Erfolgreiche Rechtsverweigerungsbeschwerde eines abgewiesenen Zuschauers bei einer Berufungsverhandlung

Im Urteil 7B_1275/2024 vom 18. September 2025 aus dem Kanton Bern befasste sich das Bundesgericht mit einer weitergeleiteten Laienbeschwerde eines Mannes, dem der Besuch einer Berufungsverhandlung als Zuschauer verweigert wurde und der Auslagenersatz verlangte. Das Bundesgericht erklärte zur Rechtsverweigerungsbeschwerde folgendes und hiess diese dann auch gut: «Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber befinden müsste (BGE 135 I 6 E. 2.1), oder wenn sie eine Eingabe nicht an die Hand nimmt und behandelt (BGE 149 II 209 E. 4.2; 144 II 184 E. 3.1; Urteile 2C_293/2023 vom 11. Juni 2025 E. 3.1; 6B_1408/2022 vom 17. Februar 2023 E. 4.5.2). Ob eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 149 II 209 E. 4.2 in fine; 144 II 184 E. 3.1; 135 I 6 E. 2.1).» (E.2.2).

Sachverhalt, Instanzenzug und Weiterleitung an das Bundesgericht

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland (nachfolgend: Staatsanwaltschaft), wirft B. im Wesentlichen die Teilnahme an zwei nicht bewilligten Kundgebungen der Gruppe „C. “ in U. und V. vor.

Mit Urteil vom 9. März 2023 sprach das Regionalgericht Bern-Mittelland B. vom Vorwurf der Nötigung frei. Es verurteilte ihn wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung und wegen Übertretung des Strassenverkehrsgesetzes zu einer Übertretungsbusse von Fr. 220.–, bzw. zu drei Tagen Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung. Gegen dieses Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Berufung.

Mit Verfügung vom 6. August 2024 lud das Obergericht des Kantons Bern die Parteien zur Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 vor. Als Verhandlungsort wurde der Gerichtssaal Nr. 3 angegeben. Dieser Gerichtssaal weist eine Kapazität für ca. drei Personen als Zuschauerinnen oder Zuschauer auf.

Mit Schreiben vom 13. November 2024 (eingegangen am 14. November 2024) teilte die Rechtsvertreterin von B. dem Obergericht des Kantons Bern mit, dass dreizehn (namentlich nicht genannte) Personen der Berufungsverhandlung beiwohnen möchten. Entsprechend ersuchte sie um Durchführung der Verhandlung in einem genügend grossen Saal, um dies zu ermöglichen.

Mit Verfügung vom 14. November 2024 teilte die verfahrensleitende Präsidentin i.V. des Obergerichts des Kantons Bern der Rechtsvertreterin von B. mit, dass ihrem Ersuchen nicht entsprochen werden könne. Sie hielt fest, es würden fünf Zuschauerinnen oder Zuschauer zur Verhandlung im Gerichtssaal Nr. 3 zugelassen. Vertrauenspersonen des Beschuldigten und Medienschaffenden sei dabei der Vortritt zu gewähren.

Die Berufungsverhandlung fand am 18. November 2024 statt. Zur Gerichtsverhandlung zugelassen wurden fünf Zuschauerinnen bzw. Zuschauer.  Die Rechtsvertreterin von B. stellte anlässlich der Berufungsverhandlung im Rahmen der Vorfragen den Antrag, dass die weiteren Personen, welche der Berufungsverhandlung teilnehmen wollen, als Zuschauerinnen und Zuschauer zuzulassen seien. Den Antrag wies das Obergericht des Kantons Bern gleichentags unter anderem unter Verweis auf die Begründung der Verfügung vom 14. November 2024 (vgl. Sachverhalt lit. B.c) mit mündlich eröffnetem Beschluss ab.

Mit Urteil vom 18. November 2024 stellte das Obergericht des Kantons Bern eine Verletzung des Beschleunigungsgebots und die teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils (bezüglich der Schuldsprüche und der ausgesprochenen Übertretungsbusse; vgl. Sachverhalt lit. A.b) fest. Es sprach B. der Nötigung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu je Fr. 170.–, unter Gewährung einer Probezeit von zwei Jahren, zu einer Verbindungsbusse von Fr. 510.–, bzw. zu drei Tagen Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung, sowie zur Bezahlung der erstinstanzlichen und der oberinstanzlichen Verfahrenskosten.   Dagegen ist B. mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gelangt (Verfahren 6B_342/2025).

