Sachverhalt
Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt gegen A. ein Strafverfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Gewalt und Drohungen gegen Behörden und Beamte sowie weiterer Delikte. A. wurde am 19. Oktober 2023 festgenommen und befindet sich seither in Haft.
Instanzenzug
Mit Verfügung vom 15. August 2024 wies die Staatsanwaltschaft zwei Gesuche von A. vom 23. April 2024 und 13. August 2024 um Erteilung einer „Dauertelefonbewilligung“ für Telefonate mit seiner Verteidigung ab. Die dagegen erhobene Beschwerde von A. wies das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, mit Beschluss vom 28. Oktober 2024 ab.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit Eingabe vom 4. Dezember 2024 erhob A. beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft nicht zuständig sei, die telefonischen Kontakte zwischen ihm und seinem Verteidiger einzuschränken. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid insoweit abzuändern, als ihm die beantragte „Dauertelefonbewilligung“ zu erteilen sei, auf die er sich im Rahmen der Möglichkeiten der Haftanstalt berufen könne („autorisation permanente de téléphoner à son défenseur […] dans les limites des possibilités de l’établissement pénitentiaire“). Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_1295/2024 vom 19. März 2025
Die Staatsanwaltschaft wies, wie das Bundesgericht darstellt, den Antrag des Beschwerdeführers um Erteilung einer Dauertelefonbewilligung mit seiner Rechtsanwältin im Wesentlichen mit der Begründung ab, Telefonate seien in der Untersuchungshaft grundsätzlich nicht oder nur ausgesprochen restriktiv zulässig, was insbesondere für Beschuldigte mit Kollusionsgefahr gelte. Der beantragte freie Telefonverkehr zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Verteidigung sei des Weiteren nicht umsetzbar, da dies den Gefängnisalltag erheblich behindern würde. Die Vorinstanz schützt diesen Entscheid im Ergebnis und erwägt zusammengefasst, es bestehe lediglich ein Anspruch auf freien Verkehr mit der Verteidigung, nicht auch auf freie Wahl des Kommunikationsmittels. Daraus folge, dass dem Beschwerdeführer nicht jederzeit und ungehindert die Möglichkeit offenstehen müsse, mit der Verteidigung telefonisch kommunizieren zu können. Vielmehr sei „mit Blick auf die Gewährleistung der Haftzwecke und der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Gefängnisbetriebs“ nicht zu beanstanden, dass gemäss Regelung der Hausordnung „Regionalgefängnisse des Kantons Bern“ vom 22. Februar 2019 eingewiesene Personen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft in den Räumlichkeiten der Vollzugseinrichtungen grundsätzlich nicht telefonieren dürften und für die Erteilung von allfälligen (Ausnahme-) Bewilligungen die Verfahrensleitung zuständig sei. Es verbleibe daher einzig zu prüfen, ob Gründe bestünden, die ausnahmsweise eine „Dauertelefonbewilligung“ mit der Verteidigung erfordern würden, was im vorliegenden Fall ebenfalls zu verneinen sei (E.3).
