Sachverhalt
Mit Urteil vom 30. Mai 2022 sprach das Bezirksgericht Zürich A. des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 30.–. Zudem ordnete es eine Landesverweisung von fünf Jahren und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) an.
Instanzenzug
Auf Berufung von A. verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 18. August 2023 wegen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen der Sozialhilfe zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 30.– und sprach eine Landesverweisung von fünf Jahren sowie deren Ausschreibung im SIS aus.
Weiterzug ans Bundesgericht
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A., von der Anordnung einer Landesverweisung sei abzusehen; eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zugleich stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_1168/2023 vom 12. September 2025
Der Beschwerdeführer wendet sich vor Bundesgericht gegen die angeordnete Landesverweisung von fünf Jahren und macht geltend, die Vorinstanz habe sowohl den Untersuchungsgrundsatz als auch seinen Anspruch auf Achtung des Privatlebens und auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie keine Interessenabwägung i.S.v. Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorgenommen habe. Seine privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz überwögen das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung eindeutig (E.1.1).
Das Bundesgericht führt hierzu zunächst im Urteil 6B_1168/2023 vom 12. September 2025 allgemein Folgendes aus:
«Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB sieht für Ausländer, die wegen Betrugs im Bereich einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder wegen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe verurteilt wurden, unabhängig von der Höhe der Strafe, die obligatorische Landesverweisung für 5-15 Jahre aus der Schweiz vor. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und wurde wegen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen der Sozialhilfe i.S.v. Art. 148a Abs. 1 StGB schuldig gesprochen. Demzufolge sind die Voraussetzungen für eine Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB grundsätzlich erfüllt.» (E.1.3.1).
«Gemäss Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB kann das Gericht ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer kumulativ (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB). Die Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 149 IV 231 E. 2.1.1; 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.1.2 und 3.3.1). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den „schwerwiegenden persönlichen Härtefall“ in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2 mit Hinweisen; 144 IV 332 E. 3.3.2). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, zu der die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Respektierung der Werte der Bundesverfassung, die Sprachkompetenzen, die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung zählen (Art. 58a des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [AIG; SR 142.20]), die familiären Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer, der Gesundheitszustand und die Resozialisierungschancen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.2; 6B_84/2024 vom 10. Juli 2025 E. 1.4.1; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.1; je mit Hinweisen). Von einem schweren persönlichen Härtefall i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB ist bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen
(BGE 149 IV 231 E. 2.1.1; Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.2; 6B_84/2024 vom 10. Juli 2025 E. 1.4.1; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.1; je mit Hinweisen).» (E.1.3.2).
«Nach der Rechtsprechung kann sich der Ausländer auf das Recht auf Privatleben nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen, sofern er besonders intensive soziale und berufliche Verbindungen zur Schweiz aufweist, die über jene einer gewöhnlichen Integration hinausgehen. Bei der Härtefallprüfung ist nicht schematisch ab einer gewissen Aufenthaltsdauer von einer Verwurzelung in der Schweiz auszugehen. Es ist vielmehr anhand der gängigen Integrationskriterien eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl. BGE 146 IV 105 E. 3.4.4; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.3; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.4; 6B_195/2024 vom 13. Juni 2025 E. 4.1.3; je mit Hinweisen).» (E.1.3.3).
«Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der „öffentlichen Interessen an der Landesverweisung“. Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen Schweregrad erreichen, bei welchem die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit als notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose abgestellt wird (Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.5; 6B_84/2024 vom 10. Juli 2025 E. 1.4.2; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).» (E.1.3.4).
«Berührt die Landesverweisung Gewährleistungen von Art. 8 Ziff. 1 EMRK, ist der Eingriff nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu rechtfertigen (BGE 146 IV 105 E. 4.2 mit Hinweis auf das Urteil des EGMR in Sachen I.M. gegen Schweiz vom 9. April 2019, Nr. 23887/16, § 68). Erforderlich ist zunächst, dass die aufenthaltsbeendende oder -verweigernde Massnahme gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Zweck i.S.v. Art. 8 Ziff. 2 EMRK entspricht (Schutz der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten etc.) und verhältnismässig ist (BGE 146 IV 105 E. 4.2). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind bei der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 EMRK insbesondere Art sowie Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im Aufnahmestaat, die seit der Tat verstrichene Zeit sowie das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit und der Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- sowie im Heimatstaat zu berücksichtigen (Urteile des EGMR E.V. gegen Schweiz vom 18. Mai 2021, Nr. 77220/16, § 34; M.M. gegen Schweiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, § 49; Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.6; 6B_84/2024 vom 10. Juli 2025 E. 1.4.3; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.3; je mit Hinweisen). Die Konvention verlangt, dass die individuellen Interessen an der Erteilung beziehungsweise am Erhalt des Anwesenheitsrechts und die öffentlichen Interessen an dessen Verweigerung gegeneinander abgewogen werden (BGE 142 II 35 E. 6.1; Urteile 6B_245/2024 vom 18. August 2025 E. 2.1.6; 6B_84/2024 vom 10. Juli 2025 E. 1.4.3; 6B_323/2025 vom 9. Juli 2025 E. 3.3.3; je mit Hinweisen).» (E.1.3.5).
