Geschwindigkeitskontrolle mit einer Drohne zulässig

Eine Polizeidrohne filmte einen Motorradlenker, der mit massiv übersetzter Geschwindigkeit fuhr. Vor dem Obergericht des Kantons Thurgau verlangte er einen Freispruch, weil die Polizei seiner Ansicht nach gar keine Drohne hätte einsetzen dürfen. Das Obergericht des Kantons Thurgau hält das Vorgehen der Polizei hingegen für zulässig. Die Drohne nahm lediglich ein Video auf. Die Geschwindigkeit mass sie aber nicht. Das Obergericht des Kantons Thurgau kommt im Entscheid vom 23. April 2024 deshalb zum Schluss, die Polizeidrohne falle nicht unter die Strassenverkehrskontrollverordnung und deren Ausführungsbestimmungen. Sie müsse die Anforderungen dieser Verordnungen, namentlich eine Zulassung und Eichung durch das Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS), darum nicht einhalten. Die Geschwindigkeit hat die Polizei danach anhand der gefahrenen Strecke und der dafür benötigten Zeit berechnet. Der Polizist, der die Geschwindigkeit berechnete, hatte beim METAS dafür eine Weiterbildung besucht. Die Polizei überwachte den Verkehr zudem mit der Drohne nicht permanent. Vielmehr startete sie die Videoaufnahme erst, nachdem sie den Verdacht hegte, der Berufungskläger setze zu einer «Raserfahrt» an. Die Videoaufnahme mit der Drohne durch die Polizei sei – so das Obergericht – unter den gegebenen Umständen in einem Strafverfahren und auch nach dem anwendbaren Thurgauer Datenschutzgesetz erlaubt. Der Obergerichtsentscheid vom 23. April 2024, SBR.2024.1 ist noch nicht rechtskräftig. Eine Fortsetzung vor dem Bundesgericht dürfte wahrscheinlich sein.

Sachverhalt

Im Herbst 2022 fuhr der Berufungskläger mit einem Motorrad auf einer Landstrasse zuerst auf dem Hinterrad (Wheelie) und beschleunigte danach auf eine Geschwindigkeit von 211 km/h. Dieses Fahrmanöver zeichnete die Kantonspolizei Thurgau mit Hilfe einer Drohne auf Video auf. Gestützt auf die Aufnahme berechnete sie danach die gefahrene Geschwindigkeit. Das Bezirksgericht Frauenfeld hatte den Berufungskläger im September 2023 für diese Fahrt wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln und einfacher Verkehrsregelverletzung verurteilt. Dagegen wehrte sich der Berufungskläger vor dem Obergericht des Kantons Thurgau.

Ausführungen des Obergerichts des Kantons Thurgau im Obergerichtsentscheid vom 23. April 2024, SBR.2024.1

Die Drohne nahm lediglich ein Video auf. Die Geschwindigkeit mass sie aber nicht. Das Obergericht des Kantons Thurgau kommt im Entscheid vom 23. April 2024 deshalb zum Schluss, die Polizeidrohne falle nicht unter die Strassenverkehrskontrollverordnung und deren Ausführungsbestimmungen. Sie müsse die Anforderungen dieser Verordnungen, namentlich eine Zulassung und Eichung durch das Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS), darum nicht einhalten. Die Geschwindigkeit hat die Polizei danach anhand der gefahrenen Strecke und der dafür benötigten Zeit berechnet. Der Polizist, der die Geschwindigkeit berechnete, hatte beim METAS dafür eine Weiterbildung besucht. Die Polizei überwachte den Verkehr zudem mit der Drohne nicht permanent. Vielmehr startete sie die Videoaufnahme erst, nachdem sie den Verdacht hegte, der Berufungskläger setze zu einer «Raserfahrt» an.

