Rückfallprognose und Verhältnismässigkeit bei stationären therapeutischen Massnahmen

Im Urteil 7B_408/2025 vom 4. September 2025 aus dem Kanton Basel-Stadt befasste sich das Bundesgericht mit dem Massnahmenrecht. Genauer ging es um das Rückfallrisiko (E.2.3) sowie dem Verhältnismässigkeitsprinzip bei stationären therapeutischen Massnahmen (E.2.4). Nach zahlreichen generell-abstrakten Ausführungen hiess das Bundesgericht die Beschwerde wie folgt gut: «Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese sich nochmals zur Rückfallprognose und zur Verhältnismässigkeit einer stationären therapeutischen Massnahme äussert.» (E.3).

Sachverhalt und Instanzenzug

Das Strafgericht Basel-Stadt erklärte A. mit Urteil vom 16. September 2015 der Vergewaltigung, der sexuellen Handlungen mit Kindern, der sexuellen Nötigung, des Inzests sowie der Pornografie (alles mehrfach begangen) schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe aufgeschoben und eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB angeordnet wurde. Am 31. August 2020 verlängerte das Strafgericht die Massnahme um weitere drei Jahre.

Mit Urteil des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland vom 3. Februar 2022 wurde A. wegen Besitzes von verbotener Pornografie zu 25 Tagen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zugunsten der stationären therapeutischen Massnahme aufgeschoben.

Nachdem A. im Laufe des Massnahmenvollzugs Lockerungen bis hin zum Wohn- und Arbeitsexternat gewährt werden konnten, wurde dieses am 16. März 2023 vom Massnahmenzentrum U. wegen verschiedenen Verstössen gegen Auflagen abgebrochen. Mit Verfügung des Amtes für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt, Straf- und Massnahmenvollzug, vom 19. Mai 2023 wurden die bisherigen Vollzugsöffnungen widerrufen und A. wurde in den geschlossenen Massnahmenvollzug in die JVA V. zurückversetzt. Am 1. Juni 2023 erstatte das Amt für Justizvollzug darüber hinaus Strafanzeige gegen A. wegen Besitzes und/oder Konsums von pornografischen Erzeugnissen, die Minderjährige zeigen (Art. 197 Abs. 4 und 5 StGB).

Mit Verfügung vom 16. August 2023 hob das Amt für Justizvollzug die stationäre therapeutische Massnahme wegen Aussichtslosigkeit auf. Nachdem es im Anschluss beim Strafgericht des Kantons Basel-Stadt zunächst die Verwahrung von A. beantragt hatte, stellte es anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung Antrag auf erneute Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme von drei Jahren. Mit Urteil vom 17. April 2024 ordnete das Strafgericht antragsgemäss eine solche Massnahme an.

Auf Berufung von A. hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 17. Januar 2025 die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme bis am 17. April 2027. Zu diesem Zeitpunkt befand sich A. im vorzeitigen Massnahmenvollzug.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben. Unter Zusprechung einer angemessenen Entschädigung für den unrechtmässigen Freiheitsentzug sei von der Anordnung einer stationären Massnahme abzusehen. Er sei aus dem vorzeitigen Massnahmenvollzug zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Während das Amt für Justizvollzug ausdrücklich auf eine Vernehmlassung verzichtet, liessen sich die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz innert Frist nicht vernehmen.

In Umsetzung einer Entscheidung der Verwaltungskommission des Bundesgerichts vom 15. November 2024, die sich auf Art. 12 Abs. 1 lit. c des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (BGerR; SR 173.110.131) stützt, wird die vorliegende Beschwerde betreffend einen selbstständigen nachträglichen Entscheid im Sinne von Art. 363 ff. StPO durch die II. strafrechtliche Abteilung behandelt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_408/2025 vom 4. September 2025  

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_408/2025 vom 4. September 2025 zunächst wie folgt:

«Gemäss Art. 56 Abs. 1 StGB ist eine Massnahme anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen (lit. a), ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert (lit. b) und die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind (lit. c). Eine stationäre therapeutische Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen ist nach Art. 59 Abs. 1 StGB anzuordnen, wenn der Täter psychisch schwer gestört ist, er ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht (lit. a), und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen (lit. b). Darüber hinaus muss die stationäre therapeutische Massnahme verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV, Art. 56 Abs. 2 StGB).» (E.2.2.1).

