Entbindung von Schweigepflicht bei schweren Verfahrensmängeln nichtig

Das Bundesgericht erklärt im Urteil 2C_332/2024 vom 21. Juli 2025 eine Verfügung des Schwyzer Amtes für Gesundheit und Soziales für nichtig, mit der es medizinische Leitungspersonen einer Klinik bezüglich eines Patienten mit pädophilen Neigungen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden von der beruflichen Schweigepflicht entbunden hat. Weil der Betroffene nicht in das Verfahren einbezogen und ihm die Verfügung nicht eröffnet wurde, liegen besonders schwere Verfahrensmängel vor. Hier sind einige der Schlüsselausführungen des Bundesgerichts: «Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Nichteröffnung der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 an den Beschwerdeführer einen Nichtigkeitsgrund setzt. Diesem liegt primär eine äusserst schwerwiegende und zudem offensichtliche Verletzung des Gehörsanspruchs des Beschwerdeführers zugrunde. Eine Heilung dieser Gehörsverletzung […] fällt in der vorliegenden Konstellation zudem von vornherein ausser Betracht, weil der Beschwerdeführer nie die Möglichkeit hatte, die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 wirksam anzufechten. In Bezug auf die Nichtigkeit ergibt sich damit, dass die beiden ersten Voraussetzungen gemäss der Evidenztheorie – ein besonders schwerer und offensichtlicher Mangel […] – erfüllt sind.» (E.4.3.5). «Bei der Beantwortung der Frage, ob ein fehlerhafter Verwaltungsakt nichtig ist, sind alle massgeblichen Interessen gegeneinander abzuwägen […].» (E.4.4.1). «Vorliegend spricht das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung bzw. an der Wahrung der Parteirechte des Beschwerdeführers klar für die Annahme der Nichtigkeit. Rechtssicherheits- bzw. Vertrauensschutzinteressen, welche dieses gewichtige Interesse überwiegen könnten, sind nicht ersichtlich. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Geheimnisträger im Wissen um und gestützt auf die Verfügung vom 30. August 2022 Auskunft gaben. Mit Blick auf deren Dahinfallen können sie sich daher auf den Standpunkt stellen, von einer gültigen Entbindung von der Schweigepflicht bzw. aufgrund der vermeintlich gültigen Entbindungsverfügung davon ausgegangen zu sein, rechtskonform zu handeln. Dass das zuständige Amt das Entbindungsverfahren nicht korrekt durchgeführt hat, ist ihnen allemal nicht anzulasten.» (E.4.4.2).

Sachverhalt

Ein Mann begab sich 2022 zur stationären Behandlung in eine Klinik im Kanton Schwyz. Dabei kam sein Konsum von Kinderpornografie zur Sprache. Die Klinik ersuchte das Amt für Gesundheit und Soziales des Kantons Schwyz darum, bestimmte medizinische Leitungspersonen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den eigenen Anwälten bezüglich des Patienten von der beruflichen Schweigepflicht zu entbinden (Bekanntgabe der Personalien, des Patientenverhältnisses und der Patientengeschichte), da die Gefahr weiteren Konsums von Kinderpornografie und das Risiko einer Fremdgefährdung bestehe. Nach Genehmigung des Entbindungsgesuchs reichte die Klinik gegen den Patienten Strafanzeige wegen harter Pornografie ein. Dieser erfuhr von der Entbindung erst anlässlich der Einsichtnahme in die Akten der Strafuntersuchung durch seine Anwältin.

Instanzenzug

Beschwerden des Patienten gegen die Entbindungsverfügung wiesen der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz ab.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_332/2024 vom 21. Juli 2025

