Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verfahren auf bedingte Entlassung aus Verwahrung

Im Urteil 7B_795/2023 vom 22. Januar 2024 aus dem Kanton Luzern befasste sich das Bundesgericht mit dem Anspruch auf Parteientschädigung im Beschwerdeverfahren betreffend bedingte Entlassung aus der Verwahrung und begleitete Ausgänge. Dazu das Bundesgericht: «Als besondere Garantie im Strafprozess gewährleistet Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK der beschuldigten Person die unentgeltliche Bestellung einer amtlichen Verteidigung, falls dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint und die beschuldigte Person mittellos ist (siehe auch Art. 29 Abs. 3 BV). Nach der Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen besteht ein allgemeiner grundrechtlicher Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung, wenn die Interessen der betroffenen Person in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug einer Rechtsvertretung erforderlich machen. Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung einer amtlichen Rechtsvertretung nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich geboten.» (E.2.5.1). Das Bundesgericht bejaht den Anspruch auf Parteientschädigung, u.a. wie folgt: «In BGE 128 I 225 E. 2.4.1 und 2.5.2 hat das Bundesgericht den Anspruch eines Massnahmeunterworfenen auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung für ein Verfahren um Urlaubsgewährung prinzipiell bejaht.» (E.2.5.2). Das gilt erst Recht für die Prüfung der Entlassung aus der Verwahrung (E.2.6).

Sachverhalt

Der A. verübte zwischen 1978 und 1990 zahlreiche Sexualdelikte, wofür er zu verschiedenen Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Seit 16. August 2016 befindet er sich im Vollzug zweier vom Obergericht des Kantons Luzern am 8. Juli 1999 und vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 27. Juni 2016 angeordneter Verwahrungen, vorher verbüsste er die Freiheitsstrafen.

Instanzenzug

Mit Eingabe vom 12. August 2020 ersuchte A. um unentgeltliche Rechtspflege und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands im Hinblick auf die jährliche Überprüfung der Verwahrung nach Art. 64b Abs. 1 lit. a StGB. Am 13. August 2020 wies die Dienststelle Militär, Zivilschutz und Justizvollzug des Kantons Luzern (MZJ) dieses Gesuch ab.

Eine hiergegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde von A. hiess das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 6. April 2021 in dem Sinn gut, als es ihm für die Verfahren vor der Dienststelle MZJ betreffend bedingte Entlassung und humanitäre Ausgänge ab dem 5. August 2020 die unentgeltliche Rechtspflege gewährte und Rechtsanwalt Julian Burkhalter als unentgeltlichen Rechtsvertreter einsetzte. Für das Verwaltungsgerichtsverfahren gewährte es A. ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung […].

Der A. wendet sich erneut ans Bundesgericht. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt er, Dispositiv-Ziffer 3 des Zwischenentscheids vom 6. April 2021 sei aufzuheben und wie folgt neu zu fassen: „Die Kostennote von RA J. Burkhalter wird für das Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren auf CHF 1’851.70 festgesetzt (inkl. MwSt und Auslagen). Das Kantonsgericht hat RA Burkhalter in dieser Höhe zu entschädigen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird zufolge Obsiegen als gegenstandslos vom Protokoll abgeschrieben.“ Eventualiter sei die Sache zur neuen Begründung und Festsetzung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_795/2023 vom 22. Januar 2024

Im angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Entscheid vom 6. April 2021 hat die Vorinstanz den Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Rechtspflege in den Hauptverfahren betreffend bedingte Entlassung aus der Verwahrung und begleitete Ausgänge bejaht, ihm jedoch keine Parteientschädigung im Beschwerdeverfahren zugesprochen, bemerkt das Bundesgericht einleitend (E.1.1.).

Streitig vor Bundesgericht ist, ob dem Beschwerdeführer, der im vorinstanzlichen Verfahren betreffend unentgeltliche Rechtspflege obsiegt hat, Anspruch auf eine Parteientschädigung zusteht (E.2).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_795/2023 vom 22. Januar 2024 generell-abstrakt wie folgt:

«Als besondere Garantie im Strafprozess gewährleistet Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK der beschuldigten Person die unentgeltliche Bestellung einer amtlichen Verteidigung, falls dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint und die beschuldigte Person mittellos ist (siehe auch Art. 29 Abs. 3 BV). Nach der Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen besteht ein allgemeiner grundrechtlicher Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung, wenn die Interessen der betroffenen Person in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug einer Rechtsvertretung erforderlich machen. Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung einer amtlichen Rechtsvertretung nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich geboten. Dies trifft insbesondere im Strafprozess zu, wenn der beschuldigten Person eine schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst. Falls kein besonders schwerer Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers droht, ist die Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung zu bejahen, wenn zur relativen Schwere des Falls besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen (BGE 143 I 164 E. 3.5; 128 I 225 E. 2.5.2; 120 Ia 43 E. 2.a; je mit Hinweisen). Es ist eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig. Die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten sind umso geringer, je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, und umgekehrt (BGE 143 I 164 E. 3.6 mit Hinweis; Urteile 7B_50/2023 vom 30. November 2023 E. 2.2; 1B_618/2021 vom 15. Februar 2022 E. 3.2).» (E.2.5.1).