«Das Gericht stützt sich bei seinem Entscheid über die Anordnung einer Massnahme auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters, die Art und Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten und die Möglichkeit des Vollzugs der Massnahme (Art. 56 Abs. 3 StGB). Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen und Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen. Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben (BGE 150 IV 1 E. 2.3.3; 146 IV 114 E. 2.1; 141 IV 369 E. 6.1; je mit Hinweisen).» (E.2.2.2).

«Der Entscheid über die adäquate Massnahme stellt eine Rechtsfrage dar. Bei der Beurteilung der für diese Rechtsfrage massgebenden Sachumstände wie der Legalprognose und der Frage des therapeutischen Nutzens einer Massnahme handelt es sich hingegen um Tatfragen, welche das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür überprüft (BGE 150 IV 1 E. 2.3.2; zum Begriff der Willkür: BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen).» (E.2.2.3).

«Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, siehe auch Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 107 StPO) verpflichtet das Gericht, seine Entscheide ausreichend und nachvollziehbar zu begründen (BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen). Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des angefochtenen Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (BGE 150 III 1 E. 4.5; 143 III 65 E. 5.2; je mit Hinweisen). Dabei wird nicht verlangt, dass sich das Gericht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann es sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 150 III 1 E. 4.5; 147 IV 409 E. 5.3.4; 146 IV 297 E. 2.2.7; je mit Hinweisen). Der Umfang der Begründungspflicht richtet sich auch nach dem Gewicht und der Bedeutung des betroffenen Streitpunkts (BGE 111 Ia E. 4b; Urteil 6B_149/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 2.5).» (E.2.2.4).

Zum relevanten Rückfallrisiko

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_408/2025 vom 4. September 2025 wie folgt zum relevanten Rückfallrisiko (E.2.3):

«Der Zweck einer stationären therapeutischen Massnahme liegt in der Verhinderung von weiteren Straftaten zum Schutz der Allgemeinheit (BGE 142 IV 105 E. 5.4; 141 IV 236 E. 3.8; Urteil 6B_354/2022 vom 24. August 2022 E. 3.2; je mit Hinweisen). Eine therapeutische Massnahme setzt demnach ein Rückfallrisiko voraus (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. a StGB). Die Bedeutung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung künftiger Straftaten ist danach zu beurteilen, ob der Täter weitere Straftaten begehen wird und wie schwer diese wiegen. Die bereits begangenen Straftaten sind ein Element dieser Prognose. Ausserdem sind die Wahrscheinlichkeit und die Schwere der künftig zu erwartenden Straftaten keine voneinander unabhängige Kriterien. Je höherwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind, desto geringer muss das Rückfallrisiko sein. Bei der Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter wie Leib und Leben sind an die Nähe und das Ausmass der Gefahr weniger hohe Anforderungen zu stellen als bei der Gefährdung weniger bedeutender Rechtsgüter wie Eigentum und Vermögen (Urteil 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 E. 6.3 mit Hinweisen).  

Es muss die Befürchtung nicht unerheblicher künftiger Straftaten im Raum stehen, das heisst es muss mit Schädigungen von einer gewissen Tragweite gerechnet werden bzw. mit strafbaren Handlungen, die den Rechtsfrieden ernsthaft zu stören geeignet sind. Eine stationäre Massnahme sollte nicht in Betracht kommen, wenn von einem Täter lediglich Übertretungen oder andere Delikte geringen Gewichts zu erwarten sind (Urteile 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 E. 5.2; 6B_321/2021 vom 27. Juli 2022 E. 3.3.2; je mit Hinweisen). Auch im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit ist die Gefährlichkeit eine relative Komponente: Je einschneidender eine Massnahme für den Betroffenen ist, desto höher muss dessen Sozialgefährlichkeit sein (TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Praxiskommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2021, N. 7 zu Art. 59 StGB; HEER/HABERMEYER, in: Basler Kommentar Strafrecht, 4. Aufl. 2019, N. 51 zu Art. 59 StGB).» (E.2.3.1).

