«KILL ERDOGAN»-Transparent bei Kundgebung: Strafbarkeit nach Art. 259 StGB bejaht

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_924/2023, 6B_207/2024, 6B_217/2024, 6B_218/2024, 6B_219/2024, 6B_222/2024 vom 26. August 2025 aus dem Kanton Bern die Beschwerden von vier Personen ab, die vom Obergericht des Kantons Bern im Zusammenhang mit dem bei einer Kundgebung von 2017 in Bern gezeigten Transparent „KILL ERDOGAN“ wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen (Art. 259 StGB) verurteilt wurden. Hier sind einige der Schlüsselausführungen des Bundesgerichts: «Das Bundesgericht gelangte in BGE 145 IV 433 zum Schluss, Art. 259 StGB schütze konkrete Individualrechtsgüter der Strafnormen, zu deren Verletzung aufgerufen werde, nur mittelbar. Es hielt fest, Art. 259 StGB ziele in erster Linie, genauso wie die Straftatbestände der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB), des Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) und der Beleidigung eines fremden Staats (Art. 296 StGB), auf den Schutz von kollektiven Rechtsgütern. In Bezug auf Art. 259 StGB nannte es als ein solches kollektives Rechtsgut unter Verweis auf Meinungen aus der Lehre den öffentlichen Frieden bzw. „la paix publique“ […]. Diese Ansicht vertreten sowohl die Botschaft betreffend die redaktionelle Anpassung der Strafbestimmung […] als auch weitere Autoren im Schrifttum […]. Sie ist zu bestätigen. Der Umstand, dass der öffentliche Friede übergeordnetes Ziel des Strafrechts überhaupt darstellt (was insbesondere FIOLKA hervorhebt, der in Art. 259 StGB einen vorgezogenen Individualrechtsgüterschutz sieht und den öffentlichen Frieden als selbständiges Rechtsgut generell ablehnt; […]), steht nicht entgegen, den öffentlichen Frieden als besonderes Rechtsgut von Art. 259 StGB und dessen Vorgängerversion zu definieren in dem Sinne, alsdass dieses Delikt unmittelbar gegen den öffentlichen Frieden gerichtet ist […]. Denn einerseits ist ein anderes (eigenständiges) Rechtsgut, das direkt von der tatbestandsmässigen Handlung von Art. 259 StGB betroffen wäre, nicht ersichtlich. Auch FIOLKA nennt ein solches nicht. Andererseits lässt sich das Rechtsgut des öffentlichen Friedens näher spezifizieren, vergleichbar wie FIOLKA das beim Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung nach Art. 258 StGB macht. FIOLKA führt betreffend Art. 258 StGB aus, es gehe dort um den Schutz „der Unbesorgtheit der Menschen“ bzw. des „allgemeinen Sicherheitsgefühls“, das er beschreibt als „Vertrauen des Einzelnen darin, keinen eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreffenden Gefährdungen ausgesetzt zu sein“ […]. Diese Konkretisierung kann für Art. 259 StGB übernommen werden, soweit die deliktische Handlung, zu der aufgefordert wird, zum Nachteil einer nicht konkret eingrenzbaren Anzahl von Personen geht. Daneben lässt sich als besonderer Schutzgehalt von Art. 259 StGB vor allem das Vertrauen des Einzelnen darauf nennen, dass die Strafrechtsordnung nicht durch Mobilisierung der Massen (ausserhalb des ordentlichen Wegs der Gesetzgebung) untergraben und in ihrer bedingungslosen Geltung in Frage gestellt wird. Als zentral erweist sich das Vertrauen des Einzelnen in den Bestand einer von der Gesellschaft akzeptierten und respektierten Strafrechts- bzw. Friedensordnung. Mit einer öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat, die stets den Versuch einer Legitimation des propagierten strafbaren Verhaltens beinhaltet, wird diese Rechts- und Friedensordnung übersteuert und das Vertrauen in deren Bestand bedroht. Es droht im schlimmsten Fall eine Massenkriminalität […]. Das gilt gleichermassen, wenn die Straftat im Ausland begangen werden soll, soweit jedenfalls das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist. Denn verbieten sowohl die schweizerische als auch die ausländische Rechtsordnung das propagierte Verhalten, so unterminiert ein öffentlicher Aufruf zu einem entsprechend verbotenen Verhalten beide Rechtsordnungen. In diesem Fall ist auch bei einer öffentlichen Aufforderung zu einer Auslandstat das massgebliche Rechtsgut des öffentlichen Friedens tangiert.  Hierfür spricht darüber hinaus ebenso die Nähe der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB zur (versuchten) Anstiftung gemäss Art. 24 StGB. Der historische Gesetzgeber verstand die öffentliche Aufforderung zu einer Straftat als eine Art der Anstiftung […]. Die öffentliche Aufforderung weist Parallelen zur Anstiftung auf, da sie wie diese auf die Beeinflussung des Willens der Adressaten gerichtet ist mit der Besonderheit, dass die propagierte Tat nur der Gattung nach bezeichnet werden muss, die Adressaten unbestimmt bleiben können und das Hervorrufen eines Tatentschlusses bei den Adressaten nicht erforderlich ist […]. Eine versuchte Anstiftung in der Schweiz zu einer im Ausland auszuführenden Haupttat ist laut der Rechtsprechung trotz des durch die Haupttat gegebenen Auslandsbezugs von den Schweizer Strafbehörden zu beurteilen […]. Es erweist sich infolgedessen als stringent, dem Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB ebenfalls nicht allein deswegen die Anwendung zu versagen, weil die Aufforderung – gleich wie die Anstiftung in der oberwähnten Konstellation – eine im Ausland zu verübende (Haupt-) Tat betrifft. Öffentliche Aufforderungen zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB sind folglich auch dann tatbestandsmässig, wenn sie sich auf ein im Ausland zu verübendes Delikt beziehen, sofern das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist.» (E.4.4.3).

