Corona-Leaks: Quellenschutz steht Datenzugriff entgegen

Die Bundesanwaltschaft (BA) erhält keinen Zugriff auf Daten, die sie im Rahmen ihrer Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung im Zusammenhang mit Covid 19-Geschäften des Bundesrates beim damaligen Kommunikationschef des Eidgenössischen Departements des Inneren (EDI) und beim CEO der Ringier AG sichergestellt hat. Der journalistische Quellenschutz steht einer Entsiegelung entgegen. Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 7B_733/2024 vom 31. Januar 2025 (zur amtl. Publ. vorgesehen) den Entscheid des Berner Zwangsmassnahmengerichts. Hier sind einige Schlüsselausführungen des Bundesgerichts: «Unter den im Sinne von Art. 28a StGB sowie Art. 172 Abs. 1 StPO an der Informationsveröffentlichung beteiligten Personen sind nicht allein die Journalisten im eigentlichen Sinn, also etwa Redaktoren und (Bild-) Reporter, zu verstehen. Eine Beschränkung auf Journalisten trüge den Realitäten der Medienwelt nicht Rechnung, und der Quellenschutz liesse sich durch Befragung anderer am Medienprodukt mitwirkender Personen leicht unterlaufen. Im Bereich der gedruckten Medien üben, neben den Redaktoren, jedenfalls die Typographen bzw. Seitengestalter und Drucker eigenständige Teilfunktionen aus. Im Ergebnis kommt es aber auf die Qualifikation als „befasste Person“ nicht wesentlich an, sind doch auch die Hilfspersonen vom Geltungsbereich der Norm erfasst. Dies ist nötig, um eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Befragen „untergeordneter Chargen“ zu verhindern. Zu diesen Hilfspersonen gehören in der Regel beispielsweise das Sekretariats- oder Korrektoratspersonal, aber auch weitere Funktionen, die nur mittelbar zur Veröffentlichung von Informationen beitragen […]. Das Redaktionsgeheimnis umfasst damit auch Verleger, Mitglieder der Direktion oder Inhaber eines Medienunternehmens […].» (E.3.4). «Nach dem klaren Gesetzeswortlaut von Art. 264 Abs. 1 StPO („ungeachtet des Ortes“) kommt es nicht darauf an, wo sich die dem Quellenschutz gemäss Art. 172 StPO unterliegenden Gegenstände und Unterlagen befinden. Das Beschlagnahmeverbot gilt also nicht nur für Gegenstände und Unterlagen, die sich beim Journalisten befinden, sondern auch für solche beim Beschuldigten oder bei Dritten. Dass das Beschlagnahmeverbot nicht nur beim Journalisten liegende Gegenstände und Unterlagen erfasst, verdeutlicht überdies das in Art. 264 Abs. 1 lit. c (ebenso wie lit. a und d) StPO enthaltene Wort „Verkehr“. Dieses spricht zusätzlich dafür, dass das Beschlagnahmeverbot nicht nur für Gegenstände und Unterlagen gilt, die der Beschuldigte dem Journalisten zugesandt hat, sondern auch für solche, die umgekehrt der Journalist dem Beschuldigten zugesandt hat und sich somit bei diesem befinden. Müsste der Informant damit rechnen, dass Inhalte der Kommunikation mit Journalisten bei ihm beschlagnahmt werden, müsste er die E-Mails jeweils sofort löschen. Selbst dann müsste er gewärtigen, dass die Strafverfolgungsbehörden diese gegebenenfalls wiederherstellen könnten. Die Aussicht darauf, dass Inhalte der Kommunikation mit dem Journalisten beim Informanten beschlagnahmt werden könnten, könnte diesen somit davon abhalten, dem Journalisten die Information zukommen zu lassen. Der Informant kann zudem kaum je völlig sicher sein, dass der Journalist Unterlagen, aus denen sich die Quelle der Information ergibt, nicht einem Dritten übergibt. Müsste er damit rechnen, dass die Unterlagen beim Dritten beschlagnahmt werden, könnte ihn das ebenso davon abhalten, die Information dem Journalisten zukommen zu lassen, was dem Wächteramt der Medien abträglich wäre […]» (E.3.5).

