Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Baden führt ein Strafverfahren gegen A. wegen sexueller Handlung mit einem Kind. Sie wirft ihm vor, er habe als Klassenlehrer nach einer Schulstunde einen Schüler auf den Schoss genommen, in die Hose des Schülers gefasst und den Penis des Schülers berührt. Es soll das erste Mal gewesen sein, dass A. dem betroffenen Schüler in die Hose gefasst habe; er soll aber immer wieder Schüler auf den Schoss nehmen und mit ihnen „umegusle“. Die Kantonspolizei Aargau führte am 26. April 2024 eine Hausdurchsuchung am Wohnort von A. durch und stellte dabei ein Mobiltelefon „iPhone 11“ sowie zwei Computer „Macbook Air“ sicher. A. verlangte gleichentags deren Siegelung und hielt mit Schreiben vom 2. Mai 2024 an der Siegelung fest.
Instanzenzug
Am 15. Mai 2024 ersuchte die Staatsanwaltschaft das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau um Entsiegelung und Durchsuchung der drei sichergestellten Geräte. Das Zwangsmassnahmengericht wies das Entsiegelungsbegehren der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 5. Juni 2024 ab und ordnete an, A. sei nach Rechtskraft berechtigt, die sichergestellten Geräte unter Voranmeldung beim Zwangsmassnahmengericht abzuholen oder abholen zu lassen.
Weiterzug ans Bundesgericht
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt mit Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht, die Verfügung vom 5. Juni 2024 sei aufzuheben und die Sache zur Entsiegelung der am 26. April 2024 versiegelten EDV-Gerätschaften (Mobiltelefon „iPhone 11“, „Macbook Air Model A 2337, 2022/09“ und „Macbook Air Model A 2337, 2022/34“) „sowie zum Entscheid über unter das Beweisverwertungsverbot unterliegende Dateien“ an das Zwangsmassnahmengericht zurückzuweisen. Das Zwangsmassnahmengericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. A. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_741/2024 vom 22. August 2025
Das Bundesgericht äusserte sich zuerst im Urteil 7B_741/2024 vom 22. August 2025 allgemein wie folgt:
«Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen dürfen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen (Art. 246 StPO). Darunter fallen insbesondere Gegenstände einer beschuldigten Person oder einer Drittperson, die voraussichtlich als Beweismittel gebraucht werden (vgl. Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO). Nach Art. 264 StPO dürfen jedoch gewisse Gegenstände und Aufzeichnungen – ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden und des Zeitpunktes, in welchen sie geschaffen worden sind – nicht beschlagnahmt werden. Macht die Inhaberin oder der Inhaber von sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen geltend, bestimmte Aufzeichnungen oder Gegenstände dürften aufgrund von Art. 264 StPO nicht beschlagnahmt werden, so versiegelt die Strafbehörde diese. Die Inhaberin oder der Inhaber hat das Siegelungsbegehren innert drei Tagen seit der Sicherstellung vorzubringen. Während dieser Frist und nach einer allfälligen Siegelung darf die Strafbehörde die Aufzeichnungen und Gegenstände weder einsehen noch verwenden (Art. 248 Abs. 1 StPO). Die zuständige Strafbehörde kann innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch stellen. Andernfalls werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der Inhaberin oder dem Inhaber zurückgegeben (vgl. Art. 248 Abs. 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft hat das Entsiegelungsgesuch zu begründen (Urteil 1B_395/2022 vom 23. Juni 2023 E. 2; 1B_336/2018 vom 8. November 2018 E. 4.2; je mit Hinweisen). Wird die Entsiegelung beantragt, prüft das zuständige Gericht, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen (BGE 144 IV 74 E. 2.2; 141 IV 77 E. 4.1).» (E.2).
