Sachverhalt und Instanzenzug
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach A. am 11. März 2024 in teilweiser Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Zofingen vom 16. März 2023 des qualifizierten (lebensgefährlichen) Raubs sowie des Hausfriedensbruchs zum Nachteil von D.C. und E.C. schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 9 1/4 Jahren, unter Anrechnung der ausgestandenen Haft. Es stellte eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest, widerrief den bedingten Vollzug einer vorbestehenden Geldstrafe und ordnete eine Landesverweisung von 15 Jahren an, unter Ausschreibung derselben im Schengener Informationssystem (SIS). Ausserdem verpflichtete es A. zur Leistung von Schadenersatz- und Genugtuungszahlungen an D.C. und E.C., jeweils unter solidarischer Haftbarkeit mit den Mitbeschuldigten B. und F..
Mit separatem Urteil gleichen Datums verurteilte das Obergericht den Mitbeschuldigten B. in gleicher Sache und in teilweiser Bestätigung des vorausgegangenen, ihn betreffenden Urteils des Bezirksgerichts Zofingen vom 16. März 2023 wegen der gleichen Delikte. Es sprach dafür eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 2 1/2 Monaten aus, unter Anrechnung der ausgestandenen Haft, und verhängte für den bereits in Rechtskraft erwachsenen erstinstanzlichen Schuldspruch wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises zudem eine unbedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 10.–, dies unter Einbezug einer vorbestehenden Geldstrafe, deren bedingten Vollzug es widerrief. Weiter stellte es ebenfalls eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest, ordnete es eine Landesverweisung von 15 Jahren an, ohne diese jedoch im SIS auszuschreiben, und entschied es über die erwähnten Zivilforderungen.
Das Obergericht hält – kurz zusammengefasst – für erstellt, dass sich A. (verkleidet als Jogger) und B. gemeinsam mit F. (dieser verkleidet als Postangestellter) und einer weiteren Person am Vormittag des 20. Februar 2021 zunächst in zwei Personenwagen und schliesslich in einem Personenwagen zum Wohnhaus von D.C. und E.C. am Weg U. xxx in V. begeben hätten, nach dem Öffnen der Türe durch D.C. ins Haus eingedrungen seien, dort das Ehepaar C. gefesselt und geknebelt und dabei insbesondere D.C. mit Klebeband sowohl Mund als auch Nase zugeklebt und ihn so an einem Rohr gebunden im dunklen Heizungsraum während rund 15-30 Minuten allein gelassen hätten. Nachdem sie vom Ehepaar keine Angaben über im Haus geglaubte grosse Geldbeträge hätten erhältlich machen können, hätten sie den Tatort mit insgesamt mindestens Fr. 500.– Bargeld wieder verlassen.
Weiterzug ans Bundesgericht
Der A. führt Beschwerde in Strafsachen (Verfahren 6B_385/2024). Er beantragt im Wesentlichen, er sei in Aufhebung des obergerichtlichen Urteils von Schuld und Strafe freizusprechen, ihm sei eine Genugtuung für den übermässigen Freiheitsentzug von Fr. 200.– pro Tag zu bezahlen und die Zivilforderungen seien abzuweisen. Ferner sei seinem amtlichen Verteidiger für das Berufungsverfahren eine Entschädigung von Fr. 7’530.20 auszurichten. Eventualiter sei die Sache in den angefochtenen Punkten an das Obergericht zur Neubeurteilung im Sinne der Anträge zurückzuweisen. A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Der B. erhebt ebenfalls Beschwerde in Strafsachen (Verfahren 6B_390/2024). Er beantragt zusammengefasst, er sei in Aufhebung des obergerichtlichen Urteils von den Vorwürfen des qualifizierten Raubs und des Hausfriedensbruchs freizusprechen und für das Strassenverkehrsdelikt mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 30.– zu bestrafen, unter Anrechnung der ausgestandenen Haft. Weiter sei von einer Landesverweisung abzusehen, seien die Zivilforderungen abzuweisen und sei ihm eine Genugtuung für den ungerechtfertigt ausgestandenen Freiheitsentzug von Fr. 200.– pro Tag zuzusprechen. Seinem amtlichen Verteidiger sei für das Berufungsverfahren ausserdem eine Entschädigung von Fr. 7’891.35 auszurichten. Eventualiter sei die Sache in den angefochtenen Punkten an das Obergericht zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Auch B. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_385/2024, 6B_390/2024 vom 30. September 2024
Beide Beschwerdeführer beanstanden vor Bundesgericht in prozessualer Hinsicht, dass die Vorinstanz im Rahmen der Beweiswürdigung zu ihrem Nachteil auf eine bzw. zwei Videoaufnahmen abstellt (E.2).
