Anspruch auf Vollzugslockerung und Rechtsverzögerung

Im Urteil 6B_1408/2022 vom 17. Februar 2023 aus dem Kanton Solothurn, der auch in der JVA Thorberg spielt, hatte das Bundesgericht eine Laienbeschwerde zum Thema der Lockerungen im Strafvollzug zu beurteilen. Das Bundesgericht setzte sich ausführlich und lehrbuchartig zunächst mit dem Strafvollzug sowie dem Recht auf Vollzugslockerungen auseinander (E.4.4.1 ff.). Weiter folgten Erörterungen zum Thema Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerungen von Vollzugslockerungen, mit fast schon akademischen Erläuterungen (E.4.5.1 ff.). Im vorliegenden Fall urteilte das Bundesgericht, dass es dem Beschwerdeführer unverschuldet faktisch verunmöglicht wurde, die für die Gewährung der Vollzugslockerung von der Vollzugsbehörde gemachten Auflagen zu erfüllen und damit in den Genuss der bereits bewilligten polizeilich doppelbegleiteten Ausgänge zu kommen. Folglich erwies sich die Rüge der Rechtsverzögerung gemäss dem Bundeesgericht als begründet (E.4.9).

Sachverhalt

Das Obergericht des Kantons Solothurn verurteilte A. am 27. Januar 2014 zweitinstanzlich wegen mehrfachen Mordes und qualifizierten Raubes sowie weiterer Delikte zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Das Bundesgericht wies die von A. dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 6B_648/2014 vom 28. Januar 2015 (auszugsweise publiziert in: BGE 141 IV 34) ab.

Mit Verfügung vom 18. Februar 2021 des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn wurden A. Ausgänge in Doppelbegleitung der Polizei bewilligt. Die Kompetenz zur Durchführung dieser Ausgänge wurde an die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bostadel respektive an die Kantonspolizei Zug delegiert. Das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn machte als Voraussetzung zur Durchführung der bewilligten Ausgänge verschiedene Auflagen, darunter die Weiterführung der forensischen Therapie.

Mit Verfügung vom 24. März 2021 ordnete das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn die Versetzung von A. von der JVA Bostadel in das Untersuchungsgefängnis Solothurn rückwirkend per 25. Februar 2021 an. Dieser Entscheid wurde geschützt, soweit auf die Rechtsmittel eingetreten wurde (vgl. Urteil 6B_1163/2021 vom 6. Dezember 2021).

Mit Eingabe vom 16. März 2021 beantragte A. beim Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn, die Verfügung vom 18. Februar 2021 anzupassen oder eine neue Verfügung zu erlassen, damit Ausgänge in Doppelbegleitung der Polizei auch durch das Untersuchungsgefängnis Solothurn durchgeführt werden könnten. Durch seine Versetzung in das Untersuchungsgefängnis Solothurn habe er bereits zwei Ausgänge nicht wahrnehmen können.

Mit Eingabe vom 13. April 2021 erhob A. beim Departement des Inneren des Kantons Solothurn Beschwerde wegen Rechtsverweigerung bzw. Rechtsverzögerung. Er rügte, er habe noch keine Verfügung vom Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn erhalten.

Das Bundesgericht hiess die gegen den diesbezüglichen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid erhobene Beschwerde von A. mit Urteil 1B_366/2021 vom 18. Oktober 2021 gut, hob das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 15. Juni 2021 auf und stellte das Vorliegen einer Rechtsverzögerung im Verfahren betreffend die Bewilligung von Ausgängen von A. aus dem Untersuchungsgefängnis Solothurn fest. Das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn wurde angewiesen, in diesem Verfahren unverzüglich eine Verfügung zu erlassen.

Mit Verfügung vom 27. Oktober 2021 wies das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn den Antrag von A. vom 16. März 2021 auf Anpassung der Verfügung vom 18. Februar 2021 und auf Bewilligung von polizeilich begleiteten Ausgängen ab.

Dagegen erhob A. mit Eingabe vom 4. November 2021 Beschwerde beim Departement des Inneren des Kantons Solothurn.

Mit Verfügung vom 8. November 2021 des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn wurde A. per 10. November 2021 in die JVA Thorberg versetzt.

