur ausnahmsweise bei Vermögensdelikten anwendbar ist. Die Bejahung der erheblichen Sicherheitsgefährdung bei Vermögensdelikten setzt für das Bundesgericht voraus, dass die Geschädigten besonders hart bzw. ähnlich betroffen sind wie bei einem Gewaltdelikt. Ob ein solch besonders schweres Vermögensdelikt droht, kann nicht abstrakt gesagt werden, sondern ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (E.3.5.1).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Solothurn führt seit 2013 eine umfangreiche Strafuntersuchung gegen A. wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, Betrugs, mehrfachen betrügerischen Konkurses und Pfändungsbetrugs, mehrfacher Misswirtschaft und zahlreicher weiterer Delikte, wobei sich die mutmassliche Schadenssumme insgesamt auf über zwei Millionen Franken beläuft. Im Januar 2022 stand die Strafuntersuchung kurz vor dem Abschluss, sodass die Staatsanwaltschaft A. zur Schlusseinvernahme vorlud. In der Zwischenzeit stellte B. Strafanzeige gegen A. wegen Betrugs, weshalb die Staatsanwaltschaft am 4. März 2022 die Ausdehnung des Strafverfahrens verfügte und A. am 8. März 2022 im Anschluss an die Schlusseinvernahme festnehmen liess. Das Zwangsmassnahmengericht bewilligte die von der Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft teilweise und ordnete Untersuchungshaft bis zum 9. Mai 2022 an. Aufgrund der anlässlich der Verhaftung bei A. sichergestellten Gegenstände wurden weitere Ermittlungen gegen ihn geführt, woraufhin die Staatsanwaltschaft am 26. April 2022 eine erneute Ausdehnungsverfügung erliess und das gegen A. geführte Strafverfahren auf weitere Fälle des mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs ausdehnte.

Am 3. Mai 2022 stellte die Staatsanwaltschaft ein Gesuch um Haftverlängerung für weitere drei Monate. Mit Verfügung vom 11. Mai 2022 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft um die beantragte Dauer bis zum 9. August 2022. Gegen die Haftverlängerungsverfügung des Zwangsmassnahmengerichts gelangte A. an das Obergericht des Kantons Solothurn, welches mit Beschluss vom 10. Juni 2022 die Beschwerde abwies und die Anordnung der Untersuchungshaft bestätigte. Die dagegen an das Bundesgericht erhobene Beschwerde in Strafsachen wurde mit Urteil 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022, mangels Vorliegen der besonderen Haftgründe der Flucht- und Kollusionsgefahr, teilweise gutgeheissen und die Haftsache zur unverzüglichen Prüfung des besonderen Haftgrunds der Wiederholungsgefahr an das Obergericht zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 8. August 2022 wies das Obergericht die Beschwerde wiederum ab und bestätigte die Anordnung der Untersuchungshaft bis zum 9. August 2022 unter der Annahme von Wiederholungsgefahr.

Mit Eingabe vom 29. August 2022 erhebt A. erneut beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, eventualiter unter der Auflage, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat am 6. September 2022 eine Stellungnahme eingereicht und schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A. hat mit Schreiben vom 12. September 2022 auf eine Replik verzichtet und an seinen Anträgen festgehalten.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_445/2022 vom 22. September 2022

Die Vorinstanz hatte somit einzig zu prüfen, ob der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben ist (vgl. a.a.O., E. 5.2), was sie bejaht hat. Der Beschwerdeführer bestreitet sowohl das Vorliegen von Wiederholungsgefahr als auch die Verhältnismässigkeit der Haft (E.2 a.E.).

Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO. Die Voraussetzungen für die Annahme von Wiederholungsgefahr seien vorliegend nicht erfüllt (E.3).

