Dauer einer Vergewaltigung nie zu Gunsten des Täters zu werten

Das Bundesgericht stellt im Urteil 6B_612/2024 vom 18. September 2024 aus dem Kanton Wallis (zur amtl. Publ. bestimmt) klar, dass der isolierten und unangemessenen Formulierung zur «relativ kurzen Dauer» einer Vergewaltigung in einem Entscheid vom vergangenen Jahr für die Rechtsprechung keine Bedeutung zukommt. Im Gegensatz dazu, was die fragliche Passage vermuten lassen könnte, darf die Dauer einer Vergewaltigung bei der Strafzumessung in keinem Fall zu Gunsten des Täters berücksichtigt werden. Umgekehrt kann es sich durchaus erschwerend auf die Schuld des Täters auswirken, wenn die Länge der Tat auf eine erhöhte kriminelle Energie schliessen lässt.

Sachverhalt

2023 überwältigte ein Mann im Kanton Wallis auf dem Heimweg von einer Bar eine Frau und vergewaltigte sie. Nach einigen Minuten gelang es ihr, um Hilfe zu rufen, worauf der Täter flüchtete. Er wurde vom Bezirksgericht Martigny und St-Maurice 2024 zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, zur Hälfte bedingt vollziehbar.

Instanzenzug

Das Kantonsgericht des Kantons Wallis erhöhte die Freiheitsstrafe auf Berufung der Staatsanwaltschaft auf dreieinhalb Jahre unbedingt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_612/2024 vom 18. September 2024

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_612/2024 vom 18. September 2024 die dagegen erhobene Beschwerde des Täters ab. Er hatte argumentiert, dass das Kantonsgericht bei der Strafzumessung seine Schuld wegen der kurzen Tatdauer milder hätte beurteilen müssen. Gemäss dem Urteil des Bundesgerichts 7B_15/2021 vom 19. September 2023 stelle die relativ kurze Dauer einer Vergewaltigung einen Faktor dar, der schuldmindernd zu berücksichtigen sei. Dieser Schluss kann aus dem fraglichen Urteil nicht gezogen werden. Das Urteil enthält im Zusammenhang mit der Strafzumessung eine isolierte und unangemessene Formulierung («So ist bundesrechtskonform, dass die Vorinstanz die [im Vergleich relativ kurze] Dauer der Vergewaltigung berücksichtigt.»). Die Frage der Tatdauer wurde im Entscheid aber nicht weiter behandelt.

In grundsätzlicher Weise und im Gegensatz dazu, was die fragliche Passage vermuten lassen könnte, ist gemäss Bundesgericht daran festzuhalten, dass die Dauer eines sexuellen Übergriffs in keinem Zusammenhang mit der Schwere der Verletzung des geschützten Rechtsguts steht. Die Bezeichnung «Vergewaltigung von kurzer Dauer» stellt ein Unding dar, zumal die Verletzung des geschützten Rechtsguts ab dem ersten Moment der sexuellen Handlung bewirkt wird. Unter dem Blickwinkel der Schuld kann die «relativ kurze Dauer» einer Vergewaltigung in keinem Fall als mildernder Umstand zu Gunsten des Täters gewürdigt werden. Umgekehrt spricht nichts dagegen, die Dauer einer kriminellen Handlung schulderhöhend zu berücksichtigen, wenn die Länge der Tat auf eine umso höhere kriminelle Energie des Täters schliessen lässt. Im Weiteren verwirft das Bundesgericht auch das Argument des Beschwerdeführers, dass die Strafe im Vergleich mit anderen vom Bundesgericht beurteilten Fällen besonders streng ausgefallen sei. Die Vorinstanz hat den massgeblichen Strafzumessungskriterien Rechnung getragen.

Hier ist die Schlüsselstelle des Urteil 6B_612/2024 vom 18. September 2024 im Original:

«Le recourant soutient que la cour cantonale aurait dû atténuer sa culpabilité en raison „de la brièveté de l’acte“. Pour ce faire, il se prévaut de l’arrêt 7B_15/2021 du 19 septembre 2023 en affirmant que la durée relativement courte d’un viol serait un facteur de diminution de la culpabilité.  Le recourant ne saurait tirer une telle conclusion générale. Cet arrêt ne renferme qu’une formule isolée et inadéquate, alors que la question de la durée de l’acte n’a pas fait l’objet de développement de la part du Tribunal fédéral. De manière générale et contrairement à ce que pourrait laisser supposer l’arrêt précité, il convient de rappeler que la durée d’une agression sexuelle est sans lien avec la gravité de la lésion au bien juridique protégé. La désignation de „viol de courte durée“ constitue un non-sens, tant l’atteinte au bien juridique protégé est consommée dès les premiers instants de l’acte sexuel. Sous l’angle de la culpabilité, on ne saurait récompenser l’auteur d’un viol en fonction de la durée de son activité criminelle. En aucun cas la durée „relativement courte“ d’un viol ne saurait être érigée en facteur atténuant. En effet, le fait qu’un auteur agisse avec une certaine rapidité ne peut nullement être considéré comme un élément à décharge. En revanche, rien n’empêche de prendre en compte la durée de l’activité criminelle dans un sens aggravant de la culpabilité dans la mesure où son prolongement dans le temps est susceptible de correspondre au déploiement d’une énergie criminelle d’autant plus conséquente. Partant, le grief est rejeté dans la mesure où il est recevable.» (E.1.4.2).

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