Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen warf A. mit Anklageschrift vom 4. Februar 2015 eine Anstiftung zur qualifizierten Erpressung, ein Vergehen gegen das Waffengesetz vom 20. Juni 1997 (WG; SR 514.54) und eine Übertretung des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10) vor. Die Anklage erfolgte im Rahmen des Strafverfahrenskomplexes „Kümmertshausen“, der insgesamt 28 Delikte bzw. Lebenssachverhalte und 14 beschuldigte Personen umfasste.
Instanzenzug
Mit Urteil vom 12. März 2018 erklärte das Bezirksgericht Kreuzlingen A. der Anstiftung zur Nötigung und der Widerhandlung gegen das WG schuldig; vom Vorwurf der Anstiftung zur qualifizierten Erpressung sprach es ihn frei und bezüglich der Widerhandlung gegen das AHVG stellte es das Verfahren zufolge Verjährung ein. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren und unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 25 Tagen. Weiter zog es die beiden beschlagnahmten Waffen zur Vernichtung ein und entschädigte den amtlichen Verteidiger für die Zeit ab dem 1. Juni 2015 mit Fr. 41’366.90 (einschliesslich Barauslagen und MWST). A. auferlegte es eine Rückzahlungspflicht nach Art. 135 Abs. 4 StPO in vollem Umfang sowie Verfahrenskosten von Fr. 16’855.55.
Der A. erhob Berufung, die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen Anschlussberufung. Mit Entscheid vom 8. Juni 2022 stellte das Obergericht des Kantons Thurgau das Verfahren in Bezug auf den Vorwurf der Widerhandlung gegen das AHVG ein. Von den Vorwürfen der Anstiftung zur qualifizierten Erpressung und zur Nötigung sowie der Widerhandlung gegen das WG sprach es A. frei. Es erkannte, dass der Staat A. mit Fr. 5’000.– zuzüglich 5 % Zins seit 25. November 2012 zu entschädigen habe. Den Antrag um Vormerknahme, dass sich A. weitere Schadenersatzansprüche vorbehalte, wies das Obergericht ab. Weiter entschädigte es den amtlichen Verteidiger „für die Strafuntersuchung“ und das erstinstanzliche Verfahren ab 1. Juni 2015 mit Fr. 41’366.90 und für das Berufungsverfahren mit Fr. 24’469.45 (jeweils einschliesslich Barauslagen und MWST). Die Verfahrenskosten gingen zulasten des Staates.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht, der Berufungsentscheid sei insoweit aufzuheben, als ihm für die „Wahlverteidigungsphase vom 13. November 2012 bis 31. Mai 2015“ keine Parteientschädigung zugesprochen worden sei. Er sei für diese Phase vor der Gewährung der amtlichen Verteidigung mit Fr. 23’326.90 zu entschädigen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Regelung der Parteientschädigung für die Wahlverteidigungsphase an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter sei der Antrag um Vormerknahme des Vorbehalts weiterer Schadenersatzansprüche gutzuheissen und der gerichtliche Vormerk sei anzubringen. Eventualiter sei die Sache zur Anhörung und Entscheidung nach Art. 429 i.V.m. Art. 436 StPO über die weiteren Schadenersatzansprüche an die Vorinstanz zurückzuweisen. Schliesslich sei dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu erteilen.
Die Vorinstanz beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin liess sich nicht vernehmen. Es wurden antragsgemäss die kantonalen Akten eingeholt.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_293/2022 vom 26. Januar 2024
Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht geltend, aufgrund des vollumfänglichen Freispruchs hätte ihn die Berufungsinstanz nicht nur für jene Verfahrensphase entschädigen müssen, in der er amtlich verteidigt war, sondern auch für die Phase während der Strafuntersuchung vom 13. November 2012 bis 31. Mai 2015, in der er eine Wahlverteidigung an seiner Seite gehabt habe (2.1).