Das Bundesgericht äussert sich bezüglich der Argumentationen der Parteien zunächst wie folgt:
«Hinsichtlich der (ersten) Videoaufnahme der Überwachungskamera des Nachbargrundstücks Weg U. yyy machen sie übereinstimmend geltend, es sei unbestritten, dass diese Aufnahme rechtswidrig erstellt worden sei und daher ein rechtswidriges privates Beweismittel darstelle. Unbestritten sei zwar auch, dass es sich beim Raub um eine schwere Straftat im Sinne der Rechtsprechung handle; eine Verwertung der Videoaufnahme scheitere jedoch am kumulativen Erfordernis der hypothetisch rechtmässigen Erlangbarkeit des Beweises durch die Strafbehörden. Denn zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufnahme (vor und während der Tat) habe noch kein Tatverdacht bestehen können, aufgrund dessen die Strafbehörden die Videoaufnahme selbst hätten anfertigen oder eine Observation hätten vornehmen können. Würde das anders gesehen und wie im angefochtenen Urteil argumentiert, auf einen vorbestehenden Tatverdacht komme es nicht an, wäre jede rechtswidrige private Aufnahme immer verwertbar, da stets gesagt werden könne, es hätte eine Observation angeordnet werden können, wenn der Tatverdacht damals schon bestanden hätte. Dem Erfordernis der hypothetisch rechtmässigen Erlangbarkeit würde so jegliche Bedeutung entzogen, was nicht angehen könne. Der Beschwerdeführer 2 bringt Gleiches bezüglich einer weiteren, gegen ihn verwendeten Videoaufnahme der Überwachungskamera bei einer Tankstelle in W. vor. Laut den Beschwerdeführern müsse bereits aus diesem formellen Grund ein Freispruch erfolgen, da ohne die Videoaufnahme (n) ein willkürfreier Schluss auf ihre Täterschaft nicht möglich sei.» (E.2.1).
«Die Vorinstanz begründet die Täterschaft beider Beschwerdeführer mangels direkter Beweise anhand diverser indirekter Beweismittel bzw. Indizien (vgl. angefochtene Urteile E. 2.5-2.6 S. 12-19 bzw. S. 11-20). Die Videoaufnahmen erweisen sich im Rahmen dieser Beweiswürdigung als entscheidrelevant (vgl. zur Beweiswürdigung E. 3 unten), weshalb die von der Vorinstanz bejahte Verwertbarkeit dieser Aufnahmen nachfolgend zu prüfen ist.» (E.2.2).
Das Bundesgericht äussert sich hiernach o, Urteil 6B_385/2024, 6B_390/2024 vom 30. September 2024wie folgt generell-abstrakt wie folgt:
«Die Strafprozessordnung regelt nur die Erhebung von Beweisen durch die staatlichen Strafbehörden, äussert sich aber nicht ausdrücklich zum Umgang mit von Privatpersonen gesammelten Beweismitteln. Nach der Rechtsprechung sind von Privaten rechtmässig erlangte Beweismittel ohne Einschränkungen im Strafprozess verwertbar (BGE 147 IV 16 E. 1.2; Urteile 6B_92/2022 vom 5. Juni 2024 E. 1.3.1; 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.1.2; 6B_1133/2021 vom 1. Februar 2023 E. 2.3.2, nicht publ. in BGE 149 IV 153; je mit Hinweisen). Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise sind dagegen nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erhältlich gemacht werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Bei der Interessenabwägung ist derselbe Massstab wie bei von den Strafbehörden rechtswidrig erhobenen Beweisen anzuwenden. Die Verwertung ist damit nur zulässig, wenn sie im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist (vgl. BGE 147 IV 16 E. 1.1, 9 E. 1.3.1; 146 IV 226 E. 2; Urteil 6B_219/2022 vom 15. Mai 2024 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3).