Mit Verfügung vom 17. Dezember 2021 des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn, welche die Verfügung vom 27. Oktober 2021 ersetzte, wurden A. Ausgänge in Doppelbegleitung der Polizei bewilligt. Die Kompetenz zur Durchführung dieser Ausgänge wurde an die JVA Thorberg respektive an die Kantonspolizei Bern delegiert. Das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn machte als Voraussetzung zur Durchführung der bewilligten Ausgänge verschiedene Auflagen, unter anderem die Aufnahme und die Weiterführung der forensischen Therapie.

Am 31. März 2022 und am 14. April 2022 ersuchte A. die JVA Thorberg schriftlich um Durchführung polizeilich doppelbegleiteter Ausgänge.

Bezugnehmend auf seinen ersten Antrag vom 31. März 2022 teilte die JVA Thorberg A. am 7. April 2022 schriftlich mit, dass er aktuell noch nicht alle Auflagen gemäss Verfügung des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn vom 17. Dezember 2021 erfülle und es daher momentan nicht möglich sei, seinen Antrag auf Durchführung eines begleiteten Ausgangs zu bewilligen. Auf den zweiten Antrag vom 14. April 2022 reagierte die JVA Thorberg soweit aktenkundig nicht.

Instanzenzug

Mit Beschwerde vom 28. April 2022 gelangte A. an die Sicherheitsdirektion (SID) des Kantons Bern und stellte folgende Anträge: 1. Es seien eine Rechtsverweigerung und 2. eine Rechtsverzögerung festzustellen, begangen durch die JVA Thorberg; 3. die begleiteten Ausgänge seien sofort zu gewähren; 4. die verpassten Ausgänge seien nachzuholen.

Mit Entscheid vom 13. Juli 2022 wies die SID die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat.

Das Obergericht des Kantons Bern wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 1. November 2022 ab, soweit es darauf eintrat. Es wies das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab und auferlegte A. die Verfahrenskosten.

Der A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen sinngemäss, den vorinstanzlichen Beschluss vom 1. November 2022 aufzuheben und stellt dieselben Anträge wie bereits vor Obergericht und SID (vgl. Sachverhalt C.c). Er ersucht zudem um unentgeltliche Rechtspflege.

Die SID verzichtete mit Schreiben vom 17. Januar 2023 auf eine Vernehmlassung. Das Obergericht des Kantons Bern erstattete am 18. Januar 2023 eine Vernehmlassung, ohne konkrete Anträge zu stellen. Es verwies im Wesentlichen auf den angefochtenen Beschluss.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1408/2022 vom 17. Februar 2023

Der Beschwerdeführer bringt sinngemäss vor Bundesgericht vor, ihm werde seit Dezember 2020 trotz Therapiewilligkeit die Weiterführung der forensischen Therapie wegen fehlender Betreuungskapazitäten der Justizvollzugsanstalten verweigert. Dadurch werde ihm unverschuldet die Erfüllung der entsprechenden Auflage für die bereits bewilligten Ausgänge verunmöglicht, bzw. die Resozialisierung und die Reintegration verweigert. Er rügt eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgebotes, der persönlichen Freiheit, der Grundsätze des Strafvollzugs sowie eine Rechtsverweigerung bzw. Rechtsverzögerung. (E.4.1).

Das Bundesgericht äussert sich zunächst generell-abstrakt zu den Anforderungen an den Strafvollzug:

Zum Vollzug und der Vollzugslockerung

«Der Strafvollzug muss gemäss Art. 74 StGB die Menschenwürde achten und darf die Rechte des Gefangenen nur soweit beschränken, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Anstalt es erfordern (BGE 139 I 180 E. 1.3 S. 182124 I 203 E. 2b S. 204; Urteile 6B_133/2019 vom 12. Dezember 2019 E. 2.3; 6B_240/2018 vom 23. November 2018 E. 2.3). Art. 74 und 75 StGB schreiben einen auf Wiedereingliederung und Resozialisierung des Insassen ausgerichteten Strafvollzug vor. Nach Art. 75 Abs. 1 StGB sollen Gefangene im Vollzug denn auch vorab dazu befähigt werden, künftig straffrei zu leben. Die Vollzugsbedingungen haben sich somit am Grundsatz der Rückfallverhütung nach der Entlassung aus dem Vollzug zu orientieren. Der Vollzug beruht auf einem Stufensystem. Dem Gefangenen werden im Hinblick auf seine Rückkehr in die Gesellschaft zunehmend mehr Freiheiten gewährt. Je grösser die Flucht- oder Rückfallgefahr ist, desto engere Grenzen sind allerdings solchen stufenweisen Vollzugsöffnungen gesetzt (Urteile 6B_133/2019 vom 12. Dezember 2019 E. 2.3; 6B_240/2018 vom 23. November 2018 E. 2.3; je mit Hinweisen).» (E.4.4.1)