Das Bundesgericht führt hierzu im Urteil 7B_1295/2024 vom 19. März 2025 aus:
«Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig (Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 2 EMRK; Art. 10 Abs. 1 StPO). Dementsprechend darf die strafprozessual inhaftierte beschuldigte Person in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (Art. 235 Abs. 1 StPO). Die Kontakte zwischen der inhaftierten Person und anderen Personen bedürfen der Bewilligung der Verfahrensleitung. Besuche finden wenn nötig unter Aufsicht statt (Art. 235 Abs. 2 StPO). Die inhaftierte Person kann indessen nach Art. 235 Abs. 4 Satz 1 StPO frei und ohne inhaltliche Kontrolle mit der Verteidigung verkehren. Bei der Verteidigung handelt es sich demnach nicht um eine „andere Person“ im Sinne von Art. 235 Abs. 2 StPO, deren Kontakt mit der inhaftierten Person durch die Verfahrensleitung zu bewilligen ist (ADRIAN BERLINGER, in: Basler Kommentar StPO, 3. Aufl. 2023, N. 31 zu Art. 235 StPO; vgl. auch BAPTISTE VIREDAZ, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2019, N. 14 zu Art. 235 StPO). Eine (befristete) Einschränkung dieses freien Verkehrs zwischen der inhaftierten Person und ihrer Verteidigung durch die Verfahrensleitung ist nach Art. 235 Abs. 4 Satz 2 StPO nur bei begründetem Verdacht auf Missbrauch und mit Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts zulässig. Von einer eigentlichen Einschränkung des freien Verkehrs im Sinne von Art. 235 Abs. 4 Satz 2 StPO zu unterscheiden sind administrative und organisatorische Schutzvorkehren zur Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt, welche lediglich die Modalitäten des Verkehrs mit der Verteidigung beschlagen (vgl. FREI/ZUBERBÜHLER ELSÄSSER, in: Zürcher Kommentar StPO, 3. Aufl. 2020, N. 12 zu Art. 235 StPO). Die konkrete Ausgestaltung des Verkehrs der inhaftierten Person mit ihrer Verteidigung richtet sich nach kantonalem Vollzugsrecht (vgl. Art. 235 Abs. 5 StPO), wobei aber die bundesrechtlichen Vorgaben gewahrt werden müssen (siehe FREI/ZUBERBÜHLER ELSÄSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 235 StPO; vgl. auch BERLINGER, a.a.O., N. 60 zu Art. 235 StPO).» (E.4).
Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht u.a., die Verweigerung der beantragten Dauertelefonbewilligung sei inhaltlich nicht gerechtfertigt und beschneide sein Recht auf freien Verkehr mit der Verteidigung gemäss Art. 235 Abs. 4 StPO in unzulässiger Weise (E.6).
Das Bundesgericht führt hierzu im Urteil 7B_1295/2024 vom 19. März 2025 aus:
«Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass hinsichtlich des Verkehrs mit der Verteidigung kein absoluter Anspruch der inhaftierten Person auf freie Wahl des Kommunikationsmittels besteht (BERLINGER, a.a.O., N. 53 zu Art. 235 StPO; FREI/ZUBERBÜHLER ELSÄSSER, a.a.O., N. 12 zu Art. 235 StPO). Indessen hat die inhaftierte Person Anspruch darauf, dass sie – wenn sie es als notwendig erachtet – Kontakt mit ihrer Verteidigung aufnehmen kann und insoweit ihre Verteidigungsrechte gegenüber einer sich in Freiheit befindenden beschuldigten Person nicht eingeschränkt werden (vgl. BERLINGER, a.a.O., N. 53 zu Art. 235 StPO). Dieser verfassungs- und konventionsrechtlich garantierte Anspruch auf eine effektive Verteidigung (Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK) darf nicht faktisch durch eine (zu) restriktive Ausgestaltung der konkreten Modalitäten des freien Verkehrs unterlaufen werden (vgl. KÜNZLI/FREI/SCHULTHEISS, a.a.O., Rz. 73, mit Beispielen).» (E.6.1).
