Kürzung von 75% bei Entschädigung der amtlichen Verteidigung im zweiten Berufungsverfahren

Im Urteil 6B_382/2025, 6B_383/2025 vom 10. September 2025 befasste sich das Bundesgericht mit der Honorarbeschwerde eines amtlichen Verteidigers (Kürzung um 75% des Honorars bzw. Pauschale von CHF 8’000). Es handelt sich um eine zweite Berufungsverhandlung nach einer Teilrückweisung durch das Bundesgericht. Der amtliche Verteidiger stellte dabei offenbar auch fleissig «Rechtsstudium» in Rechnung. Für die erste Berufungsverhandlung wurde amtliche Verteidiger, wie das Bundesgericht hervorhob, bereits mit rund CHF 37’000 entschädigt, im Hauptverfahren mit CHF 83’000. Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zulässig, für das Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. […]. Pauschalen nach Rahmentarifen erweisen sich aber dann als verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise Rücksicht nehmen und im Einzelfall wiederum ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Aufwänden stehen […]» (E.5.3.2). «Es ist Sache der kantonalen Behörde, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen. Den Kantonen kommt bei der Bemessung des Honorars des amtlichen Anwalts ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise überschritten wurde und Bemühungen nicht honoriert wurden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten eines amtlichen Verteidigers gehören. Die Festsetzung des Honorars muss ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten stehen und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossen […].» (E.5.3.3). «Dies ist vorliegend nicht erkennbar. Die Vorinstanz berücksichtigt zu Recht, dass es im Rahmen des zweiten Berufungsverfahrens lediglich noch um die Umsetzung des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids vom 20. Oktober 2023 […] ging. Die Kosten für die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 im ersten Berufungsverfahren beliefen sich auf Fr. 36’878.35 (inkl. Auflagen und MwSt.). Erstinstanzlich wurde der Beschwerdeführer 1 für seine Bemühungen und Auslagen als amtlicher Verteidiger des Beschwerdeführers 2 mit rund  Fr. 83’000.– (inkl. MwSt.) entschädigt. Der Vorinstanz kann daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe der Bedeutung und der Komplexität des Falles ungenügend Rechnung getragen. Nicht erkennbar ist, welche „komplexen“ Rechtsfragen sich nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid noch gestellt haben könnten. Die Vorinstanz verweist hierfür zudem willkürfrei auf den Leitfaden amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, wonach es sich beim Rechtsstudium – mit Ausnahme aussergewöhnlicher Rechtsfragen – nicht um entschädigungspflichtige Aufwendungen handelt […]. Unbegründet ist schliesslich der Einwand, die Entschädigung stehe in einem „krassen Missverhältnis“ zur Entschädigung des Rechtsvertreters der Privatkläger. Die Kritik lässt unberücksichtigt, dass die Entschädigung des Rechtsvertreters der Privatkläger von Fr. 5’978.30 rund 1/4 unter derjenigen des Beschwerdeführers 1 liegt, obschon dieser – anders als der Beschwerdeführer 1 – im Berufungsverfahren mehrere Personen vertrat. […]. Die Entschädigung steht insgesamt in einem vernünftigen Verhältnis zu den geleisteten Diensten. Eine willkürliche Anwendung des kantonalen Anwaltstarifs ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers 1 nicht erkennbar.» (E.5.4).

Sachverhalt

Das Bezirksgericht Zürich sprach A. mit Urteil vom 30. Januar 2020 der Anstiftung zu Mord im Sinne von Art. 112 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB und der Anstiftung zur Irreführung der Rechtspflege im Sinne von Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB schuldig. Von den Vorwürfen der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Mord im Sinne von Art. 260 bis Abs. 1 lit. b StGB und des mehrfachen versuchten Vergehens gegen das Waffengesetz im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a WG i.V.m. mit Art. 22 Abs. 1 StGB sprach es ihn frei. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 16 1 /2 Jahren und einer unbedingten Geldstrafe von 270 Tagessätzen zu Fr. 10.–. Von einer Verwahrung von A. und einer Landesverweisung sah es ab. Es verpflichtete ihn, C., A.B. und E. unter solidarischer Haftbarkeit mit F. Genugtuungen von Fr. 30’000.–, Fr. 25’000.– bzw. Fr. 15’000.–, je zuzüglich 5 % Zins ab 30. Juni 2016, zu bezahlen. Weiter verpflichtete es ihn unter solidarischer Haftbarkeit mit F. zu Schadenersatzzahlungen an C., A.B., E., B.B. und D.

Instanzenzug

Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte A. am 26. August 2022 in Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft des Mordes im Sinne von Art. 112 StGB und der Irreführung der Rechtspflege im Sinne von Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig. Vom Vorwurf der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Mord im Sinne von Art. 260 bis Abs. 1 lit. b StGB sprach es ihn frei. Die erstinstanzlichen Freisprüche wegen versuchter Nötigung und mehrfachen versuchten Vergehens gegen das Waffengesetz erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Das Obergericht verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren und 3 Monaten. Den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwahrung von A. wies es ab. Im Zivilpunkt bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.