Das Bundesgericht äussert sich zunächst wie folgt zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr: «Gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO sind drei Elemente für das Vorliegen von Wiederholungsgefahr konstitutiv. Erstens muss grundsätzlich das Vortatenerfordernis erfüllt sein und es müssen schwere Vergehen oder Verbrechen drohen. Zweitens muss hierdurch die Sicherheit anderer erheblich gefährdet sein. Drittens muss die Tatwiederholung ernsthaft zu befürchten sein, was anhand einer Rückfallprognose zu beurteilen ist (BGE 143 IV 9 E. 2.5).   Was das Vortatenerfordernis betrifft, so hat das Bundesgericht bereits im Entscheid 1B_357/2022 vom 22. Juli 2022 festgehalten, dass der Beschwerdeführer aufgrund mehrfachen Betrugs einschlägig vorbestraft und das Vortatenerfordernis somit erfüllt ist (a.a.O., E. 5.2). Darauf ist vorliegend nicht zurückzukommen. Bezüglich der Rückfallprognose hat die Vorinstanz zusammengefasst festgehalten, der Beschwerdeführer habe sich während laufendem Verfahren verschiedener (weiterer) Delikte verdächtig gemacht. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er seit ca. Dezember 2017 praktisch ausschliesslich von kriminell erworbenem Geld gelebt habe, weshalb ihm auch für die Zukunft eine schlechte Prognose gestellt und von der Begehung weiterer ähnlicher Delikte ausgegangen werden müsse. Bei der Frage nach der den Beschwerdeführer betreffenden Legal- bzw. Rückfallprognose handelt es sich um eine Tatfrage (Urteile 6B_1169/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 3.3; 6B_975/2020 vom 14. Oktober 2020 E. 3.3; 6B_353/2020 vom 14. September 2020 E. 2.2.2; 6B_85/2019 vom 15. Mai 2019 E. 1.2; 6B_930/2018 vom 21. Januar 2019 E. 1.3), die vom Bundesgericht nur unter Willkürgesichtspunkten zu prüfen ist (vgl. E. 1.2 hiervor). Mangels diesbezüglicher Rügen ist die von der Vorinstanz festgestellte negative Rückfallprognose für das Bundesgericht verbindlich. Im Hinblick auf den von der Vorinstanz bejahten besonderen Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist vorliegend demnach einzig zu prüfen, ob die drohenden Delikte geeignet sind, die Sicherheit anderer erheblich zu gefährden. Bei der Beurteilung der Schwere der drohenden Delikte sind neben der abstrakten Strafdrohung gemäss Gesetz insbesondere auch das betroffene Rechtsgut und der Kontext, namentlich die konkret von der beschuldigten Person ausgehende Gefährlichkeit bzw. das bei ihr vorhandene Gewaltpotenzial, einzubeziehen. Die erhebliche Gefährdung der Sicherheit anderer durch drohende Verbrechen oder schwere Vergehen kann sich grundsätzlich auf Rechtsgüter jeder Art beziehen. Im Vordergrund stehen Delikte gegen die körperliche und sexuelle Integrität (BGE 146 IV 136 E. 2.2; 143 IV 9 E. 2.6-2.7; je mit Hinweisen).» (E.3.1).

