Sachverhalt
Mit Urteil vom 13. März 2024 sprach das Kantonsgericht Schaffhausen A. der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG, SR 812.121), des Fahrens in fahrunfähigem Zustand und des Fahrens ohne Berechtigung schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten und zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 30.–. Am 14. Juni 2024 liess A. beim Obergericht des Kantons Schaffhausen Berufung gegen dieses Urteil erklären.
Mit Verfügung vom 10. September 2024 verlängerte die vorsitzende Oberrichterin Eva Bengtsson die Sicherheitshaft von A. Am 27. September 2024 wurden die Parteien unter Bekanntgabe der Gerichtsbesetzung (Oberrichterin Bengtsson, Ersatzrichterin Sonja Hammer, Ersatzrichter Martin Dubach und Gerichtsschreiberin B. sowie Akzessist C.) zur Berufungsverhandlung vom 1. November 2024 vorgeladen.
Instanzenzug
Am 16. Oktober 2024 stellte die Rechtsvertreterin von A. beim Obergericht des Kantons Schaffhausen ein Ausstandsgesuch gegen Oberrichterin Bengtsson. Sie begründete dieses mit der Mitwirkung von Oberrichterin Bengtsson in einem im Jahr 2022 abgeschlossenen Verfahren, in dem mit D. ein (möglicher) Mittäter von A. rechtskräftig verurteilt worden sei. Oberrichterin Bengtsson erklärte, sich nicht befangen zu fühlen, und wandte ein, das Ausstandsbegehren sei verspätet gestellt worden. Ausserdem stelle sich die Frage, ob überhaupt die zuständige Instanz angerufen worden sei. A. nahm dazu Stellung und gelangte zugleich auch an das Bundesstrafgericht, welches das bei ihm gestellte Ausstandsbegehren gegen Oberrichterin Bengtsson wiederum zuständigkeitshalber dem Obergericht weiterleitete. Mit Entscheid vom 25. Oktober 2024 trat das Obergericht auf das Ausstandsgesuch mit der Begründung nicht ein, es sei verspätet gestellt worden, und weiter, mit dem Zuwarten habe A. sein Recht in Bezug auf den vorliegenden Ausstandsgrund verwirkt.
Weiterzug ans Bundesgericht
Der A. verlangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 28. Oktober 2024, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Oberrichterin Bengtsson sei anzuweisen, „im vorinstanzlichen Berufungsverfahren“ in den Ausstand zu treten, und der Kantonsrat Schaffhausen als Wahlorgan des Obergerichts, ein Ersatzmitglied für die Vorsitzende Oberrichterin Bengtsson zu benennen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, wobei Obergerichtspräsidentin Annette Dolge anzuweisen sei, für die Neubeurteilung in den Ausstand zu treten. Ausserdem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
Mit Verfügung vom 30. Oktober 2024 wies der Präsident der II. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch von A um Erlass vorsorglicher Massnahmen ab.
Das Bundesgericht hat antragsgemäss die Akten des vorinstanzlichen Ausstandsverfahrens, nicht aber jene des Berufungsverfahrens eingeholt. Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Oberrichterin Bengtsson hat eine kurze schriftliche Bemerkung eingereicht, ohne darin einen Antrag zu stellen. Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_1156/2024 vom 16. Dezember 2024
Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_1156/2024 vom 16. Dezember 2024 zunächst generell-abstrakt wie folgt:
«Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch darauf, dass ihre Streitsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung der Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit besteht (BGE 149 I 14 E. 5.3.2; 147 III 379 E. 2.3.1; 144 I 159 E. 4.3; je mit weiteren Hinweisen). Art. 56 StPO konkretisiert diesen Grundsatz für das Strafverfahren (BGE 144 I 234 E. 5.2 mit Hinweisen). Gemäss dieser Bestimmung tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem in den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, in der gleichen Sache tätig war (sog. Vorbefassung; lit. b), und generell, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (lit. f). Zu den Strafbehörden gehören auch die Gerichte (siehe Art. 13 StPO). Der Umstand, dass ein Richter eine beschuldigte Person verurteilt oder freigesprochen hat, genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes grundsätzlich nicht, um ihn in einem späteren (getrennten) sachkonnexen Parallelverfahren gegen andere Beschuldigte wegen unzulässiger Vorbefassung abzulehnen. Andernfalls wären die Strafbehörden faktisch gezwungen, sämtliche Beschuldigten ausnahmslos (und insofern entgegen der Regelung von Art. 29-30 StPO) im selben Verfahren zu beurteilen. Ein Ausstandsgrund ist demgegenüber erfüllt, wenn der Erstrichter sich zur Frage der Strafbarkeit oder Straflosigkeit eines im Zweitverfahren separat zu beurteilenden Beschuldigten bereits präjudizierlich geäussert hat. Das ist der Fall, wenn er im früheren Verfahren den Beschuldigten A verurteilt hat in der Erwägung, es sei erwiesen, dass dieser mit dem im späteren Verfahren Beschuldigten B die Tat begangen habe, oder auch dort, wo er den