Das Bundesgericht hiess die von A. gegen das Urteil vom 26. August 2022 erhobene Beschwerde mit Urteil 6B_452/2023 vom 20. Oktober 2023 teilweise gut. Es hob den Schuldspruch wegen Mordes im Sinne von Art. 112 StGB auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.

Mit Urteil vom 19. Dezember 2024 sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. der Anstiftung zu Mord im Sinne von Art. 112 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn in Berücksichtigung des in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen Irreführung der Rechtspflege im Sinne von Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 1 /2 Jahren. Hinsichtlich der Genugtuungs- und Schadenersatzforderungen der Privatkläger bestätigte es erneut das erstinstanzliche Urteil. Dem amtlichen Verteidiger von A._, Rechtsanwalt Andrea Taormina, sprach es für das zweite Berufungsverfahren ein Honorar von Fr. 8’000.– zu.

Weiterzug an das Bundesgericht / Honorarbeschwerde an das Bundesgericht durch amtlichen Verteidiger Andrea Taormina

Rechtsanwalt Andrea Taormina beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, Ziff. 9 des Urteils vom 19. Dezember 2024 sei aufzuheben und die Entschädigung für die amtliche Verteidigung sei auf  Fr. 29’667.45 festzulegen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Der A. führt ebenfalls Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, Ziff. 1 bis 7 des Urteils vom 19. Dezember 2024 seien aufzuheben, er sei vom Vorwurf der Anstiftung zu Mord freizusprechen und es sei ihm eine angemessene Genugtuung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_382/2025, 6B_383/2025 vom 10. September 2025  

Die Beschwerde in der Sache wurde abgewiesen, wir schauen uns hier nur noch die Honorarbeschwerde des amtlichen Verteidigers Andrea Taormina an, welche das Bundesgericht ebenfalls abwies.

Das Bundesgericht äussert sich das Bundesgericht im Urteil 6B_382/2025, 6B_383/2025 vom 10. September 2025 wie folgt:

«Der Beschwerdeführer 1 rügt, die Vorinstanz habe den kantonalen Anwaltstarif willkürlich angewandt, seine Kostennote von Fr. 29’667.45 zu Unrecht als „massiv zu hoch“ qualifiziert und die Entschädigung um fast 75 % gekürzt. Die Bedeutung des Falles sei für seinen Klienten angesichts der nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid nach wie vor im Raum stehenden mehrjährigen Freiheitsstrafe gross gewesen, was die Vorinstanz zu Unrecht unberücksichtigt gelassen habe. Auch im zweiten Berufungsverfahren hätten sich komplexe rechtliche Fragen betreffend die Voraussetzungen der Anstiftung gestellt. Das in der Kostennote ausgewiesene Rechtsstudium sei zwingend erforderlich gewesen. Soweit die Vorinstanz der Auffassung sei, er habe die gesamte Spezialliteratur sowie die aktuelle Rechtsprechung zur Anstiftung auswendig kennen müssen und im vorliegenden Fall keinerlei rechtliche Abklärungen tätigen dürfen, verfalle sie in Willkür. Die Vorinstanz gehe von maximal durchschnittlicher Komplexität aus, was bei einem Fall, der mehrere tausend Seiten an Akten umfasse und bei dem sich die komplexe, nicht alltägliche rechtliche Frage stelle, ob sich ein Gefängnisinsasse durch das Erzählen von Lügengeschichten der Anstiftung zum Mord schuldig gemacht habe, unhaltbar sei. Dass die Vorinstanz bei der Festlegung jegliches Mass verloren habe, zeige sich auch am Umstand, dass sie den Rechtsvertreter der Privatkläger mit rund Fr. 6’000.– entschädigt habe, was in einem krassen Missverhältnis zu der für die amtliche Verteidigung festgelegten Pauschale von Fr. 8’000.– liege.» (E.5.1).

«Gemäss der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Fassung von Art. 135 Abs. 3 StPO kann die amtliche Verteidigung gegen den Entschädigungsentscheid das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist (BBl 2019 6733). Die Zuständigkeit zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde liegt daher bei der I. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts.» (E.5.2).

«Gemäss Art. 135 Abs. 1 StPO wird die amtliche Verteidigung nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde. Massgebend für die Festsetzung der Entschädigung ist vorliegend daher die Verordnung des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. September 2010 über die Anwaltsgebühren (AnwGebV/ZH; LS 215.3, vgl. § 23 Abs. 1 AnwGebV/ZH). Die Anwendung des kantonalen Anwaltstarifs überprüft das Bundesgericht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen verfassungsmässigen Rechten (vgl. Art. 95 BGG; BGE 145 I 121 E. 2.1; 142 V 513 E. 4.2; 142 IV 70 E. 3.3.1).» (E.5.3.1).

«Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zulässig, für das Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. Bei einer Honorarbemessung nach Pauschalbeträgen werden alle prozessualen Bemühungen zusammen als einheitliches Ganzes aufgefasst und der effektive Zeitaufwand lediglich im Rahmen des Tarifansatzes berücksichtigt. Pauschalen nach Rahmentarifen erweisen sich aber dann als verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise Rücksicht nehmen und im Einzelfall wiederum ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Aufwänden stehen (BGE 143 IV 453 E. 2.5.1; 141 I 124 E. 4.3; Urteile 6B_433/2024 vom 4. September 2024 E. 2.1.2; 7B_533/2023 vom  12. Oktober 2023 E. 2.3.2; je mit Hinweisen).» (E.5.3.2).

«Es ist Sache der kantonalen Behörde, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen. Den Kantonen kommt bei der Bemessung des Honorars des amtlichen Anwalts ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise überschritten wurde und Bemühungen nicht honoriert wurden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten eines amtlichen Verteidigers gehören. Die Festsetzung des Honorars muss ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten stehen und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossen (BGE 141 I 124 E. 3.2; Urteil 6B_433/2024 vom 4. September 2024 E. 2.1.3 mit weiteren Hinweisen).» (E.5.3.3).

«Dies ist vorliegend nicht erkennbar. Die Vorinstanz berücksichtigt zu Recht, dass es im Rahmen des zweiten Berufungsverfahrens lediglich noch um die Umsetzung des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids vom 20. Oktober 2023 (Urteil 6B_452/2023) ging. Die Kosten für die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers 2 im ersten Berufungsverfahren beliefen sich auf Fr. 36’878.35 (inkl. Auflagen und MwSt.). Erstinstanzlich wurde der Beschwerdeführer 1 für seine Bemühungen und Auslagen als amtlicher Verteidiger des Beschwerdeführers 2 mit rund  

Fr. 83’000.– (inkl. MwSt.) entschädigt. Der Vorinstanz kann daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe der Bedeutung und der Komplexität des Falles ungenügend Rechnung getragen. Nicht erkennbar ist, welche „komplexen“ Rechtsfragen sich nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid noch gestellt haben könnten. Die Vorinstanz verweist hierfür zudem willkürfrei auf den Leitfaden amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, wonach es sich beim Rechtsstudium – mit Ausnahme aussergewöhnlicher Rechtsfragen – nicht um entschädigungspflichtige Aufwendungen handelt (vgl. angefochtenes Urteil E. 3.2 S. 40). Unbegründet ist schliesslich der Einwand, die Entschädigung stehe in einem „krassen Missverhältnis“ zur Entschädigung des Rechtsvertreters der Privatkläger. Die Kritik lässt unberücksichtigt, dass die Entschädigung des Rechtsvertreters der Privatkläger von Fr. 5’978.30 rund 1/4 unter derjenigen des Beschwerdeführers 1 liegt, obschon dieser – anders als der Beschwerdeführer 1 – im Berufungsverfahren mehrere Personen vertrat. Hinzu kommt, dass die Privatkläger und ihr Rechtsvertreter am bundesgerichtlichen Verfahren 6B_452/2023 nicht beteiligt waren, weil das Bundesgericht die Angelegenheit lediglich zur Prüfung eines Schuldspruchs wegen Anstiftung zu Mord an die Vorinstanz zurückwies. Sie konnten im bundesgerichtlichen Verfahren daher keine Aufwendungen geltend machen (vgl. Urteil 6B_452/2023 vom 20. Oktober 2023 E. 4). Die Entschädigung steht insgesamt in einem vernünftigen Verhältnis zu den geleisteten Diensten. Eine willkürliche Anwendung des kantonalen Anwaltstarifs ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers 1 nicht erkennbar.» (E.5.4).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab (E.6).

Kommentar zum Urteil 6B_382/2025, 6B_383/2025 von Boris Etter, Fachanwalt SAV Strafrecht

Die Kürzung von Honoraren bei amtlichen Verteidigungen ist ein Dauerbrenner. Bei amtlichen Mandaten kann die Verteidigung sehr aufwendig und sehr komplex sein. Rechtsstudium gilt als grundsätzlich nicht verrechenbar. Jeder Strafverteidiger muss nach einer Honorarkürzung die Einreichung einer Beschwerde abwägen, auch nach Kosten-Nutzen-Punkten, da er zur Verfahrenspartei mit Kostenrisiko wird. Der konkrete Fall kann von aussen nur schwer beurteilt werden. Im vorliegenden Fall muss man aber aufgrund der grosszügigen Entschädigung des amtlichen Verteidigers im ersten Berufungsverfahren und im Hauptverfahren, total insgesamt CHF 120’000, aber wohl nicht unbedingt in grosses Mitleid verfallen. Der Sache der amtlichen Verteidigung und der immer bestehende latenten Gefahr von klar ungerechtfertigten Honorarkürzungen hat dieser amtliche Verteidiger durch die Provokation eines solchen plakativen Urteils des Bundesgerichts mit Sicherheit aber keinen Gefallen getan.

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