Mit Schreiben vom 19. November 2024 machte A. beim Obergericht des Kantons Bern im Wesentlichen geltend, ihm sei der Zugang zur Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 zu Unrecht verweigert worden. Er beantragte die Rückerstattung seiner Auslagen (Reisekosten, Erwerbsausfall), die Ausrichtung einer Genugtuung sowie einer Parteientschädigung. Für den Fall der Abweisung dieser Anträge ersuchte er um Erlass eines anfechtbaren Entscheids betreffend die Verweigerung seines Zugangs zur Berufungsverhandlung und betreffend die polizeiliche Räumung des Gerichtsgebäudes.

Mit Schreiben vom 22. November 2024 nahm die Präsidentin i.V. des Obergerichts des Kantons Bern dazu Stellung. Sie hielt im Wesentlichen fest, das Obergericht habe die Zuschaueranzahl der Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 in Anwendung von Art. 70 StPO beschränkt, was aufgrund der gegebenen Umstände gerechtfertigt gewesen sei. Eine Rückerstattung der Auslagen bzw. die Gewährung von Schadenersatz oder Genugtuung erscheine vor diesem Hintergrund „nicht angezeigt“.

Dagegen gelangte A. mit Schreiben vom 25. November 2024 an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Er beantragte, die obergerichtliche Abweisung seines Gesuchs um Auslagenrückerstattung (Reisekosten, Erwerbsausfall) sei aufzuheben (sofern das Schreiben vom 22. November 2024 als anfechtbarer Entscheid zu qualifizieren sei) und ihm sei eine Entschädigung von Fr. 256.– auszurichten. Es sei eine Verletzung von Art. 13 [EMRK] und von Art. 25a VwVG festzustellen, da sich das Obergericht geweigert habe, eine Verfügung betreffend die Verweigerung seines Zugangs zur Berufungsverhandlung zu erlassen. Zudem seien eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 3 BV wegen der Verweigerung seines Zugangs zur Berufungsverhandlung und eine Verletzung von Art. 10 und 11 EMRK sowie von Art. 22 und Art. 34 Abs. 2 BV wegen seiner polizeilichen Wegweisung aus dem Gericht festzustellen. Weiter sei ihm eine Liste der Gerichtssäle des Obergerichts (unter Angabe der Fläche und der Raumkapazität) zur Verfügung zu stellen. Ihm sei zudem die Frist mitzuteilen, innert welcher die Teilnahme an einer bevorstehenden Verhandlung angemeldet werden soll, unter Angabe der gesetzlichen Grundlage für eine solche Anmeldefrist. A. beantragte weiter, es sei ihm der Besetzungsplan der Gerichtssäle des Obergerichts vom 18. November 2024 und die Anzahl der tatsächlich anwesenden Personen mitzuteilen. Schliesslich ersuchte er um Ausrichtung von Fr. 700.– als Genugtuung und von Fr. 400.– als Entschädigung.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern leitete am 27. November 2024 das Schreiben von A. vom 25. November 2024 in Anwendung von Art. 48 Abs. 3 BGG zuständigkeitshalber dem Bundesgericht weiter.

Am 12. Dezember 2024 (Eingangsdatum) stellte A. nachträglich ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen und diese nach Einsichtnahme antragsgemäss an das Obergericht des Kantons Bern retourniert. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern lässt sich nicht vernehmen. Die Präsidentin i.V. des Obergerichts des Kantons Bern beantragt mit Eingabe vom 7. März 2025 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. B. nahm mit Eingabe vom 7. März 2025 zur Beschwerde Stellung und führte aus, diese erweise sich als „begründet“, ohne Anträge in der Sache zu stellen. Diese Eingaben wurden am 17. März 2025 den anderen Parteien zur Kenntnisnahme zugestellt. A. hat mit Eingabe vom 29. März 2025 repliziert.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_1275/2024 vom 18. September 2025  

Das Bundesgericht führt im Urteil 7B_1275/2024 vom 18. September 2025 zur Laienbeschwerde folgendes aus:

«Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber befinden müsste (BGE 135 I 6 E. 2.1), oder wenn sie eine Eingabe nicht an die Hand nimmt und behandelt (BGE 149 II 209 E. 4.2; 144 II 184 E. 3.1; Urteile 2C_293/2023 vom 11. Juni 2025 E. 3.1; 6B_1408/2022 vom 17. Februar 2023 E. 4.5.2). Ob eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 149 II 209 E. 4.2 in fine; 144 II 184 E. 3.1; 135 I 6 E. 2.1).» (E.2.2).