«Gemäss Art. 84 Abs. 6 StGB ist dem Gefangenen zur Pflege der Beziehungen zur Aussenwelt, zur Vorbereitung seiner Entlassung oder aus besonderen Gründen in angemessenem Umfang Urlaub zu gewähren, soweit sein Verhalten im Strafvollzug dem nicht entgegensteht und keine Gefahr besteht, dass er flieht oder weitere Straftaten begeht.» (E.4.4.2).

«Für den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht (Art. 123 Abs. 2 BV). Art. 74 ff. StGB regeln die Grundzüge des Straf- und Massnahmenvollzugs. Die Einzelheiten des Vollzugs richten sich nach kantonalem Recht und den für den einzelnen Kanton jeweils massgebenden Konkordatsrichtlinien.» (E.4.4.3).

«Auf kantonaler und konkordatlicher Ebene massgebend sind vorliegend das Gesetz des Kantons Solothurn über den Justizvollzug vom 13. November 2013 (JUVG; BGS 331.11), die Verordnung des Kantons Solothurn über den Justizvollzug vom 24. August 2021 (JUVV; BGS 331.12) und das Konkordat der Kantone der Nordwest- und Innerschweiz über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 5. Mai 2006 (SRL 325). Der einweisende Kanton übt nach Art. 16 Abs. 1 des Konkordats alle Vollzugskompetenzen aus. Darüber hinaus hat die Konkordatskonferenz des Strafvollzugskonkordats Nordwest- und Innerschweiz am 19. November 2012 eine Richtlinie betreffend die Ausgangs- und Urlaubsgewährung erlassen (nachfolgend: Richtlinie). Weiter besteht ein Merkblatt der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) zu den Vollzugsöffnungen im Straf- und Massnahmenvollzug vom 29. März 2012 (nachfolgend: Merkblatt KKJPD). Die Richtlinie unterscheidet in Konkretisierung von Art. 84 Abs. 6 StGB zwischen Sach- und Beziehungsurlaub sowie Ausgängen. Letztere sind in Art. 23 der Richtlinie geregelt und dienen der Kontaktpflege mit Personen ausserhalb der Vollzugseinrichtung, der Aufrechterhaltung des Bezugs zur Aussenwelt und therapeutischen Zwecken (Abs. 1). Sie sollen das soziale Verhalten der eingewiesenen Person fördern (Abs. 2). Es handelt sich, wie beim Urlaub, um Vollzugslockerungen im Hinblick auf die Vorbereitung auf das Leben in Freiheit, weshalb für die Gewährung von Ausgängen auch jene Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die für die Gewährung von Urlaub erforderlich sind (Urteil 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.3). Ausgänge erfolgen in der Regel unbegleitet (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie). Die Bewilligungsbehörde kann, in Absprache mit der Vollzugseinrichtung, eine Begleitung der eingewiesenen Person anordnen, wenn diese notwendig erscheint, um den geregelten Ablauf der Vollzugsöffnung sicherzustellen (Art. 22 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie).» (E.4.4.4).

«Vollzugsöffnungen sind Lockerungen im Freiheitsentzug (vgl. Art. 71a Abs. 2 StGB). Darunter fallen auch die vorliegend zur Diskussion stehenden bereits bewilligten polizeilich doppelbegleiteten Ausgänge (vgl. Urteil 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.1 a.E. betreffend unbegleitete Ausgänge). Die Gewährung einer Vollzugsöffnung ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn diese sich klar in das Gesamtkonzept der individuellen Resozialisierungsplanung einbettet und darüber hinaus keine Indizien für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestehen (Urteil 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.4 a.E. mit Hinweisen; BENJAMIN F. BRÄGGER, Vollzugslockerungen und Beurlaubungen bei sog. gemeingefährlichen Tätern, in: Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie, 1/2014, S. 60; BRÄGGER/ZANGGER, Freiheitsentzug in der Schweiz, 2020, S. 369). Ob eine Vollzugsöffnung im Einzelfall bewilligt werden kann, ist aufgrund einer Analyse des konkreten Risikos für eine Flucht oder eine neue Straftat unter Berücksichtigung des Zwecks und der konkreten Modalitäten der geplanten Öffnung sowie der aktuellen Situation der eingewiesenen Person zu entscheiden (Merkblatt KKJPD, Ziff. 5.2; vgl. Urteil 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.5).» (E.4.4.5).

