Festsetzung der Ersatzforderung setzt Beurteilung der finanziellen Verhältnisse voraus

Im Urteil 6B_1354/2021 vom 22. März 2023 aus dem Kanton Aargau befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema der Ersatzforderungen, namentlich bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen (E.4). Dazu erklärte das Bundesgericht u.a.: «Der Richter kann aber die Ersatzforderung reduzieren, um dem Gedanken der Resozialisierung des Täters Rechnung zu tragen. Dem Verurteilten soll nicht durch übermässige Schulden die Wiedereingliederung zusätzlich erheblich erschwert werden. Von der in Art. 71 Abs. 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit des ganzen oder teilweisen Absehens von einer Ersatzforderung ist nach der Rechtsprechung mit Zurückhaltung Gebrauch zu machen. Es müssen bestimmte Gründe vorliegen, die zuverlässig erkennen lassen, dass sich die ernsthafte Gefährdung der Resozialisierung nicht durch Zahlungserleichterungen beheben lässt und die Ermässigung der Ersatzforderung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung des Täters unerlässlich ist.» (E.4.3). Dies bedingt eine umfassende Auseinandersetzung der urteilenden Instanz mit den Vermögensverhältnissen der betroffenen Person (E.4.4. f.).

Sachverhalt

Am 20. Februar 2018 wurde gegen A. wegen mehrerer Vermögens-, Konkurs- und Urkundendelikte Anklage erhoben. Mit Urteil vom 11. Februar 2020 sprach ihn das Bezirksgericht Baden in einzelnen Anklagepunkten frei und in anderen schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten, dies teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 6. August 2013 und erkannte auf eine Ersatzforderung von Fr. 500’000.–. Hinsichtlich verschiedener beschlagnahmter Wertgegenstände und Vermögenswerte ordnete es die Einziehung und Verwendung zur Deckung der Verfahrenskosten respektive der Ersatzforderung an.

Instanzenzug

Gegen das erstinstanzliche Urteil erhoben A. und eine der Privatklägerinnen Berufung. Mit Berufungsurteil vom 18. Oktober 2021 stellte das Obergericht des Kantons Aargau zunächst eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest. Im Weiteren hielt es fest, dass die Freisprüche vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung („Anklageziffern 1.3 im Umfang von Fr. 75’000.–, 1.6 und 1.10“) und der Urkundenfälschung („Anklageziffern 4.1 und 4.2 i.V.m. 1.3 bis 1.7“) sowie die Schuldsprüche wegen Pfändungsbetrugs und Verfügung über mit Beschlag belegter Vermögenswerte in Rechtskraft erwachsen seien. Es erklärte A. der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung („Anklageziffern 1.1, 1.2, 1.3 im Umfang von Fr. 170’000.–, 1.4, 1.5, 1.7, 1.8 und 1.9“), der Urkundenfälschung („Anklageziffern 4.1 und 4.2 i.V.m. 1.1 und 1.2“), der mehrfachen Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung sowie der Misswirtschaft schuldig. Wie bereits das Bezirksgericht sprach es hierfür eine unbedingte Freiheitsstrafe von 28 Monaten als teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 6. August 2013 aus. Ebenso erkannte es auf eine Ersatzforderung von Fr. 500’000.– und ordnete an, dass diverse beschlagnahmte Wertgegenstände sowie die Erlöse aus der Verwertung des Aston Martin V8 Vantage im Betrag von Fr. 41’009.20 sowie der Musikanlage Bang & Olufsen im Betrag von Fr. 8’200.– samt allfällig aufgelaufener Zinsen zur Deckung der erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten, der Entschädigung der amtliche Verteidigung und danach zur Deckung der Ersatzforderung verwendet werden.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. erhebt betreffend Strafzumessung und Ersatzforderung Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht und beantragt im Einzelnen, er sei als teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 6. August 2013 mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten zu bestrafen, wobei ihm im Umfang von acht Monaten der bedingte Vollzug zu gewähren sei. Auf eine Ersatzforderung sei zu verzichten. Eventualiter sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1354/2021 vom 22. März 2023

Der Beschwerdeführer beanstandete die Bildung der Zusatzstrafe (E.2), worauf nicht näher einzugehen ist. Weiter verlangte der Beschwerdeführer die Gewährung des teilbedingten Strafvollzugs (E.3), worauf hier auch nicht weiter eingegangen wird.

Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ersatzforderung (E.4), dem Kernpunkt dieser Urteilsbesprechung. Im Einzelnen bringt er vor Bundesgericht vor, ein bescheidenes Einkommen zu erzielen, völlig überschuldet zu sein, gleichzeitig seit Jahren ohne Beanstandungen ein Geschäft zu führen und mit bald 60 Jahren Vater einer kleinen Tochter zu sein. Eine Ersatzforderung werde daher uneinbringlich sein. Gleichzeitig würde sie seine Wiedereingliederung, die – bis dato – erfolgreich sei, in Frage stellen bzw. ernsthaft behindern. Hinzu komme, dass er gegenüber seiner Ehefrau und Tochter noch über Jahre, also auch nach seiner Pensionierung, familienrechtlich unterstützungspflichtig sein werde (E.4.1).