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Patienten gut und stellt wegen besonders schwerer Verfahrensmängel die Nichtigkeit der Entbindungsverfügung fest. Der Betroffene wurde nicht in das Entbindungsverfahren einbezogen und die Verfügung wurde ihm auch nicht zugestellt. Letzteres kann höchstens dann zulässig sein, wenn dafür eine klare gesetzliche Grundlage besteht. Eine solche lag hier nicht vor, womit allein schon deshalb ein gravierender Verfahrensfehler vorliegt. Die unterlassene Zustellung und der Nichteinbezug des Betroffenen führten dazu, dass er sich nicht rechtzeitig gegen die Entbindung zur Wehr setzen konnte. Von Bedeutung ist weiter, dass die persönlichen Informationen, die unter die ärztliche Schweigepflicht fallen, in besonderem Masse schützenswert sind. Umso wichtiger ist es, beim Entscheid über die Entbindung von der Schweigepflicht die Parteirechte zu wahren. Dass dies unterlassen wurde, begründeten die Behörden nicht mit einer konkreten Gefahr für ein hochwertiges Rechtsgut, etwa die sexuelle Integrität eines bestimmten Kindes, sondern mit einer möglichen Beweismittelvernichtung. Dies reicht nicht aus, um eine derart gravierende Gehörsverletzung zu rechtfertigen. Schliesslich wird die Rechtssicherheit durch die Feststellung der Nichtigkeit der Verfügung nicht ernsthaft gefährdet. Die Personen, welche gegenüber den Strafverfolgungsbehörden Auskunft gaben, konnten davon ausgehen, rechtmässig gehandelt zu haben.

Hier sind einige der Ausführungen des Bundesgerichts noch in ihrem Originalwortlaut:

«Nach einem allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Verfahrensrechts darf den Parteien aus der mangelhaften Eröffnung einer Verfügung oder eines Entscheids kein Nachteil erwachsen. Dieser Grundsatz konkretisiert das in Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV verankerte Prinzip von Treu und Glauben sowie die Verfahrensgarantien gemäss Art. 29 Abs. 1 und 2 BV (vgl. Urteil 2C_646/2023 vom 19. August 2024 E. 4.2 mit Hinweisen). Er bedeutet nicht, dass die Unterlassung der Eröffnung in jedem Fall zur Nichtigkeit führt. Dem Schutz der Parteien ist genügend Rechnung getragen, wenn die mangelhafte Eröffnung trotzdem ihren Zweck erfüllt (vgl. BGE 122 I 97 E. 3a/aa; Urteile 2C_1010/2020 vom 26. Februar 2021 E. 4.3; 2C_657/2014 vom 12. November 2014 E. 2.4.1; 2C_848/2012 vom 8. März 2013 E. 4.1; KÖLZ / HÄNER / BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, N. 641). Von Nichtigkeit bzw. „rechtlicher Inexistenz“ wird in Praxis und Lehre hingegen dann ausgegangen, wenn eine Verfügung überhaupt nicht eröffnet wurde (vgl. BGE 142 II 411 E. 4.2; 141 I 97 E. 7.1; 122 I 97 E. 3a/bb; Urteile 2C_160/2019 vom 5. November 2019 E. 4.1; 2C_712/2018 vom 21. März 2019 E. 3.1; 2C_657/2014 vom 12. November 2014 E. 2.4.1; KNEUBÜHLER / PEDRETTI, Kommentar VwVG, 2. Aufl. 2019, N. 16 zu Art. 38 VwVG; UHLMANN / SCHILLING-SCHWANK, in: Praxiskommentar VwVG, 3. Aufl. 2023, N. 9 zu Art. 38 VwVG; YANNICK WEBER, Die Nichtigkeit im öffentlichen Recht, 2024, N. 24). Wurde sie lediglich einzelnen, aber nicht allen Parteien eröffnet, setzt die Annahme der Nichtigkeit voraus, dass es sich bei der von der Nichteröffnung betroffenen Partei um den bzw. um einen Verfügungsadressaten handelt sowie dass dieser keine Kenntnis vom Verfahren hatte und entsprechend auch nicht daran teilnehmen konnte (vgl. BGE 145 IV 197 E. 1.3.2; 136 III 571 E. 6.2; 129 I 361 E. 2.1; Urteile 1C_475/2021 vom 3. November 2022 E. 5.2; 6B_299/2022 vom 23. Mai 2022 E. 2.2.2; 4A_646/2020 vom 12. April 2021 E. 3.3.1; 8C_7/2020 vom 3. November 2020 E. 6.2.3.2; 2C_657/2014 vom 12. November 2014 E. 2.4; WIEDERKEHR / PLÜSS, Praxis des öffentlichen Verfahrensrechts, 2020, N. 3493).» (E.4.3.1).