«Vollzugslockerungen erfolgen grundsätzlich gestützt auf Behandlungsfortschritte (Urteil 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.5). Bei einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ist der öffentlichen Sicherheit bei Entscheiden betreffend Vollzugslockerungen eine wesentliche Bedeutung beizumessen (BRÄGGER/ZANGGER, a.a.O., S. 369). Mit adäquaten Sicherungsmassnahmen lässt sich das Risiko begleiteter Ausgänge grundsätzlich verantworten. Es muss aber dargelegt werden, dass sich mit Ausgängen unter strenger Bewachung der erwähnte Effekt erzielen lässt und nicht lediglich ein zusätzliches Risiko für die Allgemeinheit geschaffen wird. Das ist im Einzelfall individuell-konkret zu begründen (Urteil 6B_664/2013 vom 16. Dezember 2013 E. 2.7). Aufgrund der besonderen Relevanz von möglicherweise akut eintretenden Risikofaktoren für die Beurteilung der Lockerungsprognose ist kurz vor der Durchführung des bewilligten Ausgangs durch die Vollzugseinrichtung und, falls mit der Durchführung einer Therapie beauftragt, die Therapiestelle, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Vollzugsöffnung weiterhin gegeben sind (BRÄGGER/ZANGGER, a.a.O., S. 143).» (E.4.4.6).

«Die Bewilligung von Vollzugslockerungen kann an die Einhaltung von Auflagen geknüpft werden (vgl. Art. 14 Abs. 1 Richtlinie). Dies gilt namentlich für die Auflage, eine deliktorientierte Therapie durchzuführen (vgl. Urteile 6B_1155/2017 vom 1. Dezember 2017 E. 2.5; 6B_791/2007 vom 9. April 2008 E. 6). Die Einhaltung von Auflagen, die von der Vollzugsbehörde bei der Bewilligung von Vollzugslockerungen gemacht werden, muss dem betroffenen Insassen indes möglich sein („ad impossibilia nemo tenetur“). Werden – wie vorliegend – als Vollzugslockerung begleitete Ausgänge grundsätzlich bewilligt und als Auflage für deren Durchführung die Aufnahme und Weiterführung einer forensischen Therapie gemacht, muss bei Therapiewilligkeit des Insassen vom Staat das notwendige therapeutische Setting grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden (vgl. betreffend stationäre therapeutische Massnahmen: BGE 142 IV 105 E. 5.8.2 S. 118, wonach ein allfälliger Mangel an geeigneten Einrichtungen zur Durchführung von stationären therapeutischen Massnahmen oder Organisationsprobleme dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen dürfen; vgl. auch JONAS WEBER, Vollzugslockerungen bei Verwahrungen – [k]ein Widerspruch?, in: Übergangsmanagement und Nachsorge: Die wahren Herausforderungen des Massnahmenrechts, Heer/Habermeyer/Bernard [Hrsg.], Forum Justiz & Psychiatrie, Bd. 5, 2020, S. 68, wonach sich aus der grundrechtlich hergeleiteten Freiheitsorientierung des Verwahrungsvollzugs eine „staatliche Verpflichtung zum Angebot von Progressionsstufen“ herleiten lasse; nach THIERRY URWYLER, AJP 2019, S. 757, müssten vom Staat im Vollzug der lebenslänglichen Freiheitsstrafe [und der Verwahrung] Therapieangebote zur Verfügung stehen, wenn beim Täter entsprechende Ressourcen und Therapiewilligkeit vorhanden seien). Dies gilt – entgegen der Vorinstanz (Beschluss S. 9) – grundsätzlich unabhängig davon, ob es sich um eine gerichtlich angeordnete Therapie oder um eine „freiwillige Therapie“ im Strafvollzug handelt. Im vorliegenden Fall ist aufgrund der mittels Auflage erfolgten Verknüpfung der bewilligten Vollzugslockerung in Form doppelbegleiteter Ausgänge an die Aufnahme und Weiterführung der forensischen Therapie (vgl. Sachverhalt B.c.g) fraglich, ob tatsächlich von einer „Freiwilligkeit“ der Therapie auszugehen wäre (siehe zur Kritik gegen den Begriff der „freiwilligen Therapie“: CHRISTOPH SIDLER, Strafvollzugsbegleitende Therapien ohne gerichtliche Anordnung: Herleitung der vollzugsrechtlichen Pflicht und der Therapieindikation, in: Angeordnete Therapie als Allheilmittel?, Heer/Habermeyer/Bernard [Hrsg.], Forum Justiz & Therapie, Bd. 6, 2022, S. 34, 39, 41). Wird infolge personeller Unterbesetzung der Vollzugseinrichtung keine Therapie angeboten, wird dem therapiewilligen Insassen in einem solchen Fall sonst die Möglichkeit genommen, in den Genuss der bereits bewilligten begleiteten Ausgänge zu kommen (vgl. NOÉMI BIRO, Notwendige Verteidigung im Straf- und Massnahmenvollzug, 2019, S. 208, wonach die Ablehnung einer Vollzugsöffnung aufgrund „mangelnder Ressourcen“ problematisch erscheine).» (E.4.4.7).

