Antrag auf amtliche Verteidigung: Mitwirkungspflicht bei Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse

Im Urteil 7B_487/2025 vom 24. September 2025 aus dem Kanton Zürich äusserte sich das Bundesgericht zur amtlichen Verteidigung u.a. wie folgt: «Bei der amtlichen Verteidigung nach Art. 132 Abs. 1 lit b StPO handelt es sich letztlich um eine unentgeltliche Verbeiständung der beschuldigten Person (siehe auch Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich daher das in BGE 127 I 202 zur unentgeltlichen Verbeiständung einer geschädigten Person Gesagte auf beschuldigte Personen übertragen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Leitfaden für amtliche Mandate im Strafverfahren der Oberstaatsanwaltschaft Zürich (Stand Januar 2024) auf den sich der Beschwerdeführer beruft. Gemäss deren Ziff. 3.2, S. 32 f., gelten für die Beurteilung der Mittellosigkeit der beschuldigten Person die gleichen Massstäbe wie für die Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft (Ziff. 5.2.7). Unter dem Titel „Mitwirkungspflicht“ wird dort unter Ziff. 5.2.7.2, S. 56 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass volljährige Gesuchstellende in Ausbildung im Grundsatz über die finanziellen Verhältnisse der ihnen zum Unterhalt verpflichtenden Elternteile Auskunft zu geben hätten. Anders als der Beschwerdeführer meint, begründet der Leitfaden somit gerade kein berechtigtes Vertrauen, durch das seine gegenteilige Rechtsauffassung geschützt würde.» (E.4.3.2). «Der Beschwerdeführer gab einzig bei der polizeilichen Einvernahme vom 2. Dezember 2024 an, über ein Einkommen von Fr. 1’500.– und kein Vermögen zu verfügen. Hierfür wie auch für die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern fehlen aber jegliche Belege. Weitere Angaben zu seiner und der wirtschaftlichen Situation seiner Eltern machte der Beschwerdeführer nicht. Angesichts dessen gehen die Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht bei der Erhebung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen ist. Sein Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers wurde deshalb zu Recht abgewiesen.» (E.4.3.3).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft | des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen sexuellen Handlungen mit Kindern.

Instanzenzug

Mit Verfügung vom 30. Januar 2025 wies die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich ein Gesuch von Rechtsanwalt Jürg Oskar Luginbühl um Einsetzung als amtlicher Verteidiger ab.

Die gegen diese Verfügung von A. erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. April 2025 ab, soweit es darauf eintrat.

Weiterzug ans Bundesgericht

Der A. wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Beschluss der Vorinstanz sei aufzuheben und es sei ihm ein notwendiger, eventuell ein amtlicher Verteidiger in der Person von Rechtsanwalt Luginbühl ab dem 2. Dezember 2024 zu bestellen. Unabhängig vom Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens seien die Kosten des kantonalen Beschwerdeverfahrens auf die Staatskasse zu nehmen und sei sein Verteidiger für dieses gestützt auf die eingereichten Tätigkeitsnachweise vollumfänglich zu entschädigen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht A. um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 7B_487/2025 vom 24. September 2025 

Der Beschwerdeführer ist vor Bundesgericht der Ansicht, es liege eine bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 130-132 StPO sowie des Rechts auf Verteidigung nach Art. 6 Ziff. 3 lit. c StPO vor (E.3.2).

«Was die amtliche Verteidigung angeht, kann ungeachtet der Frage, ob vorliegend ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, nur Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO einschlägig sein, da der Beschwerdeführer wie vorstehend einlässlich erläutert von einem erbetenen Verteidiger vertreten wird. Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO gelangt deshalb nicht zur Anwendung.» (E.4.1).

«Zur amtlichen Verteidigung erwägt die Vorinstanz, bei der Erfassung der wirtschaftlichen Situation im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO sei nach dem Effektivitätsgrundsatz von den Einkünften und Vermögenswerten auszugehen, über welche die beschuldigte Person tatsächlich verfüge. Bei mündigen Kindern, die noch in Ausbildung stünden, dürfe auch die zivilrechtliche Unterstützungspflicht der Eltern gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB mitberücksichtigt werden, soweit es den Eltern zuzumuten sei, für die Prozesskosten des Kindes aufzukommen. Hierfür komme es unter anderem auf die finanziellen Verhältnisse der Eltern an. Bei der Abklärung der finanziellen Situation treffe die beschuldigte Person eine prozessuale Mitwirkungsobliegenheit. Sie habe ihre finanziellen Verhältnisse darzulegen und soweit möglich zu belegen. Insoweit könne sie sich nicht auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Die Verweigerung der Mitwirkung führe zur Abweisung des Gesuchs, soweit sich die Mittellosigkeit nicht schon genügend aus den Akten ergebe.» (E.4.2).

«Die Rechtsauffassung der Vorinstanz ist zutreffend und steht im Einklang mit der Rechtsprechung.» (E.4.3).