«Das Gebot, Entscheide allen direkt betroffenen Personen zu eröffnen, ist ein elementarer Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 133 I 201 E. 2.1; Urteile 4A_648/2023 vom 16. Februar 2024 E. 2.1; 1C_47/2020 et al. vom 17. Juni 2021 E. 4.2; 2C_139/2016 vom 14. Juni 2016 E. 3.5; MÜLLER / SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 884). Das besagte Gebot hängt zudem eng mit den in Art. 29a BV und Art. 6 und 13 EMRK verbürgten Rechtsschutzgarantien zusammen (vgl. Urteil 7B_277/2023 vom 19. September 2023 E. 2.3.1; Urteil des EGMR Zavodnik gegen Slowenien vom 21. August 2015 [Nr. 53723/13] § 71 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 142 III 599 E. 2.4.1, wonach der Adressat einer Verfügung von ihr Kenntnis erlangen muss, um sie sachgerecht anfechten zu können). Dies hat zur Konsequenz, dass der behördliche Verzicht darauf, eine Verfügung ihrem Adressaten zur Kenntnis zu bringen, höchstens dann zulässig sein kann, wenn hierfür eine klare formell-gesetzliche Grundlage besteht (vgl. Art. 29a Satz 2 BV sowie Art. 36 Abs. 1 BV analog; zur sinngemässen Anwendbarkeit der Schrankenregelung nach Art. 36 BV auf Verfahrensgrundrechte BGE 143 I 227 E. 5.1; 132 I 134 E. 2.1; 130 I 312 E. 4.2; Urteil 2C_29/2025 vom 27. März 2025 [zur Publikation vorgesehen] E. 5.2; GIOVANNI BIAGGINI, Kommentar BV, 2. Aufl. 2017, N. 4 zu Art. 36 BV; JACQUES DUBEY, in: Commentaire romand, 2021, N. 56 f. zu Art. 36 BV; KIENER / KÄLIN / WYTTENBACH, Grundrechte, 4. Aufl. 2024, N. 2025 f.). Liegt keine solche Rechtsgrundlage vor, ist die (bewusste) Nichteröffnung einer Verfügung an einen Adressaten allein schon deshalb als gravierender Verfahrensfehler zu qualifizieren.» (E.4.3.2).

«Gemäss § 33 VRP/SZ („Eröffnung“) werden Verfügungen und Entscheide „Parteien und Beteiligten durch die Post oder durch den damit beauftragten Funktionär, in der Regel eingeschrieben, zugestellt“ (Abs. 1); hiervon kann bei Allgemeinverfügungen sowie dann abgewichen werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt oder die Zustellung aus anderen Gründen nicht möglich ist (vgl. Abs. 2). Aus dem Wortlaut dieser – Art. 29 Abs. 2 BV konkretisierenden (vgl. E. 4.3.2 hiervor) – Gesetzesbestimmung erhellt ohne weiteres, dass die vorliegend strittige Verfügung dem Beschwerdeführer bereits aufgrund des einschlägigen kantonalen Verfahrensrechts zwingend hätte eröffnet werden müssen (vgl. BGE 133 I 201 E. 2.1 betreffend § 20 Abs. 1 des thurgauischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes [VRG/TG; RB 170.1]). Eine andere Auslegung des kantonalen Verfahrensrechts muss als unhaltbar und damit willkürlich bezeichnet werden (vgl. BGE 133 I 201 E. 2.1). Dies gilt gerade auch mit Blick auf § 21 Abs. 3 VRP/SZ, der einzig Ausnahmen von der Anhörungspflich t der Behörden vorsieht, d.h. diese in keiner Weise dazu ermächtigt, auf die Eröffnung von Entscheiden zu verzichten. Eine Rechtsgrundlage für die Nichteröffnung der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 an den Beschwerdeführer lag demnach nicht vor.  