«Die Nichtbewilligung von Vollzugslockerungen muss sich auf ernsthafte und objektive Gründe stützen. Die kantonalen Behörden verfügen im Bereich des Straf- und Massnahmenvollzugs über ein weites Ermessen. Das Bundesgericht greift nur ein bei Überschreitung, Unterschreitung oder Missbrauch des Ermessens (Urteile 6B_476/2021 vom 14. Juni 2021 E. 2.5; 6B_827/2020 vom 6. Januar 2021 E. 1.4.6; je mit Hinweisen).» (E.4.4.8).

In einem ersten Schritt stellte also das Bundesgericht, sehr ausführlich und in allen Details, die Rechte von Strafgefangenen im Vollzug vor, einschliesslich des Rechts auf Vollzugslockerungen.

Zur Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung

Einleitend bemerkt hier das Bundesgericht Folgendes:

«Gemäss Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person im Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. Aus der genannten Bestimmung werden rechtsprechungsgemäss das Verbot der formellen Rechtsverweigerung und der Rechtsverzögerung abgeleitet (Urteil 2C_61/2021 vom 22. Dezember 2021 E. 3.1).» E.4.5.1).

Zur formellen Rechtsverweigerung

«Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obwohl sie darüber befinden müsste (BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9; Urteil 1B_303/2022 vom 19. Dezember 2022 E. 2.1), eine Eingabe nicht an die Hand nimmt und behandelt (BGE 144 II 184 E. 3 S. 192 f.; Urteil 2C_493/2019 vom 17. August 2020 E. 4.1) oder wenn sie ihre Kognitionsbefugnis in unzulässiger Weise beschränkt (BGE 106 Ia 70 E. 2a S. 71). Zudem liegt eine formelle Rechtsverweigerung auch dann vor, wenn die Prüfung eines Rechtsbegehrens unterlassen wird, obwohl dazu eine Verpflichtung besteht (Urteil 2C_493/2019 vom 17. August 2020 E. 4.1). Ob eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9; Urteil 1B_303/2022 vom 19. Dezember 2022 E. 2.1).» (E.4.5.2)

