Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen versuchter Körperverletzung und weiterer Delikte. Sie verdächtigt ihn insbesondere, im Rahmen eines Vorfalls vom 18. September 2021 dem Geschädigten anlässlich einer Corona-Demonstration den Gürtel entzogen und ihm damit gegen den Kopf geschlagen zu haben, wodurch dieser zu Boden gesunken sei. Daneben soll er in seinem Onlineshop „B. “ sogenannte „Self Defense Wallets“ zum Verkauf angeboten haben. Dabei handle es sich um Schlaggeräte, die mit Hartgeld gefüllt werden könnten und damit unter das Waffengesetz (Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition; WG; SR 514.54) fielen. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung liess die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung am Wohnort von A. durchführen, bei welcher unter anderem Geschäftsunterlagen seines Onlineshops „B.“ sowie sein Mobiltelefon sichergestellt und auf Antrag von ihm gesiegelt wurden.
Instanzenzug
Die Staatsanwaltschaft beantragte die vollständige Entsiegelung der sichergestellten Gegenstände. Mit Verfügung vom 3. Mai 2022 hiess das Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, das Entsiegelungsgesuch gut und gab die versiegelten Gegenstände der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung und weiteren Verwendung frei.
Weiterzug an das Bundesgericht
Dagegen erhob A. mit Eingabe vom 16. Mai 2022 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Abweisung des Entsiegelungsgesuchs der Staatsanwaltschaft. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese im Rahmen einer Triage spezifische durch ihn bezeichnete Unterlagen oder Daten aussondere. In prozessualer Hinsicht verlangt er sodann die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Mit Verfügung vom 7. Juni 2022 gewährte das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Am 6. August 2023 reichte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers seine Honorarnote ein.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024
Das Bundesgericht geht im Urteil 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024 zunächst auf die Rüge des Beschwerdeführers zum Tatverdacht ein:
«Dem Beschwerdeführer ist indessen darin zuzustimmen, dass mit Blick auf den von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt – im Rahmen des vorliegenden Verfahrens – einzig von einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer (versuchten) einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB) und nicht bezüglich einer (versuchten) schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) auszugehen ist. Die Vorinstanz beschränkt sich nämlich darauf, festzustellen, die „von der Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag auf Entsiegelung und Durchsuchung vorgebrachten Strafnormen“ würden „im Bereich des Möglichen“ liegen und es erscheine „nicht abwegig, dass ein Gürtelschlag an den Kopf bzw. ins Gesicht […] eine versuchte schwere Körperverletzung darstellen [könnte]“. Angesichts dieser knappen Ausführungen liegen bezüglich des Vorwurfs der (versuchten) schweren Körperverletzung gerade keine Hinweise erheblicher und konkreter Natur (siehe E. 2.1 hiervor) vor.» (E.2.2.3).
Der Beschwerdeführer bestreitet sodann vor Bundesgericht die Verhältnismässigkeit der angeordneten Entsiegelung (E.3).