Das Bundesgericht erklärt hierzu im Urteil 7B_293/2022 vom 26. Januar 2024 zunächst generell-abstrakt:
«Das strafrechtliche Berufungsverfahren stellt keine Wiederholung des erstinstanzlichen Erkenntnisverfahrens dar und das Berufungsgericht ist auch keine Erstinstanz; vielmehr knüpft das Berufungsverfahren an das erstinstanzliche Verfahren an und baut darauf auf (Urteile 7B_15/2021 vom 19. September 2023 E. 4.2.2; 7B_11/2021 vom 15. August 2023 E. 5.2; 6B_931/2021 vom 15. August 2022 E. 3.2). Entsprechend gilt im Berufungsverfahren grundsätzlich die Dispositionsmaxime (vgl. Art. 404 Abs. 1 StPO; BGE 147 IV 93 E. 1.5.2; Urteile 6B_676/2022 vom 27. Dezember 2022 E. 1.3.2; 6B_1320/2020 vom 12. Januar 2022 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 148 IV 22). Nach Art. 399 Abs. 3 StPO hat die Partei, die Berufung angemeldet hat, in ihrer schriftlichen Berufungserklärung anzugeben, ob sie das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich oder nur in Teilen anficht (lit. a), welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils sie verlangt (lit. b) und welche Beweisanträge sie stellt (lit. c). Ficht der Berufungskläger nur Teile des Urteils an, hat er in der Berufungserklärung verbindlich anzugeben, auf welche Teile (Schuldpunkt, allenfalls bezogen auf einzelne Handlungen, Bemessung der Strafe etc.) sich die Berufung beschränkt (Art. 399 Abs. 4 StPO). Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil – von der hier nicht relevanten Ausnahme der Überprüfung zugunsten der beschuldigten Person zur Verhinderung von gesetzwidrigen oder unbilligen Entscheidungen (Art. 404 Abs. 2 StPO) abgesehen – nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 StPO; BGE 147 IV 93 E. 1.5.2). Die nicht angefochtenen Urteilspunkte werden – unter dem Vorbehalt von Art. 404 Abs. 2 StPO – rechtskräftig (vgl. Art. 402 StPO; Urteile 6B_1320/2020 vom 12. Januar 2022 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 148 IV 22; 6B_1403/2019 vom 10. Juni 2020 E. 1.3; je mit Hinweisen).» (E.2.2.1).
«Beim Erfordernis von Art. 399 Abs. 3 lit. b StPO, also der Angabe, welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils verlangt werden, geht es um das prozessuale Erfordernis, wonach ein reformatorischer Berufungsantrag einzureichen ist. Mit der Berufung, die ein reformatorisches Rechtsmittel darstellt (BGE 149 IV 284 E. 2.2; 143 IV 408 E. 6.1), ist somit – genauso wie mit der reformatorischen Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 2 BGG) – ein Antrag in der Sache zu stellen (Urteil 7B_539/2023 vom 3. November 2023 E. 3.1.2 mit Hinweisen).» (E.2.2.2).
«Rechtsbegehren sind stets nach Treu und Glauben auszulegen, insbesondere im Lichte der dazu gegebenen Begründung (BGE 147 V 369 E. 4.3.1; Urteil 6B_881/2021 vom 27. Juni 2022 E. 1.2 mit Hinweisen).» (E.2.2.3).
«Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (lit. a), Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (lit. b), und Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (lit. c). Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen (Art. 429 Abs. 2 Satz 1 StPO). Dies bedeutet indessen nicht, dass die Strafbehörde im Sinne des Untersuchungsgrundsatzes von Art. 6 StPO alle für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs bedeutsamen Tatsachen von Amtes wegen abzuklären hat. Sie hat aber die Parteien zur Frage mindestens anzuhören und gegebenenfalls gemäss Art. 429 Abs. 2 Satz 2 StPO aufzufordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen. Die beschuldigte Person trifft insofern eine Mitwirkungspflicht (BGE 146 IV 332 E. 1.3; 144 IV 207 E. 1.3.1; 142 IV 237 E. 1.3.1; Urteil 7B_682/2023 vom 27. November 2023 E. 4.3; je mit Hinweisen).» (E.2.3).
