Berufungsgericht muss für Strafzumessung relevante persönliche und finanzielle Verhältnisse sowie Verletzung von Art. 5 StPO abklären

Im Urteil 6B_789/2024 vom 3. Februar 2025 aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden befasste sich das Bundesgericht mit der Strafzumessung durch das Berufungsgericht und äusserte sich u.a. wie folgt: «Bei der Strafzumessung sind nebst dem objektiven und subjektiven Verschulden (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB) auch das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters, die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters sowie dessen Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren zu berücksichtigen […]. Das Berufungsgericht muss eine eigene Strafzumessung vornehmen […]. Die Bemessung des Tagessatzes nach Art. 34 Abs. 2 StGB richtet sich daher nach den finanziellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils […]. Entscheidend für die Beurteilung der Täterkomponenten sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils, soweit nicht ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens bildeten […]. Das Berufungsgericht muss – ausser im Anwendungsbereich von Art. 398 Abs. 4 StPO – die für die Strafzumessung erforderlichen persönlichen und finanziellen Verhältnisse daher von Amtes wegen abklären […].  Dies gilt auch dann, wenn die Verfahrensleitung wie vorliegend gestützt auf Art. 406 Abs. 2 StPO die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens anordnete und die Parteien dagegen nicht […]. Angesichts der langen Verfahrensdauer von mehr als 11 Jahren, wobei alleine das zweite Berufungsverfahren rund 5½ Jahre dauerte, hätte sich die Vorinstanz zudem zwingend mit dem in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 StPO verankerten Beschleunigungsgebot und dem Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. e StGB befassen müssen. Die Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind meistens die Strafreduktion, manchmal der Verzicht auf Strafe oder, als ultima ratio in Extremfällen, die Einstellung des Verfahrens […]. Weshalb vorliegend eine die Verfahrenseinstellung rechtfertigende, extreme Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegen könnte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hätte die Verletzung des Beschleunigungsgebots dennoch prüfen und gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen.» (E.2.5).

Sachverhalt

Der A. betrieb in U. einen Landwirtschaftsbetrieb. Das Veterinäramt Appenzell Ausserrhoden, vertreten durch den Kantonstierarzt, erstattete am 1. März 2013 Strafanzeige gegen A. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen diesen am 5. März 2014 Anklage wegen mehrfacher Widerhandlung gegen die Tierschutz- und die Tierseuchengesetzgebung, begangen in der Zeit von August 2012 bis Mai 2013.

Instanzenzug

Das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden sprach A. mit Urteil vom 8. Oktober 2015 in mehreren Anklagepunkten vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Tierseuchengesetz vom 1. Juli 1966 (TSG; SR 916.40) und das Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005 (TSchG; SR 455) frei. Es erklärte ihn der mehrfachen Tierquälerei gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG, der mehrfachen übrigen Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG und der mehrfachen Widerhandlung gegen das Tierseuchengesetz schuldig. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 210 Tagessätzen zu Fr. 85.– und einer Busse von Fr. 10’000.–, beides als Zusatz zum Urteil des Kantonsgerichts Appenzell Ausserrhoden vom 27. Juni 2013. Für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse ordnete es eine Ersatzfreiheitsstrafe von drei Monaten an.

Auf Berufung von A. bestätigte das Obergericht Appenzell Ausserrhoden am 5. Dezember 2017 die erstinstanzlichen Schuldsprüche. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 210 Tagessätzen zu Fr. 85.– und einer Busse von Fr. 10’000.–, beides als Zusatz zum Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 8. Dezember 2014. Auf eine Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der Nichtbezahlung der Busse verzichtete es.

Das Bundesgericht hiess die von A. dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen teilweise gut, es hob den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 5. Dezember 2017 in Bezug auf zwei Schuldsprüche auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 6B_811/2018 vom 25. Februar 2019).

Das Obergericht des Kantons Appenzell sprach A. am 27. August 2024 vom Vorwurf der Tierquälerei gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG, begangen am 11. Februar 2013 durch den ungenügenden Witterungsschutz bei den Ziegen, frei. Es erklärte ihn der mehrfachen Tierquälerei gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG, der mehrfachen übrigen Widerhandlungen gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG und der mehrfachen Widerhandlungen gegen das Tierseuchengesetz schuldig. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 85.– und zu einer Busse von Fr. 10’000.–, beides als Zusatzstrafen zum Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 8. Dezember 2014. Es auferlegte A. 4 / 5 der erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten und sprach ihm für die Kosten seiner Verteidigung vor beiden Instanzen eine reduzierte Entschädigung von Fr. 4’200.– (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, er sei vom Vorwurf der Tierquälerei (recte: Widerhandlung gegen Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG) im Zusammenhang mit der ungenügenden Einstreu bei den Ziegen am 14. Mai 2013 freizusprechen und das Strafverfahren gegen ihn sei infolge Verletzung des Beschleunigungsgebots einzustellen. Eventualiter sei er als Zusatz zum Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 8. Dezember 2014 zu einer bedingten Geldstrafe von max. 50 Tagessätzen zu Fr. 30.– und einer Busse von Fr. 0.– zu verurteilen. Die Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die Vorinstanz sei im Dispositiv festzuhalten. Eventualiter seien die Verfahrenskosten im Umfang von mindestens 4 / 5 dem Staat aufzuerlegen. Für seine Verteidigung vor beiden Instanzen sei er mit mindestens Fr. 12’000.– zu entschädigen.