Die Stellungnahmen der Vorinstanz und der Beschwerdeführerin (Oberstaatsanwaltschaft) fasst das Bundesgericht im Urteil 7B_741/2024 vom 22. August 2025 wie folgt zusammen:
«Die Vorinstanz erwägt im angefochtenen Entscheid, es bestünden keine Hinweise dafür, dass sich auf den gesiegelten Geräten Beweise für die dem Beschwerdegegner vorgeworfene Straftat befinden könnten. So werde weder geltend gemacht, dass vom fraglichen Vorfall Videos oder Fotos aufgenommen worden seien, noch, dass in diesem Zusammenhang Nachrichten ausgetauscht worden seien. Es seien auch keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, wonach sich der Beschwerdegegner weiterer Delikte, insbesondere der Pornografie nach Art. 197 StGB, schuldig gemacht haben könnte. Alleine der Umstand, dass er sich einer sexuellen Handlung mit einem Kind schuldig gemacht haben könnte, lasse ohne zusätzliche Anhaltspunkte nicht darauf schliessen, dass er auch weitere Delikte ähnlicher Art (etwa Besitz von Kinderpornografie) verübt habe. Es bestehe somit kein hinreichender Deliktskonnex zu den gesiegelten Geräten.» (E.3.1).
«Die Oberstaatsanwaltschaft rügt sinngemäss eine Verletzung von Art. 246 StPO sowie eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips. Sie macht geltend, die Mutter des mutmasslichen Opfers habe ausgesagt, der Beschwerdegegner habe (offenbar mehreren) Eltern „als Versteckungsmasche“ Nachrichten gesendet betreffend den Vorwurf, er ziehe Schüler auf seinen Schoss. Er habe den Eltern in diesen Nachrichten mitgeteilt, diese Handlungen seien von den Schülern ausgegangen. Derartige elektronische Korrespondenz sei „klar deliktsrelevant“. Weiter bringt sie vor, in Anbetracht der dem Beschwerdegegner vorgeworfenen sexuellen Handlung mit einem Kind sei von einem unmittelbaren Bezug beziehungsweise einer potenziellen Untersuchungsrelevanz der gesiegelten elektronischen Geräte auszugehen, denn es dürfe als notorisch gelten, dass pädophile Straftäter dazu neigten, Kinder zu fotografieren oder von solchen Videos zu erstellen oder kinderpornografische Dateien zu „erstellen“, zu speichern oder auszutauschen. Derartige Daten gäben denn auch Aufschluss darüber, ob der Beschwerdegegner an einer pädosexuellen Störung leide, was für die Bemessung einer Strafe und insbesondere zur allfälligen Anordnung von Massnahmen von grosser Relevanz sei.» (E.3.2).
Das Bundesgericht äussert sich hierzu im Urteil 7B_741/2024 vom 22. August 2025 wie folgt:
«Die Sicherstellung, Durchsuchung und Beschlagnahme von Aufzeichnungen und Gegenständen sind strafprozessuale Zwangsmassnahmen, welche die Strafbehörden nur ergreifen dürfen, wenn – unter anderem – ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) und sie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren (vgl. Art. 5 Abs. 2, Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO). Um das Verhältnismässigkeitsgebot zu wahren, muss die Entsiegelung sichergestellter Aufzeichnungen und Gegenstände, nebst anderen Voraussetzungen, zur Klärung des Tatverdachts geeignet, also für die Strafuntersuchung potentiell beweiserheblich sein (sogenannter „Deliktskonnex“; Urteile 7B_384/2024 vom 18. März 2025 E. 5.1; 7B_94/2022 vom 10. Oktober 2024 E. 3.1; 7B_211/2023 vom 7. Mai 2024 E. 4.1; 7B_213/2023 vom 7. Mai 2024 E. 4.1).» (E.3.3).
«Zum Argument, auf den gesiegelten Geräten seien Nachrichten zu vermuten, die der Beschwerdegegner den Eltern seiner Schüler gesandt haben soll, ergibt sich aus den Vorakten, dass die Staatsanwaltschaft im Entsiegelungsbegehren keine derartigen Nachrichten erwähnt hat. Die Staatsanwaltschaft machte darin einzig geltend, von der Auswertung der gesiegelten Geräte erwarte sie sich „Hinweise (Videos, Fotos, etc.) betreffend pädosexuelle Neigungen des Beschuldigten“. Auch im angefochtenen Entscheid lassen sich keine Hinweise auf Nachrichten des Beschwerdegegners an die Eltern seiner Schüler finden. Die Oberstaatsanwaltschaft bringt diese Tatsachen demnach erstmals in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht vor, was nicht zulässig ist (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).» (E.3.4.1).