«In BGE 128 I 225 E. 2.4.1 und 2.5.2 hat das Bundesgericht den Anspruch eines Massnahmeunterworfenen auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung für ein Verfahren um Urlaubsgewährung prinzipiell bejaht. Dabei erwog es, der Entscheid über die erstmalige Bewilligung eines begleiteten Urlaubs sei für eine verwahrte Person von einiger Tragweite. Im Gegensatz zu einer Freiheitsstrafe sei die Verwahrung zeitlich nicht begrenzt. Anders als im Strafvollzug sei die Bewilligung von Vollzugslockerungen im Verwahrungsvollzug abhängig von der individuellen Entwicklung der verwahrten Person und von der Beurteilung der von ihr ausgehenden Gefährdung der Öffentlichkeit. Dabei sei die Bewährung bei ersten geringeren Vollzugslockerungen in der Regel zwingende Voraussetzung für die Gewährung weitergehender Freiheiten. Die Bewilligung eines begleiteten Urlaubs habe somit nicht nur Bedeutung für den Anspruch des Verwahrten auf Kontakt mit der Aussenwelt, sondern auch Auswirkungen auf die Gewährung weiterer Vollzugslockerungen bis hin zur probeweisen oder definitiven Entlassung und damit letztlich auf die Dauer der Verwahrung. Andererseits drohe durch die Verweigerung eines begleiteten Urlaubs keine besonders schwere Freiheitsbeschränkung, welche die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters unabhängig von den tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des konkreten Falles gebieten würde. Ausschlaggebend waren für das Bundesgericht daher die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des zu beurteilenden Falls: Bei der Frage der Urlaubsgewährung habe die Behörde namentlich zu prüfen, ob sich der psychisch-geistige Zustand sowie eine allfällige Persönlichkeitsstörung des Verwahrten, welche die Anordnung der Verwahrung erforderlich gemacht hätten, insoweit verändert hätten, dass eine Urlaubsgewährung vertretbar sei. Diese tatsächlichen Fragen seien nicht leicht zu beurteilen. Der Beschwerdeführer sei wohl kaum in der Lage, das zu diesen Fragen eingeholte psychiatrische Gutachten oder die Stellungnahme der Fachkommission des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats zur Überprüfung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern und Straftäterinnen, in denen es um seinen eigenen Geistes- und Gesundheitszustand gehe, objektiv zu würdigen und seine Interessen – auf sich allein gestellt – wirksam wahrzunehmen. Ferner stellten sich auch im Zusammenhang mit der Abwägung der gegenläufigen Interessen – der Freiheit des Verwahrten einerseits und dem Schutz der Öffentlichkeit andererseits – schwierige Rechtsfragen. Aus den genannten Gründen erweise sich die unentgeltliche Verbeiständung als notwendig. Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht im Urteil 6B_1138/2013 vom 2. Oktober 2014 E. 2.8 bestätigt.» (E.2.5.2)

Das Bundesgericht bejaht im Urteil 7B_795/2023 vom 22. Januar 2024 daraufhin die Zusprechung einer Parteientschädigung im Beschwerdeverfahren wie folgt:

«Mit Blick auf diese publizierte bundesgerichtliche Rechtsprechung stellt die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung durch die Erstinstanz im vorliegenden Fall eine offensichtliche Verletzung konventions- und verfassungsmässiger Rechte dar. Zwar besteht der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung im Verfahren um Urlaubsgewährung des Verwahrten gemäss BGE 128 I 225 E. 2.4.1 und 2.5.2 nur im Grundsatz und ist im Einzelnen näher zu prüfen. Die jenem und dem vorliegenden Entscheid zugrundeliegenden Sachverhalte sind jedoch vergleichbar. Dass bereits (erste) Vollzugslockerungen in Form von Urlauben bzw. Ausgängen für den Verwahrten von grosser Wichtigkeit sind, wurde im zitierten Entscheid BGE 128 I 225 E. 2.5.2 einlässlich dargestellt. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterungen, dass die vorliegend zusätzlich zu klärende Frage nach einer bedingten Entlassung aus der Verwahrung – eines zeitlich grundsätzlich unbefristeten Freiheitsentzugs – für die Rechtsstellung des Betroffenen noch von wesentlich höherer Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass sich in casu, ähnlich wie im zitierten Entscheid, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach zu beantwortende Fragen stellten. So galt es zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers insbesondere ebenfalls ein psychiatrisches Verlaufsgutachten zu würdigen und die Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers, namentlich der Hemiparese, auf die Legalprognose zu beurteilen. Frühere jährliche Überprüfungen der Verwahrung hatten teils ohne Beizug eines Sachverständigen stattgefunden, weshalb sich die vorliegend streitigen Verfahren in ihrer Komplexität von diesen deutlich unterscheiden. Vom gesundheitlich angeschlagenen Beschwerdeführer hätte daher klarerweise nicht verlangt werden dürfen, die beiden Verfahren betreffend Gewährung von begleiteten Ausgängen und bedingte Entlassung aus der Verwahrung, die für seine Freiheitsrechte von derart grosser Wichtigkeit sind, selbstständig zu bestreiten. Angesichts des schweren Eingriffs in seine Rechtsposition und der Komplexität der sich stellenden Fragen, die sich insbesondere aus dem Beizug eines psychiatrischen Sachverständigen ergibt, wäre es vielmehr auf der Hand gelegen, ihm für die genannten Verfahren wie beantragt einen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu bestellen. Infolgedessen ist der Vorinstanz eine qualifiziert fehlerhafte Rechtsanwendung von § 201 VRG/LU vorzuwerfen, wenn sie eine „offenbare Rechtsverletzung“ im Sinne von Abs. 2 dieser – gemäss Bundesgericht eng auszulegenden – Bestimmung durch die Erstinstanz verneint. Sie hätte ihm gestützt auf diese Norm eine Parteienschädigung für das Beschwerdeverfahren zusprechen müssen.» (E.2.6).

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