Sachverhalt

Am 25. März 2017 fand in Bern eine bewilligte Kundgebung mit dem Titel «Für Frieden, Freiheit und Menschenrechte in der Türkei» statt. Gleichentags setzte sich ein unbewilligter Kundgebungsumzug unter dem Titel «GEGEN DIE DIKTATUR ERDOGANS» in Bewegung. Auf einem Handwagen wurde ein Transparent mitgeführt, welches das Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeigte, auf dessen rechte Schläfe eine Faustfeuerwaffe gerichtet und das mit dem Schriftzug «KILL ERDOGAN with his own weapons!» versehen war.

Instanzenzug

Mehrere Personen wurden in diesem Zusammenhang 2020 mittels Strafbefehl wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit verurteilt. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach 2022 vier Personen frei. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte sie 2024 wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen zu unbedingten Geldstrafen oder zu bedingten Geldstrafen mit einer Busse.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_924/2023, 6B_207/2024, 6B_217/2024, 6B_218/2024, 6B_219/2024, 6B_222/2024 vom 26. August 2025

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_924/2023, 6B_207/2024, 6B_217/2024, 6B_218/2024, 6B_219/2024, 6B_222/2024 vom 26. August 2025 die Beschwerden der vier Personen ab. Sie machten im Wesentlichen geltend, dass der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen in verschiedener Hinsicht nicht erfüllt sei. Dem Berner Obergericht kann bei seiner Beurteilung weder Willkür noch eine falsche rechtliche Anwendung des Straftatbestands der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen vorgeworfen werden. Angesichts der konkreten Umstände – der gewählten Abbildung, verbunden mit dem Text – kann das Transparent bei objektiver Betrachtung nicht anders als eine eindeutige und eindringliche Aufforderung zur Tötung des türkischen Präsidenten verstanden werden. Sodann liegt eine öffentliche Aufforderung zu einer Straftat auch dann vor, wenn diese Straftat im Ausland verübt werden müsste. Die Schuldsprüche sind mit der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit vereinbar. Wohl ist es in einer Demokratie von zentraler Bedeutung, dass auch Stand punkte vertreten werden dürfen, die der Mehrheit missfallen oder die für viele schockierend sind; auch heftige Kritik gegenüber Politikern muss zulässig sein. Das Obergericht hat aber zutreffend festgehalten, dass das Transparent über eine provozierende Äusserung oder heftige Kritik hinausging.