«Die inhaftierte Person verfügt nur dann über gleichwertige Verteidigungsrechte wie eine sich in Freiheit befindliche beschuldigte Person, wenn sie wie eine solche über die Möglichkeit verfügt, niederschwellig, kurzfristig und – was insbesondere beim Vorliegen einer Wahlverteidigung von Bedeutung ist – kostengünstig mit ihrer Verteidigung zu kommunizieren (vgl. DAMIAN BOLL, „Verteidigung der ersten Stunde“ gemäss schweizerischer StPO, 2020, S. 152). Aufgrund des mit Gefängnisbesuchen verbundenen (allenfalls erheblichen) Zeitaufwands der Verteidigung vermag ein Besuchsrecht für sich alleine keine gleichwertige Verteidigung zu garantieren. Der Anspruch auf freie (briefliche) Korrespondenz mit der Verteidigung vermag die mit Gefängnisbesuchen verbundenen Limitationen des Anspruchs auf freien Verkehr mit der Verteidigung zwar bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren (vgl. S TEPHAN SCHLEGEL, Die Verwirklichung des Rechts auf Wahlverteidigung, 2010, S. 340). Indessen gewährleistet einzig die Möglichkeit des telefonischen Verkehrs mit der Verteidigung, dass die inhaftierte Person ohne die mit einem Besuch oder dem postalischen Verkehr verbundenen Wartezeiten und Schwierigkeiten rechtlichen Beistand erhalten kann (vgl. DAMIAN BOLL, a.a.O., S. 152). Aus dem bundesrechtlich garantierten Anspruch auf freien Verkehr mit der Verteidigung gemäss Art. 235 Abs. 4 StPO ergibt sich somit auch ein zumindest grundsätzlicher Anspruch der inhaftierten Person auf telefonischen Verkehr mit ihrer Verteidigung (DAMIAN BOLL, a.a.O., S. 152; GFELLER/BIGLER/BONIN, Untersuchungshaft, Ein Leitfaden für die Praxis, 2017, Rz. 902; vgl. BAPTISTE VIREDAZ, a.a.O., N. 14 zu Art. 235 StPO; anders etwa SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 6 zu Art. 235 StPO).
Der telefonische Verkehr zwischen der inhaftierten Person und ihrer Verteidigung darf indessen immerhin insoweit beschränkt werden, als dies für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt notwendig erscheint (Art. 235 Abs. 1 StPO; vgl. FREI/ZUBERBÜHLER ELSÄSSER, a.a.O., N. 12 zu Art. 235 StPO; anders wohl GFELLER/BIGLER/BONIN, a.a.O., Rz. 902, wonach der jederzeitige telefonische Kontakt zur Verteidigung zwingend zu garantieren sei). So muss es grundsätzlich zulässig sein, betriebsbedingt bestimmte Telefonzeiten festzulegen oder die Zahl und Dauer der Anrufe zu beschränken.» (E.6.2).
«Die Vorinstanz führt aus, zwar könnten dem Beschwerdeführer mangels gegenteiliger Hinweise nicht generell wegen Kollusionsgefahr die Telefonate mit seiner Verteidigung verweigert werden. Doch sei nicht von der Hand zu weisen, „dass angesichts des Verbots der inhaltlichen Kontrolle der Gespräche zwischen inhaftierter Person und deren Verteidigung auf andere Weise sichergestellt werden müsste, dass die inhaftierte Person das von ihr – mutmasslich für das Gespräch mit der Verteidigung – genutzte Telefon nicht anderweitig verwendet“. Die Umsetzung einer Dauertelefonbewilligung für mandatierte Anwälte dürfte mit Blick auf die Vermeidung der genannten Missbrauchsgefahr „mit nicht unerheblichem Aufwand“ verbunden sein, weshalb der Einwand der Staatsanwaltschaft, wonach eine „Dauertelefonbewilligung“ den Gefängnisalltag erheblich behindern würde, „zumindest aktuell nicht kritisiert werden“ könne. „Darüber hinaus“ sei indessen „durchaus denkbar, dass künftig – aufgrund technischer Möglichkeiten und geänderter Bedürfnisse – ein gesteigertes Verlangen nach Dauertelefonbewilligungen für Telefonate mit der Verteidigung“ aufkommen könnte.