Die Vorinstanz erwägt vor Bundesgericht, der Beschwerdeführer habe sich im Umfang von gesamthaft rund Fr. 730’000.– in strafbarer Weise Vermögenswerte angeeignet und für eigene Zwecke verwendet. Der Verwertungserlös der einbehaltenen Beschlagnahmungen sei primär zur Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden. Entsprechend habe die Erstinstanz die Ersatzforderung reduziert. Zusätzlich habe sie die schlechten finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers berücksichtigt und im Ergebnis auf eine Ersatzforderung von Fr. 500’000.– erkannt. Angesichts der Tatsache, dass bereits die erstinstanzlichen Verfahrenskosten den von der Erstinstanz auf rund Fr. 100’000.– geschätzten Verwertungserlös übersteigen würden, erweise sich diese Reduktion als sehr weitgehend. Aufgrund des Verschlechterungsverbots nach Art. 391 Abs. 2 StPO sei eine Erhöhung jedoch ausgeschlossen. (E.4.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 6B_1354/2021 vom 22. März 2023 zum Thema der Ersatzforderung in allgemeiner Art und Weise wie folgt:

«Das Gericht verfügt die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind, sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden (Art. 70 Abs. 1 StGB). Die Vermögenseinziehung bezweckt den Ausgleich deliktischer Vorteile und steht damit im Dienst des sozialethischen Gebots, wonach sich strafbares Verhalten nicht lohnen soll (BGE 144 IV 1 E. 4.2.1; 141 IV 155 E. 4.1; je mit Hinweisen).  

Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe (Art. 71 Abs. 1 StGB). Es kann von einer Ersatzforderung ganz oder teilweise absehen, wenn diese voraussichtlich uneinbringlich wäre oder die Wiedereingliederung des Betroffenen ernstlich behindern würde (Art. 71 Abs. 2 StGB). Durch die Festlegung einer Ersatzforderung wird verhindert, dass derjenige, der die Vermögenswerte bereits verbraucht beziehungsweise sich ihrer entledigt hat, besser gestellt wird als jener, der sie noch hat (BGE 140 IV 57 E. 4.1.2; 123 IV 70 E. 3; je mit Hinweis[en]). Die Ersatzforderung entspricht daher in ihrer Höhe grundsätzlich den Vermögenswerten, die durch die strafbaren Handlungen erlangt worden sind und somit der Vermögenseinziehung unterlägen, wenn sie noch vorhanden wären (zum Ganzen: Urteile 6B_676/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 3.3.2; 6B_988/2017 vom 26. Februar 2018 E. 3.3; 6B_236/2015 vom 30. April 2015 E. 1.4.1; je mit Hinweisen). Der Richter kann aber die Ersatzforderung reduzieren, um dem Gedanken der Resozialisierung des Täters Rechnung zu tragen. Dem Verurteilten soll nicht durch übermässige Schulden die Wiedereingliederung zusätzlich erheblich erschwert werden. Von der in Art. 71 Abs. 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit des ganzen oder teilweisen Absehens von einer Ersatzforderung ist nach der Rechtsprechung mit Zurückhaltung Gebrauch zu machen. Es müssen bestimmte Gründe vorliegen, die zuverlässig erkennen lassen, dass sich die ernsthafte Gefährdung der Resozialisierung nicht durch Zahlungserleichterungen beheben lässt und die Ermässigung der Ersatzforderung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung des Täters unerlässlich ist (vgl. BGE 106 IV 9 E. 2; Urteile 6B_676/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 3.3.3 und 3.5.2; 6B_236/2015 vom 30. April 2015 E. 1.4.1; je mit Hinweisen). Dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn der Betroffene vermögenslos oder gar überschuldet ist und sein Einkommen sowie seine übrige persönliche Situation nicht erwarten lassen, dass Zwangsvollstreckungsmassnahmen in absehbarer Zeit Erfolg versprechen (Urteile 6B_1256/2018 vom 28. Oktober 2019 E. 7.6; 6B_988/2017 vom 26. Februar 2018 E. 3.3; je mit Hinweis[en]). Dem Sachgericht steht bei der Anordnung einer Ersatzforderung ein grosser Ermessensspielraum zu, den es unter Beachtung aller wesentlichen Gesichtspunkte pflichtgemäss auszuüben hat und in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (Urteil 6B_676/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 3.3.2 mit Hinweisen).» (E.4.3)

«Die Frage, ob sich eine Herabsetzung oder sogar ein Verzicht auf die Ersatzforderung rechtfertigt, setzt eine umfassende Beurteilung der finanziellen Lage der betroffenen Person voraus (BGE 122 IV 299 E. 3b; Urteil 6B_676/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 3.3.3; je mit Hinweis). Dabei sind namentlich ihre Erwerbsmöglichkeiten respektive ihr Einkommen, ihr Vermögen, Schulden und familienrechtliche Verpflichtungen zu berücksichtigen (vgl. BGE 119 IV 17 E. 3 [Schulden]; 6B_236/2015 vom 30. April 2015 E. 1.4.2 [Einkommen und Vermögen]; 6B_986/2008 vom 20. April 2009 E. 6.3 [Vermögen und Schulden]; 6P.55/2004 vom 10. August 2004 E. 3.4.4 [familiäre Unterstützungspflichten]; MARCEL SCHOLL, in: Kommentar Kriminelles Vermögen – Kriminelle Organisationen, Band I, 2018, N. 56 zu Art. 71 StGB).» (E.4.4)