Sachverhalt

Die Geschäftsprüfungskommissionen des National- und Ständerates hatten 2020 im Zusammenhang mit der sogenannten «Crypto-Affäre» Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses erhoben. Der eingesetzte ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes meldete der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft 2022, auf Zufallsfunde gestossen zu sein; diese würden einen dringenden Tatverdacht dafür ergeben, dass Peter Lauener, damaliger Leiter Kommunikation im EDI, im Zusammen hang mit Covid-Geschäften des Bundesrates mehrfach vertrauliche Informationen an den CEO der Ringier AG weitergegeben habe. Das Verfahren wurde auf diese Verdachtsmomente ausgeweitet. Im Mai 2022 wurden am Wohnort und am Arbeitsplatz von Peter Lauener Durchsuchungen durchgeführt und mehrere Laptops, Datenträger und die Daten von einem Mobiltelefon sichergestellt. Beim CEO von Ringier wurden ebenfalls Laptops und ein Mobiltelefon sichergestellt. Die Ringier AG übermittelte später noch weitere verlangte Daten.

Auf Ersuchen der Betroffenen wurden die Geräte beziehungsweise die Daten versiegelt.

Instanzenzug

Die BA ersuchte 2022 um Zugriff auf die sichergestellten Geräte und Daten. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern wies das Entsiegelungsgesuch Ende Mai 2024 ab, soweit es darauf eintrat.

Art. 172 StPO Quellenschutz für Medienschaffende

Art. 172 StPO Quellenschutz für Medienschaffende lautet wie folgt (Fassung Stand 14. Februar 2025):

1 Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen können das Zeugnis über die Identität der Autorin oder des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern.

2 Sie haben auszusagen, wenn:

a. das Zeugnis erforderlich ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten;
b. ohne das Zeugnis eine der folgenden Straftaten nicht aufgeklärt werden oder die einer solchen Tat beschuldigte Person nicht ergriffen werden kann:
1. Tötungsdelikte im Sinne der Artikel 111–113 StGB90,
2. Verbrechen, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren bedroht sind,
3. Straftaten nach den Artikeln 187, 189, 190, 191, 197 Absatz 4, 260ter, 260quinquies, 260sexies, 305bis, 305ter und 322ter–322septies StGB,
4. Straftaten nach Artikel 19 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 1951 (BetmG).

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_733/2024 vom 31. Januar 2025

Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene Beschwerde der BA ab. Art. 172 stopp garantiert den Quellenschutz der Medienschaffenden. Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen dürfen demnach das Zeugnis verweigern in Bezug auf den Autor sowie auf den Inhalt und die Quelle ihrer Informationen. Der Quellenschutz tritt nur in den Hintergrund, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht oder wenn die Aussage erforderlich ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten. Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr mit Personen, die sich auf den Quellenschutz berufen können, dürfen nicht beschlagnahmt werden. Das gilt unabhängig davon, wo sich die Unterlagen befinden; der Quellenschutz kommt also auch dann zum Tragen, wenn sich solche Unterlagen oder Gegenstände beim Informanten selber befinden. Im konkreten Fall steht fest, dass der CEO der Ringier AG und die für das Unternehmen tätigen Medienschaffenden vom Geltungsbereich des Quellenschutzes erfasst sind.