Diese Erwägungen vermögen nicht zu überzeugen, zumal die Vorinstanz selbst ausdrücklich eingesteht, ihr sei „nicht bekannt, wie (ausnahmsweise bewilligte) Telefongespräche mit der Verteidigung im Einzelfall praktisch umgesetzt werden“. In der Lehre wird überzeugend darauf hingewiesen, dass allfälligem Missbrauchspotential ohne grösseren Aufwand hinreichend begegnet werden kann, nämlich mittels behördlicher Vermittlung des Telefonanrufs der inhaftierten Person an die von der Verteidigung angegebene Rufnummer und durch – bereits heute ohne weiteres vornehmbare – technische Beschränkung der Möglichkeit der inhaftierten Person, selbständig eine (andere) Rufnummer zu wählen (ausführlich BOLL, a.a.O., S. 153; ebenso WOLFGANG WOHLERS, in: SK-StPO, Systematischer Kommentar zu Strafprozessordnung, Bd. III, 5. Aufl. 2016, N 36 zu § 148 StPO [DE]; vgl. auch Beschluss 2 BvR 988/10 des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 2012 E. 2/b/bb). Entsprechend lassen mehrere Kantone bzw. Haftvollzugsanstalten den telefonischen Verkehr zwischen der strafprozessual inhaftierten beschuldigten Person und ihrer Verteidigung grundsätzlich zu (siehe z.B. ausdrücklich Art. 63 Abs. 1 und 2 Règlement du 28.11.2018 sur le statut des personnes détenues placées en établissement de détention avant jugement du Canton de Vaud [RSDAJ; BLV 340.02.5]; § 65 Abs. 4 der Hausordnung für das Kantonalgefängnis Frauenfeld und das regionale Untersuchungsgefängnis Kreuzlingen vom 1.1.2022).
Im Übrigen ist der mit Telefonaten verbundene Aufwand für die Vollzugsbehörden zwingend in Relation zum Aufwand der Vollzugsbehörden zu setzen, der mit Gefängnisbesuchen der Verteidigung – als einzige verbleibende mündliche Kontaktmöglichkeit – verbunden ist (vgl. BOLL, a.a.O., S. 151 f.). Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Erwägungen der Vorinstanz, wonach es sich ihr nicht erschliesse, weshalb „regelmässige wöchentliche Telefonate mit der Verteidigung im konkreten Fall für die Wahrnehmung der in Bezug auf das Strafverfahren bestehenden Interessen des Beschwerdeführers nötig sein sollen“. Ob der durch Art. 235 Abs. 4 StPO garantierte freie Verkehr mit der Verteidigung konkret als notwendig erscheint, liegt im alleinigen Ermessen der inhaftierten Person (und ihrer Verteidigung) und ist – missbräuchliches Verhalten vorbehalten – nicht von den Strafverfolgungsbehörden zu beurteilen (vgl. BERLINGER, a.a.O., N. 53 zu Art. 235 StPO). Dies gilt ungeachtet des Umstands, ob eine Wahlverteidigung oder amtliche Verteidigung vorliegt, wobei Letztere aber naturgemäss nur für den objektiv gerechtfertigten Aufwand entschädigt wird (statt vieler BGE 141 I 124 E. 3.1 mit Hinweisen).» (E.6.3).
«Zusammengefasst erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Abweisung des Gesuchs des Beschwerdeführers um Erteilung einer „Dauertelefonbewilligung“ durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Abweisung der dagegen gerichteten Beschwerde durch die Vorinstanz ist bundesrechtswidrig. Der Beschwerdeführer verfügt gestützt auf Art. 235 Abs. 4 StPO über einen grundsätzlichen Anspruch auf telefonischen Verkehr mit seiner Verteidigung, weshalb sein Antrag auf Erteilung einer „Dauertelefonbewilligung“ mit seiner Verteidigung gutzuheissen ist (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG). Die konkrete Ausgestaltung der Modalitäten des telefonischen Kontakts mit der Verteidigung obliegt den nach Massgabe des kantonalen Rechts zuständigen Vollzugsbehörden (Art. 235 Abs. 5 StPO).» (E.6.4).
Das Bundesgericht heisst im Urteil 7B_1295/2024 vom 19. März 2025 die Beschwerde teilweise gut (E.7).