Pflicht zur Rückfrage bei unklarer Eingabe (von nicht anwaltlich vertretener Person)

Im Urteil 7B_467/2025 vom 4. August 2025 aus dem Kanton Solothurn befasste sich das Bundesgericht mit einer Erklärung einer nicht anwaltlich vertretenen Person, welche fälschlicherweise von den Behörden als «Beschwerde» qualifiziert wurde, ohne Rücksprache zu nehmen. Der Laienbeschwerdeführer siegte vor Bundesgericht. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. Mai 2025 geht bei objektiver Betrachtung klar hervor, dass es sich nicht um eine Beschwerde, sondern um ein Gesuch handelt. […]. In einem solchen Fall wäre die Behörde verpflichtet gewesen, Rückfragen zu stellen beziehungsweise den Beschwerdeführer anzuhören, um zu klären, ob er tatsächlich eine Beschwerde erheben möchte, bevor sie rechtliche Schlüsse zieht.  Vorliegend bestand für die Vorinstanz jedenfalls kein Anlass, die Eingabe ohne weitere Abklärung als Beschwerde zu qualifizieren. Indem die Vorinstanz ohne vorgängige Anhörung einen Nichteintretensentscheid erliess, ist sie zu Unrecht nicht auf die Eingabe eingetreten, die ihrem objektiven Inhalt nach gar keine Beschwerde war. Der Entscheid betrifft somit einen Verfahrensgegenstand, der rechtlich nicht existierte. Die Vorinstanz hätte den Beschwerdeführer zumindest auffordern müssen, innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären, ob er tatsächlich Beschwerde erheben wolle. Dies ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), der unter anderem auch die Pflicht zur Rückfrage umfasst, wenn die Rechtsnatur einer Eingabe unklar erscheint. Der Nichteintretensentscheid stützt sich folglich auf eine unzutreffende rechtliche Würdigung und verletzt Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) sowie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).» (E.2.2).

 

Sachverhalt

Der A. beantragte mit Eingabe vom 14. April 2025 sinngemäss einen Wechsel seiner amtlichen Verteidigung. Mit Verfügung vom 9. Mai 2025 wies die Amtsgerichtspräsidentin des Richteramts Solothurn-Lebern das Gesuch ab, ohne eine Rechtsmittelbelehrung anzufügen. Mit Schreiben vom 12. Mai 2025 wandte sich A. an das Richteramt Solothurn-Lebern; er erwarte umgehend eine Verfügung mit einer Rechtsmittelbelehrung. Die Amtsgerichtspräsidentin Nicole Mattiello überwies das Schreiben am selben Tag zur Beurteilung an die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn. Diese trat mit Beschluss vom 13. Mai 2025 nicht auf das als Beschwerde entgegengenommene Schreiben ein. Mit Schreiben ebenfalls vom 13. Mai 2025, beim Obergericht am 14. Mai 2025 eingegangen, teilte A. mit, dass es sich bei seiner Eingabe vom 12. Mai 2025 nicht um eine Beschwerde handle. Vielmehr habe er das Richteramt Solothurn-Lebern lediglich aufgefordert, ihm die Verfügung vom 9. Mai 2025 mit einer Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. Das Obergericht stellte die Eingabe mit Verfügung vom 14. Mai 2025 den Parteien zu und wies A. daraufhin, dass in der Sache bereits ein Entscheid am 13. Mai 2025 ergangen und am selben Tag versandt worden sei.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Eingabe vom 22. Mai 2025 führt A. Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gegen den Nichteintretensbeschluss vom 13. Mai 2025.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_467/2025 vom 4. August 2025  

Angefochten vor Bundesgericht ist ein kantonal letztinstanzlicher Nichteintretensentscheid in Strafsachen. Die Vorinstanz ist auf ein von ihr als Beschwerde erachtetes Schreiben des Beschwerdeführers nicht eingetreten und hat dieses materiell nicht behandelt. Streitgegenstand des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist daher grundsätzlich einzig die Frage, ob dieser Nichteintretensentscheid zu Recht erfolgt ist (E.2.1).

Das Bundesgericht heisst im Urteil 7B_467/2025 vom 4. August 2025 die Laienbeschwerde wie folgt gut:

«Aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. Mai 2025 geht bei objektiver Betrachtung klar hervor, dass es sich nicht um eine Beschwerde, sondern um ein Gesuch handelt. Wortwörtlich schreibt er: „Ihre Verfügung, von Mattiello, erwarte ich umgehend mit einer Rechtsmittelbelehrung eröffnet. (Verweis auf das rechtliche Gehör)“. Der Beschwerdeführer verlangte mithin eine Ergänzung der Verfügung vom 9. Mai 2025, nämlich die nachträgliche Anfügung einer Rechtsmittelbelehrung. Hingegen enthält das Schreiben keine Auseinandersetzung mit der materiellen Begründung der Verfügung vom 9. Mai 2025. Ebenso fehlen über den Antrag auf Ergänzung mit einer Rechtsmittelbelehrung hinausgehende materielle Rügen oder Anträge. Aus dem Inhalt des Schreibens, das an das Richteramt Solothurn-Lebern – und damit an die verfügende Behörde – gerichtet war, ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine sofortige gerichtliche Überprüfung angestrebt wird. In einem solchen Fall wäre die Behörde verpflichtet gewesen, Rückfragen zu stellen beziehungsweise den Beschwerdeführer anzuhören, um zu klären, ob er tatsächlich eine Beschwerde erheben möchte, bevor sie rechtliche Schlüsse zieht.  Vorliegend bestand für die Vorinstanz jedenfalls kein Anlass, die Eingabe ohne weitere Abklärung als Beschwerde zu qualifizieren. Indem die Vorinstanz ohne vorgängige Anhörung einen Nichteintretensentscheid erliess, ist sie zu Unrecht nicht auf die Eingabe eingetreten, die ihrem objektiven Inhalt nach gar keine Beschwerde war. Der Entscheid betrifft somit einen Verfahrensgegenstand, der rechtlich nicht existierte. Die Vorinstanz hätte den Beschwerdeführer zumindest auffordern müssen, innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären, ob er tatsächlich Beschwerde erheben wolle. Dies ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), der unter anderem auch die Pflicht zur Rückfrage umfasst, wenn die Rechtsnatur einer Eingabe unklar erscheint. Der Nichteintretensentscheid stützt sich folglich auf eine unzutreffende rechtliche Würdigung und verletzt Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) sowie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).» (E.2.2).

«Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde als offensichtlich begründet und ist im vereinfachten Verfahren gutzuheissen (Art. 109 Abs. 2 lit. b BGG). Der angefochtene Nichteintretensentscheid ist aufzuheben. Das Obergericht hat das Beschwerdeverfahren gestützt auf die zwischenzeitlich ergangene ausdrückliche Erklärung des Beschwerdeführers vom 13. Mai 2025, wonach es sich beim Schreiben vom 12. Mai 2025 nicht um eine Beschwerde gehandelt habe, als gegenstandslos abzuschreiben. Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. Mai 2025 ist zur Behandlung an das Richteramt Solothurn-Lebern zurückzuweisen.» (E.2.3).

 

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