Zur Verhältnismässigkeit nimmt das Bundesgericht im Urteil 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024 wie folgt zunächst allgemein Stellung:
«Strafprozessuale Zwangsmassnahmen müssen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren. Der mit einer Zwangsmassnahme verbundene Eingriff in die Grundrechte einer Person muss somit geeignet, erforderlich und angemessen sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Zwangsmassnahmen können demnach nur ergriffen werden, wenn die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der untersuchten Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 5 Abs. 2, Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO). Zunächst muss die Entsiegelung, um das Verhältnismässigkeitsgebot zu wahren, zur Klärung des Tatverdachts geeignet sein. Dies trifft zu, wenn die zu entsiegelnden Aufzeichnungen und Gegenstände für die Strafuntersuchung potentiell beweiserheblich sind. Grundsätzlich ist ein solcher Deliktskonnex nicht für jeden Gegenstand bzw. jede Aufzeichnung einzeln, sondern gesamthaft zu prüfen. Sind jedoch gewisse Gegenstände und Aufzeichnungen offensichtlich nicht untersuchungsrelevant, ist deren Entsiegelung dementsprechend in sachlicher oder zeitlicher Hinsicht einzuschränken. Weiter muss die Entsiegelung für die Klärung des Tatverdachts erforderlich sein, was grundsätzlich bedeutet, dass keine milderen Mittel zum selben Zweck führen dürfen. Die theoretische Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft die auf den versiegelten Aufzeichnungen und Gegenständen gesuchten Informationen auch auf andere Weise erlangen könnte, steht der Entsiegelung allerdings nicht entgegen. Schliesslich muss die Entsiegelung, insbesondere im Verhältnis zur Bedeutung der untersuchten Straftat, angemessen sein. Im Rahmen der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Entsiegelung ist deshalb auch der Schwere der untersuchten Delikte Rechnung zu tragen. Es ist zwischen dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse und den Interessen der betroffenen Person abzuwägen. Das für die Entsiegelung zuständige Gericht verfügt bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit über einen gewissen Ermessensspielraum (zum Ganzen: Urteil 7B_211/2023 vom 7. Mai 2024 E. 4.1, mit zahlreichen Nachweisen).» (E.3.1).
Das Bundesgericht prüft dann im Urteil 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024 die Verhältnismässigkeit der Durchsuchung bezüglich des Vorwurfs der einfachen Körperverletzung:
«Beim Tatvorwurf handelt es sich zwar nicht um ein Bagatelldelikt, wenn auch die Vorinstanz zu Unrecht vom Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts der (versuchten) schweren Körperverletzung ausgeht (siehe E. 2.2.3 hiervor). Der Beschwerdeführer weist indessen zu Recht darauf hin, dass länger zurückliegende Daten – wenn überhaupt – nur begrenzte Rückschlüsse auf das Tatverhalten erlauben. Bei Berücksichtigung der Tatsache, dass Smartphones wie jenes, das beim Beschwerdeführer sichergestellt wurde, in der Regel eine Vielzahl sensibler privater Daten enthalten, lässt sich eine vollständige Entsiegelung des Mobiltelefons vorliegend nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO) in Einklang bringen. Vielmehr ist die Entsiegelung des Mobiltelefons in zeitlicher Hinsicht aus Gründen der Verhältnismässigkeit auf einen Zeitraum von 72 Stunden vor und 72 Stunden nach dem mutmasslichen Tatzeitpunkt einzugrenzen (siehe Urteile 1B_102/2020 und 1B_316/2020 vom 8. März 2021 E. 2.3 und 2.4; 1B_131/2015 vom 30. Juli 2015 E. 5.3; vgl. auch Urteil 7B_211/2023 vom 7. Mai 2024 E. 4.3). Insoweit erweist sich die Beschwerde als begründet.» (E.3.2.3).
Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht weiter, die Vorinstanz habe die Entsiegelung angeordnet, obwohl dieser schützenswerte Geheimhaltungsinteressen entgegenstünden (E.4). Hinsichtlich des sichergestellten Mobiltelefons macht er geltend, darauf befinde sich vom Anwaltsgeheimnis geschützte Korrespondenz mit seinem Verteidiger, dem Amtsgeheimnis unterliegende Unterlagen sowie geschützte höchstpersönliche Korrespondenz (E.4.1).