«Im Allgemeinen verpflichtet der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) die Behörden, die Vorbringen der Parteien tatsächlich zu hören, zu prüfen und in der Entscheidfindung zu berücksichtigen. Dementsprechend müssen sie ihre Entscheide ausreichend und nachvollziehbar begründen (BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen). Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Vielmehr können sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 143 III 65 E. 5.2; ferner BGE 147 IV 409 E. 5.3.4; 146 IV 297 E. 2.2.7; je mit Hinweisen).» (E.4.5)

Zum konkreten Fall im Urteil äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_1354/2021 vom 22. März 2023 wie folgt:

«In casu ist aufgrund der Feststellungen der ersten Instanz, auf die im angefochtenen Urteil verwiesen wird, unbestritten, dass die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers schlecht sind. Im Berufungsverfahren machte er denn auch geltend, dass eine Ersatzforderung uneinbringlich sei und seine Wiedereingliederung dadurch ernstlich behindert würde. Ungeachtet dessen setzt sich die Vorinstanz mit der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers nicht näher auseinander (eine nähere Erörterung findet im Übrigen auch im erstinstanzlichen Urteil, Akten Vorinstanz pag. 1 ff., nicht statt). Die Vorinstanz äussert sich insbesondere nicht dazu, ob die Ersatzforderung einbringlich sein wird respektive wie der Beschwerdeführer sie finanzieren wird und prüft nicht, ob die Ersatzforderung die Resozialisierung ernsthaft gefährden könnte. Zwar ist das Gericht von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, bei allfälliger Uneinbringlichkeit von einer Ersatzforderung abzusehen (Urteile 6B_988/2017 vom 26. Februar 2018 E. 3.4; 6B_296/2014 vom 20. Oktober 2014 E. 5.5 mit Hinweis). Die Anordnung einer Ersatzforderung setzt jedoch in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit den finanziellen Verhältnissen der betroffenen Person und mit den Auswirkungen der Ersatzforderung auf die Resozialisierungschancen voraus (vgl. E. 4.3 und 4.4 oben). Die umstrittene Ersatzforderung bemisst sich vorliegend auf beträchtliche Fr. 500’000.–. Der Beschwerdeführer macht vorliegend, wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren (Berufungsbegründung vom 11. November 2020, Akten Vorinstanz pag. 162), insbesondere geltend, verschuldet zu sein und familienrechtliche Unterstützungspflichten erfüllen zu müssen. Derartige Elemente haben sich in der Beurteilung der Ersatzforderung niederzuschlagen. Im angefochtenen Urteil fehlen jedoch die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers. Das Sachgericht verfügt bei der Anordnung einer Ersatzforderung wie erwähnt zwar über einen grossen Ermessensspielraum (vgl. E. 4.3 oben). Das Ermessen kann jedoch erst ausgeübt werden, wenn die dem Entscheid zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse hinreichend abgeklärt wurden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dem Bundesgericht steht es nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen und den entscheidwesentlichen Sachverhalt festzustellen (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 244 E. 1.2.1). Es kann daher nicht überprüfen, ob die Ersatzforderung dem Wiedereingliederungsgedanken hinreichend Rechnung trägt. Gestützt auf Art. 112 Abs. 3 BGG wird die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers erneut über die Ersatzforderung befindet.» (E.4.5.1).

«Sollte die Vorinstanz in ihrem neuen Entscheid nach wie vor auf eine Ersatzforderung erkennen, ist sie darauf hinzuweisen, dass die direkte Verwendung eines beschlagnahmten Vermögenswerts zur Tilgung der Ersatzforderung gegen Bundesrecht verstösst. Die Vollstreckung einer Ersatzforderung hat vielmehr nach den Vorschriften des SchKG durch die entsprechend zuständigen Behörden zu erfolgen. Dies ergibt sich aus Art. 71 Abs. 3 Satz 2 StGB. Das Gericht hat im Endurteil daher lediglich über die Aufrechterhaltung der Ersatzforderungsbeschlagnahme zu entscheiden, die anschliessend nach Inkrafttreten des Urteils bestehen bleibt, bis sie durch eine Massnahme des Schuldbetreibungsrechts ersetzt wird (BGE 141 IV 360 E. 3.2; Urteil 6B_1362/2020 vom 20. Juni 2022 E. 23.5.4; je mit Hinweisen).» (E.4.5.2)

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird das angefochtene Urteil durch das Bundesgericht aufgehoben und zur erneuten Entscheidung über die Ersatzforderung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann (E.5).

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