Die BA vertritt die Ansicht, dass die Berufung auf den Quellenschutz im vorliegenden Fall missbräuchlich sei, weil es nicht um die Aufdeckung von Missständen gehe, sondern um eine Instrumentalisierung der Medien und um eine Beeinflussung der obersten Exekutivbehörde der Eidgenossenschaft. Dem kann nicht gefolgt werden. Für die Frage, ob der Quellenschutz ausnahmsweise zu durchbrechen ist, ist das Motiv des Informanten nicht entscheidend; das gilt selbst dann, wenn von dessen Seite ein täuschendes Verhalten vorliegen sollte. Der Gesetzgeber gewichtet das allgemeine Vertrauensverhältnis zwischen Informanten und Medienschaffenden grundsätzlich höher als das Bedürfnis nach Sachverhaltsaufklärung, erklärt das Bundesgericht. Medienschaffende haben ihre Quellen nur offenzulegen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Da das Delikt der Amtsgeheimnisverletzung nicht vom Ausnahmekatalog von Art. 172 Abs. 2 StPO umfasst ist, gilt der Quellenschutz im konkreten Fall ohne Einschränkung, erklärt das Bundesgericht im Urteil 7B_733/2024 vom 31. Januar 2025.

Hier sind die wörtlichen Schlüsselausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_733/2024 vom 31. Januar 2025:

«Art. 264 StPO regelt die Einschränkungen der Beschlagnahme. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung dürfen nicht beschlagnahmt werden, ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden, und des Zeitpunktes, in welchem sie geschaffen worden sind, unter anderem (lit. c) Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit Personen, die nach den Art. 170-173 StPO das Zeugnis verweigern können und im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt sind. Art. 172 StPO statuiert den Quellenschutz der Medienschaffenden. Danach können Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen das Zeugnis über die Identität der Autorin oder des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern (Abs. 1). Sie haben auszusagen, wenn: a. das Zeugnis erforderlich ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten; b. ohne das Zeugnis eine der folgenden Straftaten nicht aufgeklärt werden oder die einer solchen Tat beschuldigte Person nicht ergriffen werden kann: 1. Tötungsdelikte im Sinne der Art. 111 nbsp;- nbsp;113 StGB; 2. Verbrechen, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren bedroht sind; 3. Straftaten nach den Art. 187, 189, 190, 191, 197 Abs. 4, 260ter, 260quinquies, 260sexies, 305bis, 305ter und 322ter-322septies StGB oder 4. Straftaten nach Art. 19 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 1951 (BetmG; SR 812.121).» (E.3.1).

«Die Bundesverfassung gewährleistet unter dem Titel der Medienfreiheit in Art. 17 Abs. 3 in genereller Weise das Redaktionsgeheimnis. Ein entsprechender Schutz journalistischer Quellen leitet sich zudem aus Art. 10 Ziff. 1 EMRK ab (BGE 143 IV 214 E. 16.2 mit Hinweisen). Diese Garantien ermöglichen den für eine demokratische Auseinandersetzung erforderlichen Informationsfluss. Das Fehlen eines solchen Schutzes würde es den Medienschaffenden erschweren, zu den erforderlichen Informationen zu gelangen, welche ihnen erst erlauben, die in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrliche „Wächterfunktion“ wahrzunehmen. Die Medien sollen namentlich Missstände in Staat und Gesellschaft ungehindert aufdecken können. Kann der Informant davon ausgehen, dass sein Name geheim bleibt, wird er die Information den Medien eher zugänglich machen, als wenn er mit der Offenlegung seines Namens rechnen müsste, was rechtliche, berufliche und gesellschaftliche Nachteile für ihn haben könnte (140 IV 108 E. 6.7 f.; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] Martin und andere gegen Frankreich vom 12. April 2012, § 59). Die Garantien von Art. 17 Abs. 3 BV und Art. 10 Ziff. 1 EMRK sind indes nicht absolut. Sie können nach den Kriterien von Art. 36 BV und Art. 10 Ziff. 2 EMRK unter Beachtung der Bedeutung des Quellenschutzes in einem demokratischen Rechtsstaat eingeschränkt werden (zum Ganzen: BGE 136 IV 145 E. 3.1 f.; 132 I 181 E. 2; je mit weiteren Hinweisen). Sowohl das Bundesgericht als auch der EGMR messen dem Quellenschutz als Eckpfeiler der Pressefreiheit grosses Gewicht zu (BGE 140 IV 108 E. 6.8; 132 I 181 E. 2.1; 123 IV 236 E. 8a/aa; Urteil EGMR Martin und andere gegen Frankreich vom 12. April 2012, § 59 ff.).» (E.3.2).