«Grundlage für die prognostischen Ausführungen der Vorinstanz ist das forensisch-psychiatrische Verlaufsgutachten von Dr. med. B. vom 5. April 2024. Der Gutachter gelangt anhand einer Kombination der Prognosewerkzeuge STATIC-99R und STABLE-2007 zur Einschätzung, dass ein unterdurchschnittliches Rückfallrisiko für erneute Se xualdelikte und ein moderater Behandlungsbedarf bestehe. Wenn, dann wären am ehesten erneute Delikte bezüglich illegaler Pornografie (Besitz, Konsum und gegebenenfalls Verbreitung von Kinderpornografie) zu erwarten; weniger wahrscheinlich, aber denkbar wären auch erneute Hands-on-Sexualdelikte auf präpubertäre oder pubertierende Mädchen. Demnach sei, so die Vorinstanz, nicht von einer ernsthaften Gefahr auszugehen, dass der Beschwerdeführer erneut ein gravierendes Sexualdelikt in der Art der Anlasstaten begehen würde. Der Gutachter nehme jedoch eine Unterscheidung in zeitlicher Hinsicht vor: So wären kurzfristig (binnen Tagen bis Wochen nach einer etwaigen Freilassung auf Bewährung) keine erneuten Delikte zu erwarten, mittelfristig (z.B. binnen eines Jahres) am ehesten ein erneutes Pornografie-Delikt und allenfalls langfristig (binnen einem bis mehreren Jahren) nach entsprechender Anbahnung eines engeren Kontaktes zu einem minderjährigen Mädchen, gegebenenfalls erneut ein Hands-on-Delikt. Die Vorinstanz bejaht in der Folge „weiterhin eine massnahmenbedürftige Gefährlichkeit“. Im Rahmen ihrer Verhältnismässigkeitsprüfung hält sie zudem fest, dass in Bezug auf Hands-off-Delikte die relevanten Risiken auf jeden Fall bejaht werden müssten.» (E.2.3.2).