Nicht zu beanstanden ist weiter, dass der Inhalt des Transparents den vier Beschwerdeführern zugerechnet wird. Sie standen nicht bloss als arglose Kundgebungsteilnehmer zufällig beim Transparent; vielmehr traten sie mit diesem gezielt an der Kundgebung auf. Sie hielten sich mehrfach direkt vor dem Plakat auf, fuhren zum Teil auf dem Handwagen mit, beförderten diesen oder bedienten die darauf installierte Audioanlage. Schliesslich durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass die Betroffenen um den Inhalt des Transparents wussten und mit dem Willen handelten, dessen Botschaft zu verbreiten.

Hier ist noch die rechtlichen Schlüsselausführung des Bundesgerichts im Originalwortlaut:

«Diese Einwände überzeugen ebenfalls nicht. Die Beschwerdeführer 3, 5 und 6 ignorieren mit ihren Vorbringen zur Versammlungsfreiheit, dass die Vorinstanz sie nicht verurteilt, weil sie an einer Kundgebung teilgenommen hätten, an der das zu beurteilende Transparent präsentiert wurde, sondern weil sie es waren, die das Transparent dort präsentierten (vgl. dazu unten E. 4.5). Davon abgesehen setzen sie sich mit der Begründung der Vorinstanz nicht hinlänglich auseinander. Weshalb deren Schluss, das Transparent sei weder durch die Meinungsäusserungs- noch Versammlungsfreiheit geschützt (und es sei überdies auch die Kunstfreiheit nach Art. 21 BV nicht tangiert; vgl. angefochtenes Urteil E. 17.2.2 S. 37), unzutreffend wäre bzw. die fraglichen Grundrechte zu einer abweichenden Beurteilung führen müssten, legen sie nicht nachvollziehbar dar. Solches ist denn auch nicht erkennbar. Wohl ist den Grundrechten bei der Auslegung von Art. 259 Abs. 1 aStGB Rechnung zu tragen und damit namentlich den Umständen, dass es in einer Demokratie von zentraler Bedeutung ist, der Mehrheit missfallende oder für viele schockierend wirkende Standpunkte vertreten zu dürfen, und dass heftige Kritik gegenüber Politikern zulässig sein muss (vgl. BGE 143 IV 193 E. 1; 137 IV 313 E. 2.1.4; Urteil 6B_1270/2017 vom 24. April 2018 E. 2.4.3). Die Vorinstanz hält indes zutreffend fest, dass das inkriminierte Transparent über eine provozierende und schockierende Äusserung sowie heftige Kritik hinausgeht. Es fordert zur Tötung einer Person bzw. zu einem Verbrechen auf und bedroht dadurch unmittelbar den öffentlichen Frieden in der Schweiz (vgl. dazu unten E. 4.4). Der Gesetzgeber hat ein solches Verhalten als gefährlich eingestuft, da es „an Stimmungen und Triebe der Masse sich wendet, deren Entfesselung von den furchtbarsten Folgen sein kann“ (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bun-desversammlung vom 23. Juli 1918 zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch, BBl 1918 IV 56). Er hat es deswegen für richtig befunden, die Meinungsäusserungsfreiheit mit Erlass der Strafbestimmung von Art. 259 aStGB insoweit einzuschränken (damals noch Art. 225 aStGB: „öffentliche Aufforderung zu Vergehen“; BBl 1918 IV 175). Inwiefern im Rahmen dieser eng umschriebenen Strafnorm Raum für eine über die teleologische Auslegung der Norm hinausreichende Interpretation nach der Verfassung, der EMRK oder anderen völkerrechtlichen Verträgen bestehen würde, ist weder dargetan noch ersichtlich (vgl. dazu bereits BGE 111 IV 151 E. 6). Auch der EGMR erlaubt es denn in ständiger Rechtsprechung, Meinungsäusserungen zu verbieten, wenn mit diesen – wie vorliegend – zu Gewalt aufgerufen wird (vgl. Urteile des EGMR Sener gegen Türkei vom 18. Juli 2000, Nr. 26680/95, § 40; Erdogdu gegen Türkei vom 15. Juni 2000, Nr. 25723/94, § 62; Sürek gegen Türkei [Nr. 1] vom 8. Juli 1999, Nr. 26682/95, § 61; vgl. auch BGE 150 IV 65 E. 7.5.5 mit weiteren Hinweisen).» (E.4.3.2).