Das Bundesgericht geht dann auf die Standpunkte der Parteien ein: «Die Vorinstanz hat sich eingehend mit den einzelnen dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikten auseinandergesetzt. In Bezug auf den Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs hielt sie fest, es seien mutmasslich insgesamt 1’617 Gesellschaften durch den Beschwerdeführer geschädigt worden. Die individuelle Betroffenheit der einzelnen Geschädigten sei zwar eher gering, der gesamthafte Deliktsbetrag mit ca. Fr. 900’000.– aber durchaus erheblich. Besonders schwer würden sodann die vom Beschwerdeführer mutmasslich begangenen Konkursdelikte wiegen. Er habe in acht Gesellschaften insgesamt Fr. 1’449’498.– beiseite geschafft, was zur Eröffnung des Konkurses über diese und zu der Entlassung der jeweiligen Mitarbeiter geführt habe. Da der Beschwerdeführer keine Geschäftsbücher geführt habe, lasse sich nicht feststellen, um wie viele Mitarbeiter es sich dabei gehandelt habe. Belegt sei einzig, dass mindestens drei Mitarbeiter unmittelbar infolge des Handelns des Beschwerdeführers ihre Anstellung verloren hätten. Erschwerend komme hinzu, dass er zusätzlich die einem dieser Mitarbeiter zustehenden Suva-Gelder in der Höhe von Fr. 13’092.10 zweckentfremdet habe. Gesamthaft habe er im Zeitraum vom 2. Mai 2017 bis zum 8. März 2022 von diversen Gesellschaften den Geldbetrag von Fr. 4’622’66.16 in bar bezogen, wobei der Verbleib dieses Geldes mangels Buchführung in diesen Gesellschaften ungeklärt sei. Schwer wiege sodann der Vorwurf des Betrugs zum Nachteil von B., welche er im Zusammenhang mit dem (angeblichen) Umbau ihres Einfamilienhauses um CHF 123’855.– betrogen haben soll und die dadurch an den Rande des Ruins getrieben worden sei. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers demonstriere, dass er, in Freiheit belassen, mit grösster Wahrscheinlichkeit seine strafbaren Geschäftstätigkeiten weiterführen und einer grossen Zahl von Personen oder Gesellschaften erheblichen, teils gar existenziellen Schaden zufügen würde. Der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr sei deshalb zu bejahen.» (E.3.2).

«Der Beschwerdeführer entgegnet, eine ungünstige Rückfallprognose alleine genüge nicht für die Bejahung der Wiederholungsgefahr. Neben der ungünstigen Rückfallprognose müsse auch eine erhebliche Sicherheitsgefährdung vorliegen, was gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei Vermögensdelikten nur dann der Fall sei, wenn ein Delikt drohe, das den Geschädigten besonders hart bzw. ähnlich treffe wie ein Gewaltdelikt. Die Vorinstanz erkenne selbst implizit an, dass weder gestützt auf die hohe Deliktssumme noch gestützt auf die verschiedenen Vorwürfe auf ein schweres Vermögensdelikt im Sinne der genannten Rechtsprechung geschlossen werden könne. Insofern die Vorinstanz ausführe, dass von seinem Tun insgesamt acht Firmen betroffen gewesen seien, so verkenne sie sodann, dass es sich hierbei um juristische Personen handle, die er selber als Gesellschafter und Geschäftsführer geführt habe. Ausser ihm seien keine Gesellschafter zu Schaden gekommen und inwiefern Kunden oder Geschäftspartner der Firmen zu Schaden gekommen seien, werde nicht dargelegt. Bezüglich der drei Personen, die infolge der Konkurse ihre Stelle verloren hätten, sei sodann nicht dargelegt, welche Folgen die Kündigung für sie gehabt hätten. Es sei nichts Aussergewöhnliches, dass Arbeitnehmenden aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse gekündigt werde. Bezüglich der zweckentfremdeten SUVA-Gelder sei eine besondere Betroffenheit des Geschädigten sodann ebenfalls nicht belegt. Einzig mit Bezug auf B., welche eine Akontozahlung von Fr. 123’855.00 geleistet habe, könne von einer grösseren Betroffenheit gesprochen werden. Dabei handle es sich jedoch um einen Einzelfall, der sich wesentlich von den anderen Vorhalten unterscheide, weshalb auch daraus keine erhebliche Gefährdung der Sicherheit abgeleitet werden könne. Das Vorliegen von Wiederholungsgefahr sei deshalb zu verneinen.» (E.3.3).