«Bedürftig ist eine Partei, welche die Leistung der erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann, wenn sie die Mittel angreift, die sie zur Deckung des Grundbedarfs für sich und ihre Familie benötigt (BGE 135 I 221 E. 5.1; 127 I 202 E. 3b; je mit Hinweisen). Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden zum Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs. Dazu gehören einerseits sämtliche finanziellen Verpflichtungen, andererseits das Einkommen und das Vermögen (BGE 135 I 221 E. 5.1 mit Hinweis). Es obliegt der antragstellenden Partei, ihre aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend aufzuzeigen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu belegen. Kommt sie dieser Obliegenheit nicht nach, ist der Antrag abzuweisen (BGE 125 IV 161 E. 4a; zum Ganzen: Urteile 1B_549/2022 vom 17. Februar 2023 E. 3.1; 1B_107/2018 vom 30. April 2018 E. 2.3; je mit Hinweisen).  Die familienrechtlichen Unterstützungspflichten gehen der staatlichen Pflicht zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege vor (BGE 138 III 672 E. 4.2.1; 127 I 202 E. 3b; je mit Hinweisen). Art. 277 Abs. 2 ZGB bestimmt, dass die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für den Unterhalt des Kindes, das im Zeitpunkt seiner Volljährigkeit noch keine angemessene Ausbildung hat, aufzukommen haben, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. Diese elterliche Unterstützungspflicht erstreckt sich grundsätzlich auch auf den Rechtsschutz des Kindes und damit auch auf die Leistung eines Prozesskostenvorschusses (inkl. Mandatierung eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin) bzw. die Übernahme von Prozesskosten (BGE 127 I 202 E. 3f; Urteil 1B_210/2023 vom 12. Mai 2023 E. 5). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine volljährige, sich noch in Ausbildung befindende Person bedürftig ist, sind deshalb auch die finanziellen Verhältnisse der Eltern zu berücksichtigen (BGE 127 I 202 E. 3g).» (E.4.3.1).

«Bei der amtlichen Verteidigung nach Art. 132 Abs. 1 lit b StPO handelt es sich letztlich um eine unentgeltliche Verbeiständung der beschuldigten Person (siehe auch Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich daher das in BGE 127 I 202 zur unentgeltlichen Verbeiständung einer geschädigten Person Gesagte auf beschuldigte Personen übertragen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Leitfaden für amtliche Mandate im Strafverfahren der Oberstaatsanwaltschaft Zürich (Stand Januar 2024) auf den sich der Beschwerdeführer beruft. Gemäss deren Ziff. 3.2, S. 32 f., gelten für die Beurteilung der Mittellosigkeit der beschuldigten Person die gleichen Massstäbe wie für die Bestellung einer unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft (Ziff. 5.2.7). Unter dem Titel „Mitwirkungspflicht“ wird dort unter Ziff. 5.2.7.2, S. 56 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass volljährige Gesuchstellende in Ausbildung im Grundsatz über die finanziellen Verhältnisse der ihnen zum Unterhalt verpflichtenden Elternteile Auskunft zu geben hätten. Anders als der Beschwerdeführer meint, begründet der Leitfaden somit gerade kein berechtigtes Vertrauen, durch das seine gegenteilige Rechtsauffassung geschützt würde.» (E.4.3.2).

«Der volljährige Beschwerdeführer absolviert derzeit eine Lehre und verfügt noch nicht über eine angemessene Erstausbildung. Es greift somit grundsätzlich die Unterhaltspflicht gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB. Bei der Beurteilung der finanziellen Bedürftigkeit im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO sind deshalb auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern zu berücksichtigen. Gleichzeitig bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer, der um Bestellung eines amtlichen Verteidigers ersucht, auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Eltern Auskunft zu geben hat. Dass ihm dies nicht zumutbar wäre, weil er seine Eltern zum Schutz seiner Intimsphäre nicht über das laufende Strafverfahren informieren möchte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend (vgl. Urteil 1P.807/2000 vom 29. Mai 2001 E. 4b, nicht publ. in: BGE 127 I 202). Dem angefochtenen Beschluss ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am 20. Dezember 2024 von der Staatsanwaltschaft aufgefordert wurde, mittels Formular „Erklärung zur finanziellen Situation des Gesuchstellers“ seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen. Dieses Schreiben wurde von Rechtsanwalt Luginbühl als „unbeachtlich“ taxiert und blieb in der Folge unbeantwortet. Auch gegenüber der Oberstaatsanwaltschaft legte der Beschwerdeführer trotz entsprechender Nachfrage seine sowie die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern nicht offen. Er stellte sich auf den Standpunkt, diese ergäben sich aus den Akten, was aber nach unbestritten gebliebener Feststellung der Vorinstanz nicht zutrifft. Der Beschwerdeführer gab einzig bei der polizeilichen Einvernahme vom 2. Dezember 2024 an, über ein Einkommen von Fr. 1’500.– und kein Vermögen zu verfügen. Hierfür wie auch für die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern fehlen aber jegliche Belege. Weitere Angaben zu seiner und der wirtschaftlichen Situation seiner Eltern machte der Beschwerdeführer nicht. Angesichts dessen gehen die Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht bei der Erhebung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen ist. Sein Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers wurde deshalb zu Recht abgewiesen.» (E.4.3.3).

Die Beschwerde erweist sich gemäss Bundesgericht als unbegründet und ist abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist (E.5).

Kommentar zu Urteil von Boris Etter, Fachanwalt SAV Strafrecht

Das vorliegende Urteil zeigt unmissverständlich auf, dass beim Antrag auf amtliche Verteidigung auch sämtliche allenfalls notwendigen Dokumente zu den wirtschaftlichen Verhältnissen beizulegen sind. Das Bundesgericht betont in diesem Fall erneut die Bedeutung des Leitfadens für amtliche Mandate im Strafverfahren der Oberstaatsanwaltschaft Zürich.

 

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