«Den Beschwerdeführern 3-6 ist zuzustimmen, dass entgegen der Vorinstanz das betroffene Rechtsgut jener Straftat, zu deren Begehung aufgefordert wird, nicht als massgebliches Rechtsgut für den Straftatbestand von Art. 259 Abs. 1 aStGB in Betracht kommen kann. Wie zu zeigen ist, können sie daraus allerdings nichts für sich ableiten.  Das Bundesgericht gelangte in BGE 145 IV 433 zum Schluss, Art. 259 StGB schütze konkrete Individualrechtsgüter der Strafnormen, zu deren Verletzung aufgerufen werde, nur mittelbar. Es hielt fest, Art. 259 StGB ziele in erster Linie, genauso wie die Straftatbestände der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB), des Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) und der Beleidigung eines fremden Staats (Art. 296 StGB), auf den Schutz von kollektiven Rechtsgütern. In Bezug auf Art. 259 StGB nannte es als ein solches kollektives Rechtsgut unter Verweis auf Meinungen aus der Lehre den öffentlichen Frieden bzw. „la paix publique“ (vgl. BGE 145 IV 433 E. 3.6 und E. 3.5.2 mit Hinweis auf STRATENWERTH/BOMMER, Besonderer Teil, Bd. II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, § 38 Rz. 9, und DUPUIS UND ANDERE [Hrsg.], in: CP Code pénal, Petit commentaire, 2. Aufl. 2017, N. 1 zu Art. 259 StGB). Diese Ansicht vertreten sowohl die Botschaft betreffend die redaktionelle Anpassung der Strafbestimmung (vgl. BBl 2018 2883 Ziff. 2.2.11) als auch weitere Autoren im Schrifttum (vgl. namentlich LIVET/DOLIVO-BONVIN, in: Commentaire Romand, Code pénal, Bd. II, 2017, N. 1 zu Art. 259 StGB; TRECHSEL/VEST, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 1 zu Art. 259 StGB; VEST/SUTTER, in: Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, Kommentar, 2014, N. 9 ff. zu Art. 259 StGB; unklar DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 5. Aufl. 2017, S. 183). Sie ist zu bestätigen. Der Umstand, dass der öffentliche Friede übergeordnetes Ziel des Strafrechts überhaupt darstellt (was insbesondere FIOLKA hervorhebt, der in Art. 259 StGB einen vorgezogenen Individualrechtsgüterschutz sieht und den öffentlichen Frieden als selbständiges Rechtsgut generell ablehnt; vgl. FIOLKA, a.a.O., N. 6 zu Art. 259 StGB sowie N. 2 ff. zu Vor Art. 258 StGB; gleich im Ergebnis UHRMEISTER, in: StGB, Annotierter Kommentar, Damian K. Graf [Hrsg.], 2. Aufl. 2025, N. 1 zu Art 259 StGB), steht nicht entgegen, den öffentlichen Frieden als besonderes Rechtsgut von Art. 259 StGB und dessen Vorgängerversion zu definieren in dem Sinne, alsdass dieses Delikt unmittelbar gegen den öffentlichen Frieden gerichtet ist (so STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O. 4. Kapitel Rz. 1). Denn einerseits ist ein anderes (eigenständiges) Rechtsgut, das direkt von der tatbestandsmässigen Handlung von Art. 259 StGB betroffen wäre, nicht ersichtlich. Auch FIOLKA nennt ein solches nicht. Andererseits lässt sich das Rechtsgut des öffentlichen Friedens näher spezifizieren, vergleichbar wie FIOLKA das beim Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung nach Art. 258 StGB macht. FIOLKA führt betreffend Art. 258 StGB aus, es gehe dort um den Schutz „der Unbesorgtheit der Menschen“ bzw. des „allgemeinen Sicherheitsgefühls“, das er beschreibt als „Vertrauen des Einzelnen darin, keinen eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreffenden Gefährdungen ausgesetzt zu sein“ (vgl. FIOLKA, a.a.O., N. 