Das Bundesgericht lässt sich von den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht überzeugen und führt mit Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung aus: «Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Vermögensdelikte zwar unter Umständen in hohem Mass sozialschädlich, betreffen aber grundsätzlich nicht unmittelbar die Sicherheit der Geschädigten. Die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr fällt deshalb einzig in objektiv besonders schweren Fällen ausnahmsweise in Betracht. Die Bejahung der erheblichen Sicherheitsgefährdung bei Vermögensdelikten setzt voraus, dass die Geschädigten besonders hart bzw. ähnlich betroffen sind wie bei einem Gewaltdelikt. Ob ein solch besonders schweres Vermögensdelikt droht, kann nicht abstrakt gesagt werden, sondern ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (zum Ganzen: BGE 146 IV 136 E. 2.2 und 2.5; mit Hinweisen).  Für die erhebliche Sicherheitsgefährdung spricht zunächst, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte bei künftigen Vermögensdelikten Gewalt anwenden könnte. Zu berücksichtigen ist sodann die Schwere der vom Beschuldigten begangenen Vermögensdelikte. Je gravierender diese sind, desto eher spricht dies für die Sicherheitsgefährdung. Ist der Deliktsbetrag – wie zum Beispiel bei Anlagebetrug – sehr hoch, lässt das befürchten, dass der Beschuldigte auch künftig schwere Vermögensdelikte begehen wird. Rechnung zu tragen ist weiter der persönlichen, namentlich finanziellen Lage der Geschädigten. Zielen die Taten des Beschuldigten beispielsweise insbesondere auf schwache und finanziell in bescheidenen Verhältnissen lebende Geschädigte, braucht es für die Bejahung der Sicherheitsgefährdung weniger und genügt ein geringerer Deliktsbetrag. Von einem Vermögensdelikt besonders schwer betroffen sein können aber auch juristische Personen. Nach der Rechtsprechung gilt dies insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die vom Täter um notwendiges Kapital gebracht werden, was ihre Existenz bedrohen und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen kann (zum Ganzen: BGE 146 IV 136 E. 2.5 und 2.7; mit Hinweisen).» (E.3.4.1).

«In Anwendung der vorgenannten Kriterien (vgl. E. 3.4.1 hiervor) wurde, namentlich bei gewerbsmässigem Betrug, eine erhebliche Sicherheitsgefährdung verneint, wenn die im Raum stehenden Deliktsbeträge weder einzeln noch in der Summe als ausserordentlich hoch bezeichnet werden konnten (Urteile 1B_595/2019 vom 10. Januar 2020 E. 4.1, Deliktssumme von gesamthaft ca. Fr. 11’000.–; 1B_32/2017 vom 4. Mai 2017 E. 3.3, Deliktssumme von gesamthaft unter Fr. 30’000.–). Selbiges galt – trotz der nicht unerheblichen Deliktssummen von Fr. 200’000.– bis Fr. 300’000.– – bei Delikten zulasten des Sozialamts und der Arbeitslosenkasse, die individuell jeweils als nicht besonders schwer betroffen betrachtet werden konnten (Urteil 1B_247/2016 vom 27. Juli 2016 E. 2.2). Eine erhebliche Sicherheitsgefährdung wurde dagegen bejaht im Falle eines (mit Berufsverbot belegten) Anwalts, der sich zulasten seiner Klientschaft bereichert hatte. Dies einerseits aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses, andererseits aufgrund der schweren Schädigung eines Ehepaars im Betrag von Fr. 60’000.– sowie der hohen Gesamtdeliktssumme von beinahe Fr. 500’000.– (Urteil 1B_182/2021 vom 28. April 2021 E. 3.2). Dem Grundsatz nach bejaht wurde die erhebliche Sicherheitsgefährdung sodann bei der Schädigung von zwei Gesellschaften im Betrag von je Fr. 500’000.– (eine Million Gesamtschaden), für den Fall, dass die beiden Gesellschaften dadurch in existenzielle Schwierigkeiten gebracht und somit Arbeitsplätze gefährdet wurden (Urteil 1B_406/2020 vom 28. August 2020 E. 2.4).  Anzeichen dafür, dass der Beschwerdeführer bei künftigen Vermögensdelikten Gewalt anwenden könnte, werden von der Vorinstanz nicht vorgebracht. Ob der Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs – der Beschwerdeführer soll rechnungsähnliche Formulare im Betrag von Fr. 550.– oder 560.– an Gesellschaften verschickt haben – vorliegend tauglich ist, eine vom Beschwerdeführer ausgehende erhebliche Sicherheitsgefährdung zu belegen, ist sodann (trotz der hohen Deliktssumme von gegen Fr. 900’000.–) fraglich. Dem Beschwerdeführer wird indessen zusätzlich vorgeworfen, systematisch durch ihn geführte Gesellschaften finanziell ausgehöhlt und in den Konkurs geführt zu haben, wodurch mindestens drei Personen ihre Stelle verloren hätten. Weiter habe er eine Privatperson um den Betrag von Fr. 123’855.00 betrogen und diese damit an den Rand des Ruins getrieben. Dies sind besonders schwere Vermögensdelikte im Sinne der dargelegten Rechtsprechung, die befürchten lassen, dass der Beschuldigte auch künftig schwere Delikte begehen könnte und damit eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit anderer darstellt. Ob bereits die sehr hohe Schadenssumme von gesamthaft über zwei Millionen Franken den Schluss auf eine erhebliche Sicherheitsgefährdung zulässt, kann damit offen bleiben (vgl. Urteile 1B_43/2022 vom 28. Februar 2022 E. 2.3.5; 1B_514/2021 vom 27. Oktober 2021 E. 3.7; 1B_43/2020 vom 14. Februar 2020 E.2.2).» (E.3.4.2).

