Amtliche Verteidigung darf von vertretener Person im Prinzip keine zusätzliche Vergütung verlangen 

Im Urteil 2C_340/2023 vom 28. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um eine Vereinbarung von Zusatzhonorar vom Klienten durch einen amtlichen Verteidiger. Wegen Verletzung von Berufsregeln (Art. 12 lit. a BGFA) wurde der Anwalt, nach einer Anzeige u.a. des Obergerichts des Kantons Zürich, dann durch die Aufsichtskommission mit einer Busse sanktioniert, was auch das Verwaltungsgerichts des Kanton Zürich bestätige. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Anwalts ab und äussert sich u.a. wie folgt: «Übernehmen Anwältinnen und Anwälte eine amtliche Verteidigung im Sinn von Art. 132 StPO, erfüllen sie eine staatliche Aufgabe. Mit ihrer Einsetzung entsteht zwischen ihnen und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat die amtliche Verteidigung eine öffentlich-rechtliche Forderung gegen den Staat auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen (BGE 141 I 124 E. 3.1). Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erhalten in ihrer amtlichen Funktion einerseits das tariflich festgelegte Honorar und tragen nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit. Andererseits können sie von der amtlich vertretenen Person im Grundsatz keine weitere Vergütung verlangen […]. Verstösst die amtliche Verteidigung gegen diesen Grundsatz, macht sie sich disziplinarrechtlich verantwortlich […]» (E.6.2). «Der amtlichen Verteidigung ist es im Prinzip untersagt, zusätzliches Honorar von der beschuldigten Person einzufordern, weil sie bereits durch den öffentlich-rechtlichen Anspruch gegenüber dem Staat entschädigt wird (zu den Ausnahmen E. 6.5.4 hiernach). Die Höhe der Entschädigung legt das Strafgericht im Endurteil fest (Art. 135 Abs. 2 StPO); es prüft in diesem Zusammenhang, ob die Aufwendungen der amtlichen Verteidigung notwendig und verhältnismässig waren (NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 3 zu Art. 135 StPO). Die vorliegend strittige Honorarvereinbarung zielt im Ergebnis darauf ab, Art. 135 Abs. 2 StPO zu umgehen, weil auch die vom Strafgericht nicht als notwendig und verhältnismässig erachteten Aufwendungen entschädigt werden sollen, und zwar durch die amtlich vertretene Person. Diese Vereinbarung ist deshalb nicht mit der Pflicht zur sorgfältigen Berufstätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vereinbar.» (E.6.5.3).

 

Sachverhalt

Zwischen Februar 2019 und Ende 2021 vertrat Rechtsanwalt A. im Rahmen eines Strafverfahrens B. als amtlicher Verteidiger. Am 20. Dezember 2020 schloss er mit ihm eine Honorarvereinbarung ab. Demgemäss ist B. verpflichtet, seinem Rechtsvertreter die „Differenz zwischen den durch die Staatskasse gekürzt ausgezahlten Entschädigungen und den notierten Bruttostunden, die für die amtliche Verteidigung zum amtlichen Stundensatz von je CHF 220.– aufgewendet wurden“ zu bezahlen. Gemäss Feststellungen der kantonalen Behörden belief sich dieser Differenzbetrag am Ende des Vertretungsverhältnisses auf rund Fr. 50’000.–.

Instanzenzug

Auf Anzeige von B. sowie des Obergerichts des Kantons Zürich eröffnete die Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich (im Folgenden: Aufsichtskommission) am 2. Dezember 2021 ein Disziplinarverfahren gegen A. Mit Entscheid vom 6. Oktober 2022 sanktionierte sie ihn wegen Verletzung von Berufsregeln (Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA; SR 936.61]) mit einer Busse von Fr. 4’000.–. Die dagegen von A. geführte Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich war erfolglos; dieses bestätigte mit Urteil vom 30. März 2023 den Entscheid der Aufsichtskommission.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. erhob am 12. Juni 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 30. März 2023. Er beantragt dem Bundesgericht die Aufhebung des kantonalen Entscheids sowie die Freistellung von „Sanktionen, Gebühren und Bussen“. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, mit den Auflagen, die Verfahrensmaximen des fairen Verfahrens anzuwenden und Bundesrecht richtig anzuwenden. Prozessual ersucht er um Beizug der verwaltungsgerichtlichen Akten und zweier psychiatrischer Gutachten über B. sowie um unentgeltliche Rechtspflege. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich liess sich am 22. Juni 2023 vernehmen. Das Bundesgericht holte die verwaltungsgerichtlichen Akten ein.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_340/2023 vom 28. März 2024

In der Hauptsache wirft der Beschwerdeführer vor Bundesgericht der Vorinstanz vor, Art. 12 lit. a BGFA falsch angewendet zu haben.