8 f. zu Art. 258 StGB). Diese Konkretisierung kann für Art. 259 StGB übernommen werden, soweit die deliktische Handlung, zu der aufgefordert wird, zum Nachteil einer nicht konkret eingrenzbaren Anzahl von Personen geht. Daneben lässt sich als besonderer Schutzgehalt von Art. 259 StGB vor allem das Vertrauen des Einzelnen darauf nennen, dass die Strafrechtsordnung nicht durch Mobilisierung der Massen (ausserhalb des ordentlichen Wegs der Gesetzgebung) untergraben und in ihrer bedingungslosen Geltung in Frage gestellt wird. Als zentral erweist sich das Vertrauen des Einzelnen in den Bestand einer von der Gesellschaft akzeptierten und respektierten Strafrechts- bzw. Friedensordnung. Mit einer öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat, die stets den Versuch einer Legitimation des propagierten strafbaren Verhaltens beinhaltet, wird diese Rechts- und Friedensordnung übersteuert und das Vertrauen in deren Bestand bedroht. Es droht im schlimmsten Fall eine Massenkriminalität (vgl. VEST/SUTTER, a.a.O., N. 11 zu Art. 259 StGB mit Hinweis auf die überzeugenden Ausführungen von ESER zum deutschen Strafrecht in: SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch Kommentar, 28 Aufl. 2010 [bzw. heute 30. Aufl 2019], N. 1 [bzw. 2] zu § 111 D-StGB). Das gilt gleichermassen, wenn die Straftat im Ausland begangen werden soll, soweit jedenfalls das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist. Denn verbieten sowohl die schweizerische als auch die ausländische Rechtsordnung das propagierte Verhalten, so unterminiert ein öffentlicher Aufruf zu einem entsprechend verbotenen Verhalten beide Rechtsordnungen. In diesem Fall ist auch bei einer öffentlichen Aufforderung zu einer Auslandstat das massgebliche Rechtsgut des öffentlichen Friedens tangiert.  Hierfür spricht darüber hinaus ebenso die Nähe der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB zur (versuchten) Anstiftung gemäss Art. 24 StGB. Der historische Gesetzgeber verstand die öffentliche Aufforderung zu einer Straftat als eine Art der Anstiftung (vgl. BBl 70 IV 56). Die öffentliche Aufforderung weist Parallelen zur Anstiftung auf, da sie wie diese auf die Beeinflussung des Willens der Adressaten gerichtet ist mit der Besonderheit, dass die propagierte Tat nur der Gattung nach bezeichnet werden muss, die Adressaten unbestimmt bleiben können und das Hervorrufen eines Tatentschlusses bei den Adressaten nicht erforderlich ist (vgl. dazu FIOLKA, a.a.O., N. 29 f. zu Art. 259 StGB, der Art. 259 (a) StGB als eine Sonderregelung zur Anstiftung betrachtet). Eine versuchte Anstiftung in der Schweiz zu einer im Ausland auszuführenden Haupttat ist laut der Rechtsprechung trotz des durch die Haupttat gegebenen Auslandsbezugs von den Schweizer Strafbehörden zu beurteilen (vgl. Urteil 6B_1029/2021 vom 24. August 2022 E. 1). Es erweist sich infolgedessen als stringent, dem Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB ebenfalls nicht allein deswegen die Anwendung zu versagen, weil die Aufforderung – gleich wie die Anstiftung in der oberwähnten Konstellation – eine im Ausland zu verübende (Haupt-) Tat betrifft. Öffentliche Aufforderungen zu einer Straftat im Sinne von Art. 259 (a) StGB sind folglich auch dann tatbestandsmässig, wenn sie sich auf ein im Ausland zu verübendes Delikt beziehen, sofern das propagierte Verhalten dort nicht erlaubt ist.» (E.4.4.3).