«Die Ausführungen der Vorinstanz weisen insofern Unzulänglichkeiten auf, als nicht restlos klar wird, ob sie sich integral der Einschätzung des Gutachters anschliesst oder ob sie das Rückfallrisiko letztlich höher einstuft. Der Gutachter geht in seinem Gutachten wie erwähnt von einem unterdurchschnittlichen, niedrigen Risiko für erneute Sexualdelikte aus. Dies bestätigte er auch anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung. Im Rahmen dieses insgesamt niedrigen Risikos ist jenes für erneute Pornografiedelikte laut dem Gutachter höher; weniger wahrscheinlich, aber langfristig – nach Anbahnung eines engeren Kontakts zu einem Mädchen – denkbar sind erneute sexuelle Handlungen mit Kindern (vgl. Gutachten von Dr. med. B. vom 5. April 2024, S. 114 f. und Verhandlungsprotokoll vom 16.-17. April 2024, S. 19). Die Vorinstanz scheint zwar grundsätzlich dem Gutachter zu folgen, sie definiert aber nirgends, in Bezug auf welche Delikte sie konkret von welchem Risiko ausgeht. Stattdessen erwägt sie gegen Ende ihrer Ausführungen zur Legalprognose, dass das grundsätzlich unterdurchschnittliche Rückfallrisiko im Zusammenhang mit Hands-off-Delikten „gutachterlich stark relativiert“ werde. Hinzu komme, dass das Gutachten die Risiken vor den Hintergrund entsprechender „Kontroll- und Betreuungsmassnahmen“ nach einer etwaigen Freilassung auf Bewährung stelle, woraus geschlossen werden müsse, dass sich die Rückfallwahrscheinlichkeit ohne entsprechende Massnahmen nochmals vergrössern würde. Damit erweckt die Vorinstanz zumindest den Anschein, als ob sie bezüglich Pornografie von einem mehr als niedrigen Rückfallrisiko ausgehen würde. Eine klare Feststellung trifft sie jedoch nicht. Ausserdem erläutert sie nicht, woraus sie auf eine starke Relativierung des unterdurchschnittlichen Rückfallrisikos hinsichtlich Pornografie durch den Gutachter schliesst. Sollte die Vorinstanz das Risiko tatsächlich höher einstufen als der Gutachter, hätte sie ihre Einschätzung näher zu begründen. Diesbezüglich verweist die Vorinstanz im Rahmen ihrer Prognosebeurteilung zum einen auf die psychische Störung, das heisst die Pädophilie, die sich gemäss dem Gutachter im stationären Rahmen zwar entaktualisiert habe, aber in einer entsprechenden Belastungssituation wieder aufkommen könne. Zum anderen beruft sie sich auf die Intransparenz des Beschwerdeführers in Bezug auf seine elektronischen Geräte und Speichermedien (insbesondere Besitz unerlaubter Geräte und Unklarheiten bezüglich der Nutzung von Verschlüsselungssoftware und Bereinigungsprogrammen) sowie die damit einhergehenden Verstösse gegen die Vereinbarungen mit dem Massnahmenzentrum U. Der Beschwerdeführer wendet zu Recht ein, dass diese Verfehlungen, genauso wie die diagnostischen Überlegungen, bereits in das Gutachten eingeflossen sind. Gleiches gilt für den Umstand, dass auf den Geräten des Beschwerdeführers drei Bilder mit präferenzindizierendem Inhalt gefunden worden waren. Zwar steht es der Vorinstanz nach Art. 10 Abs. 2 StPO frei, diesem fragwürdigen Verhalten grösseres Gewicht beizumessen und daraus eine höhere Gefährlichkeit abzuleiten, als der Gutachter es tut. Ein solcher Befund wäre aber einlässlich zu begründen. Eine entsprechende Begründung findet sich im angefochtenen Urteil nicht. Hinzu kommt, wie vom Beschwerdeführer ebenfalls berechtigterweise gerügt, dass sich die Vorinstanz nicht eindeutig dazu äussert, ob sie nur in Bezug auf erneute Hands-off-Delikte oder auch in Bezug auf Sexualdelikte, die effektive sexuelle Handlungen mit Kindern beinhalten, von einem massnahmenrelevanten Rückfallrisiko ausgeht. Insgesamt lassen die vorinstanzlichen Erwägungen zur Legalprognose einen beträchtlichen Raum für Interpretationen offen. Dies erschwert namentlich die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der erneuten Massnahmenanordnung und ist mit dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht vereinbar.» (E.2.3.3).

Zum Verhältnismässigkeitsprinzip bei der stationären Massnahme

Zum Verhältnismässigkeitsprinzip bei stationären Massnahmen führte das Bundesgericht im Urteil 7B_408/2025 vom 4. September 2025 Folgendes aus (E.2.4):

«Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass die Massnahme geeignet ist, bei der betroffenen Person die Legalprognose zu verbessern (vgl. BGE 141 IV 236 E. 3.7; 137 IV 201 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Anordnung einer stationären Massnahme setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür voraus, dass sich durch eine solche Massnahme über die Dauer von fünf Jahren (vgl. Art. 59 Abs. 4 StGB) die Gefahr weiterer mit der psychischen Störung in Zusammenhang stehender Straftaten deutlich verringern und eine tatsächliche Reduktion des Rückfallrisikos erreichen lässt (BGE 134 IV 315 E. 3.4.1; Urteile 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 E. 5.2; 6B_1353/2023 vom 6. November 2024 E. 10.2.1; je mit Hinweisen). Dies bedeutet, dass der Täter überhaupt behandlungsfähig sein muss. Gemeint ist damit eine therapeutische dynamische Einflussnahme, die zu einer Verbesserung der Legalprognose führt. Eine Massnahme kann deshalb nur in Betracht gezogen werden, wenn sich davon eine therapeutische Wirkung in diesem Sinne erwarten lässt (vgl. Urteil 6B_376/2024 vom 5. Juni 2024 E. 2.2.1 mit Hinweisen). Weiter muss die Massnahme notwendig sein. Sie hat zu unterbleiben, wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde. Dieses Kriterium trägt dem Aspekt des Verhältnisses zwischen Strafe und Massnahme und der Subsidiarität von Massnahmen Rechnung (Urteile 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 E. 5.2; 6B_376/2024 vom 5. Juni 2024 E. 2.2.2; je mit Hinweisen). 

Schliesslich muss zwischen dem Eingriff und dem angestrebten Zweck eine vernünftige Relation bestehen (Verhältnismässigkeit im engen Sinn). Das bedeutet, dass die betroffenen Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Bei einer Prüfung des Zweck-Mittel-Verhältnisses fallen im Rahmen der Gesamtwürdigung auf der einen Seite insbesondere die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte der betroffenen Person in Betracht. Auf der anderen Seite sind das Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten relevant (vgl. BGE 142 IV 105 E. 5.4; 137 IV 201 E. 1.2; Urteile 6B_576/2024 vom 11. Dezember 2024 E. 5.2; 6B_376/2024 vom 5. Juni 2024 E. 2.2.2; je mit Hinweisen). Die Dauer der stationären Massnahme hängt von deren Auswirkungen auf die Gefahr weiterer Straftaten ab, wobei die Freiheit dem Betroffenen nur so lange entzogen werden kann, als die von ihm ausgehende Gefahr dies zu rechtfertigen vermag. Die Massnahme dauert aber grundsätzlich so lange, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist (BGE 145 IV 65 E. 2.3.3; 142 IV 105 E. 5.4; je mit Hinweisen). Je länger der Freiheitsentzug gedauert hat, umso strengere Anforderungen sind an die Art und Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten zu stellen (BGE 136 IV 156 E. 3.2; Urteil 6B_286/2024 vom 7. August 2024 E. 1.4.4; je mit Hinweisen).» (E.2.4.1).

«Dr. med. B. empfiehlt, die Unklarheiten und offenen Fragen rund um die Vorfälle mit den elektronischen Geräten des Beschwerdeführers therapeutisch zu bearbeiten. Nach ihm sollte zudem ein adäquates Risikomanagement eingeübt und eine realistische Einschätzung und Planung bezüglich der Zukunftsperspektiven erarbeitet werden. Dabei sei insbesondere auf die beruflichen, gesundheitlichen und sexuellen Perspektiven und Einschränkungen zu fokussieren, um die Wahrscheinlichkeit etwaiger überhöhter Erwartungen, Überforderungen und Enttäuschungen und daraus möglicherweise resultierenden dysfunktionalen Bewältigungsversuchen zu reduzieren. Für die weitere Behandlung im stationären Rahmen sei ein Zeitraum von neun bis zwölf Monaten zu veranschlagen, bevor anschliessend möglichst rasch eine erneute Erprobung in einem ambulanten Setting mit schrittweisen Öffnungen durchgeführt werde (Gutachten S. 116 ff.).» (E.2.4.2).

«Dem angefochtenen Urteil ist dazu zu entnehmen, dass das Rückfallrisiko für erneute Sexualdelikte gemäss gutachterlicher Einschätzung durch die Wiederaufnahme einer sozio- und psychotherapeutischen Behandlung weiter eingeschränkt und kontrolliert werden könne. Anschliessend erläutert die Vorinstanz, welche weiteren Behandlungsschritte und -themen aus Sicht des Gutachters sinnvoll und erfolgsversprechend wären. Der Beschwerdeführer sei bezüglich einer weiteren Behandlung auch motiviert und auf jeden Fall therapiefähig. Das Ziel einer erfolgreichen Massnahme, die Verbesserung der Legalprognose, könne demnach weiterhin erreicht werden.» (E.2.4.3).