«Der Beschwerdeführer hat sich zweimal an das Obergericht des Kantons Bern gewandt und um Erlass eines anfechtbaren Entscheids betreffend die Verweigerung seines Zugangs zur Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 ersucht: Einerseits mit Schreiben vom 18. November 2024, welches (unter anderem) vom Beschwerdeführer unterzeichnet und dem Obergericht am Tag der Berufungsverhandlung – nach den unbestritten gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers – persönlich überreicht wurde. Andererseits mit Schreiben vom 19. November 2024, mit welchem der Beschwerdeführer um Erlass eines anfechtbaren Entscheids ersuchte, der sich nicht nur zur Verweigerung seines Zugangs zur Berufungsverhandlung, sondern darüber hinaus zur polizeilichen Räumung des Gerichtsgebäudes äussern sollte (vgl. Sachverhalt lit. C.a).  Die einzige Reaktion seitens des Obergerichts war die Stellungnahme der verfahrensleitenden Präsidentin i.V. vom 22. November 2024. Selbst wenn in dieser Stellungnahme die (bereits erfolgte) Beschränkung der zur Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 zugelassenen Zuschaueranzahl mit Hinweis auf Art. 70 StPO als gerechtfertigt und mit dieser Begründung die Rückerstattung der Auslagen des Beschwerdeführers bzw. die Gewährung von Schadenersatz oder Genugtuung als „nicht angezeigt“ betrachtet wurde (vgl. Sachverhalt lit. C.b), kann darin kein anfechtbarer Entscheid der dafür zuständigen Behörde erblickt werden (siehe Urteil 7B_61/2022 vom 25. Juni 2024 E. 3.3 mit Hinweisen). Hinzu kommt, dass in der besagten Stellungnahme die am 18. November 2024 erfolgte polizeiliche Räumung des Gerichtsgebäudes gar nicht thematisiert wurde. Dies, obwohl der Beschwerdeführer im Schreiben vom 19. November 2024 auch diesbezüglich um Erlass eines anfechtbaren Entscheids ersucht hatte (vgl. Sachverhalt lit. C.a). Die polizeiliche Räumung thematisierte die Präsidentin i.V. erst vor Bundesgericht in ihrer Vernehmlassung vom 7. März 2025. 

Gegen die Stellungnahme vom 22. November 2024 wandte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. November 2024 an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Die Anfechtung erfolgte indes ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass es sich bei dieser Stellungnahme um einen anfechtbaren Entscheid handle (vgl. Sachverhalt lit. C.c), was selbst von der Präsidentin i.V. in ihrer Vernehmlassung vor Bundesgericht als fraglich bezeichnet wird und aus den dargelegten Gründen zu verneinen ist. Das Verwaltungsgericht leitete in der Folge das genannte Schreiben des Beschwerdeführers zuständigkeitshalber an das Bundesgericht weiter (vgl. Sachverhalt lit. C.d). 

Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, inwiefern das Bundesgericht in der vorliegenden Angelegenheit zuständig sein könnte, bzw. was im bundesgerichtlichen Verfahren Anfechtungsobjekt bilden sollte, zumal ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid weder im Hinblick auf die Rechtmässigkeit der Verweigerung des Zugangs des Beschwerdeführers zur Berufungsverhandlung vom 18. November 2024 noch im Hinblick auf die Rechtmässigkeit der gleichentags erfolgten polizeilichen Räumung des Gerichtsgebäudes sowie auf die geltend gemachten Entschädigungsansprüche des Beschwerdeführers vorliegt bzw. gefällt wurde.» (E.2.3).

«Die Rechtsverweigerungsbeschwerde ist gutzuheissen. Die Angelegenheit geht zur Entscheidung an das Obergericht des Kantons Bern. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).» (E.3.1).

 

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