Im Strafverfahren wird der Quellenschutz für Medienschaffende und dessen Einschränkung – materiell übereinstimmend – in Art. 28a StGB und Art. 172 StPO umschrieben und konkretisiert (BGE 143 IV 212 E. 16.2; 140 IV 108 E. 6.2; 136 IV 145 E. 3.1 f. mit Hinweis; Urteil 1B_293/2013 vom 31. Januar 2014 E. 2.1.1). Art. 28a StGB wurde (im Rahmen der Revision des Medienstrafrechts und Medienstrafverfahrensrechts) am 1. April 1998 ursprünglich als Art. 27bis StGB eingeführt (AS 1998 852). In seiner Botschaft zu einem Medienstraf- und Verfahrensrecht hatte der Bundesrat noch den Vorschlag gemacht, die Grenzen des Quellenschutzes – innerhalb gewisser Leitplanken – der richterlichen Interessenabwägung im Einzelfall zu überlassen. Als Leitplanken sollten die Situationen genannt werden, in denen auf der einen Seite der Quellenschutz klar überwiegt (namentlich bei Übertretungstatbeständen), auf der anderen Seite jene, in welchen das Interesse an der Strafverfolgung Vorrang verdient. Ein überwiegendes Strafverfolgungsinteresse hatte der Bundesrat als in jedem Fall gegeben erachtet, wenn ohne das Zeugnis ein Tötungsdelikt im Sinne der Artikel 111-113 StGB oder ein anderes Verbrechen, das mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus bedroht ist, nicht aufgeklärt werden kann (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes [Medienstraf- und Verfahrensrecht] vom 17. Juni 1996 [nachfolgend: Botschaft Medienstrafrecht], BBl 1996 IV 525 ff., 553 ff.). Die eidgenössischen Räte standen demgegenüber der richterlichen Interessenabwägung im Einzelfall kritisch gegenüber und strebten eine Lösung an, welche mehr Rechtssicherheit schafft. Daraus resultierte die schliesslich getroffene Lösung von aArt. 27bis StGB (bzw. heute Art. 28a StGB), wonach das Recht der Medienschaffenden auf Zeugnisverweigerung grundsätzlich dem Interesse der Strafverfolgung vorgeht, ausser es könne ein in einem Ausnahmekatalog ausdrücklich erwähntes Delikt ohne das Zeugnis nicht aufgeklärt werden (zum Ganzen: BGE 132 I 181 E. 2.2 mit Hinweisen).

«Das Bundesgericht hat in BGE 132 I 181 bereits festgehalten, dass ein solcher Ausnahmekatalog, auch wenn er nicht systematisch kohärent formuliert ist, Rechtssicherheit zu schaffen vermag. Medienschaffende sind darauf angewiesen, ihren Informanten vor einer Publikation absolute Diskretion zusichern zu können, was naturgemäss nicht möglich ist, wenn der Schutz vor Enthüllung vom ungewissen Ausgang einer richterlichen Interessenabwägung abhängig ist. Diesem Anliegen trägt der heutige Art. 28a StGB Rechnung. Da im Rechtsstaat der Aufklärung schwerer Verbrechen unbestreitbar ebenfalls zentrale Bedeutung zukommt, kann der Quellenschutz aber nicht in jedem Fall Vorrang beanspruchen, weshalb Abs. 2 Ausnahmen vorsieht. Bei den von diesen erfassten Fällen verlangen die verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Redaktionsgeheimnis jedoch zusätzlich eine einzelfallweise Prüfung der Verhältnismässigkeit (zum Ganzen: BGE 132 I 181 E. 2.3 mit Hinweisen). Dies gilt auch in Bezug auf Art. 172 StPO, dessen Ausnahmekatalog gemäss Abs. 2 jenem von Art. 28a StGB identisch ist (siehe BGE 143 IV 214 E. 16.5.2; Urteil 1B_293/2013 vom 31. Januar 2014 E. 2.1.1). 