Die Videoaufnahme mit der Drohne durch die Polizei sei – so das Obergericht – unter den gegebenen Umständen in einem Strafverfahren und auch nach dem anwendbaren Thurgauer Datenschutzgesetz erlaubt. Es sprach den Berufungskläger daher – wie bereits das Bezirksgericht – für das Wheelie und die Raserfahrt schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einer Busse von Fr. 2’200.00. Zudem muss er die gesamten Verfahrenskosten bezahlen.

Hier sind einige der Schlüsselausführungen des Obergerichts des Kantons Thurgau (Obergerichtsentscheid vom 23. April 2024, SBR.2024.1):

«Die Vorinstanz hält fest, dass die Drohne mit Videokamera keine Messung vornehme. Sie mache Videoaufzeichnungen mit einer Weitwinkel- und einer Zoomkamera. Damit handle es sich weder um ein Messgerät noch um einen Teil eines Messsystems, das die Geschwindigkeit feststelle. Es werde kein Wert festgestellt, sondern gestützt auf die Videoaufzeichnungen eine Weg-/Zeitberechnung vorgenommen. Es werde mit der Drohne im Gegensatz zu Geschwindigkeitsmessungen, wie sie in den Weisungen des ASTRA97 erläutert werden, keine Messungen der Geschwindigkeit vorgenommen. Es finde kein Messverfahren statt, womit die Drohne kein technisches Hilfsmittel sei, das Messzwecken diene. Es handle sich daher nicht um ein Messmittel im Sinn der Strassenverkehrsgesetzgebung. Die Drohne müsse deshalb auch nicht geeicht sein.» (E.3.2.2).

«Dass die Kantonspolizei Geschwindigkeitskontrollen durchführen kann, steht ausser Frage. Zu klären ist, ob sie dies mittels Drohnenvideoaufnahme machen durfte.» (E.3.3.1).

«Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die Drohne kein Messmittel im Sinn der Messmittelverordnung ist: Die Drohne dient nicht der Bestimmung der Werte einer physikalischen oder chemischen Messgrösse sowie die verwendeten Messverfahren. Somit erfüllt sie die Definition als Messmittel gemäss Messmittelverordnung99 nicht. Daher untersteht sie auch nicht der Messmittelverordnung, da diese nur Messmittel umfasst. Ebenso wenig untersteht sie der Geschwindigkeits-Messmittelverordnung, da sie nicht zu einem Messsystem gehört: Die Geschwindigkeits-Messmittelverordnung regelt die Anforderungen, das Verfahren für das Inverkehrbringen sowie zur Erhaltung der Messbeständigkeit von Messmittel. Wenn die Drohne kein Messmittel darstellt, dann kann sie die Bestimmungen der Geschwindigkeitsmessmittel-Verordnung nicht einhalten, da diese nur durch Messmittel erfüllt werden können und auch nur für Messmittel anwendbar ist. Deshalb geht auch die Rüge des Berufungsklägers an der vorinstanzlichen Feststellung, wonach die Verordnungen nicht anwendbar seien, weil deren Bestimmungen nicht eingehalten werden, fehl. Vorliegend wird die Geschwindigkeit aufgrund der Videoaufzeichnungen anhand einer Weg-/Zeitberechnung ausgerechnet. Dies im Unterschied zu den Geschwindigkeitsmessungen, welche in den Weisungen über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr vom ASTRA vom 22. Mai 2008 erläutert werden. Diese Weisungen halten denn auch fest, dass für Widerhandlungen, die nicht im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden dürfen, die Weisungen im Rahmen des kantonalen Polizei- und Strafprozessrechts zu berücksichtigen seien. Unberührt von den Weisungen bleibe die Ermittlung der Geschwindigkeit durch Fachexpertisen (zum Beispiel Art. 4 lit. a MessMV Art. 3 Abs. 1 MessMV: „Ein Messmittel untersteht dieser Verordnung“ Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a Geschwindigkeitsmessmittel-Verordnung Art. 1 Geschwindigkeitsmessmittel-Verordnung Protokoll der Berufungsverhandlung, S. 7, Rz. 11 am Ende – 18 – SBR.2024.1 bei der Abklärung von Unfällen oder Widerhandlungen im Strassenverkehr) und die freie Beweiswürdigung durch die Gerichte.» (E.3.3.2).