«Es steht ausser Frage, dass es sich bei den zwei Videoaufnahmen der Überwachungskameras der Nachbarliegenschaft und der Tankstelle um privat erhobene Beweise handelt. Ob diese Beweise rechtmässig erlangt worden sind, lässt die Vorinstanz explizit offen (vgl. angefochtene Urteile E. 2.5.3 S. 16 sowie [nur betreffend den Beschwerdeführer 2] E. 2.5.4 S. 18). Das kann auch vorliegend dahingestellt bleiben, nachdem die vorinstanzliche Folgerung, die Aufnahmen seien selbst im Fall ihrer rechtswidrigen Erstellung strafprozessual verwertbar, weil die Strafbehörden sie rechtmässig hätten erlangen können und die Schwere der Straftat deren Verwertung erlaube, nicht zu kritisieren ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.» (E.2.4).
Fallbezogen geht es mit den Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_385/2024, 6B_390/2024 vom 30. September 2024wie folgt weiter:
«Die vorinstanzliche Beurteilung, es handle sich beim zur Diskussion stehenden lebensgefährlichen Raub um eine schwere Straftat, die eine Verwertung der Videoaufnahmen trotz ihrer rechtswidrigen Erstellung rechtfertige (vgl. angefochtene Urteile E. 2.5.3 S. 16 f. bzw. S. 16 sowie [nur betreffend den Beschwerdeführer 2] E. 2.5.4 S. 18), kritisieren die Beschwerdeführer nicht und erweist sich nicht als offensichtlich unrichtig. Darauf ist nicht weiter einzugehen (vgl. Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG, Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.1; 145 V 304 E. 1.1).» (E.2.5).
Zu prüfen ist gemäss Bundesgericht mithin weiter das von den Beschwerdeführern in Frage gestellte zweite kumulative Erfordernis der hypothetisch rechtmässigen Erlangbarkeit der Videoaufnahmen durch die Strafbehörden (E.2.6): «Die Vorinstanz erwägt mit Bezug auf die Videoaufnahme der Nachbarliegenschaft, relevant seien die Aufnahmen kurz vor, während und nach dem Eindringen der Täterschaft in das Haus der Opfer. Unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hält sie fest, es komme nicht darauf an, ob vor den Videoaufnahmen ein konkreter Tatverdacht bestanden habe. Entscheidend sei vielmehr, ob die Beschaffung zulässig gewesen wäre, wenn der Tatverdacht bekannt gewesen wäre. Zusätzlich hebt sie hervor, das belastendste Bildmaterial, das zur Identifikation des Fahrzeugs des Beschwerdeführers 1 geführt habe, sei nach dem eigentlichen Kerngeschehen des Raubs aufgenommen worden, und es hätten abgesehen davon zahlreiche Anhaltspunkte vorgelegen, bei deren Kenntnis der Staatsanwaltschaft ausreichend Zeit geblieben wäre, verdeckte Bild- und Tonaufzeichnungen von Personen und Fahrzeugen im Sinne von Art. 282 Abs. 1 StPO am allgemein zugänglichen Ort der Strasse um den Weg U. yyy rechtmässig aufzunehmen, zumal die Ermittlungen anderenfalls unverhältnismässig erschwert worden wären. Laut der Vorinstanz sei die hypothetisch rechtmässige Erlangbarkeit der Videoaufnahme des Nachbargrundstücks daher zu bejahen. Gleiches nimmt sie, unter Verweis auf diese Begründung, für die Videoaufnahme der Tankstelle an (vgl. angefochtene Urteile E. 2.5.3 S. 16 f. und [betreffend den Beschwerdeführer 2] E. 2.5.4 S. 18).» (E.2.6.1).