Zur Rechtsverzögerung

«Eine Rechtsverzögerung ist einer Behörde vorzuwerfen, wenn sie nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen oder – wo eine gesetzliche Erledigungsfrist fehlt – innert angemessener Frist entscheidet. Die Angemessenheit einer Verfahrensdauer beurteilt sich nach der Art des Verfahrens und den konkreten Umständen einer Angelegenheit, wie Umfang und Komplexität der aufgeworfenen Sachverhalts- und Rechtsfragen, Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten etc. (BGE 144 I 318 E. 7.1 S. 333; 135 I 265 E. 4.4 S. 277; Urteil 1C_732/2021 vom 25. Januar 2022 E. 2.1). Der Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist bezieht sich ausgehend von den einzelnen Verfahrensschritten auf die gesamte Verfahrensdauer (BGE 135 I 265 E. 4.4 S. 277; 131 III 334 E. 2.2 und 2.3 S. 337). Das Rechtsverzögerungsverbot ist verletzt, wenn die Behörden ohne ersichtlichen Grund und ohne ausgleichende Aktivität während langer Perioden untätig geblieben sind (BGE 139 I 206 E. 2.1 S. 211; 124 II 49 E. 3a S. 51; Urteil 1C_732/2021 vom 25. Januar 2022 E. 2.1). Für den Betroffenen ist es unerheblich, auf welche Gründe eine übermässige Verfahrensdauer zurückzuführen ist. Mangelnde Organisation oder Überbelastung bewahren nicht vor dem Vorwurf der Rechtsverzögerung. Entscheidend ist allein, dass die Behörde nicht fristgerecht handelt. Bei der Feststellung einer übermässigen Verfahrensdauer ist daher zu prüfen, ob sich die Umstände, die zur Verlängerung des Verfahrens geführt haben, objektiv rechtfertigen lassen (BGE 144 II 486 E. 3.2 S. 489; 135 I 265 E. 4.4 S. 277; Urteil 6B_1147/2020 vom 26. April 2021 E. 2.3; je mit Hinweisen).» (E.4.5.3).

«Bei der Rechtsverzögerung handelt es sich um eine abgeschwächte Form der formellen Rechtsverweigerung (MÜLLER/BIERI, in: VwVG, Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], N. 16 zu Art. 46a VwVG; nach BOSSHART/BERTSCHI, in: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], Griffel [Hrsg.], 3. Aufl. 2014, § 19 Rz. 40, sei die Rechtsverzögerung eine „besondere Form“ der formellen Rechtsverweigerung), mithin um eine Rechtsverweigerung „auf Zeit“ (NICOLAS VON WERDT, in: Bundesgerichtsgesetz BGG, 2. Aufl. 2015, N. 3 zu Art. 94 BGG). Während bei der formellen Rechtsverweigerung die Behörde zu verstehen gibt, dass sie nicht zu handeln gedenkt, gibt die Behörde bei einer Rechtsverzögerung zwar zu erkennen, dass sie die Sache bearbeiten will, verzögert indessen die Behandlung über Gebühr (siehe zur Abgrenzung: HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 1045 f.; LORENZ MEYER, Das Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, 1982, S. 3; GEROLD STEINMANN, in: St. Galler Kommentar, Die schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, N. 18 ff. zu Art. 29 BV; UHLMANN/WÄLLE-BÄR, in: Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 1 f. zu Art. 46a VwVG). Die Unterscheidung ist insofern von Bedeutung, als bei der Rüge der formellen Rechtsverweigerung geprüft werden muss, ob sich die Behörde zu Recht weigert, die Angelegenheit zu behandeln, während bei der Rüge der Rechtsverzögerung nur zu prüfen ist, ob das Verfahren allzu lange dauert (LORENZ MEYER, a.a.O., S. 4).» (E.4.5.4)

Zur materiellen Rechtsverweigerung

«Als materielle Rechtsverweigerung wird die qualifiziert falsche, d.h. willkürliche oder rechtsungleiche Rechtsanwendung verstanden (BOSSHART/BERTSCHI, a.a.O., § 19 Rz. 40; MARKUS MÜLLER, in: Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern [VRPG; BSG 155.21], Herzog/Daum [Hrsg.], 2. Aufl. 2020, N. 95 zu Art. 49 VRPG; MÜLLER/BIERI, a.a.O., N. 9 zu Art. 46a VwVG Fn. 19; LORENZ MEYER, a.a.O., S. 1 f.; FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 94 BGG; UHLMANN/WÄLLE-BÄR, a.a.O., N. 1 zu Art. 46a VwVG; WIEDERKEHR/PLÜSS, Praxis des öffentlichen Verfahrensrechts, 2020, § 1 Rz. 49). Eine materielle Rechtsverweigerung liegt nach der Praxis des Bundesgerichts vor, wenn zwar ein Entscheid getroffen wurde, dieses aber ein offensichtliches Fehlurteil ist (BGE 127 III 576 E. 2d S. 579; Urteil 5A_426/2022 vom 3. August 2022 E. 4.2). Eine materielle Rechtsverweigerung ist nicht schon dann gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, sondern nur dann, wenn das Ergebnis schlechterdings mit vernünftigen Gründen nicht zu vertreten ist (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 369 E. 3a S. 373; je mit Hinweisen).» (E.4.5.5).