Beschuldigten A mit der Begründung freigesprochen hat, nicht dieser, sondern der im späteren Prozess Beschuldigte B habe die Tat begangen (BGE 115 Ia 34 E. 2c/cc; Urteile 1B_110/2022 vom 19. April 2022 E. 2.1; 1B_75/2020 vom 10. Dezember 2020 E. 2.2; 1B_150/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 4.3; 1B_440/2016 vom 6. Juni 2017 E. 4.7; 1B_137/2013 vom 17. Mai 2013 E. 3.3; teils mit weiteren Hinweisen; siehe auch MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 19 zu Art. 56 StPO; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020 [nachfolgend: ZHK], N. 33a zu Art. 56 StPO; STEPHAN SCHLEGEL, ZHK, N. 7 zu Art. 30 StPO; JEAN-MARC VERNIORY, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 33 zu Art. 56 StPO). Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO). Verspätet vorgebrachte Ausstandsgründe können nicht berücksichtigt werden (siehe BGE 143 V 66 E. 4.3 mit Hinweisen). Massgebend ist in diesem Zusammenhang nicht, wann die Partei den Grund hätte erkennen können, sondern wann sie ihn bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen (Urteil 1B_315/2020 vom 23. September 2020 E. 4.3.1 mit Hinweisen). In der Regel gilt ein sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrunds gestelltes Gesuch noch als rechtzeitig; ein zwei- bis dreiwöchiges Zuwarten führt dagegen bereits zu einer Verspätung (Urteile 7B_804/2023 vom 5. August 2024 E. 2.1; 7B_195/2023 vom 15. Januar 2024 E. 2.2.1; je mit weiteren Hinweisen). Bei ganz offensichtlichem Anschein der Befangenheit steht die allfällige Verspätung eines Ausstandsgesuchs der Ausstandspflicht unter Umständen nicht entgegen (Urteil 7B_195/2023 vom 15. Januar 2024 E. 2.2.1 mit Hinweisen).» (E.2.1).
Fallbezogen fährt das Bundesgericht im Urteil 7B_1156/2024 vom 16. Dezember 2024 fort:
«Dem Beschwerdeführer kann zunächst nicht gefolgt werden, wenn er unter Berufung auf eine Kommentarstelle (BOOG, a.a.O., N. 8 zu Art. 58 StPO) argumentiert, selbst wenn sein Ausstandsgesuch als verspätet beurteilt würde, hätte dies lediglich zur Folge, dass sein Recht auf Aufhebung von früheren Amtshandlungen (Art. 60 Abs. 1 StPO) verwirkt sei. Denn diese Auffassung steht in Widerspruch zur ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 58 StPO (vgl. E. 2.1 hiervor). Auf diese ist aber nicht zurückzukommen, würde die Gegenmeinung es doch ermöglichen, Ausstandsgründe systematisch zurückzuhalten, um bei taktisch günstiger Gelegenheit dann doch die Befangenheit der zuständigen Staatsanwältin oder Richterin geltend zu machen.» (E.2.2.1).
«Sodann geht die Vorinstanz nachvollziehbar davon aus, für die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers sei bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit bereits im Zeitpunkt der Einreichung der Berufungserklärung am 14. Juni 2024 erkennbar gewesen, dass Oberrichterin Bengtsson gemäss ordentlicher Gerichtsbesetzung im Berufungsverfahren gegen den Beschwerdeführer mitwirken würde. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers von der publizierten Gerichtsbesetzung Kenntnis haben musste und dass dieses Kennenmüssen dem Beschwerdeführer zugerechnet wird. Dagegen ist es mit der dargestellten bundesgerichtlichen Praxis nicht zu vereinbaren, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe, als er das obergerichtliche Verfahren eingeleitet habe, bereits vom Ausstandsgrund Kenntnis haben müssen. Zunächst macht der Beschwerdeführer nachvollziehbar geltend, seine Verteidigerin habe die Mitwirkung von Oberrichterin Bengtsson im früheren Verfahren erst am 16. Oktober 2024 bemerkt, als sie mit der Ausarbeitung des Plädoyers für die Berufungsverhandlung vom 1. November 2024 begonnen und nochmals das Urteil gegen D. eingänglich betrachtet habe. Vor allem aber ergibt sich der Ausstandsgrund in Konstellationen wie der vorliegenden gerade nicht ohne Weiteres aus dem Umstand, dass die fragliche Richterin einen anderen Tatverdächtigen oder möglichen Tatbeteiligten freigesprochen oder verurteilt hat, sondern daraus, dass sie sich dabei in einer Weise festgelegt hat, die das Verfahren nicht mehr als offen erscheinen lässt. Ob dies der Fall ist, kann jedoch erst bei näherer Auseinandersetzung mit der schriftlichen Entscheidbegründung beurteilt werden. Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers kann vor diesem Hintergrund nicht vorgeworfen werden, dass sie den Ausstandsgrund erst bei der Vorbereitung auf die Berufungsverhandlung erkannt hat. Im Ergebnis betrachtet die Vorinstanz entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die blosse Möglichkeit, den Ausstandsgrund zu erkennen, als fristauslösend. Der Beschwerdeführer hat sein Ausstandsgesuch rechtzeitig gestellt. Dementsprechend braucht nicht beurteilt zu werden, ob hier ein ganz offensichtlicher Anschein der Befangenheit gegeben ist, bei dem der Ausstand ausnahmsweise nicht innert Frist verlangt werden muss.» (E.2.2.2).