Das Bundesgericht fährt fort: «Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, eine tatsächliche (besondere) Betroffenheit der entlassenen Arbeitnehmer sei nicht belegt, verkennt er, dass (nur) die drohenden Delikte die Sicherheit anderer erheblich gefährden müssen. Ob der Beschwerdeführer bereits früher die Sicherheit anderer erheblich gefährdet hat, ist nur (aber immerhin) insofern von Relevanz, als bereits begangene Delikte als Indiz dafür dienen, welche Delikte in Zukunft drohen (vgl. BGE 146 IV 136 E. 2.2 und 2.5; 143 IV 9 E. 2.6). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist es deshalb nicht von Bedeutung, ob die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich zu einer besonderen Betroffenheit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung (vgl. E. 3.4.1 hiervor) geführt haben oder ob dies – allenfalls aufgrund glücklicher äusserer Umstände und ohne Zutun des Beschwerdeführers – nicht der Fall war. Massgeblich ist vielmehr einzig, ob diese Delikte grundsätzlich geeignet waren, eine solche Betroffenheit zu verursachen, und gestützt darauf geschlossen werden muss, dass vom Beschwerdeführer auch künftig Delikte drohen, die eine erhebliche Gefährdung für die Sicherheit anderer darstellen (vgl. Urteile 1B_187/2022 vom 5. Mai 2022 E. 3.4; 1B_458/2016 vom 19. Dezember 2016 E. 3.4; jeweils zur erheblichen Sicherheitsgefährdung bei Strassenverkehrsdelikten, wenn das bisherige Ausbleiben von schweren Unfällen einzig dem Zufall und glücklichen Umständen geschuldet war).  Dies ist vorliegend der Fall: Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte haben unbestrittenermassen dazu geführt, dass mindestens drei Arbeitnehmer ihre Stellen verloren haben. Die Bagatellisierungsversuche des Beschwerdeführers, wonach Kündigungen „nichts Aussergewöhnliches“ seien, zeigen sodann exemplarisch auf, dass er bei seinem Vorgehen keinerlei Rücksicht darauf nimmt, in welchem Ausmass Dritte zu Schaden gelangen. Mit Blick auf die schlechte Legalprognose (vgl. E. 3.1) ist deshalb ernsthaft zu befürchten, dass der Beschwerdeführer in Freiheit weitere besonders schwere Vermögensdelikte verübt, womit er eine erhebliche Gefährdung für die Sicherheit anderer im Sinne der genannten Rechtsprechung darstellt (vgl. E. 3.4.1 hiervor).» (E.3.4.3).