«Diesen Ausführungen kann insofern gefolgt werden, als der Gutachter davon ausgeht, eine befristete Wiederaufnahme der stationären therapeutischen Behandlung sei „sinnvoll, verantwortbar und mit Aussicht auf Erfolg, das relativ geringe Restrisiko weiter zu senken“ (Gutachten S. 116). Vom Beschwerdeführer wird indes zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gutachter vor der Erstinstanz auch präzisierte, dass sich empirisch nicht mehr nachweisen lasse, wie viel weiter das „kleine Restrisiko“ noch gesenkt werden könne (Verhandlungsprotokoll S. 21). Eine Massnahme nach Art. 59 StGB ist aber nur zulässig, wenn sich durch die therapeutische Einflussnahme voraussichtlich eine deutliche Verringerung des Rückfallrisikos erreichen lässt. Ob dies vorliegend der Fall ist, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Es fehlt somit an einer hinreichenden Begründung der Eignung einer stationären therapeutischen Massnahme aus rechtlicher Sicht.» (E.2.4.4).

«Ähnliches zeigt sich bei der Beurteilung der Erforderlichkeit. Die Vorinstanz beruft sich in diesem Zusammenhang darauf, dass nach Ansicht von Dr. med. B. im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung im April 2024 eine ambulante Massnahme nicht in Frage gekommen sei und er die klare Empfehlung einer stationären Massnahme ausgesprochen habe. Dies mag zwar zutreffen. Wie vorstehend ausgeführt, empfahl der Gutachter aber auch „möglichst rasch“, nach ca. neun bis zwölf Monaten, die erneute Erprobung in einem ambulanten Setting. Wie von der Vorinstanz richtig festgehalten, war das Ende der ersten, vom Gutachter empfohlenen stationären Phase im Zeitpunkt ihres Entscheids im Januar 2025 schon fast erreicht. Es stellt sich also die Frage, weshalb trotz baldigem Ablauf dieser ersten Phase eine Fortführung der stationären Massnahme um insgesamt drei Jahre notwendig sein soll. Die Vorinstanz führt diesbezüglich einzig aus, es sei davon auszugehen, dass es sich beim ambulanten Setting, welches der Gutachter für die zweite Phase beschreibe, nicht um eine ambulante Massnahme handle, sondern um eine Versetzung in den offenen Massnahmenvollzug. Diese Anmerkung genügt zur Begründung, weshalb eine mildere Massnahme wie eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB nicht gleich geeignet sein soll, das angestrebte Ziel zu erreichen, nicht. Eine hinreichende Begründung hätte im vorliegenden Fall insbesondere verlangt, dass die Vorinstanz an dieser Stelle nochmals Bezug nimmt zum umstrittenen Rückfallrisiko und darlegt, weshalb eine stationäre Massnahme zur massnahmerelevanten Senkung dieses Risikos notwendig ist. Eine derartige Auseinandersetzung lässt das angefochtene Urteil vermissen.» (E.2.4.5).

«Nach dem Gesagten kommt die Vorinstanz bei der Verhältnismässigskeitsprüfung ihrer richterlichen Begründungspflicht nicht hinlänglich nach. Es kann offenbleiben, ob sich eine erneute Massnahmenanordnung aus zeitlicher Hinsicht als unverhältnismässig und als unzumutbar erweist, wie der Beschwerdeführer geltend macht.» (E.2.4.6).

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde wie folgt gut: «Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese sich nochmals zur Rückfallprognose und zur Verhältnismässigkeit einer stationären therapeutischen Massnahme äussert.» (E.3).

 

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