Einsichtsrecht nach Art. 101 Abs. 2 StPO der KESB in forensisch-psychiatrisches Gutachten

Im Urteil 7B_681/2024 vom 4. April 2025 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundegericht mit der Einsicht der KESB in ein im strafrechtlichen Verfahren über den Beschuldigten erstelltes forensisch-psychiatrisches Gutachten. Das Bundesgericht schützte die Einsicht der KESB, u.a. mit den folgenden Ausführungen: «Gemäss Art. 101 Abs. 2 StPO können andere Behörden die Akten einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil-, Straf-, oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.» (E.3.1).  «Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz eine umfassende Interessenabwägung der im vorliegenden Fall tangierten öffentlichen Interessen und seiner privaten Interessen vorgenommen. […].» (E.3.2).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führte eine Strafuntersuchung gegen A. wegen Drohung, falscher Anschuldigung und Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen. Am 28. November 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Bezirksgericht Meilen. Hinsichtlich des angeklagten Sachverhalts wird A. zusammengefasst vorgeworfen, am 7. November 2022 vor dem Einfamilienhaus von B. und der gemeinsamen Tochter C. eine Kettensäge behändigt, eingeschaltet und auf Vollgas gestellt zu haben. Mit der laufenden Kettensäge soll er sich dann zum Einfamilienhaus bewegt haben. Der im Haus anwesende Ex-Partner von B., D., habe aufgrund des Auftritts mit der Kettensäge die Befürchtung gehabt, A. könnte sich ins Haus begeben um B. und C. zu töten. D. sei deshalb aus dem Haus gegangen, um A. dazu zu bewegen, die Kettensäge abzulegen. A. habe sich in der Folge mit schwenkenden Bewegungen der Kettensäge in Richtung von D. bewegt, wobei die Distanz zwischen der Spitze der Kettensäge und dem Körper von D. 1,5 Meter betragen habe. Dieses Verhalten habe D. in grosse Angst versetzt, da er um sein Leben gefürchtet habe. Des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen wird A. beschuldigt, da er sich am 9. September 2023 an den Wohnort von B. begeben habe, obwohl ihm dies mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Bezirks Zürich vom 1. Februar 2023 untersagt worden sei.

Instanzenzug

Im Rahmen des hängigen Strafverfahrens ersuchte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Bezirks Meilen (nachfolgend KESB) am 24. Juli 2023 bei der Staatsanwaltschaft um Einsicht in das von Dr. med. E. am 2. Mai 2023 erstellte forensisch-psychiatrische Gutachten über A. Mit Verfügung vom 24. November 2023 bewilligte die Staatsanwaltschaft die beantragte vollumfängliche Einsicht in das Gutachten. Dagegen erhob A. Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Mai 2024 ab.

Weiterzug ans Bundesgericht

Mit Eingabe vom 21. Juni 2024 führt A. Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. Mai 2024 sei die Vorinstanz bzw. die KESB Meilen anzuweisen, das psychiatrische Gutachten vom 2. Mai 2023 zu vernichten. Eventualiter sei der KESB Meilen die Einsicht in das psychiatrische Gutachten vom 2. Mai 2023 zu verbieten. Zudem beantragt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des vorinstanzlichen Beschlusses vom 22. Mai 2024 sowie der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 24. November 2023. Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_681/2024 vom 4. April 2025  

Prozedural äussert sich das Bundesgericht zunächst wie folgt:

«Dem angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Entscheid liegt ein Beschwerdeverfahren über die Gewährung der Akteneinsicht an die KESB Meilen zugrunde. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offen (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 BGG). Als im Hauptverfahren Beschuldigter ist der Beschwerdeführer gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zudem zur Beschwerde berechtigt. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren indes nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (vgl. Art. 92 BGG). Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirken kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1 mit Hinweisen).» (E.1.1).

«Ob dem Beschwerdeführer ein solcher Nachteil droht, liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand. Nach der Rechtsprechung stellt die Akteneinsicht der Verfahrensparteien des Strafverfahrens für die beschuldigte Person lediglich eine dem Strafverfahren inhärente und als solche hinzunehmende Unannehmlichkeit dar, die grundsätzlich keinen Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG begründet (Urteile 7B_214/2023 vom 8. Juli 2024 E. 1; 7B_207/2023 vom 22. Februar 2024 E. 1.2.3; je mit Hinweisen). Dies gilt grundsätzlich auch für Akteneinsichtsgesuche von kantonalen Behörden im Sinne von Art. 101 Abs. 2 StPO (vgl. Urteile 1B_222/2018 vom 17. Juli 2018 E. 1; 1B_241/2016 vom 11. Oktober 2016 E. 1.5). Vorliegend richtet sich die Beschwerde allerdings gegen die vorinstanzlich bewilligte Akteneinsicht der KESB Meilen in das forensisch-psychiatrische Gutachten vom 2. Mai 2023, welches im Rahmen des hängigen Strafverfahrens über den Beschwerdeführer erstellt wurde. Der Beschwerdeführer macht insoweit sinngemäss geltend, bei einer Einsicht in das Gutachten werde die KESB Meilen dessen Inhalt im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Besuchsrechts zu seinen beiden minderjährigen Kindern gegen ihn auslegen, was nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Zudem erhielten auf diesem Weg die Mütter seiner beiden Kinder über die KESB Meilen Zugang zum Gutachten. Angesichts der Tatsache, dass bereits eine forensisch-psychiatrische Begutachtung für die beschuldigte Person einen wesentlichen Eingriff in ihre Grundrechte (Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 BV) darstellt (Urteil 1B_520/2017 vom 4. Juli 2018 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 144 I 253), ist es fraglich, ob die vorgenannte Rechtsprechung betreffend behördlichen Akteneinsichtsgesuchen gemäss Art. 101 Abs. 2 StPO mit Blick auf den sensiblen Inhalt von psychiatrischen Gutachten ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann. Diese Eintretensfrage kann indessen offengelassen werden, da sich die Beschwerde ohnehin als offensichtlich unbegründet erweist.» (E.1.2).