«Die zur Diskussion stehende öffentliche Aufforderung zur Tötung des türkischen Präsidenten Erdogan tangiert nach dem Ausgeführten das einschlägige Rechtsgut. Die Tatsache, dass der türkische Präsident Erdogan in der Regel nicht in der Schweiz weilt und die Tötung daher im Ausland verübt werden müsste, bleibt entgegen den Beschwerdeführern 3-6 ohne Relevanz, ist doch weder dargelegt noch ersichtlich, dass eine entsprechende Tötung im Ausland bzw. der Türkei zulässig wäre. Die Rügen erweisen sich damit ebenfalls als unbegründet. Die vorinstanzliche Beurteilung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.» (E.4.4.3).

«Art. 259 Abs. 1 aStGB ist ein Vorsatzdelikt (vgl. Art. 12 Abs. 1 StGB).  Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt (Art. 12 Abs. 2 Satz 1 StGB). Der direkte Vorsatz verlangt neben dem Wissen um die reale Möglichkeit der Tatbestandserfüllung auch den Willen, den Tatbestand zu verwirklichen. Der Täter muss sich gegen das rechtlich geschützte Gut entscheiden. Dieser Wille ist gegeben, wenn die Verwirklichung des Tatbestands das eigentliche Handlungsziel des Täters ist oder ihm als eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung seines Ziels erscheint. Dasselbe gilt, wenn die Verwirklichung des Tatbestands für den Täter eine notwendige Nebenfolge darstellt, mag sie ihm auch gleichgültig oder gar unerwünscht sein (sog. direkter Vorsatz ersten bzw. zweiten Grades; BGE 130 IV 58 E. 8.2 mit Hinweisen). Ebenfalls vorsätzlich handelt nach Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB, wer die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt bzw. sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (sog. Eventualvorsatz; BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 143 V 285 E. 4.2.2; 137 IV 1 E. 4.2.3). Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft eine innere Tatsache und ist Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. dazu oben E. 2.1.1). Rechtsfrage ist hingegen, ob im Lichte der festgestellten Tatsachen der Schluss auf (Eventual-) Vorsatz begründet ist (BGE 147 IV 439 E. 7.3.1; 137 IV 1 E. 4.2.3; 130 IV 58 E. 8.5; je mit Hinweisen).» (E.5.2).