Dieser Beurteilung ist gemäss Bundesgericht im Urteil 6B_385/2024, 6B_390/2024 vom 30. September 2024 «im Ergebnis» zuzustimmen (E.2.6.2).
«Das Bundesgericht führte bereits in seiner früheren Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangten Beweismitteln (sowohl durch Private als auch durch den Staat) aus, ein rechtswidrig erhobenes Beweismittel sei nur dann (absolut) unverwertbar, wenn es an sich unzulässig bzw. auf gesetzmässigem Weg nicht erreichbar sei, nicht aber, wenn dessen Erhebung „als Methode der Wahrheitsermittlung […] gegenüber dem Beschuldigten an sich bewilligungsfähig“ sei (vgl. BGE 131 I 272 E. 4.1 und 4.1.1 f. mit Hinweisen auf BGE 109 Ia 244 E. 2a und 2b; 103 Ia 206 E. 9b; 96 I 437 E. 3b; vgl. auch BGE 133 IV 329 E. 4.4). Der sich schon hieran zeigende abstrakte Beurteilungsmassstab bei der Hypothese der rechtmässigen Erlangbarkeit bestätigte das Bundesgericht später ausdrücklich im Kontext rechtswidriger privater Beweiserhebungen, indem es festhielt, betreffend die Frage, ob die Strafbehörden das private Beweismittel rechtmässig hätten erlangen können, seien nur solche gesetzlichen Erfordernisse einzubeziehen, die sich abstrakt anwenden liessen und keine Würdigung konkreter Umstände der jeweiligen Beweiserlangung erforderten (vgl. Urteil 6B_786/2015 vom 8. Februar 2016 E. 1.3.1 mit Hinweis auf GODENZI, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, 2008, S. 315 ff.). Im Sinne einer solchen abstrakten Beurteilungsweise bejahte das Bundesgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung die hypothetisch rechtmässige Erlangbarkeit rechtswidriger privater Beweise durch die Strafbehörden, ohne den für eine staatliche Beweiserlangung erforderlichen Tatverdacht sowie allfällige Verhältnismässigkeitsgesichtspunkte konkret zu prüfen (vgl. etwa Urteile 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.3 betreffend eine private Videoaufnahme einer Raserfahrt; 6B_85/2021 vom 26. November 2021 E. 7.4 betreffend privat beschaffte Unterlagen; 6B_1249/2019 vom 6. Mai 2020 E. 2.4.4 betreffend private Observationen; 6B_902/2019 vom 8. Januar 2020 E 1.4.1 betreffend private Tonaufnahmen; 6B_1241/2016 vom 17. Juli 2017 E. 1.2.2 ebenfalls betreffend private Observationen). Explizit hielt es in diesen Urteilen jeweils fest, entscheidend sei, ob die Beschaffung zulässig gewesen wäre, wenn der Tatverdacht bekannt gewesen wäre; im Urteil 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 betonte es überdies, es komme nicht darauf an, ob vor dem Filmen ein konkreter Tatverdacht bestanden habe (vgl. die oberwähnten Urteile a.a.O.). Dass in verschiedenen Urteilen gleichwohl auch noch auf vor der privaten Beweiserlangung gegebene Anhaltspunkte bzw. auf die Möglichkeit eines vorbestandenen Tatverdachts Bezug genommen wurde, ändert hieran nichts, zumal diese Bezugnahmen erfolgten, um eine hypothetisch rechtmässige Erlangbarkeit (erst recht) zu bejahen und nicht auszuschliessen (vgl. namentlich Urteile 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.3; 6B_1242/2020 vom 24. Oktober 2022 E. 3.3.1 ff.; 6B_739/2018 vom 12. April 2019 E. 1.4; 6B_911/2017 vom 27. April 2018 E. 1.2.2; 6B_786/2015 vom 8. Februar 2016 E. 1.3.1; 6B_983/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.3.1). Zutreffend ist zwar, wie das die Beschwerdeführer einwenden, dass das Bundesgericht im Urteil 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 die von der dortigen Vorinstanz mit der Begründung eines fehlenden Tatverdachts verneinte hypothetische Erlangbarkeit eines privaten Beweises nicht für bundesrechtswidrig befunden hat; mangels substanziierter Rüge ging es in jenem Urteil auf die Frage der hypothetischen Erlangbarkeit inhaltlich jedoch nicht ein und befasste es sich mit der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht (vgl. Urteil 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E. 2.4.4). Aus dem besagten Urteil lässt sich deshalb in der Sache nichts ableiten und ebenso für den Standpunkt der Beschwerdeführer nichts gewinnen.» (E.2.6.2.1).