Hier werden nicht alle Rügen des Beschwerdeführers behandelt (vgl. z.B. E.2 und E.4.1).

Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 7B_681/2024 vom 4. April 2025 wie folgt bezüglich der Einsicht durch die KESB:

«Gemäss Art. 101 Abs. 2 StPO können andere Behörden die Akten einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil-, Straf-, oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.» (E.3.1).

«Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz eine umfassende Interessenabwägung der im vorliegenden Fall tangierten öffentlichen Interessen und seiner privaten Interessen vorgenommen. Der Beschwerdeführer moniert zwar, die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft hätten die Interessen „nicht korrekt abgewägt“. Er zeigt aber nicht konkret auf, inwiefern die Vorinstanz seine privaten Interessen falsch gewichtet haben soll. Stattdessen rügt er, die Vorinstanz habe das psychiatrische Gutachten vom 2. Mai 2023 zu lange unter Verschluss gehalten und die Gutachterin habe bei ihm gar keinen psychiatrischen Befund feststellen können. Inwiefern diese Rügen im Zusammenhang mit der vorinstanzlichen Güterabwägung stehen bzw. diese als rechtswidrig erscheinen lassen sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht dargetan.» (E.3.2).

«Nicht ersichtlich ist auch, inwiefern die Vorinstanz bei ihrer Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs die ihr gestützt auf Art. 29 Abs. 2 BV obliegende Begründungspflicht verletzt haben soll. Wie gesagt, hat die Vorinstanz die vorliegend tangierten öffentlichen und die privaten Interessen in ihrer Begründung umfassend berücksichtigt, gegeneinander abgewogen und sich dabei mit den Rügen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Wenn sie dabei nicht jedes Argument des Beschwerdeführers einzeln widerlegt hat, ist dies unter dem Aspekt des rechtlichen Gehörs nicht zu beanstanden, da sich die wesentlichen Überlegungen der Vorinstanz, von denen sie sich bei ihrer Interessenabwägung hat leiten lassen, aus dem angefochtenen Beschluss ohne Weiteres hervorgehen (siehe BGE 150 III 1 E. 4.5; 142 II 49 E. 9.2). Es ist namentlich nicht ersichtlich und wird auch nicht näher begründet, inwiefern die Vorinstanz die Kinderinteressen von C., der minderjährigen Tochter des Beschwerdeführers, ausschliesslich zu seinen Gunsten hätte berücksichtigen dürfen, wie dies der Beschwerdeführer sinngemäss zu behaupten scheint.» (E.3.3).

«Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer ferner, wenn er behauptet, die KESB Meilen habe gar keinen Grund, das psychiatrische Gutachten beizuziehen, sondern ihr Akteneinsichtgesuch stelle eine „Umgehungsübung“ der KESB dar, damit die beiden Mütter seiner minderjährigen Kinder Einsicht in das Gutachten erhielten. Einerseits legt die Vorinstanz detailliert dar, weshalb die KESB im Zusammenhang mit den bei ihr hängigen Verfahren betreffend Kontaktregelung, Obhut und elterliche Sorge hinsichtlich C. ein berechtigtes und gewichtiges Interesse an der Einsichtnahme in das psychiatrische Gutachten hat (vgl. angefochtener Beschluss des Obergerichts Zürich vom 22. Mai 2024 E. 2.4.2 ff.). Mit den entsprechenden, bundesrechtskonformen Erwägungen der Vorinstanz setzt sich der Beschwerdeführer in Verletzung der ihm obliegenden Begründungspflichten (vgl. E. 1.4.1 hiervor) nicht auseinander. Andererseits handelt es sich um eine unbelegte Mutmassung des Beschwerdeführers, dass die beiden Mütter seiner minderjährigen Kinder in rechtsmissbräuchlicher Weise die KESB Meilen angewiesen hätten, ein Gesuch um Akteneinsicht zu stellen, damit sie über diesen Weg Einsicht in das psychiatrische Gutachten erhielten. Insoweit gilt es in Übereinstimmung mit der Vorinstanz ohnehin festzuhalten, dass die KESB Meilen den beiden Müttern das Gutachten aufgrund des Amtgeheimnisses nicht direkt aushändigen könnte, sondern die Herausgabe ein begründetes Akteneinsichtsgesuchs bedürfte (Art. 314 Abs. 1 ZGB in Verbindung mit Art. 449b Abs. 1 ZGB) und der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid den Rechtsweg beschreiten könnte.» (E.3.4).

Das Bundesgericht weist im Urteil 7B_681/2024 vom 4. April 2025 die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt (E.5).

 

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