«Weshalb sie keine Kenntnis vom Inhalt des Transparents gehabt hätten, vermögen die Beschwerdeführer 3, 5 und 6 nicht darzulegen. Das erscheint angesichts ihrer Verrichtungen bzw. Handlungen, die mit dem das Transparent tragenden Handwagen und den thematisch passenden Kundgebungen in besonderem Zusammenhang stehen (Mitfahrt auf dem Handwagen, Ausrichten eines darauf montierten Lautsprechers und Befördern des Handwagens, jeweils als Teilnehmer der Kundgebungen), vielmehr geradezu als lebensfremd. Der insofern einzig vom Beschwerdeführer 5 angeführte konkretere und gemäss Videoaufnahme zutreffende Hinweis, er sei beim Ausrichten des Lautsprechers (seitlich) hinter dem Transparent gestanden, ändert hieran nichts und vermag ihm daher nicht zu helfen. Die Vorinstanz verfällt deshalb weder in Willkür noch verletzt sie anderweitig Bundesrecht, wenn sie allen Beschwerdeführern 3-6 ein Wissen um den Inhalt des Transparents zurechnet. Angesichts dieses Wissens und des direkten Umgangs mit dem Handwagen bzw. der dazugehörigen Audioanlage in der Öffentlichkeit ist genauso wenig zu beanstanden, dass die Vorinstanz schliesst, die Beschwerdeführer 3-6 hätten mit dem Willen gehandelt, die Botschaft des Transparents zu verbreiten. Der dagegen allein vom Beschwerdeführer 3 explizit erhobene Einwand, er sei nur bei der Retourfahrt auf dem Handwagen gewesen und habe an der eigentlichen Kundgebung keine Verbreitungshandlungen vorgenommen, was seinen fehlenden Verbreitungswillen zeige, verfängt in doppelter Hinsicht nicht. Nicht nur hat gemäss dem verbindlichen Sachverhalt ebenso er sich auf dem Bundesplatz mehrfach direkt vor dem Transparent aufgehalten und (bereits) dadurch beigetragen, Aufmerksamkeit zu schaffen (vgl. oben E. 4.5.3). Auch – und unabhängig davon – lässt sich aus seiner die Aufmerksamkeit ihrerseits fördernden Anwesenheit auf dem Handwagen anlässlich der Retourfahrt durch die Stadt (vgl. wiederum oben E. 4.5.3) mit guten Gründen schliessen, es sei ihm insbesondere um das Präsentieren der Botschaft des Transparents in der Öffentlichkeit gegangen.  Gleichermassen unbehelflich sind sodann die Hinweise der Beschwerdeführer 3, 5 und 6 auf einen angeblichen Widerspruch zwischen dem Schluss der Vorinstanz auf direktvorsätzliches Handeln und ihrer weiteren Feststellung, die Beschwerdeführer 3-6 hätten die Tötung des türkischen Präsidenten nicht konkret beabsichtigt. Es trifft zu, dass die Vorinstanz eine eigentliche Absicht (verstanden als direktvorsätzlichen Willen) der Beschwerdeführer 3-6 in Bezug auf die Tötung des Präsidenten Erdogan als nicht naheliegend erachtet (vgl. angefochtenes Urteil E. 17.3.1 S. 41 oben). Das schliesst ein direktvorsätzliches Handeln hinsichtlich der öffentlichen Aufforderung zur Tötung des Präsidenten Erdogan indes nicht aus. Wohl gilt, dass derjenige, der zur Begehung eines Verbrechens unmissverständlich, d.h. eindeutig und mit einer gewissen Eindringlichkeit, und somit tatbestandsmässig (vgl. oben E. 4.2.2) auffordert, nicht für sich beanspruchen kann, das besagte Verbrechen nicht gewollt zu haben (vgl. statt vieler STRATENWERTH/BOMMER § 38 Rz. 16). Mit der vorsätzlichen Aufforderung zu einem Verbrechen nach Art. 259 Abs. 1 aStGB geht mithin grundsätzlich auch der Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung des Verbrechens einher, zu dessen Begehung aufgefordert wird. Die zwei Vorsätze müssen allerdings nicht gleichgelagert sein. Der Täter kann aus verschiedenen Gründen öffentlich zu einem Verbrechen auffordern primär der öffentlichen Aufforderung wegen, namentlich um dadurch Unsicherheit in der Bevölkerung zu stiften, diese aufzuwiegeln oder auch nur um zu provozieren (direkter Vorsatz), während ihm die Verübung des konkreten Verbrechens – als Nebenfolge seines in erster Linie auf das Einwirken auf die Öffentlichkeit gerichteten Handelns – zumindest gleichgültig ist (Eventualvorsatz). Nichts anderes sagt die Vorinstanz, wenn sie eine konkrete Absicht der Beschwerdeführer 3-6 hinsichtlich der Tötung des türkischen Präsidenten verneint, mit Bezug auf die öffentliche Aufforderung zur Tötung desselben jedoch direkten Vorsatz annimmt. Der betreffende Einwand der Beschwerdeführer 3, 5 und 6 ist folglich ebenfalls unbegründet.» (E.5.4).

«Die hinsichtlich des subjektiven Tatbestands erhobene Kritik erweist sich gesamthaft ihrerseits als unbegründet, soweit auf sie einzutreten ist.» (E.5.5).

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