Unbehelflich ist sodann gemäss dem Bundesgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers, beim Betrugsvorwurf zulasten B. – bezüglich welcher er selbst eingesteht, es liege eine besondere Betroffenheit im Sinne der genannten Rechtsprechung vor (vgl. E. 3.4.1 hiervor) – handle es sich um einen Einzelfall, der nicht geeignet sei, eine erhebliche Sicherheitsgefährdung zu begründen. Vielmehr demonstriert dieser Fall, dass beim Tatvorgehen des Beschwerdeführers, trotz des hängigen Strafverfahrens, eine gewisse Aggravationstendenz zu erkennen ist (vgl. BGE 143 IV 9 E. 2.8) und der Beschwerdeführer (mittlerweile) mutmasslich selbst vor schwerwiegenden und allenfalls gar existenzgefährdenden Vermögensdelikten gegenüber Privatpersonen nicht (mehr) zurückschreckt. Dass es sich hierbei um einen Einzelfall handeln soll, vermag dem Beschwerdeführer zudem bereits deshalb nicht zum Vorteil zu gereichen, weil er kurz nach der Anzeigeerstattung durch B. verhaftet wurde (vgl. Sachverhalt Bst. A hiervor) und demnach gar keine Möglichkeit mehr hatte, andere Privatpersonen in ähnlicher Weise zu schädigen.» (E.3.4.4).

Das Bundesgericht kommt zum folgenden Schluss: «Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt hat, indem sie das Vorliegen des besonderen Haftgrundes der Wiederholungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO bejaht hat. Die Beschwerde ist diesbezüglich unbegründet.» (E.3.4.5).

Bemerkungen zum Urteil des Bundesgerichts 1B_445/2022 vom 22. September 2022

Das Bundesgericht bekräftigt im Urteil 1B_445/2022 vom 22. September 2022 grundsätzlich, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Vermögensdelikten restriktiv anzuwenden ist und bei diesem Haftgrund der Schutz der Allgemeinheit vor Gewalt- und Sexualdelikten im Vordergrund steht. Dennoch gibt es auch bei Vermögensdelikten rote Linien für die Untersuchungshaft, welche in diesem Fall durch den Beschuldigen überschritten wurden.

Etwas zynisch mutet schliesslich die folgende Nebenbemerkung des Bundesgerichts an: «Zu beachten ist schliesslich, dass die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO auch dem Verfahrensziel der Beschleunigung dienen kann, indem verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht (BGE 146 IV 136 E. 2.2; 137 IV 84 E. 3.2; 135 I 71 E. 2.2). Ein solcher Fall liegt vorliegend vor, wird dem Beschwerdeführer doch vorgeworfen, seit der Eröffnung des Strafverfahrens im Jahr 2013 laufend weitere (schwere) Delikte begangen zu haben. Die Sicherung der Abwicklung des Strafverfahrens respektive die Verhinderung weiterer Verzögerungen des Verfahrensabschlusses durch immer wieder neu abzuklärende Straftaten vermögen zwar für sich alleine keine Haft zu rechtfertigen (vgl. Urteile 1B_595/2019 vom 10. Januar 2020 E.2.2; 1B_32/2017 vom 4. Mai 2017 E. 3.1; Urteil 1B_442/2015 vom 21. Januar 2016 E. 3.4.3), können vorliegend aber als zusätzliches, ergänzendes Element für die Rechtfertigung der Haft herangezogen werden.» (E.3.4.5).

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