«Der abstrakte Beurteilungsmassstab bei der Hypothese der rechtmässigen staatlichen Beweiserlangung illegaler privater Beweise ist indes nicht nur mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung, sondern auch aufgrund der Natur der Hypothese, wie sie GODENZI im bereits zitierten Werk herausgearbeitet hat, zu bekräftigen. Die Hypothese zielt darauf ab, sicherzustellen, dass sich der Staat keiner gesetzlich verpönter Beweise bedienen kann. Von Bedeutung ist dabei zum einen, dass es den Strafbehörden grundsätzlich offen steht, private Beweise beizuziehen, sei es, dass ihnen solche zugespielt werden, sei es, dass sie diese selbst, z.B. mittels Hausdurchsuchung, in das Strafverfahren einführen. Erfolgt der Zugriff auf einen privaten Beweis durch die Strafbehörden prozessrechtskonform, liegt ein staatliches Fehlverhalten folglich selbst dann nicht vor, wenn es sich um ein illegales privates Beweismittel handelt. Zum anderen ist zu beachten, dass der mit der privaten Beweisbeschaffung verbundene Normverstoss ausserstrafprozessual stattfand. Unter Berücksichtigung dieser, von GODENZI hervorgehobenen Umstände kann im Einklang mit ihr geschlossen werden, dass weder ein staatliches Fehlverhalten noch der private Normverstoss Bezugspunkt der Hypothese darzustellen vermag, sondern diese einzig beinhalten kann, die bei einer privaten Beweisbeschaffung fehlende originäre (zielgerichtete) staatliche Beweiserhebung gedanklich zu ergänzen (vgl. GODENZI, a.a.O., S. 258-261). Die auf dem Weg der Hypothese ergänzte staatliche Beweiserhebung stellt allerdings eine von der eigentlichen privaten Beschaffungshandlung gänzlich losgelöste (gedachte) Handlung dar. Eine solche frei hinzugedachte Handlung kann nicht Gegenstand einer Hypothese nach einem konkreten Modell bilden (vgl. für eine konkrete Hypothesenbildung FORNITO, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, 2000, S. 264 f.; ebenso ROXIN, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 24 Rz. 38). Die konkrete Hypothese geht von den Strafbehörden als Urheber der rechtswidrigen Beweisbeschaffungshandlung aus und beinhaltet die Prüfung, ob die Strafbehörden unter den gegebenen Umständen, d.h. weil sie zur Zeit der Beweiserhebung vor Ort waren und keine „technischen oder anderen äusseren Schwierigkeiten“ einem rechtmässigen (Alternativ-) Verhalten entgegenstanden, den legalen Weg tatsächlich hätten beschreiten können (vgl. FORNITO, a.a.O.). Solches ist in Konstellationen illegaler privater Beweise prinzipiell nicht möglich, da die Strafbehörden in die ursprüngliche, fehlerbelastete Beweiserhebung – die private Beweisbeschaffung – in aller Regel nicht involviert sind und damit gar nicht, auch nicht rechtskonform, hätten handeln können. GODENZI weist darauf treffend hin, wenn sie feststellt, die staatlichen Organe seien zum Zeitpunkt der Vornahme der illegalen privaten Beschaffungshandlung typischerweise gar nicht selbst vor Ort, um eine zielgerichtete staatliche Beweiserhebung vornehmen zu können, und folgert, es werde deshalb kaum jemals die “ tatsächliche Möglichkeit“ einer rechtmässigen Beweiserlangung zum Zeitpunkt der privaten Handlung bestanden haben, wie sie für eine konkrete Hypothesenbildung per definitionem erforderlich wäre (vgl. GODENZI, a.a.O., S. 304). Übereinstimmend mit ihr ist deshalb festzuhalten, dass (schon) diese faktische Ausgangslage – nämlich die fehlende tatsächliche Eingriffsmöglichkeit der Strafbehörden bei der privaten Beweisbeschaffung – eine konkrete Betrachtung bei der Hypothese der rechtmässigen staatlichen Erlangbarkeit illegaler privater Beweismittel ausschliesst und im Gegenzug die Anwendung eines rein abstrakten Beurteilungsmassstabs mit sich bringt.» (E.2.6.2.2).