Die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden verzichtete auf eine Stellungnahme. Das Obergericht liess sich nicht vernehmen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_789/2024 vom 3. Februar 2025  

Der vorinstanzliche Schuldspruch wegen Widerhandlungen gegen Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG i.V.m. Art. 55 Abs. 3 TSchV verstösst nicht gegen Bundesrecht, erklärt das Bundesgericht nach der Behandlung der ersten Rügen (E.1.9).

Bezüglich der Strafzumessung rügt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht, die Vorinstanz hätte angesichts des Teilfreispruchs vom Vorwurf der Tierquälerei eine neue Strafzumessung vornehmen müssen. Bei der Strafzumessung zu berücksichtigen gewesen wäre auch der krasse Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot sowie der Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. e StGB. In der langen Zeit seit dem erstinstanzlichen Urteil vom 8. Oktober 2015 hätten sich seine persönlichen und finanziellen Verhältnisse und die Prognosebildung verändert. Er habe sich in der Zwischenzeit wohl verhalten. Der Verweis auf das erstinstanzliche Urteil sei daher unzulässig. Weiter dürfe gemäss dem am 1. Juni 2018 in Kraft getretenen neuen Sanktionenrecht die hypothetische Gesamtstrafe die maximal zulässige Strafhöhe von 180 Tagessätzen nicht überschreiten, weshalb die Zusatzgeldstrafe vorliegend maximal 90 Tagessätze betrage dürfe. Bei der Bemessung der Busse sei das Kantonsgericht, auf dessen Ausführungen die Vorinstanz verweise, methodisch unkorrekt nicht nach Art. 49 StGB vorgegangen. Es fehle an einer Begründung, weshalb für sämtliche Übertretungen eine Gesamtbusse von Fr. 20’000.– angemessen sei, dies umso mehr, als der Bussenrahmen bis Fr. 40’000.– nur für eine Übertretung gelte. Bei sämtlichen übrigen Übertretungen betrage die maximale Busse Fr. 10’000.– bzw. Fr. 20’000.–. (E.2.1).

Das Bundesgericht hält einen Teil dieser Rügen des Beschwerdeführers im Urteil 6B_789/2024 vom 3. Februar 2025 für begründet:

«Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers betreffend die Strafzumessung sind begründet. Bei der Strafzumessung sind nebst dem objektiven und subjektiven Verschulden (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB) auch das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters, die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters sowie dessen Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren zu berücksichtigen (sog. Täterkomponenten; Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB; BGE 149 IV 217 E. 1.1; 141 IV 61 E. 6.1.1; 129 IV 6 E. 6.1). Das Berufungsgericht muss eine eigene Strafzumessung vornehmen (Urteile 6B_989/2023 vom 22. April 2024 E. 3.3.2; 6B_200/2022 vom 23. Mai 2022 E. 3.4.1; 6B_92/2021 vom 30. Juni 2021 E. 1.4.6; je mit Hinweisen). Die Bemessung des Tagessatzes nach Art. 34 Abs. 2 StGB richtet sich daher nach den finanziellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils (BGE 146 IV 172 E. 3.3.3; 144 IV 198 E. 5.4.3). Entscheidend für die Beurteilung der Täterkomponenten sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Berufungsurteils, soweit nicht ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens bildeten (vgl. Art. 398 Abs. 4 StPO; Urteil 6B_1360/2022 vom 22. Juli 2024 E. 7.3.5.1). Das Berufungsgericht muss – ausser im Anwendungsbereich von Art. 398 Abs. 4 StPO – die für die Strafzumessung erforderlichen persönlichen und finanziellen Verhältnisse daher von Amtes wegen abklären (vgl. BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 und 1.4.4).  Dies gilt auch dann, wenn die Verfahrensleitung wie vorliegend gestützt auf Art. 406 Abs. 2 StPO die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens anordnete und die Parteien dagegen nicht opponierten (vgl. dazu angefochtenes Urteil S. 5). Vorliegend kommt hinzu, dass die erstinstanzliche Hauptverhandlung im Oktober 2015 stattfand und die Vorinstanz bereits im ersten Berufungsurteil vom 5. Dezember 2017 auf das erstinstanzliche Urteil verwies. Sie durfte im angefochtenen Entscheid daher nicht ohne weitere Abklärungen von unveränderten finanziellen und persönlichen Verhältnissen ausgehen. Angesichts der langen Verfahrensdauer von mehr als 11 Jahren, wobei alleine das zweite Berufungsverfahren rund 5½ Jahre dauerte, hätte sich die Vorinstanz zudem zwingend mit dem in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 StPO verankerten Beschleunigungsgebot und dem Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. e StGB befassen müssen. Die Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind meistens die Strafreduktion, manchmal der Verzicht auf Strafe oder, als ultima ratio in Extremfällen, die Einstellung des Verfahrens (BGE 143 IV 373 E. 1.4.1 mit Hinweisen). Weshalb vorliegend eine die Verfahrenseinstellung rechtfertigende, extreme Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegen könnte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hätte die Verletzung des Beschleunigungsgebots dennoch prüfen und gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen.» (E.2.5).

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