Art. 172 StPO stellt eine genügende gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 36 Abs. 1 BV dar, um bei der Rettung von an Leib und Leben bedrohten Personen oder der Aufklärung schwerer Delikte den Quellenschutz zu durchbrechen (BGE 132 I 181 E. 2.2). Die Aufzählung in Art. 172 Abs. 2 StPO ist abschliessend (YASMINE DELLAGANA-SABRY, Perquisitions en procédure pénale, 2021, S. 274; ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch et al. [Hrsg.], 3. Aufl. 2020 [nachfolgend: ZHK], N. 25 zu Art. 172 StPO; JOSITSCH/SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 9 zu Art. 172 StPO; PIETH/GETH, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2023, S. 224; STÉPHANE WERLY, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019 [nachfolgend: CR], N. 30 zu Art. 172 StPO; ders., La protection du secret rédactionnel, 2005 [nachfolgend: La protection], S. 236; FRANZ ZELLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023 [nachfolgend: BSK], N. 32 zu Art. 172 StPO; vgl. auch Urteil 1B_615/2012 vom 10. September 2013 E. 5.2.1 mit Hinweis; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2. Aufl. 2018, Rz. 12044; CAMILLE PERRIER DEPEURSINGE, Code de procédure pénale suisse [CPP] annoté, 2. Aufl. 2020, S. 285 zu Art. 172 StPO). Insofern gilt der Quellenschutz des Medienschaffenden absolut, d.h. es findet keine Abwägung kollidierender Interessen statt, wenn die aufzuklärende Straftat nicht im Ausnahmekatalog von Art. 172 Abs. 2 StPO aufgeführt ist (DENISE SCHMOHL, Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses in der Schweiz, 2013, S. 205; WERLY, CR, N. 30 zu Art. 172 StPO; ZELLER, BSK, N. 28 und 36 zu Art. 172 StPO; siehe auch DELLAGANA-SABRY, a.a.O., S. 272; DAMIAN K. GRAF, Praxishandbuch zur Siegelung, 2022, Rz. 676; ROLF JÄGER, Strafuntersuchung und Medien im Spannungsfeld der Interessen, 2010, Rz. 225; FRANZ RIKLIN, Der Journalist als Zeuge und Beschuldigter im Strafverfahren, Medialex 1999 S. 156 ff., 157 f.; HANSJÖRG STADLER, Indiskretionen im Bund, ZBJV 136/2000 S. 112 ff., 121; WERLY, La protection, S. 236 ff.).» (E.3.3.1).

«Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Begriff der „Veröffentlichung von Informationen“ gemäss Art. 28a StGB (bzw. Art. 172 StPO) wegen der Bedeutung der Medienfreiheit und des Redaktionsgeheimnisses in einer demokratischen Gesellschaft weit auszulegen. Zu den Informationen gehören nicht nur sogenannte seriöse Botschaften; es kann gleichermassen die Vermittlung von Belanglosigkeiten dazu zählen. Auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Ernsthaftigkeit kann es nicht ankommen. Ebenso unerheblich ist, ob die Information von allgemeinem und öffentlichem Interesse ist. Diese Sichtweise wird durch die Systematik der Bestimmung von Art. 28a Abs. 2 StGB (bzw. Art. 172 Abs. 2 StPO) bestärkt. Die Durchbrechung des Quellenschutzes ist auf gewichtige Straftatbestände beschränkt. Damit steht im Einklang, dass für den Quellenschutz ein weit verstandener Informationsbegriff gelten soll, was auch der Rechtssicherheit dient. Der Umstand, dass sich das Medium nach Art. 28a Abs. 1 StGB (bzw. Art. 172 Abs. 1 StPO) auf den Quellenschutz berufen kann, bedeutet überdies nicht, dass es tatsächlich davon Gebrauch machen müsste. Es ist vielmehr frei, die entsprechenden Angaben über einen Informanten herauszugeben und insoweit auf das Redaktionsgeheimnis zu verzichten. Schliesslich leistet eine weite Auslegung des Informationsbegriffs keinen Vorschub zum Rechtsmissbrauch. Wohl kann der Informant in persönlicher Weise auf eine bestimmte Person zielen. Er kann aus dem Redaktionsgeheimnis indes keinen direkten Schutz für sich ableiten und hat somit keine Gewähr, dass der Quellenschutz von Seiten des Mediums tatsächlich in Anspruch genommen wird (zum Ganzen: BGE 136 IV 145 E. 3.5 mit Hinweisen).» (E.3.3.2).