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 2C_340/2023 vom 28. März 2024 zuerst allgemein wie folgt:

«Nach Art. 12 lit. a BGFA haben Anwältinnen und Anwälte „ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft“ auszuüben. Diese Verpflichtung hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst neben der Beziehung zum eigenen Klienten sowohl die Kontakte mit der Gegenpartei als auch jene mit den Behörden (BGE 144 II 473 E. 4.1; Urteil 2C_507/2019 vom 14. November 2019 E. 5.1.1 mit Hinweisen).» (E.6.1).

«Übernehmen Anwältinnen und Anwälte eine amtliche Verteidigung im Sinn von Art. 132 StPO, erfüllen sie eine staatliche Aufgabe. Mit ihrer Einsetzung entsteht zwischen ihnen und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat die amtliche Verteidigung eine öffentlich-rechtliche Forderung gegen den Staat auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen (BGE 141 I 124 E. 3.1). Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erhalten in ihrer amtlichen Funktion einerseits das tariflich festgelegte Honorar und tragen nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit. Andererseits können sie von der amtlich vertretenen Person im Grundsatz keine weitere Vergütung verlangen (BGE 139 IV 261 E. 2.2.1; zu den Ausnahmen E. 6.5.4 hiernach; vgl. auch [für die unentgeltliche Rechtspflege] BGE 122 I 322 E. 3b; 108 Ia 11 E. 1). Verstösst die amtliche Verteidigung gegen diesen Grundsatz, macht sie sich disziplinarrechtlich verantwortlich (BGE 122 I 322 E. 3b; Urteil 2C_250/2021 vom 3. November 2021 E. 4.3).» (E.6.2).

Fallbezogen äusserte sich das Bundesgericht im Urteil 2C_340/2023 vom 28. März 2024 dann wie folgt:

«Die Vorinstanz kam zum Ergebnis, die Honorarvereinbarung vom 20. Dezember 2020 könne nach ihrem Wortlaut und dem Zusammenhang sowie den gesamten Umständen nach Treu und Glauben nicht anders ausgelegt werden, als dass damit jener Aufwand des Beschwerdeführers erfasst und abgegolten werden solle, der im Rahmen der amtlichen Verteidigung angefallen, aber – aufgrund einer Kürzung durch die Verfahrensleitung – nicht staatlich abgegolten werde. Es sei daher davon auszugehen, der Beschwerdeführer habe sich privates Honorar für die Aufwendungen als amtlicher Verteidiger versprechen lassen. Gestützt auf die dargelegte Rechtsprechung (E. 6.2 hiervor) schloss die Vorinstanz auf eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA.» (E.6.3).

«Demnach ist mit der Vorinstanz die Vereinbarung vom 20. Dezember 2020 so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer für Verrichtungen als amtlicher Verteidiger zusätzlich zur staatlichen Entschädigung hätte vergütet werden sollen.» (E.6.4.3).

«Der Beschwerdeführer stellt sich weiter auf den Standpunkt, es fehle die gesetzliche Grundlage für eine disziplinarrechtliche Sanktion. Der amtlichen Verteidigung sei nicht verboten, eine Honorarvereinbarung abzuschliessen, und die Vorinstanz stütze sich im angefochtenen Entscheid ausnahmslos auf veraltete Rechtsprechung des Bundesgerichts, die vor Inkrafttreten der StPO ergangen sei. In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer auf Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO in der bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung. Damit rügt er sinngemäss eine Verletzung des Legalitätsprinzips.» (E.6.5).

«Das in Art. 5 Abs. 1 BV verankerte Legalitätsprinzip verlangt, dass sich sämtliches staatliches Handeln auf eine rechtliche Grundlage zurückführen lässt. Zwar ist das Legalitätsprinzip (ausser im Strafrecht und im Abgaberecht) kein selbständiges verfassungsmässiges Recht, sondern ein Verfassungsprinzip. Es kann aber – als Bundesrecht im Sinn von Art. 95 lit. a BGG – mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten direkt und unabhängig von anderen Grundrechten angerufen werden (BGE 146 II 56 E. 6.2.1; vgl. in Bezug auf das Verhältnismässigkeitsprinzip 141 I 1 E. 5.3.2).» (E.6.5.1).

«Rechtsgrundlage der umstrittenen Sanktion ist Art. 12 lit. a BGFA (i.V.m. Art. 17 BGFA). Zwar enthält diese Bestimmung eine Generalklausel („sorgfältig und gewissenhaft“). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verstossen gesetzliche Generalklauseln aber nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, selbst wenn sie für die Normadressaten belastende Rechtsfolgen vorsehen, sofern sich mit den üblichen Auslegungsmethoden die Tragweite und der Anwendungsbereich der Rechtsnorm zuverlässig ermitteln lässt (BGE 148 IV 298 E. 7.2; vgl. 141 IV 279 E. 1.3.3; 138 IV 13 E. 4.1). Diesen rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Normbestimmtheit genügt Art. 12 lit. a BGFA. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlieh der Generalklausel die Konturen und konkretisierte die Anforderungen an eine sorgfältige und gewissenhafte Tätigkeit (vgl. MICHEL VALTICOS, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, 2. Aufl. 2022, N. 6 zu Art. 12 BGFA). Soweit der Beschwerdeführer zumindest sinngemäss die Rechtsgrundlage des vorinstanzlichen Entscheids in Zweifel zieht, ist seine Argumentation vor diesem Hintergrund offensichtlich unbegründet.» (E.6.5.2).