Abgesehen davon bewirkte die Nichtzustellung der Verfügung vom 30. August 2022 an den Beschwerdeführer – im Verbund mit seinem gänzlichen Ausschluss vom Entbindungsverfahren, in welchem ihm als Geheimnisherr die Stellung eines Verfügungsadressaten zukam (bzw. zugekommen wäre) -, dass dieser keine Möglichkeit hatte, sich vorgängig gegen die Entbindung zur Wehr zu setzen bzw. zu verhindern, dass es zur Offenbarung der ihn betreffenden Berufsgeheimnisse kommt. Der der Verfügung vom 30. August 2022 anhaftende Eröffnungsmangel erweist sich damit auf jeden Fall als besonders schwer. Der Mangel war darüber hinaus bereits bei Verfügungserlass offensichtlich, setzte sich das Amt für Gesundheit und Soziales doch gezielt über zentrale Vorgaben des Verfahrensrechts hinweg, um die Rahmenbedingungen für eine möglichst effektive Strafverfolgung des Beschwerdeführers zu schaffen. Indem die dafür erforderliche Preisgabe von Berufsgeheimnissen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden schon erfolgt war, als der Beschwerdeführer von der Entbindung erfuhr, erwuchs ihm aus der Nichteröffnung der Entbindungsverfügung im Übrigen ein erheblicher Nachteil (vgl. E. 4.3.1 hiervor). Zwar konnte der Beschwerdeführer die Verfügung immer noch anfechten und seinen Standpunkt in die Rechtsmittelverfahren vor dem Regierungsrat und der Vorinstanz einbringen; Ziel des zuständigen Amts war es jedoch, zu verhindern, dass er dies tun kann, bevor es zur Einleitung einer Strafuntersuchung gegen ihn kommt. Das Vorgehen des Amts für Gesundheit und Soziales spricht somit auch unter diesem Blickwinkel für die Annahme der Nichtigkeit der Verfügung vom 30. August 2022.» (E.4.3.3).

«Bedeutsam ist des Weiteren, dass der ärztlichen Schweigepflicht unterliegende persönliche Informationen in besonderem Mass schützenswert sind (vgl. Art. 13 BV, Art. 8 Ziff. 1 EMRK, Art. 27 ff. ZGB und Art. 5 lit. c Ziff. 2 DSG; vgl. auch Urteil des EGMR Bédat gegen Schweiz vom 29. März 2016 [Nr. 56925/08] § 76: „le plus haut degré de protection“). Behördliche Entbindungen von der Schweigepflicht sind demgemäss grundsätzlich als Eingriffe in die Privatsphäre zu qualifizieren, und umso wichtiger ist die Wahrung der Parteirechte der Betroffenen im Entbindungsverfahren (vgl. DONZALLAZ, Traité, N. 6699 f.). Zwar sieht die Rechtsordnung verschiedentlich vor, dass dem Berufsgeheimnis unterstehende Personen den Behörden gewisse der Schweigepflicht unterliegende Wahrnehmungen direkt, d.h. ohne vorgängiges Entbindungsverfahren, melden dürfen oder sogar müssen (vgl. neben § 30 Abs. 2 GesG/SZ vor allem auch Art. 314c Abs. 2 und Art. 453 Abs. 2 ZGB, jeweils i.V.m. Art. 321 Ziff. 3 StGB). Dies setzt allerdings voraus, das eine konkrete Gefahr für hochwertige Rechtsgüter besteht (in diesem Sinn DONZALLAZ, Traité, N. 6701, 6792; vgl. auch PHILIPPE MEIER, in: Commentaire romand, 2. Aufl. 2024, N. 22 zu Art. 314c-e ZGB). So halten etwa auch die medizinethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) fest, dass selbst bei Personen, die sich im Straf- bzw. Massnahmenvollzug befinden, eine direkte Meldung nur erfolgen darf, „wenn das Leben oder die körperliche Integrität eines Dritten ernsthaft und akut gefährdet ist“ (SAMW-Richtlinien „Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen“, 2018, S. 10; vgl. zur Rechtsnatur der medizinethischen Richtlinien der SAMW BGE 151 I 19 E. 7.3.2 mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall geht es – wie gesehen (vgl. E. 3.2 hiervor) – nicht um eine sich auf § 30 Abs. 2 GesG/SZ abstützende Meldung. Auch eine andere Rechtsgrundlage, die eine Meldung zugelassen hätte, ist nicht ersichtlich. In der Sache selbst begründeten die Vorinstanzen die Nichtanhörung des Beschwerdeführers im Entbindungsverfahren und die Nichtzustellung der Entbindungsverfügung an ihn nicht mit dem Vorliegen einer konkreten Gefahr für ein hochwertiges Rechtsgut, etwa die sexuelle Integrität eines bestimmten Kindes, sondern mit der Gefahr, dass der Beschwerdeführer Beweismittel vernichtet. Zur Rechtfertigung einer derart gravierenden Gehörsverletzung, wie sie vorliegend zur Diskussion steht, reicht dies vor dem dargelegten verfassungs- und konventionsrechtlichen Hintergrund nicht aus.» (E.4.3.4).

«Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Nichteröffnung der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 an den Beschwerdeführer einen Nichtigkeitsgrund setzt. Diesem liegt primär eine äusserst schwerwiegende und zudem offensichtliche Verletzung des Gehörsanspruchs des Beschwerdeführers zugrunde. Eine Heilung dieser Gehörsverletzung (vgl. dazu BGE 147 IV 340 E. 4.11.3; 146 III 97 E. 3.5.2; 142 II 218 E. 2.8.1; 137 I 195 E. 2.3.2; Urteile 1C_586/2023 vom 27. Mai 2024 E. 3.1; 2C_146/2023 vom 25. Oktober 2023 E. 5.1; 2C_336/2022 vom 29. November 2022 E. 4.3) fällt in der vorliegenden Konstellation zudem von vornherein ausser Betracht, weil der Beschwerdeführer nie die Möglichkeit hatte, die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 wirksam anzufechten. In Bezug auf die Nichtigkeit ergibt sich damit, dass die beiden ersten Voraussetzungen gemäss der Evidenztheorie – ein besonders schwerer und offensichtlicher Mangel (vgl. E. 4.1 hiervor) – erfüllt sind.» (E.4.3.5).

«Als weitere Voraussetzung der Nichtigkeit darf die Annahme eines nichtigen Rechtsakts die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährden (vgl. E. 4.1 hiervor).» (E.4.4).

«Bei der Beantwortung der Frage, ob ein fehlerhafter Verwaltungsakt nichtig ist, sind alle massgeblichen Interessen gegeneinander abzuwägen (BGE 132 II 21 E. 3.3; grundlegend BGE 83 I 1 E. 3; vgl. ferner BGE 148 II 564 E. 7.6; DONZALLAZ, Notification, N. 1137; HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, N. 1098; WEBER, a.a.O., N. 141 f.).» (E.4.4.1).

«Vorliegend spricht das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung bzw. an der Wahrung der Parteirechte des Beschwerdeführers klar für die Annahme der Nichtigkeit. Rechtssicherheits- bzw. Vertrauensschutzinteressen, welche dieses gewichtige Interesse überwiegen könnten, sind nicht ersichtlich. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Geheimnisträger im Wissen um und gestützt auf die Verfügung vom 30. August 2022 Auskunft gaben. Mit Blick auf deren Dahinfallen können sie sich daher auf den Standpunkt stellen, von einer gültigen Entbindung von der Schweigepflicht bzw. aufgrund der vermeintlich gültigen Entbindungsverfügung davon ausgegangen zu sein, rechtskonform zu handeln. Dass das zuständige Amt das Entbindungsverfahren nicht korrekt durchgeführt hat, ist ihnen allemal nicht anzulasten.» (E.4.4.2).

«Demzufolge wird die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit der Verfügung vom 30. August 2022 nicht ernsthaft gefährdet.» (E.4.4.3).

«Die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 vermochte nach dem Gesagten mangels Eröffnung an den Beschwerdeführer keinerlei Rechtswirkungen zu entfalten (vgl. Urteil 2C_139/2016 vom 14. Juni 2016 E. 3.5 mit Hinweisen). Sie hat mithin keine rechtliche Existenz erlangt und ist dementsprechend im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nichtig. Der Antrag auf Nichtigkeitsfeststellung ist gutzuheissen. Die Eventualanträge des Beschwerdeführers werden damit gegenstandslos.» (E.4.5).

«Die Beschwerde erweist sich als begründet. Sie ist folglich gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (vgl. Urteil 9C_673/2023 vom 19. August 2024 [zur Publikation vorgesehen] E. 7) und die Nichtigkeit der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 festzustellen.» (E.5).

 

 

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