«Der Informanten- und Quellenschutz bezweckt, dass Medienschaffende die Quellen ihrer Informationen verschweigen können und nicht durch Strafen oder Zwangsmassnahmen dazu gebracht werden dürfen, diese preiszugeben; dadurch sichert er auch das Vertrauensverhältnis zwischen den Medienschaffenden und ihren Informanten (BOMMER/GOLDSCHMID, BSK, N. 15 und 20 zu Art. 264 StPO; SCHMOHL, a.a.O., S. 9; ZELLER, BSK, N. 2 zu Art. 172 StPO). Ist der Anonymitätsschutz nicht in hinreichendem Mass gewährleistet, kann dies mögliche künftige Informanten vor einer Zusammenarbeit mit den Medien abschrecken (ZELLER, BSK, N. 2 und 7 zu Art. 172 StPO mit weiteren Hinweisen). Journalisten ihrerseits müssen auf die Vertraulichkeit ihrer Kommunikationen mit Quellen vertrauen können (siehe auch BGE 147 I 280 E. 6.2.3 mit Hinweisen).» (E.3.3.3).

«Nach der Strassburger Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Bedeutung des Schutzes journalistischer Quellen für die Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft und den potenziell abschreckenden Effekt, den eine Offenlegung von Quellen auf diese Freiheit haben kann, eine Durchbrechung des Quellenschutzes gemäss Art. 10 Ziff. 1 EMRK nur bei Rechtfertigung durch ein vorrangiges öffentliches Interesse zulässig. Der EGMR betont dabei, dass das Verhalten einer Quelle allein keinesfalls für die Anordnung der Offenlegung entscheidend sein kann, sondern nur einen – wenn auch wichtigen – von mehreren Faktoren bei der Beurteilung eines fairen Interessenausgleichs im Sinne von Art. 10 Ziff. 2 EMRK darstellt (zum Ganzen: Urteile EGMR Telegraaf Media und andere gegen Niederlande vom 22. November 2012, § 127 f.; Financial Times Ltd. und andere gegen Vereinigtes Königreich vom 15. Dezember 2009, § 63; ferner Stichting Ostade Blade gegen Niederlande vom 27. Mai 2014, § 65; dieser Auffassung zustimmend: OMAR ABO YOUSSEF, Blog-Kommentare als quellengeschützte Informationen? – Zugleich Besprechung von BGE 136 IV 145, forumpoenale 4/2011, S. 251 ff., 255; SCHMOHL, a.a.O., S. 91 und 124; ZELLER, BSK, N 41 zu Art. 172 StPO; ders., Schutz der Informationsquelle im Falle eines den Medien zugespielten Dokuments – Urteil des EGMR [4. Kammer] vom 15. Dezember 2009 [N° 821/03 „Financial Times Ltd u.a. c. Grossbritannien“], Medialex 2010, S. 50 ff., 52).» (E.3.3.4).