Das Bundesgericht findet die Beschwerde auch als in diesem Punkt begründet:
«Die Vorinstanz hält bezüglich der Verteidigerkorrespondenz fest, der Beschwerdeführer sei seinen diesbezüglichen prozessualen Obliegenheiten nicht rechtsgenügend nachgekommen. Sie führt insbesondere aus, er bezeichne nicht einmal die Programme, auf welchen die Korrespondenz geführt und gespeichert sein soll, sondern lediglich die beteiligten Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Zu berücksichtigen sei, dass gerade bei E-Mail-Adressen jederzeit von überall auf das E-Mail-Konto online zugegriffen werden könne. Entsprechend wäre es der Verteidigung ohne Weiteres möglich gewesen, die geltend gemachten Nachrichten genauer zu spezifizieren, beispielsweise aufgrund des Datums und der Zeit. Der Beschwerdeführer kritisiert zu Recht, dass die Vorinstanz damit die Anforderungen an die Substanziierung im Entsiegelungsverfahren überdehnt. Die prozessuale Obliegenheit, angerufene Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu substanziieren, ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Zwangsmassnahmengericht eine sachgerechte und gezielte Triage ermöglichen. Angesichts des in Art. 6 StPO für den Strafprozess normierten Untersuchungsgrundsatzes dürfen die Anforderungen an die Mitwirkungs- und Substanziierungspflicht im Entsiegelungsverfahren nicht übertrieben hoch angesetzt werden. Im Zusammenhang mit der Anrufung des Anwaltsgeheimnisses ist es deshalb nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausreichend, wenn der Speicherort der geheimnisgeschützten Dateien und die Namen der Anwältinnen und Anwälte bekannt sind. Dadurch ist es mittels Suchfunktion ohne Weiteres möglich, nach der geschützten Anwaltskorrespondenz zu suchen und diese ohne grossen Aufwand bzw. aufwändige Nachforschungen auszusondern (statt vieler Urteil 7B_106/2022 vom 16. November 2023 E. 3.2 mit Hinweis). Vorliegend hat der Beschwerdeführer der Vorinstanz sowohl die Telefonnummern als auch die E-Mail-Adresse seiner Verteidigung – die ihn auch im Verfahren vor der Vorinstanz vertreten hat – mitgeteilt. Inwiefern diese Angaben der Vorinstanz keine sachgerechte und gezielte Triage der sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon befindlichen Verteidigerkorrespondenz erlauben sollen, wird nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich somit auch diesbezüglich als begründet. Die Vorinstanz wird vor der (bereits in zeitlicher Hinsicht einzuschränkenden) Freigabe des sichergestellten Mobiltelefons zur Durchsuchung allfällige sich darauf befindliche Verteidigerkorrespondenz auszusondern haben.» (E.4.1.1).
«Hinsichtlich des Amtsgeheimnisses führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer mache geltend, auf dem Mobiltelefon befinde sich umfangreiche Korrespondenz beziehungsweise Daten mit den Lehrpersonen seiner beiden Kinder sowie mit einer Sozialarbeiterin, die für die Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen ihm und seinen Kindern verantwortlich sei. Die Lehrpersonen sowie die Sozialarbeiterin würden als Beamte des Kantons Zürich zwar dem Amtsgeheimnis nach Art. 320 StGB unterstehen, welches der Entsiegelung grundsätzlich entgegenstehen könne. Hierzu hätte der Beschwerdeführer die betreffende Korrespondenz allerdings gleichermassen spezifizieren müssen, wie dies bereits hinsichtlich des geltend gemachten Anwaltsgeheimnisses ausgeführt worden sei.
Auch diesbezüglich erweist sich die Beschwerde als begründet und das Vorgehen der Vorinstanz als überspitzt formalistisch, hat der Beschwerdeführer doch auch diesbezüglich sowohl die Namen als auch Kontaktangaben (Telefonnummern, E-Mail-Adressen) der fraglichen Beamten angegeben und ist eine Triage damit ohne Weiteres möglich (siehe E. 5.1 hiervor). Die Vorinstanz wird vor der Freigabe des sichergestellten Mobiltelefons zur Durchsuchung daher auch allfällige dem Amtsgeheimnis unterstehende Korrespondenz auszusondern haben, zumal ohnehin nicht ersichtlich ist, inwiefern diese für das vorliegend zu beurteilende Strafverfahren überhaupt von Sachrelevanz wäre.» (E.4.1.2).
Das Bundesgericht heisst im Urteil 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024 die Beschwerde teilweise gut (E.5).