«Gründe, die ungeachtet dessen eine konkrete Betrachtung verlangten, sind nicht ersichtlich. Wohl kann die Anwendung eines abstrakten Beurteilungsmassstabs dazu führen, dass die Strafbehörden über einen Beweis verfügen, den sie selbst tatsächlich nicht hätten erheben können. Das ist aus rechtlicher Sicht allerdings nicht zu beanstanden. Denn es ist den Strafbehörden nicht untersagt, durch Private gesammelte Beweise beizuziehen (vgl. E. 2.6.2.2 oben). Ein staatliches Monopol für Beweiserhebungen im Strafverfahren besteht nicht (vgl. Urteil 6B_301/2022 vom 26. August 2022 E. 2.2.2; mit Bezug auf illegale private Beweise ausserdem ausdrücklich bereits Urteil 6B_983/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.3.1). Dass die äusseren Grenzen des Beweisrechts nicht unterlaufen werden, ist mit dem abstrakten Beurteilungsmassstab alsdann sichergestellt, der eine Verwertung von Beweismitteln ausschliesst, die in der Strafprozessordnung keine Grundlage finden (vgl. dazu wiederum GODENZI, a.a.O., S. 306). Angesichts dessen und weil kumulativ zum Erfordernis der hypothetisch rechtmässigen staatlichen Erlangbarkeit noch eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO durchzuführen ist (vgl. E. 2.3 oben), trifft es im Weiteren auch nicht zu, dass ein abstrakter Massstab zu einer voraussetzungslosen Verwertbarkeit illegaler privater Beweismittel führen würde, wie das die Beschwerdeführer befürchten (vgl. zur Unbegründetheit eines solchen Vorbringens schon das oberwähnte Urteil 6B_983/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.3.1).
Einem abstrakten Massstab entgegenstehende Einwände sind ebenso im Schrifttum nicht zu finden. Bei einigen Autoren lässt sich zwar auf das Verständnis einer konkreten Beurteilung schliessen (so z.B. bei MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Petit commentaire CPP, 2. Aufl. 2016, N. 9 zu Vorbem. Beweismittel, sowie PERRIER DEPEURSINGE, CPP annoté, 2. Aufl. 2020, S. 241, jeweils unter Bezugnahme insbesondere auf das in E. 2.6.2.1 oben erwähnte, indes nicht einschlägige Urteil 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012). Eine eigenständige Begründung, weshalb eine konkrete Betrachtung angezeigt wäre, liefert die Lehre, soweit ersichtlich, jedoch nicht. Begründete Voten für einen konkreten Beurteilungsmassstab sind einzig insofern auszumachen, als im Zusammenhang mit privaten (anlasslosen) Dashcam-Aufnahmen gefordert wird, es müsse – um den Vorwurf privater sogenannter fishing expeditions auszuschliessen – differenziert werden, ob vor der Erstellung solcher Aufnahmen Hinweise für ein strafbares Verhalten erkennbar gewesen seien oder nicht, was eine Würdigung der konkreten Umstände mit sich bringt (vgl. etwa MAAGER, Verwertbarkeit privater Dashcam-Aufzeichnungen im Strafverfahren, in: sui-generis 2018, Rz. 60 ff.; ähnlich WOHLERS, Beweisverwertungsverbote nach privater Beweiserlangung […], in: forumpoenale Sonderheft 1/2020 S. 207 f.; ebenso WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. Aufl. 2020, N. 17 zu Art. 141). Auch unter diesem Gesichtspunkt