Qualifikation des Verhaltens der Vollzugsbehörden

Der Umstand, dass in der JVA Thorberg vorliegend keine forensische Therapie aufgenommen bzw. weitergeführt wurde, ist nicht dem Beschwerdeführer, sondern der personellen Unterbesetzung der Vollzugseinrichtung zuzuschreiben, bemerkt das Bundesgericht. Dadurch konnte die Vollzugsbehörde im vorliegenden Fall mangels Weiterführung der forensischen Therapie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung der bewilligten begleiteten Ausgänge gemäss Verfügung des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn vom 17. Dezember 2021 nicht bejahen und insbesondere nicht einschätzen, ob dem Beschwerdeführer legalprognostisch relevante Behandlungsfortschritte hätten attestiert werden können, welche eine Vollzugslockerung in der Form der bereits bewilligten doppelbegleiteten Ausgänge rechtfertigen würden, ergänzt das Bundesgericht. Dass die Vorinstanz bei dieser Sachlage im angefochtenen Entscheid zum Schluss gekommen ist, die materiellen Voraussetzungen für die Durchführung der bewilligten polizeilich doppelbegleiteten Ausgänge seien derzeit mangels Weiterführung der forensischen Therapie zu verneinen, ist zwar nicht als materielle Rechtsverweigerung im Sinne eines Verstosses gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) zu werten (vgl. oben E. 4.5.5) und damit im Ergebnis nicht zu beanstanden. (E.4.8)

Indessen liegt in der behördlichen Verzögerung bei der Umsetzung des Entscheides der Vollzugsbehörde vom 17. Dezember 2021 eine Rechtsverzögerung vor, erklärt das Bundesgericht. Zwar wurde dem Beschwerdeführer formell begleiteter Ausgang bewilligt, aber diese Verfügung wurde aufgrund der Untätigkeit der Behörden bisher nie durchgesetzt bzw. es wurden keine Anstrengungen unternommen, die in der Verfügung genannten Bedingungen durchzusetzen. Das Bundesgericht hatte bereits im Urteil 1B_366/2021 vom 18. Oktober 2021 auf die zeitliche Dringlichkeit des vorliegenden Falles hingewiesen, da dem Beschwerdeführer ohne Erlass einer Verfügung die (allenfalls bestehende) Möglichkeit genommen wurde, in den Genuss begleiteter Ausgänge zu kommen Die kantonalen Behörden unterliessen in der Folge jedoch, wie das Bundesgericht fortfährt, zeitnah die gebotenen und zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um dem Beschwerdeführer die Einhaltung der von der Vollzugsbehörde verfügten Auflage zeitnah zu ermöglichen, insbesondere das zur Aufnahme bzw. Weiterführung der forensische Therapie notwendige therapeutische Setting bereitzustellen. Das Bundesgericht hatte bereits im Urteil 1B_366/2021 vom 18. Oktober 2021 darauf hingewiesen, dass mangelhafte Organisation und strukturelle Überlastung nicht vor dem Vorwurf der Rechtsverzögerung bewahren würden (a.a.O. E. 3.2.4).  Insgesamt lässt sich die Verzögerung der kantonalen Behörden bei der Umsetzung des Entscheides des Amtes für Justizvollzug des Kantons Solothurn vom 17. Dezember 2021 und insbesondere bei der Bereitstellung des zur Aufnahme bzw. Weiterführung der forensischen Therapie des Beschwerdeführers notwendigen therapeutischen Settings gemäss dem Bundesgericht nicht rechtfertigen. Dadurch wurde ihm unverschuldet faktisch verunmöglicht, die für die Gewährung der Vollzugslockerung von der Vollzugsbehörde gemachten Auflagen zu erfüllen und damit in den Genuss der bereits bewilligten polizeilich doppelbegleiteten Ausgänge zu kommen. Folglich erweist sich die Rüge der Rechtsverzögerung gemäss dem Bundeesgericht als begründet. Die Vorinstanz wird aufgefordert, unverzüglich mit den zuständigen kantonalen Behörden Kontakt aufzunehmen, damit das zur Aufnahme bzw. Weiterführung der forensischen Therapie des Beschwerdeführers notwendige therapeutische Setting zeitnah bereitgestellt wird. (E.4.9).

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 1. November 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen.

 

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