«Auch die Vorschriften zur Geschwindigkeitskontrolle in der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung105 lassen andere Messarten zu: Die Aufzählung verschiedener Messarten in Art. 6 VSKV-ASTRA ist per se nicht abschliessend, wie dessen Einleitungssatz mit „in erster Linie“ festhält. Das zeigt auch die Überschrift von Art. 7 VSKV-ASTRA, die „Andere Feststellungen von Geschwindigkeitsüberschreitungen“ lautet. Die Verwendung anderer, nicht in der Verordnung explizit genannten Technologien ist daher zulässig. Zudem hält Art. 7 Abs. 3 VSKV-ASTRA fest, dass Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem auf Fälle von massiver Geschwindigkeitsüberschreitung zu beschränken sind. Das heisst, dass auch die VSKV-ASTRA nicht kalibrierte Messungen bei massiver Geschwindigkeitsüberschreitungen zulässt. Selbst wenn also der Schluss gezogen werden müsste, dass die mittels Drohne erstellte Videoaufnahme spezifisch kalibriert hätte werden müssen, dann würde das im vorliegenden Fall nichts an deren Verwertbarkeit ändern, da hier ein Fall von massiver Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegt, für welchen eine Ausnahme der Kalibrierungspflicht vorgesehen ist. Auch in diesem Fall dürfte – für die Geschwindigkeitsüberschreitung, nicht aber für die Übertre[1]tung – auf die Videoaufnahme abgestellt werden.» (E.3.3.3).

«Die Verordnungen im Zusammenhang mit Geschwindigkeitskontrollen schliessen somit eine Videoaufnahme mit Drohne und eine darauf basierende Berechnung der gefahrenen Geschwindigkeit nicht aus. Eine Rechtsverletzung ist nicht auszumachen. Auch die Rüge der Verletzung der Gewaltenteilung geht fehl, da keine gesetzeswidrige Praxis durch die Polizei eingeführt beziehungsweise durch die Gerichte bestätigt wird. Wenn die Gerichte eine Gesetzesnorm auslegen und Lücken füllen und damit den durch den Gesetzgeber offen gelassenen Spielraum konkretisieren, liegt keine Verletzung der Gewaltenteilung vor. Die Videoaufnahme ist daher ein verwertbares Beweismittel, deren Beweiswert eine Frage der Beweiswürdigung darstellt.» (E.3.4).

«Das eidgenössische Datenschutzgesetz ist vorliegend nicht anwendbar, da nicht die Tätigkeit von Bundesbeamten betroffen ist. Die Videoaufnahme der Kantonspolizei Thurgau mittels Drohne stellt ein Bearbeiten von Personendaten im Sinn des kantonalen Datenschutzgesetzes dar. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass der Zweck der Videoaufnahme mittels Drohne vorliegend der Beweis für eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung sowie eines Wheelies eines Strassenverkehrsteilnehmers ist. Eine solche Aufnahme ist geeignet und bei gewissen Strassenabschnitten erforderlich, um das Fehlverhalten eines Fahrzeuglenkers nachzuweisen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Videoüberwachung im Sinn einer optischen Unterstützung der den Verkehr überwachenden Verkehrspolizisten und einer permanenten Videoaufzeichnung, welche alle Fahrer und Fahrten abspeichert. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, ist erstellt, dass die Videoaufzeichnung erst gestartet wurde, als der zufolge Verkehrsüberwachung fehlbare Lenker wahrgenommen wurde, und nicht eine permanente Drohnenaufzeichnung stattfand. Die Kantonspolizei erstellte diese Aufnahmen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben zu Beweiszwecken, weshalb die Videoaufnahmen mit dem kantonalen Datenschutzgesetz vereinbar sind.» (E.4.3).

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