«Des Weiteren nennt die Oberstaatsanwaltschaft keine wissenschaftlichen Belege für ihre Behauptung, dass wer sich einer sexuellen Handlung mit einem Kind schuldig macht, regelmässig auch dazu neigt, Kinderpornografie herzustellen, zu speichern oder auszutauschen. Solches kann nicht als notorisch bekannt gelten. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte (und somit kein Tatverdacht) dafür, dass sich der Beschwerdegegner der Pornografie nach Art. 197 StGB schuldig gemacht haben könnte. Der Oberstaatsanwaltschaft kann insoweit nicht gefolgt werden.» (E.3.4.2).
«Ihr ist dagegen zuzustimmen, dass die gesiegelten Daten Aufschluss darüber geben könnten, ob der Beschwerdegegner an einer pädophilen Störung leidet, und dass diese Frage im hier zu beurteilenden Fall „deliktsrelevant“ ist, beziehungsweise einen hinreichenden Konnex zur untersuchten Straftat aufweist: Dem Beschwerdegegner wird eine sexuelle Handlung mit einem Kind (Art. 187 StGB) vorgeworfen, die er als Klassenlehrer nach einer Schulstunde begangen haben soll. Im Falle einer Verurteilung steht bei dieser Sachlage nebst der Anordnung einer therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 56 ff. StGB auch die Anordnung eines Tätigkeitsverbots in Frage. Wird der Beschwerdegegner verurteilt (oder wird eine Massnahme gegen ihn angeordnet), so verbietet ihm das Gericht lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu Minderjährigen umfasst (vgl. Art. 67 Abs. 3 lit. b StGB). Das Gericht kann zwar unter gewissen Voraussetzungen ausnahmsweise von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots absehen; nicht aber, wenn der Täter – also der Beschwerdegegner, falls er verurteilt wird – gemäss den international anerkannten Klassifikationskriterien pädophil ist (vgl. Abs. 4bis lit. b). Das Sachgericht wird demnach im Falle einer Verurteilung des Beschwerdegegners abklären müssen, ob dieser pädophil und/oder massnahmebedürftig ist. Dabei wird es sich zwar in erster Linie auf eine sachverständige Begutachtung stützen, die eine zwingende Entscheidgrundlage für das Sachgericht bildet (vgl. BGE 144 IV 176 E. 4.2.1; Urteil 6B_1143/2021 vom 11. März 2022 E. 3.2.5; je mit Hinweis); die sachverständige Person benötigt jedoch ihrerseits für die Erstellung des Gutachtens gewisse Akten und Informationen, die sie – mit Ausnahme fachspezifischer Erhebungen – nicht selbst erheben oder beiziehen darf (vgl. BGE 144 IV 302 E. 3.3.3 und 3.4.2; Urteil 6B_257/2020 vom 24. Juni 2021 E. 4.8.2; je mit Hinweisen). Vielmehr obliegt es der Verfahrensleitung, die notwendigen Unterlagen und Informationen zu beschaffen, zu triagieren und an die sachverständige Person zu übermitteln (vgl. Urteile 7B_734/2024 vom 5. März 2025 E. 2.2.2; 1B_203/2023 vom 8. Juni 2023 E. 3.3 mit Hinweisen). Die Staatsanwaltschaft und die Oberstaatsanwaltschaft gehen davon aus, in den Daten der gesiegelten Geräte könnten sich Hinweise dafür befinden, dass der Beschwerdegegner pädophil ist, wobei die Staatsanwaltschaft angibt, dabei könne es sich um „Videos, Fotos, etc.“ handeln, die eine entsprechende sexuelle Präferenz offenbaren könnten. Ihr ist zuzustimmen, dass die Existenz – oder die Abwesenheit – solcher Hinweise, bei denen es sich im Übrigen nicht zwingend um strafbare Kinderpornografie handeln muss, einer sachverständigen Person im Falle einer Verurteilung die für ihre psychiatrische Begutachtung nötigen Grundlagen liefern könnte und insbesondere Aufschluss darüber geben können, ob der Beschwerdegegner an einer pädophilen Störung leidet und therapeutisch zu behandeln ist. Der Deliktskonnex ist daher – entgegen der Vorinstanz – zu bejahen.» (E.3.4.3).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut (E.4).