lässt sich aber weder ein gänzliches noch teilweises (zumindest bei anlasslosen privaten Beweismassnahmen geltendes) Absehen vom abstrakten Beurteilungsmassstab legitimieren, behalten die in E. 2.6.2.2 f. oben gemachten Ausführungen doch ebenso für anlasslose private Beweismassnahmen ihre Richtigkeit, d.h. hat für diese doch gleichermassen zu gelten, dass die Natur der Hypothese eine konkrete Beurteilung nicht zulässt und die äusseren Grenzen des Beweisrechts bei einer abstrakten Beurteilung gewahrt werden. Davon abgesehen bleibt zu beachten, dass die mit Bezug auf private Dashcam-Aufnahmen mitunter angeführte Gefahr ausufernder (anlassloser) Überwachung durch Private eine Thematik nicht des Strafprozessrechts, sondern des Datenschutzrechts ist, weshalb sich auch daraus im vorliegenden Zusammenhang nichts Zusätzliches ableiten lässt (vgl. dazu wiederum namentlich WOHLERS, Beweisverwertungsverbote, S. 209 f.).» (E.2.6.2.3).
«Im Rahmen der Hypothese der rechtmässigen staatlichen Erlangbarkeit illegaler privater Beweise muss nach dem Ausgeführten ein abstrakter Massstab Anwendung finden. Die Rechtsprechung ist zu bestätigen, wonach in die Hypothesenbildung nur solche gesetzlichen Erfordernisse einzubeziehen sind, die sich abstrakt anwenden lassen und keine Würdigung konkreter Umstände der Beweiserlangung erfordern. Zu prüfen ist demzufolge stets, ob der private Beweis im zu beurteilenden Fall aufgrund der abstrakten Gesetzeslage hätte beschafft werden können, d.h. ob er vom gesetzlich vorgesehenen Beweisdispositiv umfasst und von keinen Einschränkungen (wie etwa Beschlagnahmeverboten nach Art. 264 StPO oder dem Erfordernis der Katalogtat nach Art. 269 Abs. 2 StPO) betroffen ist. Das Vorliegen eines Tatverdachts sowie Verhältnismässigkeitsgesichtspunkte, die eine Würdigung der konkreten Umstände der Beweiserlangung im Einzelfall bedingen, sind hingegen nicht zu beurteilen.» (E.2.6.2.4).
«Die Vorinstanz verletzt bei dieser Rechtslage kein Bundesrecht, wenn sie zum Schluss gelangt, die Strafbehörden hätten die Videoaufnahmen des Nachbargrundstücks und der Tankstelle hypothetisch rechtmässig erlangen können. Die Beschwerdeführer stellen zu Recht nicht in Abrede, dass die Strafbehörden entsprechende Videoaufnahmen an den besagten allgemein zugänglichen Orten hätten anfertigen können, wenn sie einen Tatverdacht gehabt hätten (vgl. Art. 282 Abs. 1 StPO). Ob im Zeitpunkt der Erstellung der Videoaufnahmen ein Tatverdacht bestanden hat bzw. – wie das die Vorinstanz darlegt – Umstände gegeben waren, aufgrund derer ein Tatverdacht hätte bestehen können, ist entgegen den Beschwerdeführern nicht massgebend. Ihre Kritik ist unbegründet.» (E.2.6.3).
Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers wird hier nicht mehr eingegangen: Vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung (E.3), Qualifikation des Raubs als lebensgefährlicher Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 4 StGB (E.4), Strafzumessung (E.5), Widerruf Vorstrafe (E.6), Landesverweisung (E.7), Entschädigung des amtlichen Verteidigers (E.8).