Fallbezogen äussert sich Bundesgericht im Urteil 7B_293/2022 vom 26. Januar 2024 alsdann:
«Der Beschwerdeführer hat den anwaltlichen Aufwand für die Phase der Wahlverteidigung im erstinstanzlichen Verfahren in der Tat beziffert und belegt (Bezirksgericht Kreuzlingen act. 2.11.0.2.7-9, Beschwerdebeilage 4). Das Bezirksgericht Kreuzlingen sprach ihm hierfür indessen keine Entschädigung zu, da er erstinstanzlich nicht vollumfänglich freigesprochen worden ist (erstinstanzliches Urteil, S. 1208, Ziff. 12.5). Demgegenüber wurde der Verteidiger „für die Zeit ab 1. Juni“ mit „gesamthaft (…) Fr. 41’366.90“ entschädigt (erstinstanzliches Urteil, Dispositiv-Ziffer 6).» (E.2.4.1).
«In seinen Berufungsanträgen (Beschwerdebeilage 6, Ziff. 5) hat sich der Beschwerdeführer hinsichtlich des Kostenpunkts auf die pauschale Formel „Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge nebst 7.7 % MwSt zu Lasten des Staates“ beschränkt. Gleichzeitig hat er die amtliche Verteidigung auch für das Berufungsverfahren beantragt. Dass der Beschwerdeführer auch für die Wahlverteidigungsphase eine Entschädigung geltend machen will, ergibt sich aus den Berufungsanträgen nicht explizit. Auch in seiner Berufungsbegründung erwähnt er seinen Aufwand für die Wahlverteidigungsphase mit keinem Wort (Plädoyernotizen vom 8. Juni 2022, Beschwerdebeilage 6).» (E.2.4.2).
«Die Vorinstanz trifft im angefochtenen Entscheid folgende Entschädigungsregelung: „Der Staat (Staatsanwaltschaft) entschädigt den amtlichen Verteidiger, Rechtsanwalt Andres Büsser, für die Strafuntersuchung und das erstinstanzliche Verfahren ab 1. Juni 2015 mit Fr. 41’366.90 und für das Berufungsverfahren mit Fr. 24’469.45 (je einschliesslich Barauslagen und 7,7 % Mehrwertsteuer).“
Darin nicht enthalten ist in der Tat eine Entschädigung für die Wahlverteidigungsphase. Dennoch ist der Kostenspruch bundesrechtskonform: Rein nach dem Wortlaut ausgelegt, mag sich die pauschale Floskel gemäss Ziff. 5 der Berufungsanträge zwar auch auf den Wahlverteidigungsaufwand erstrecken. Nach Treu und Glauben und im Lichte der Berufungsbegründung durfte die Vorinstanz indessen davon ausgehen, dass sich der Kostenantrag lediglich auf eine Bestätigung der erstinstanzlichen Kostenregelung betreffend das amtliche Mandat und eine Entschädigung für die amtliche Verteidigung in der Berufungsinstanz bezieht. Denn nachdem der Beschwerdeführer die Wahlverteidigungsphase im Berufungsverfahren mit keinem Wort mehr erwähnt hat, bestand für die Vorinstanz nach Art. 429 Abs. 2 Satz 2 StPO auch kein Anlass mehr, diesbezüglich Fragen zu stellen. Der Beschwerdeführer muss es sich selbst anrechnen lassen, wenn er sich zu den entsprechenden Aufwänden in appellatorio gar nicht mehr äussert. Dies umso mehr, als – wie dargelegt – das Berufungsverfahren keine Wiederholung des erstinstanzlichen Erkenntnisverfahrens darstellt, das Berufungsgericht auch keine Erstinstanz ist und ihm insoweit nicht zugemutet werden kann, die umfangreichen erstinstanzlichen Akten danach zu durchforsten, ob der obsiegende Berufungskläger im erstinstanzlichen Verfahren noch für eine spezielle Verfahrensphase Wahlverteidigungskosten geltend gemacht hat. Der Beschwerde ist insoweit kein Erfolg beschieden.
Aus den genannten Gründen ist ferner auch die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz verletze mit der Nichtbehandlung seines Antrags auf „integrale Entschädigungsfolge“ seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und begehe Rechtsverweigerung, unbegründet.» (E.2.4.3).
Auf weitere Rügen wird hier nicht eingegangen. Die Beschwerde wurde abgewiesen.