«Der Beschwerdeführer verkennt sodann mit seiner Kritik die dargelegte Rechtsprechung (E. 6.2 hiervor). Der amtlichen Verteidigung ist es im Prinzip untersagt, zusätzliches Honorar von der beschuldigten Person einzufordern, weil sie bereits durch den öffentlich-rechtlichen Anspruch gegenüber dem Staat entschädigt wird (zu den Ausnahmen E. 6.5.4 hiernach). Die Höhe der Entschädigung legt das Strafgericht im Endurteil fest (Art. 135 Abs. 2 StPO); es prüft in diesem Zusammenhang, ob die Aufwendungen der amtlichen Verteidigung notwendig und verhältnismässig waren (NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 3 zu Art. 135 StPO). Die vorliegend strittige Honorarvereinbarung zielt im Ergebnis darauf ab, Art. 135 Abs. 2 StPO zu umgehen, weil auch die vom Strafgericht nicht als notwendig und verhältnismässig erachteten Aufwendungen entschädigt werden sollen, und zwar durch die amtlich vertretene Person. Diese Vereinbarung ist deshalb nicht mit der Pflicht zur sorgfältigen Berufstätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vereinbar.» (E.6.5.3).

Schliesslich führt der Hinweis des Beschwerdeführers auf Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO nicht weiter. Diese Bestimmung hatte in der bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:  „Wird die beschuldigte Person zu den Verfahrenskosten verurteilt, so ist sie, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, verpflichtet: a. (…) b. der Verteidigung die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten.“ Im Rahmen der jüngsten StPO-Revision wurde Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO per 1. Januar 2024 aufgehoben (AS 2023 468 ff.). Der Bundesrat führte dazu in der Botschaft zur Änderung der Strafprozessordnung vom 28. August 2019 aus, was folgt (BBl 2019 6697 ff., 6734) :“Diese Regelung basiert auf der Vorstellung, dass das Honorar der amtlichen Verteidigung immer als Bruchteil jenes Honorars festgelegt wird, das einer privaten Verteidigung im Falle eines Freispruchs zugesprochen würde. Das trifft jedoch nicht in allen Kantonen zu. Da die Statuierung des Anwaltstarifs den Kantonen obliegt (vgl. Abs. 1), können diese auch festlegen, dass die amtliche Verteidigung beispielsweise nach einem festen Stundenansatz oder unabhängig vom Verfahrensausgang entschädigt wird. In diesen Fällen lässt sich die Differenz zum vollen Honorar kaum bestimmen und Absatz 4 Buchstabe b erweist sich als nicht anwendbar. Zudem erscheint die Tatsache, dass die amtliche Verteidigung bei der beschuldigten Person unter bestimmten Voraussetzungen einen Anteil des Honorars einfordern kann, auch aus einem anderen Grund als ungereimt: Die amtliche Verteidigung begründet ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Verteidigung und Staat, der sie einsetzt. Deshalb soll Buchstabe b von Absatz 4 aufgehoben werden.“ Als der Beschwerdeführer die umstrittene Honorarvereinbarung abschloss, war Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO in Kraft. Mangels einer speziellen Übergangsregelung ist sein Verhalten nach allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen aufgrund der im Zeitpunkt der Sachverhaltsverwirklichung geltenden Rechtssätze zu beurteilen (BGE 148 V 162 E. 3.2.1), hier also nach Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO. Aus dem Wortlaut, der zitierten Botschaft sowie aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 139 IV 261 E. 2.2.1) wird deutlich, dass sich Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO auf den Anwaltstarif bezog und unter bestimmten Voraussetzungen ein direktes Forderungsrecht für die Differenz zwischen dem Stundenansatz der amtlichen Verteidigung und dem Tarif gemäss kantonalem Recht vorsah. Die Honorarvereinbarung vom 20. Dezember 2020 betrifft jedoch nicht den anwendbaren Tarif, sondern den durch das Strafgericht gekürzten Aufwand. Sie fällt daher von vornherein nicht unter Art. 135 Abs. 4 lit. b aStPO. Der Regelungsgehalt dieser Bestimmung ist zudem auch nicht per Analogie auf die umstrittene Honorarvereinbarung übertragbar. Wie bereits dargelegt, läuft diese auf eine Umgehung von Art. 135 Abs. 2 StPO hinaus.“ (E.6.5.4).

Der Beschwerdeführer wendet sich schliesslich gegen die ausgesprochene Sanktion, bemerkt das Bundesgericht (E.7).

Das Bundesgericht wies im Urteil 2C_340/2023 vom 28. März 2024 die Beschwerde auch bezüglich der übrigen Rügen ab.

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