Das Bundesgericht erklärt dann im Urteil 7B_1156/2024 vom 16. Dezember 2024 noch Folgendes als «Bemerkungen zur Sache» bezüglich der Ausstandspflicht:
«Die Vorinstanz ist auf das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten, weshalb die Sache an sie zurückzuweisen ist. Mit Blick auf das strafprozessuale Beschleunigungsgebot gebieten sich dennoch folgende Bemerkungen in der Sache: Dem Beschwerdeführer wird in der Anklageschrift vom 22. Dezember 2023 – wie bereits D. in der Anklageschrift vom 10. Dezember 2020 – unter anderem zur Last gelegt, im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. g in Verbindung mit Abs. 2 lit. a BetmG Anstalten betreffend die Einfuhr einer gesundheitsgefährdenden Menge Betäubungsmittel getroffen zu haben. Die anklagegegenständlichen Sachverhalte in diesem Anklagepunkt sind über weite Strecken deckungsgleich: Im Mai 2014 habe D. beim Beschwerdeführer zunächst zwei Kilogramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von 85 bis 90 % für EUR 70’000.– bestellt. Das Kokain sei in einem Lastwagen von Holland nach Deutschland geliefert worden, wofür der Lastwagenchauffeur EUR 4’000.– erhalten habe. In Deutschland sei das Kokain an den Beschwerdeführer und einen unbekannten „E. “ übergeben worden. Es sei vereinbart gewesen, dass der Beschwerdeführer und E. das Kokain direkt übernähmen, die ganze oder einen Teil der Lieferung nach Oehningen brächten und D. die Ware und allenfalls auch den Beschwerdeführer und E. dort mit einem Motorboot vom Campingplatz Mammern aus abhole. Zu diesem Zweck habe D. dem Beschwerdeführer EUR 70’000.– übergeben. Am 9. Mai 2014 habe der Beschwerdeführer D. anstelle des bisherigen Geschäfts die Beschaffung von drei Kilogramm Kokain für EUR 90’000.– in Aussicht gestellt, was D. gutgeheissen habe. Am 13. Mai 2014 habe D. den Beschwerdeführer in einem Restaurant in Oehningen getroffen, um mit ihm die letzten Details des bevorstehenden Kokaintransports zu besprechen. Am 25. Mai 2024 habe der Beschwerdeführer D. angerufen und ihm mitgeteilt, dass er zusammen mit E. alles ins Auto gepackt habe. Als E. auf einem Parkplatz in Deutschland zur Toilette gegangen sei, hätten ihm Unbekannte das Auto weggenommen. In seinem Urteil vom 15. März 2022 sprach das Obergericht D. in diesem Anklagepunkt schuldig, nachdem ihn das Kantonsgericht insofern noch freigesprochen hatte. Es stellte eingangs fest, D. bestreite grundsätzlich nicht, dass er mit dem Beschwerdeführer ein Betäubungsmittelgeschäft habe abwickeln wollen, lasse jedoch vorbringen, weder Drogenart noch Drogenmenge seien erstellt. Gestützt auf eine eingehende Würdigung der Beweise, insbesondere der Protokolle der überwachten Telefongespräche zwischen dem Beschwerdeführer und D., gelangte es zum Schluss, indem D. dem Beschwerdeführer vorsätzlich Geld für den Erwerb und die Einfuhr von zwei Kilogramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von 85 bis 90 % übergeben habe, habe er sich des Anstaltentreffens zur Einfuhr einer die Gesundheit vieler Menschen gefährdenden Menge an Kokain schuldig gemacht. Da sich das Obergericht in diesem Zusammenhang eingehend und ohne Vorbehalt zu mutmasslich strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers äusserte, bestehen objektive Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschwerdegegnerin als Teil des damaligen Spruchkörpers mit Bezug auf den strafrechtlichen Vorwurf gegenüber dem Beschwerdeführer innerlich bereits festgelegt hat. Sie kann daher im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht mehr als unvoreingenommen gelten.» (E.2.3).
Die Beschwerde wird vom Bundesgericht gutgeheissen, soweit es darauf eintritt. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (E.3).