«Unter den im Sinne von Art. 28a StGB sowie Art. 172 Abs. 1 StPO an der Informationsveröffentlichung beteiligten Personen sind nicht allein die Journalisten im eigentlichen Sinn, also etwa Redaktoren und (Bild-) Reporter, zu verstehen. Eine Beschränkung auf Journalisten trüge den Realitäten der Medienwelt nicht Rechnung, und der Quellenschutz liesse sich durch Befragung anderer am Medienprodukt mitwirkender Personen leicht unterlaufen. Im Bereich der gedruckten Medien üben, neben den Redaktoren, jedenfalls die Typographen bzw. Seitengestalter und Drucker eigenständige Teilfunktionen aus. Im Ergebnis kommt es aber auf die Qualifikation als „befasste Person“ nicht wesentlich an, sind doch auch die Hilfspersonen vom Geltungsbereich der Norm erfasst. Dies ist nötig, um eine Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Befragen „untergeordneter Chargen“ zu verhindern. Zu diesen Hilfspersonen gehören in der Regel beispielsweise das Sekretariats- oder Korrektoratspersonal, aber auch weitere Funktionen, die nur mittelbar zur Veröffentlichung von Informationen beitragen (zum Ganzen: Botschaft Medienstrafrecht, a.a.O., 556; ähnlich bereits CARL BUESS, Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, 1991, S. 19 f. mit Hinweisen). Geschützt wird somit jede Person, die an der Vorbereitung, Herstellung und Verbreitung von Medienerzeugnissen mitwirkt (DELLAGANA-SABRY, a.a.O., S. 247; DONATSCH, ZHK, N. 12 zu Art. 172 StPO; SCHMOHL, a.a.O., S. 192; WERLY, CR, N. 8 zu Art. 172 StPO), falls sie auf Grund ihrer Tätigkeit vom Redaktionsgeheimnis geschützte Einzelheiten zur Kenntnis nehmen könnte (ZELLER, BSK, N. 22 zu Art. 172 StPO; siehe auch WERLY, La protection, S. 211 f.). Das Redaktionsgeheimnis umfasst damit auch Verleger, Mitglieder der Direktion oder Inhaber eines Medienunternehmens (ZELLER, BSK, N. 22 zu Art. 172 StPO; siehe auch DELLAGANA-SABRY, a.a.O., S. 248; WERLY, CR, N. 13 zu Art. 172 StPO).» (E.3.4).

«Nach dem klaren Gesetzeswortlaut von Art. 264 Abs. 1 StPO („ungeachtet des Ortes“) kommt es nicht darauf an, wo sich die dem Quellenschutz gemäss Art. 172 StPO unterliegenden Gegenstände und Unterlagen befinden. Das Beschlagnahmeverbot gilt also nicht nur für Gegenstände und Unterlagen, die sich beim Journalisten befinden, sondern auch für solche beim Beschuldigten oder bei Dritten. Dass das Beschlagnahmeverbot nicht nur beim Journalisten liegende Gegenstände und Unterlagen erfasst, verdeutlicht überdies das in Art. 264 Abs. 1 lit. c (ebenso wie lit. a und d) StPO enthaltene Wort „Verkehr“. Dieses spricht zusätzlich dafür, dass das Beschlagnahmeverbot nicht nur für Gegenstände und Unterlagen gilt, die der Beschuldigte dem Journalisten zugesandt hat, sondern auch für solche, die umgekehrt der Journalist dem Beschuldigten zugesandt hat und sich somit bei diesem befinden. Müsste der Informant damit rechnen, dass Inhalte der Kommunikation mit Journalisten bei ihm beschlagnahmt werden, müsste er die E-Mails jeweils sofort löschen. Selbst dann müsste er gewärtigen, dass die Strafverfolgungsbehörden diese gegebenenfalls wiederherstellen könnten. Die Aussicht darauf, dass Inhalte der Kommunikation mit dem Journalisten beim Informanten beschlagnahmt werden könnten, könnte diesen somit davon abhalten, dem Journalisten die Information zukommen zu lassen. Der Informant kann zudem kaum je völlig sicher sein, dass der Journalist Unterlagen, aus denen sich die Quelle der Information ergibt, nicht einem Dritten übergibt. Müsste er damit rechnen, dass die Unterlagen beim Dritten beschlagnahmt werden, könnte ihn das ebenso davon abhalten, die Information dem Journalisten zukommen zu lassen, was dem Wächteramt der Medien abträglich wäre (zum Ganzen: BGE 140 IV 108 E. 6.5-6.7; siehe auch Urteile 1B_389/2019 vom 16. Januar 2020 E. 2.7; 1B_550/2018 vom 6. August 2019 E. 3.5).» (E.3.5).

 

 

 

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