Fallbezogen äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_1168/2023 vom 12. September 2025 alsdann:
«Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer 1977 in Nigeria geboren und reiste im Jahr 2002 mit seiner damaligen Freundin und den beiden gemeinsamen Kindern in die Schweiz ein, wo sein Asylgesuch abgewiesen wurde. Er wurde vorläufig aufgenommen und erhielt später eine Aufenthaltsbewilligung. Wegen mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher Übertretung desselben Gesetzes wurde er im Jahr 2007 mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten und mit einer Busse von Fr. 500.– bestraft. Die mittlerweile volljährigen Kinder wohnen bei der Mutter im Kanton Zürich. Im Jahr 2017 heiratete der Beschwerdeführer eine Nigerianerin, die 2023 zu ihm in die Schweiz zog. Ein weiteres erwachsenes Kind und seine beiden Brüder leben in Nigeria, wo die Familie ein Haus besitzt. Zu seinen dortigen Verwandten hat der Beschwerdeführer telefonischen Kontakt und war zuletzt im Jahr 2019 im Land. Er arbeitet temporär und konnte hier beruflich nie richtig Fuss fassen; längere Zeit war er sozialhilfeabhängig und ist verschuldet. Die zu Unrecht bezogenen Sozialleistungen in Höhe von Fr. 42’000.– zahlt er in Raten von Fr. 100.– zurück. Den geschuldeten Unterhalt von Fr. 200.– an seine Tochter leistet er nicht mehr. Seine Deutschkenntnisse sind unzureichend.» (E.1.4.1).
«Die Vorinstanz schliesst aus dem Umstand, dass er im Strafverfahren auf Dolmetscher angewiesen war, zu Recht auf unzureichende Deutschkenntnisse. Entgegen seinen Vorbringen berücksichtigt sie in ihrem Urteil auch, dass er in der Schweiz vorläufig aufgenommen wurde und später eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Angesichts der seither vergangenen Zeit nimmt sie jedoch richtigerweise eine eigene Härtefallbeurteilung vor, ohne dabei auf die damaligen Feststellungen des Migrationsamts abzustellen. Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer sodann, soweit er vorbringt, es sei nicht abgeklärt worden, ob ihm bei einer Rückkehr nach Nigeria ernstliche Nachteile drohten. Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass er durchaus zur Situation in Nigeria befragt wurde. Er gab an, der ethnischen Minderheit der Igbo anzugehören und äusserte, die Armee kämpfe immer noch gegen Igbo-Separatisten – ohne dabei geltend zu machen, selbst irgendwelchen Repressalien ausgesetzt zu sein. Anders als in der Beschwerdeschrift angeführt, wurde zudem auch der Umstand hinreichend berücksichtigt, dass er in der Schweiz zwei erwachsene Kinder hat (vgl. dazu unten E. 1.5.2). Was weiter das Vorbringen anbelangt, er habe im Berufungsverfahren einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der B. eingereicht, ist darauf hinzuweisen, dass sein Vertreter im Plädoyer äusserte, er arbeite nach wie vor temporär […], worauf sich die Vorinstanz stützen durfte. Schliesslich ist auf das nicht weiter begründete Vorbringen, es müsse „ohne Weiteres“ davon ausgegangen werden, dass er hier zahlreiche enge soziale Beziehungen pflege, nicht einzugehen. Die vorinstanzlichen Feststellungen erweisen sich nicht als offensichtlich unhaltbar und bleiben daher für das Bundesgericht verbindlich […]». (E.1.4.3).
«Ausgehend von diesen Feststellungen stuft die Vorinstanz die Integration des Beschwerdeführers in die hiesige Gesellschaft zu Recht als mangelhaft ein. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sie bei ihrer Beurteilung auch seine viele Jahre zurückliegende Vorstrafe mitberücksichtigt. Mit ihr ist in Anbetracht des Umstands, dass der Beschwerdeführer abgesehen von seinen beiden erwachsenen Kindern, die bei der Mutter in U. leben, keine persönlichen Bindungen zur Schweiz aufweist, in Nigeria aufgewachsen ist, seine ebenfalls nigerianische Ehefrau bis vor Kurzem in dem Land gelebt hat, eines seiner erwachsenen Kinder sowie seine beiden Brüder dort leben, die Familie dort ein Haus besitzt und die Ehe ohne Weiteres in der Heimat weitergeführt werden kann, nicht von einem schweren persönlichen Härtefall i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB auszugehen.» (E.1.5.1).
«Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen auf Art. 8 EMRK bzw. den Umstand beruft, seit über 20 Jahren in der Schweiz zu leben und hier zwei Kinder zu haben, kann ihm nicht gefolgt werden. Das Bundesgericht hat es wiederholt abgelehnt, schematisch ab einer gewissen Aufenthaltsdauer von einer Verwurzelung in der Schweiz auszugehen. Nach ständiger Rechtsprechung tangiert die Landesverweisung eines Ausländers nur dann dessen Recht auf Privatleben nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK, wenn er besonders intensive soziale und berufliche Verbindungen zur Schweiz aufweist, die über jene einer gewöhnlichen Integration hinausgehen (dazu E. 1.3.3), woran es vorliegend fehlt (oben E. 1.5.1). Auch mit Blick auf die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen beiden volljährigen Kindern kommt Art. 8 EMRK in Ermangelung eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses (dazu BGE 147 I 268 E. 1.2.3 mit Hinweisen) nicht zum Tragen.» (E.1.5.2).
«Mangels Vorliegens eines schweren persönlichen Härtefalls bzw. eines Eingriffs in Art. 8 EMRK verletzt die Vorinstanz weder Bundes- noch Völkerrecht, indem sie keine Interessenabwägung i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB und Art. 8 Ziff. 2 EMRK vornimmt. Die angeordnete Landesverweisung ist rechtmässig.» (E.1.5.3).
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.